Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[431]

Dietrich Bitter an
Bullinger
Köln,
30. August 1534

Autograph: Zürich StA, E II 361, 102 (Siegelspur) Gedruckt: Krafft 117-119

Hat nach Ostern Johann Wilden einen Brief an Bullinger mitgegeben [oben Nr. 384]. Wiederholt das Versprechen zu schreiben, auch wenn er nichts zu berichten hat. Nachrichten über die Belagerung der Stadt Münster durch den Bischof und über den trotzigen Widerstand der Einwohner. Die Soester werden auch «Sakramentierer» genannt, aber nach Bitters Meinung könnten sie noch gerettet werden. Bittet um die Zusendung von Vadians Epitome und um Nachrichten aus Zürich. In der Frage des Altarsakraments soll sich Bullinger nicht zu sehr auf sich selbst verlassen und die von Erasmus empfohlenen Werke von Alger und Guitmund lesen. Grüße.

Mein fruntwilliger dienst, was ich dyr zu gutem gefallen liebs und guytz vermach 1 , altzeit zovorn, fruntlicher lieber Henrice.

Wiß, das ich sampt denn frunden, dem heren sie lob, in zemlicher gesuntheit und wolfart bin, wuchs mich altzeit erfrewte von dyr zo erfaren, auch deyner geliebten haußfrauwen 2 und kindern. Ich habe nit lang nach oestern brieb 3 an dich geben mit meinem gutem gunner Johan Wilden 4 , harneschmecher, burgern zo Colln. Weiß neit, ab sie dyr behandigt 5 . Dairinnen (hab ich recht enthalden 6 ) under andern gebetten ist, du mein versuemnuß, etlich mael im widderschrieben gescheit 7 , neit in arichwain 8 stellest, und dairneben verheischen 9 : Habe ich wol sonders neit zo schrieben, will, ehe

d von unbekannter Hand hinzugefügt: 1534.
40 Theodor Bibliander.
41 Leo Jud.
1 vermag.
2 Ehefrau. - Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
3 einen Brief. - Bitters Schreiben vom 25. Mai, oben Nr. 384.
4 Über die Person des Briefboten ist nur wenig bekannt. Johann Wilden wurde von der Gaffel der Harnischmacher (Sarwörter)
auf Johannis 1544 und 1547 in den Kölner Rat entsandt; er blieb jedoch wenig bedeutend, d. h. er wurde mit keinen Kommissionsaufträgen betraut. (Diese Angaben verdanken wir Herrn Dr. Deeters, Stadtoberarchivrat in Köln.)
5 ausgehändigt worden sind.
6 wenn ich es recht behalten habe; wenn ich mich richtig entsinne.
7 geschehen.
8 Argwohn.
9 verheißen, versprochen (Grimm XII/I 554f).


