Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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LEO JUD AN
BULLINGER
Zürich,
11. Juli 1530

Autograph: Zürich ZB, Msc F 62, 340 2/3 fol. S., sehr gut erhalten, mit Siegelabdruck Ungedruckt

Lehnt Bullingers Wunsch ab, sich gegen das Urteil zu wenden, das über Pfarrer Hans Rudolf Ammann ausgesprochen wurde, und weswegen ihm Bullinger wahrscheinlich Vorwürfe machte.

Gratiam et vite innocentiam per Christum.

Recte tu quidem, mi Heinrice, sed sero nimis mones atque eum, cui haec sententia parum placet 2 . Quid dicam? Si iudices 3 damno, parum officiosus sum et periculo me expono, si laudo, culpe socius ero, si dissimulo, parum candidus et dexter iudicor, si scribo me non interfuisse iudicio, dum ferretur sententia, arrogantiae notam quis inpinget. Nihil igitur restat nisi deum anxiis precibus pulsare, ut omnibus nobis id donet, ne adfectibus praecipites feramur, quod hic factum si siet, parcat. Non nihil autem et ab eo 4 peccatum est, quem mihi commendas, qui, ut audio, socorditer contionem a suam instituit, frigide adversarie

a vor contionem ein Buchstabe gestrichen.
1 Siehe oben, S. 55, Anm. 1.
2 Im Hintergrund dieser und der folgenden Ausführungen Juds steht eine - schließlich vor Gericht ausgetragene -Auseinandersetzung um die Sonntagsheiligung im Knonauer Amt. Pfarrer Hans Rudolf Ammann von Knonau (s. unten, Anm. 4) wurde am 30. Juni 1530 wegen Sonntagsarbeit verurteilt, appellierte jedoch daraufhin an den Zürcher Rat. Bullinger dürfte sich nach dem 30. Juni mit der Bitte an Leo Jud gewandt haben, seinen Einfluß in Zürich zugunsten Ammanns geltend zu machen, doch bestätigte der Rat schließlich das Urteil. Unter «sententia» dürfte der verurteilende Richterspruch vom 30. Juni 1530 zu verstehen sein, s. Ulrich Gäbler, Ein übersehenes Stück aus Zwinglis Korrespondenz. Hans Rudolf Ammann an Huldrych Zwingli (26. Juni 1530), in: Zwa XIII 227-230.
3 Außer dem Geschworenenrichter Hans Urmi waren bei der Knonauer Verhandlung zugegen: «Jacob Schürer von Knonaw, Hanns Hönnger von Mettmastetten, geschworen richter unnd annder erber lüt», Zürich StA, Landvogtei Knonau 1405-1542, A 128, Mappe 1; AZürcherRef 1684.
4 Gemeint ist Hans Rudolf Ammann, etwa 1480-1552, 1518 Leutpriester in Knonau, 1522, zusammen mit dem Pfarrer von Rifferswil wegen Häresieverdachtes und üblen Betragens vor das geistliche Gericht zitiert, doch vom Zürcher Rat in Schutz genommen. Ammann legte dazu eine ausführliche Verteidigungsschrift vor (AZürcherRef 271), doch wird er exkommuniziert. Als standhafter Anhänger der Reformation ist er öfters in Auseinandersetzungen mit Innerschweizern verwickelt (z. B. ASchweizerRef I 2228). Dem Knonauer Vogt Hans Berger diente er als Schreiber (s. z. B. AZürcher Ref 1374; ASchweizerRef III 112. 1122). Ammanns Wirken in der Gemeinde und sein Lebenswandel blieben nicht unangefochten. Das zeigt neben dem Anlaß unseres Briefes sein hilfesuchendes Schreiben an Zwingli vom 14. Mai 1528 (Z IX 476-478) und vor allem eine Ehebruchsgeschichte (Max Stiefel, Die kirchlichen Verhältnisse im Knonauer Amt nach der Reformation 1531-1600. Ein Beitrag zur landschaftlichen Reformationsgeschichte. Diss. phil. Zürich, Affoltern am Albis 1947. S. 82-85; AZürcherRef 1941, S. 853f), welche zum Ausschluß aus der Synode im Jahre 1533 führte. Doch schon im Herbst desselben Jahres wurde Ammann wieder in die Synode aufgenommen und amtete von 1535 bis zu seinem aus Altersgründen erfolgten Rücktritt 1547 als Pfarrer in Kilchberg. Er starb am 14. August 1552. Obwohl Ammann nicht frei von persönlichen Fehlern war, zählte er doch zu den wertvollsten Stützen der Zürcher Reformation auf der Landschaft. — Lit.: [August Ferdinand Ammann u. a.], Geschichte der Familie Ammann von Zürich, Zürich 1904, S. 175. 178-186.


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partis argumenta repulit, queque maxime loqui oportuit, neglexit. Scis, quos stimulos et aculeo[s] oratio habet ad excitandos animos iudicum. Sed hic factum doleo, quod Plinius Secundus in «Epistolis» scribit: «Minor», inquit, «vis b bonis quam malis inest, ac sicut c greek greek greek greek greek greek greek. Ita recta ingenia debilitat verecundia, perversa confirmat audacia» 5 . Ego vero hominem admonui 6 , ut gnaviter et strenue coram senatu dicat et priorem ignaviam resarciat. Quod si priorem sententiam confirmaverit senatus, utcumque ipsi peccarint, nihil tamen dubito divina hunc providentia pessima meretrice 7 liberatum nihil habere, quod vel doleat vel queratur.

Tu vale optime, frater.

Ex Tiguro, 11. iulii 1530.

Leo Jud tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, fratri suo charissimo.

b ein zweites vis gestrichen.
c nach sicut gestrichen etc.
5 Gaius Plinius Caecilius Secundus (d. Jüngere), Epistulae IV, 7,3; das griechische Zitat stammt aus Thukydides, Peloponnesischer Krieg II, 40,3.
6 Die näheren Umstände sind nicht bekannt.
7 Vgl. Jos. 2,1ff.