Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[437]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Urach] ,
11. September 1534

Autograph a : Zürich ZB, Ms Z XI 313.6 (Siegel) Ungedruckt

Dankt für Bullingers Besorgtheit. Seine Briefe an die Konstanzer sind auch für die Zürcher gedacht. Übergab persönlich Bullingers Brief an Herzog [Ulrich von Württemberg], der ihn aber geschäftehalber noch nicht lesen konnte. Sah die Abschrift ein und sendet sie zurück. Dankt für «De testamento». Will den Mahnungen betreffend Klöster und Studien nachkommen. Deutsche Messen werden nicht eingeführt, weil auch die Reutlinger als Lutheraner sie nicht kennen. Auch die Bilder dürften später abgeschafft werden. Aber jetzt ist der Herzog noch zu sehr sonst beansprucht. Philipp [Melanchthon] und Osiander sind berufen, ebenso auf sein [Blarers]Drängen Grynaeus. Der Herzog ist gottesfürchtig; am Hof sind es nur wenige. Die Abreise drängt. Grüße. Stimme Leo [Jud], der hart schrieb, mild.

Gratiam habeo christianiss[imae]diligentiae et piae sollicitudini tuae 2 clarissime , Bullingere, venerande mihi et charissime frater.

Quod nihil scribo, dabis innumeris meis -quibus tamen non enecor - occupationibus. Puto vero vobis etiam scripta, quae Constantien[sibus] meis scribo, quamquam illos etiam semel iam et secundo solum salutavi 3 . Literas tuas 4 ipse reddidi principi 5 , quas plane exporrecta fronte excipere videbatur.

e-g Rest beim Offnen des Briefes abgerissen.
a Rechts oben alte Blatt-Nummer: 8. Dieser Brief befand sich jahrzehntelang in der 1899 im Helmhaus Zürich eröffneten (s. Zwa I 109-111), später in der Zentrabibliothek befindlichen und 1967 aufgelösten Zwingli-Ausstellung (dortige Signatur: Zw N 575a). Er wurde erst im Juli 1984 in Ms Z XI eingeordnet und damit wieder zugänglich.
1 Blarer hielt sich zu diesem Zeitpunkt mit großer Wahrscheinlichkeit noch in Urach auf, wie sich aus einer Bemerkung Bucers (siehe oben S. 312, 41) erschließen läßt.
2 Vielleicht Anspielung auf die für Blarer bestimmte Kopie (Z. 8) von Bullingers Brief an Ulrich von Württemberg
(Nr. 433, s. Z. 5-10) und wahrscheinlich auf ein Begleitschreiben an Blarer persönlich (s. Anm. 8 und 10). Bullingers früheren Brief vom 15. August erhielt Blarer erst am 28. Oktober (s. unten S. 386, 45-48). Bucer bemerkte gegenüber Blarer am [etwa 10. September 1534]: «Humanissime scripsit Bullingerus» (Blarer BW I 541).
3 Von Blarers Briefen aus Stuttgart und Tübingen vom Sommer 1534 an die Konstanzer sind nur zwei erhalten (Blarer BW I 514-517. 539). Zwick teilte sie auszugsweise Bullinger mit, s. oben Nr. 424 und 435.
4 Nr. 433, vgl. Anm. 2.
5 Herzog Ulrich von Württemberg.


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Crediderim nondum legisse. Nam multis distringebatur negociis 6 . Optime de te sentit et loquitur. Copias 7 legi. Vehementer arrident mihi argumenta, nec quicquam est, quod quenquam nisi plane iritabilem offendere queat. Remitto eas per hunc ipsum nuncium 8 .

Gratiam habeo pro iis, quae De unico dei testamento 9 misisti. Totum me tibi, idque multis nominibus, devinctum agnosco. Quae de monasteriis et alendis studiis caeterisque prudenter admones 10 , quantum in me erit, summa fide curavero.

Missae Germanicae haud instituentur 11 , praesertim cum nec apud Reutlingenses b vicinos, et Lutheranos tamen videantur c 12 . Simulacra d et ipsa, puto, tollentur 13 , tametsi tardius omnia, quod alioqui sit occupatissimus princeps 14 .