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ich ungeschrieben ließ, alleyn das wortlyn vale schrieben. Der meynong bin ich ouch noch. Habe darum diß brieblyn zogericht, wiewol ich sunderlich neit zu schryben wist. Dan der Munstersche handel, will ich achten, sey bey euch genochsam ußgebreittet. Nu das sey oder nit, wisse, das der widderteuffer rott binnen 10 Munster geweldig worden ist 11 durch eynen genant Stuten Bernt 12 . Haben darum ir wesen (wie dyr wail 13 bewust) uffrichten willen, ghein oberkeit dulden, alle guetter gemeyn haben, widderteuffen, ehescheiden etc. So fern das die dhoemhern und vort 14 andere burger, umbtrint 15 (als man sagt) sechshondert, entwychen mosten 16 und umb hulff iren bisschoff 17 ersoichen, der dan sulchs zo hertzen gefast und eyne 18 mit mehr fursten, nemlich dem bisschoff von Coln 19 und hertzogen von Gulich 20 persoenlich und des hertzogen von Gellers 21 und bisschoffs von Luytg 22 und Trier 23 geschickten zoldnern die stat an vunff orthern beschantzt 24 , voir palmen 25 heer biß uff heutigen tag, in meynong, sie ab irem boesen, gifftigen voirnemen zo wenden sonder 26 groeß bloetvergiessen und der stat zerstuerung. Nachdem aber solchs neit gedeyen mach, want 27 id 28 sien binnen Munster eyn trotzige, dorffige 29 versamlung, die dickwiel 30 sich auß der stat in die leger geben und vill schadens gedain 31 , so sien die fursten ernster meynong, sulchen stat mit den ghenen dairinne sien 32 gantz zo verdiligen 33 . Und ist itzt so vern komen, das man eyne portz 34 voir der ander nit mehe kent. Und willen sie, spricht man, yrstes tags stormen 35 . Wie es faren werde, weiß got. Ich versehen mich 36 , sie 37 moegens neit enthalden 38 , want vill honde der hasen thoet, haben auch gar keyn entsetzt 39 .
10 in, innerhalb.
11 zur Macht gekommen ist.
12 Gemeint ist sicher Bernt Knipperdolling, der am 23. Februar 1534 zum Bürgermeister gewählt wurde.
13 wohl.
14 weiter, außerdem.
15 ungefähr.
16 Jene Bürger, die sich den Täufern nicht anschließen wollten, wurden am 27. Februar 1534 aus Münster vertrieben, s. Ludwig Keller, Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reiches zu Münster, Münster 1880, S. 198f.
17 Franz von Waldeck, Bischof von Münster.
18 einmütig, zusammen.
19 Hermann von Wied.
20 Johann III., der Friedfertige, Herzog von Kleve-Mark und Jülich-Berg, 1490-1539.
21 Karl von Egmont, 1492-1538 Herzog von Geldern.
22 Eberhard von der Mark, 1505-1538 Bischof von Lüttich. - Zu den Hilfsgesuchen des Bischofs von Münster beim Herzog von Geldern und beim Bischof von Lüttich s. Keller, aaO, S. 253.
23 Johann III. von Metzenhausen, 1531-1540 Kurfürst und Erzbischof von Trier.
24 Zur Belagerung der Stadt Münster durch die Truppen der Bischöfe s. Keller, aaO, S. 253-260.
25 Palmsonntag.
26 ohne.
27 denn.
28 es (Grimm III 1104).
29 wagemutige (vgl. Grimm II 1729).
30 oft, häufig.
31 getan. - Ein Angriff der Belagerer am 25. Mai hatte erfolgreich abgewehrt werden können, was zur Folge hatte, daß die bischöflichen Truppen unzufrieden und zu einem neuen Sturm vorerst nicht zu bewegen waren, s. Keller, aaO, S. 256f.
32 mit denjenigen, die darin sind.
33 Am 28. August begann die Beschießung der Stadt, mit der vor allem die Zerstörung der Stadttore bezweckt wurde, s. Keller, aaO, S. 260.
34 Stadttor.
35 Der Sturm erfolgte am 31 August und endete mit der vollständigen Niederlage der Belagerer, s. Keller, aaO, S. 260f.
36 ich vermute, glaube (SI VII 567f).
37 die Münsterer.
38 aushalten, überstehen (SI II 1230).
39 Entsatz.


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Das arm volck ist jemerlich under dem schyn des evangelii verfoirt. Schryen und roeffen ummerdair 40 umb underrichtung auß der gschrifft, und sunst gheins weegs von irem handel abezowychen. Diß ist zom kortzten von Munster. Wie es sich begeben wirt, will ich zom negsten nit bergen.

Den von Soist 41 wick 42 man neit vill guytz und nent sie sacramentarios. Ich halde doch wol, man werde sie neit lichtlich angryffen, want synt mit mehe stetten im bundt; moegen geredet werden. Haben sich selbs auch nit saumt, will got anders mit innen sien etc.

