Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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BULLINGER AN
SCHULTHEISS UND RAT VON BERN
Zürich,
14. Dezember 1531

Autograph: New York, The Pierpont Morgan Library 1 fol. S., sehr gut erhalten, mit Siegelabdruck Teildruck: Pestalozzi 78 f 1

Bedankt sich für seine Berufung, teilt jedoch mit, daß er in Zürich bereits gewählt sei und Zürich die Freiheit der Predigt nicht beschränken wolle.

Edlen, vestenn, ersammen, frommen, fürsichtigen, wysen a , gnedige und lieben herren, min willig dienst und was ich üch ze guten und gefallen wüste bevor 2 .

Erstlich sagen ich gott danck durch Jesum Christum [Röm 1,8], das er üwer ersamm wyßheyt in sinem wort behallten hatt, und bitten inn 3 von hertzen, er welle üch fürohin 4 sterckenn.

Demnach das üwer wyßheyt mir kleinfügem 5 , unnwirdigem und unverdientem so demütig und trostlich zuschrybend 6, minen ouch zu üwerem predicanten begärend, sag ich ü[wer]w[yßheyt] hohen danck, will ouch üwer eeren trüw und liebe ind eewigheyt nitt vergässenn, sunder mitt allem vermügenn 7 , wo ich möchte und könde, mitt trüw, ghorsamme und bestem flyß beschulden 8 . Wellt 9 ouch, das es gott also 10 gefügt hätte, das ich üch, minen gnedigen herren vonn Bernn hätte dienen mögen 11 , zuo denen ich alle zyt, allß 12 zu wysen, gotsförchtigen und getrüwen, ein besonderbar 13 hertz getragen hab. Dann hett es ouch nitt gheines bittens bedörffen, und noch nitt 14 , wo ich ü[wer] w[yßheyt] willfaren möchte.

Nun aber hatt es gott also gefügt, daß mich mine herren vonn Zürych b angenommen 15 habend, denen ich vonn ettwas 16 jaren har mitt eydspflicht, allß 17 ich ouch M. Frantzen 18 ze Bremgarten c eigentlich 19 vorgemeldet 20 hab 21 , verbunden

a wysen übergeschrieben.
b Zürych unterstrichen.
c M. Frantzen und Bremgarten unterstrichen.
1 Wiedergabe des Textes in modernisierter Form.
2 zu allererst, vor allem.
3 ihn.
4 weiterhin.
5 Geringem, Unbedeutendem.
6 Siehe oben Nr. 48.
7 Vermögen, Fähigkeit.
8 vergelten.
9 (ich) wollte.
10 so.
11 können.
12 wie (SI I 198).
13 besonderes.
14 auch jetzt noch nicht.
15 in Dienst genommen (SI IV 739).
16 einigen.
17 wie.
18 Kolb, s. oben S. 215, Anm. 54.
19 genau.
20 vorher berichtet.
21 Siehe oben S. 232, Anm. 4.


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bin 22 . So habend sy ouch iro predicanten alle zyl dem göttlichen wort uffgenommen 23 und fry befolhenn ze predgenn d 24 , luth 25 der gschrifft h[errn] Berchtolden e 26 zugeschickt 27 . Dorumb bitt ich, üwer ersamm wyßheyt welle nützid 28 an mich zürnen, dann ich eerenhalb nitt hab anders handlenn mögen. Wellind mich ouch nützid minder 29 üch befolhenn haben; dann hatt es glich 30 jetzund die gestallt 31 , will ich doch allwäg ein Berner und der üwer sin mitt gunst und trüwen diensten, wo ich kan.

Deß botten halb, hat er nützid versumpt 32 , sunder ylends 33 und getrüwlich 34 gesternn zwüschend 7 und 8 morgens 35 die brieff überantwurt.

Damitt sye ü[wer]w[yßheyt]gott befolhen, der welle üch in eeren, fryden und wolstand lang behallten 36 .

Datum Zürych, 14. decembris anno 1531.

Ü[wer]w[yßheyt]underthäniger

Heinrych Bullinger.

[Adresse auf der Rückseite:] Den edlen, vesten, frommen, fursichtigen und wysen herren schuldheyssenn und radt der statt Bernn, minen gnädigen unnd liebenn herrenn.

d Im Konzept vom Vortag (Zürich ZB, Msc A 51, 17) lautete dieser Satz: «So habend ouch mine herren den prädicanten uff hütt 37 das göttlich wort der maß gefryet 38 , daß wir nützid me klagend...»
e Berchtolden unterstrichen.
22 Siehe oben S. 231, Anm. 10.
23 jede dem göttlichen Wort gesetzte Begrenzung (zyl) weggenommen, aufgehoben (vgl. SI IV 737).
24 Am 13. Dezember sprach Bullinger im Namen der Prediger beim Rat vor. Einerseits gab er das verlangte Versprechen, daß sich die Zürcher Pfarrerschaft in politische Geschäfte zukünftig nicht mehr einmischen werde, anderseits hielt er aber an der freien Predigt des göttlichen Wortes fest. Diese Forderung wurde schließlich vom Rat in aller Form akzeptiert; die Vertrauenskrise war überwunden (s. Blanke 157ff; Zsindely 672f).
25 laut
26 Haller, s. oben S. 205, Anm. 1.
27 Die Schrift enthielt wohl den Text der von Bullinger vor dem Rat vorgetragenen Erklärung der Prediger und der vom Stadtschreiber übermittelten Zusage des Rates (gedruckt: HBRG III 293-296). Das Schreiben an Haller blieb nicht erhalten.
28 nichts.
29 nichts desto weniger.
30 zwar, obgleich (SI II 596).
31 denn, obgleich die Sache jetzt so steht, ...
32 versäumt.
33 in Eile.
34 getreu.
35 Also unmittelbar nach der Abgabe der Erklärung vor dem Rat und zu Anfang der darauffolgenden außerordentlich langen Verhandlungen innerhalb des Rates (von 7 bis 11 Uhr: HBRG III 296). — Der Weg von Bern nach Zürich dauerte durchschnittlich zwei Tage, die Ratsboten ritten meist einen Tag und eine Nacht (Tardent 22f). Da die Briefe am 11. geschrieben wurden, derjenige Hallers sogar am Abend, ritt der Bote wohl erst am nächsten Morgen ab und konnte darum Bullinger nicht vor dem frühen Morgen des 13. Dezember erreichen. Die Briefe kamen jedoch früh genug an, um Bullinger in seiner festen Haltung gegenüber dem Rat zu bestärken.
36 erhalten, bewahren (SI II 1238).
37 heute.
38 freigegeben.