Vocatus est Philippus 15 , Osiander item Noricus ille 16 me ne suspicante quidem. Adduxi autem principem, ut Grynaeum quoque adscisceret, cui proximis

b Die eilig und unklar geschriebene Vorlage hat eher: Rieutlingenses.
c Vor videantur ist haud gestrichen.
d Vorlage verschrieben: Simulalcra.
6 Wie Herzog Ulrich Bullingers Brief aufnahm, konnte Blarer auch später nicht mitteilen, s. unten S. 341, 9-12 und 385, 35-37. Vgl. auch hier Anm. 14.
7 Vielleicht hatte Bullinger sein als «Copia des einen brieffs» bezeichnetes Konzept von Nr. 433 (s. S. 301, Anm. a) an Blarer zur Orientierung geschickt.
8 Der Bote ist unbekannt. Eine Aufforderung zur Rücksendung stand vermutlich im Schreiben an Blarer persönlich (s. Anm. 2), das nicht mehr erhalten ist.
9 HBBibl I 54. Vielleicht erhielt Blarer erst einige Druckbogen, noch nicht das ganze Buch.
10 Gewiß eine Anspielung auf das persönliche Schreiben (s. Anm. 2 und 8).
11 Blarer denkt vermutlich an Luthers «Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts» (1526, WA XIX 44-113). Seiner Meinung nach sollte sie nicht das in Württemberg noch weit verbreitete, mancherorts allmählich aufhörende, andernorts (wie in Tübingen) hartnäckig bis zu Herzog Ulrichs Einstellungsbefehl vom 7. März 1535 fortgesetzte Lesen der lateinischen Messe (s. Heyd III 94-99) ablösen.
12 Die Zeremonien des lutherischen Reutlingen waren mit den oberdeutschen verwandt, sodaß Bucer am 29. August und nochmals am 13. Oktober I 534 Blarer vorschlug, diese zu übernehmen (s. Blarer
BW I 536. 583f; Brecht, Blarer in Schwaben 163f). Blarer hielt schon 1532 die Reutlinger für «die allerbescheidensten Lutheraner», weil sie die [Esslinger und Konstanzer] «gern als Brüder gelten» ließen (s. Blarer BW I 308f. 322). Viel lag Blarer daran, daß Lehre und Gottesdienstordnung in Württemberg mit den nahen Reichsstädten übereinstimmten (s. oben S. 278, 34-37 und Anm. 38).
13 Die Bilder konnten erst spät (in Tübingen im Herbst 1536) entfernt werden. Blarer wollte alle, Schnepf nur die ärgerlichen Bilder abschaffen. Am «Götzentag» zu Urach im Herbst 1537 entschied Herzog Ulrich in Blarers Sinn, s. Brecht, Blarer in Schwaben 164f.
14 Ulrich von Württemberg war auch durch politische Probleme wie die Ratifikation des Friedensvertrags von Kaaden, die Kriegskosten, die Beziehungen zu den Nachbarn und Verwaltungsfragen bedrängt, sodaß trotz guten Willens manche Anordnung zur Reformierung des Landes spät getroffen wurde. Auch die Visitationen konnten nicht zügig durchgeführt werden. Vgl. Heyd III 4-36; Brecht, Blarer in Schwaben 160; Werner-Ulrich Deetjen, Studien zur Württembergischen Kirchenordnung Herzog Ulrichs 1534-1550, Stuttgart 1981. - Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte 7, passim, bes. S. 33-52. 57. 59f.
15 Philipp Melanchthon. Zu seiner Berufung s. oben S. 281, Anm. 71.
16 Zur Berufung des Andreas Osiander von Nürnberg s. oben S. 281, Anm. 70 und unten S. 341, 15f.


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diebus principis nomine scripsi 17 . Philippus nihil nobis incommodabit. Osiandrum multi putant minime deserturum ampliß[imam] suam conditionem.

Vos Christum sedulo perquam[?] praecamini, ut caussam suam ipse diligenter commendatam habeat. Princeps vere dei timens est et huius gloriae studiosus. Verum desidero in aula bonos et dominum quaerentes viros. Vix enim est unus aut alter 18 .

Sed urget profectio 19 . Tu bene vale, observande mi et opt[ime] frater. Saluta castiss[imam] uxorem 20 tuam cum omnibus fratribus. Leonem 21 , qui duram ad me epistolam dedit 22 , fac mitiges 23 . Neque enim hic ego in culpam vocandus, qui quod potui, praestiti 24 . Non videbatur prorsus deserenda mihi caussa propter istas spinas.

Iterum vale, utque Ambrosius sim, quem esse sane iubes, tuis mihi e praecibus impetra.

11. septembris 1534.

T. Ambrosius Blaurerus.

[Adresse auf der Rückseite:] Clariss[imo] viro d. Heylreicho[!] Bullingero, Tiguricen[sis] episcopo observando et chariss[imo] fratri.