Ich dancken dyr, lieber Henrice, alles guytz und diener boicher, damit du mich eherest. Weiß nit, wie ichs vergelten soll, und bidden zom andern, nitt hinderlaeß 43 das compendium Vadiani in acta apostolorum 44 verordent 45 nach diener verheischung. Auch beger ich zo wissen die handelung 46 deins vatterlands. Noch bitt ich: Stant neit zo hart uff dyr selbs 47 , und liß doch Alvarum 48 und Guimundurn 49 vom Sacrament des altairs. Dan Erasmus scribt [!], er habe nit sonder frucht dusse gelesen 50 . Ich aber habe sie neit gesehen, halte, sie sigen woll zo bekommen. Myr sien jonck 51 , mogen verfoirt werden. Nimbs voir goet, dan ich gunnen dyr glych myr selbs.

Hymit dem hern befoln, und groetz myr dyn hueßfraw 52 , dynen broeder 53 und andere frunde tausentfalt.

Datum zo Coln, am 30. tag augusti anno 34.

Diderich Bitter von Wipperfoird,

dien gunstiger freundt.

40 immerdar.
41 Zur Entwicklung in Soest, dessen Bewohner auch im Verdacht standen, in zunehmendem Maße täuferisch gesinnt zu sein, s. Keller, aaO, S. 168-176.
42 weissagt, prophezeit (Grimm XIV/I 2 857f).
43 unterlaß, vergiß nicht (Grimm IV/II 1509).
44 Vadians «Epitome trium terrae partium», die sich Bitter schon Ende Mai erbeten hatte (s. oben S. 195, 34) und die inzwischen bei Froschauer erschienen war (s. oben Nr. 419).
45 i. S. v. einzurichten, zu beschaffen.
46 das Geschehen, die Ereignisse.
47 Bitter will sagen: Beharre nicht zu fest auf deinem Standpunkt; er meint offenbar Bullingers Auffassung der Messe. - Anlaß zu dieser Bemerkung gaben Bullingers Erwartungen, Bitter solle schriftlich gegen die Messe Stellung nehmen (s. oben S. 194, 15f).
48 Es liegt ein Irrtum oder Schreibfehler Bitters vor. Gemeint ist, wie sich aus dem Zusammenhang eindeutig ergibt, Alger von Lüttich, gest. um 1132, um 1101 Kanonikus von St. Lambert in Lüttich, seit 1121 Mönch in Cluny. Er verfaßte eine Abhandlung «De veritate corporis et sanguinis
Domini in Eucharistia», die sich gegen die spiritualistische Abendmahlsauffassung des Berengar von Tours richtet und die 1530 von Erasmus in Freiburg i. Br. neu herausgegeben wurde (s. Bibliotheca Erasmiana. Répertoire des oeuvres d'Erasme, 2 e série: Auteurs publiés, traduits ou annotés par Erasme, Gent 1893 [Neudruck: Nieuwkoop 1961], S. 6). - Lit.: Josef Rupert Geiselmann, in: RGG I 236.
49 Guitmund von Aversa, gest. vor 1095, seit 1088 Bischof von Aversa, wandte sich ebenfalls gegen Berengar in einer Schrift über die Eucharistie, die zur Grundlage für Algers Abhandlung wurde. - Lit.: Martin Anton Schmidt, in: RGG II 1907.
50 Erasmus in der Widmungsvorrede zu seiner Alger-Ausgabe (s. Anm. 48) am 15. März 1530 an den kaiserlichen Vizekanzler Balthasar Merklin aus Waldkirch: «Efficacius huc adhortabuntur Algerus et Guimundus: quos ipse me fateor summo cum animi fructu perlegisse.» (Erasmus, Corr. VIII 381, 174-176); S. noch Krafft 119f.
51 jung.
52 Ehefrau. - Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
53 Johannes Bullinger.


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[Adresse auf der Rückseite:] Dem eirsamen und wolgleirten Meister Henrich Bullinger, meinem gunstigen guten freund zo handen. Gen Zürich.