Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[520]

Johannes Comander an
Bullinger
Chur,
1. Februar 1535

Autograph: Zürich StA, E II 365, 2 (Siegelspur) Gedruckt: Graubünden, Korr. I 2f, Nr. 3

Hat Bullingers Brief erhalten und versucht, das Gewünschte herauszufinden. Weiß von Kaufleuten, daß ein türkischer Heerführer [Cheireddin], genannt Barbarossa, seine Herrschaft über Tunis errichtet hat, wogegen der Kaiser Soldaten mobilisiert; gleichwohl werde der Kaiser im Frühjahr nach Mailand kommen. Zwischen Papst Paul III. und dem Herzog [Francesco Maria I. della Rovere] von Urbino erhob sich ein Streit, der zum Zündstoff für einen Krieg werden könnte. Hat sonst nichts zu berichten.

Gratiam et pacem a domino.

Literas tuas 2 , ornatissime Bullingere, accepi, et ea, que scire desyderas, quanta potui sedulitate perscrutari conatus sum.

Ex relatione negotiatorum haec habemus, ducem Turcae, Barbarussa 3 cognominatum, regnum quoddam coepisse eo loco, ubi quondam Chartago fuit;

1 Johannes Comander (Dorfmann), von Maienfeld (Kt. Graubünden), geb. um 1482, gest. 1557, durchlief die Lateinschule in St. Gallen und immatrikulierte sich im Wintersemester 1502/1503 an der Universität Basel; im Jahre 1505 erwarb er den Grad eines Baccalaureus. Von Escholzmatt (Kt. Luzern), wo er viele Jahre als Verweser und Pfarrer gewirkt hatte, wurde Comander 1523 vom Churer Rat als Pfarrer an die Martinskirche berufen. In dieser Stellung, die er 34 Jahre lang bekleidete, wurde er zum Reformator Churs und weiter Teile Graubündens. Comander stand mit Zwingli, den er in Basel kennengelernt hatte, und Vadian in regem Briefwechsel. Zusammen mit Johannes Blasius, von 1530 an Pfarrer an der St. Regulakirche, verfaßte er einen Katechismus. Im Jahre 1537 schuf er die Synode, der er in der Folgezeit vorstand. 1545 arbeitete er für Chur eine Kirchenordnung aus, und 1552 entwarf er zusammen mit Philipp Gallicius, dem Nachfolger von Blasius, die "Confessio Raetica". Aus dem Briefwechsel mit Bullinger sind über 70 Briefe Comanders erhalten, von Bullinger ist dagegen nur einer überliefert. — Lit.: Wilhelm Jenny, Johannes Comander. Lebensgeschichte des Reformators
der Stadt Chur, 2 Bde., Zürich 1969/1970; Fritz Büsser, Johann Komander, in: TRE XIX 378-384.
2 Nicht erhalten (vgl. dazu Jenny, Comander II, aaO, S. 32).
3 Cheireddin, genannt Barbarossa, 1466-1546, von Lesbos, islamisierter Grieche, eroberte 1516 zusammen mit seinem Bruder Algerien. Nach seines Bruders Tod unterstellte er sich und sein Reich dem türkischen Sultan. Von Nordafrika aus hielt er mit seinen Korsarenzügen die christlichen Küstenländer in steter Unruhe. Im August 1533 wurde er in Konstantinopel zum Admiral der türkischen Flotte ernannt. Ein Jahr darauf unterwarf er sich das Sultanat Tunis, das ihm Karl V. jedoch im Juli 1535 wieder entriß. Cheireddin setzte seine Kriegszüge im Mittelmeer in türkischen Diensten fort, bezwang 1538 Andrea Doria, unterstützte 1542 den König von Frankreich und war 1543 an der Einnahme von Nizza beteiligt. — Lit.: Jean-Louis Belachemi, Nous, les frères Barberousse, corsaires et rois d'Alger, Paris 1984; Ernle Bradford, The Sultan's Admiral. The Life of Barbarossa, London 1969; Fehmi Ismail, in: Contemporaries II 259f.


Briefe_Vol_05_081arpa

Itali Donys 4 vocant. Caesar, ut aiunt, aliquot conscripturus est milites ex Germania atque eo missurus 5 . Nihilominus ferunt ipsum venturum ad auras vernas Mediolanum 6 .

Etiam nonnihil turbarum ortum est inter papam Paulum 3. et ducem Urbini 7 . Cuiusdam principis 8 filia 9 defuncta sua stirpe tota sola permansit superstes. Illam sanctissimus ambivit filio 10 suo in coniugem, sed cum tardior esset, dux Urbini illam abduxit ac suo filio in sponsam delegit 11 . Istuc fortassis fomentum belli erit apud ambitiosos illos et pertinaces homines.

Nihil praeterea fertur, quod tua referat aut delectet.

Ex Curia Rhetica, prima februarii 35.

Tibi deditus Ioannes Comander.

[Adresse auf der Rückseite:] Eximio ac doctissimo viro M. Heinricho Bullingero, Tygurinae ecclesiae antistiti, suo domino observando.

4 Tunis.
5 Der Kaiser sammelte bereits Truppen für seinen Nordafrika-Zug. Am 14. Juni 1535 brach er mit großem Flottenaufgebot von Cagliari (Sardinien) auf. Mitte Juli fiel Tunis. Cheireddin zog sich nach Algier zurück. Am 22. August kehrte der Kaiser nach Sizilien zurück (vgl. Brandi I 313-316).
6 Der Kaiser scheint in dieser Zeit ein Unternehmen in Italien geplant zu haben (vgl. Brandi I 312); er blieb dann aber bis zum Aufbruch nach Tunis in Spanien (vgl. Stälin 572).
7 Francesco Maria I. della Rovere, gest. 1538.
8 Giovanni Maria da Varano, Herzog von Camerino.
9 Giulia da Varano.
10 Pier Luigi Farnese, gest. 1547.
11 Nach dem Tod von Herzog Giovanni Maria von Camerino, 1527, war die damals vierjährige Infantin Giulia dem ältesten Sohn des Herzogs von Urbino, Guidobaldo, zur Ehe versprochen worden. Die Trauung fand am 12. Oktober 1534 statt. Clemens VII., der kurz zuvor gestorben war, hatte diese nicht bewilligt, und eine Verfügung dagegen von Alessandro Farnese, dem künftigen Papst, traf zu spät ein. Das Herzogtum, das sich nun Paul III. für seinen Sohn, später für seinen Enkel Ottavio zu sichern suchte, wurde ihm schließlich von Guidobaldo gegen eine Geldsumme und andere Gegenleistungen 1539 abgetreten. Vgl. James Dennistoun, Memoirs of the Dukes of Urbino, Bd. III., London 1851, S. 60-65. 83. 87, und Filippo U golini, Storia dei conti e duchi d'Urbino, Bd. II, Florenz 1859, S. 250-252.