Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[596]

Hans Vogler an
Bullinger
St. Gallen,
22. Juni 1535

Autograph: Zürich StA, E II 351, 169 (Siegelspur) Ungedruckt

Gibt über die jüngsten Vorkommnisse in St. Gallen Bericht: Der Absicht der Leute aus der Klosterherrschaft, dem Abt mit einem festlichen Aufzug Ehre zu erweisen, stellten sich Bürgermeister Vadian und der Rat mit der Bedingung entgegen, daß nicht alle Bewaffneten gleichzeitig durch die Stadt zum Hof ziehen dürften, worauf diese den Durchmarsch vorerst erzwingen wollten, dann aber einlenkten; am Sonntag wollen sich die Leute des Abtes in Rorschach treffen. Über das Wochenende waren u. a. der Hauptmann von Wil und Jakob An der Rüti von Schwyz, am Samstag auch der Abt in der Stadt. (Konrad]Brüllisauers Sohn hat dem Stadtammann [Albrecht Schlumpf] die Zahlung für einen Rebberg versprochen, sobald in St. Gallen wieder Messe gelesen werde. Im Kloster drohte ein Prediger, daß er innert Jahresfrist in der Stadtkirche St. Laurenzen Messe halten werde. Bitte, den mitgeschickten Brief aus Nürnberg Andreas Geßner zu übergeben. Im Rheintal blühten die Reben spät. Die Nachrichten über [den Täuferaufstand in]Amsterdam scheinen wahr zu sein. Will sich mit Bullinger in Zürich besprechen. Grüße; [Jakob]Rordorf soll das blaue Garn bei Gebhart Brunner holen. Die Rheintaler danken [Johannes]Haab.

Gott mitt unns. Amen etc.

Min herr, gelieptter bruder, us beger mins hernn doctor von Wadtz 1 und andrer etc., och us miner pflichtt gegen m[ine] g[nedigen] h[erren] von Zürych

d Rand abgeschnitten.
15 Bullingers Frau Anna, geb. Adlischwyler.
16 Siehe oben Nr. 522, Anm. 87.
17 Unbekannt.
1 Joachim Vadian.


Briefe_Vol_05_239arpa

etc., dissen handel hernach luttende üch in trüwen 2 zuzeschriben, damitt ir minem sonder günstigen, lieben hernn burgermaister Roysten berichtten, ob 3 villichtt die sachen anderst furkämen, dann hernach lutende, zu veronglimpfen, wie dann Wyler ard ist 4 , nitt globen geben, sonder die warhait, und was sollich fürnemen bringen mugen hette, hier inn bedenckenn, alls denen baiden ain gutte, frome statt insonders getruwtt. Ermessend die sach, was sorg etc. 5 lttem es ist von dem aptt von Santt Gallen 6 oder den sinen gen Santt Fyden , in sinen grichten vor der statt Santt Gallen, dryg sontag uff ain andren angesechen 8 worden ain schencky 9 von allen gotzhuslüten, zu eren im oder ander, und die gricht 10 tailt uff jeden sontag. Doch vor dissem sontag 11 nach dato sind ain ersamer rat in der statt ettlich tag vorhin gwar worden (onangesechen sy vorm handel darum nie ersucht) und habend ain ratschlag gethon: So verr die kämend, alls es by 500 gwaffneter mannen troffen, dem burgermaister 12 befolt, uff das, alls sy komen wurden und im hoff dess aptz herus glassent, ain rädly zu schlachen 13 alda irm g[nedigen] h[errn] und conventt zu eren, sy dergstalt nitt herin zu lassen, sonder inen anzuzaigen, so sy kämend, das man sy gernn durchziechen lassen, doch ain gericht oder gegny 14 nach der andern; man verseche sich 15 och nichtz dann gutz. Alsso ist niemand komen bis sontag dess tags, als sy durch wellen. Hat der hoffmaister 16 und cantzler 17 den inziecher zum burgermaister geschickt und im erschaint 19 , sy wellent also komen (und nit begert, ob ers gonnen 20 welle). Er dem botten die antwurt geben wie oblutet, der sich ain rat entschlossen, im och fürghalten, dem botten, als das gschray 21 , das villicht etlich tangrotzen 22 tragen wurden, weliches der bott verantwurt hat: "Ob gott wil, nitt." Alls man nun nitt gewist, ob sy sich der antwurt, also durchziechen und kain rädly zu machen, och jedy gegny sonders, benügen lassen wellen, und sich doch das volck etwan 23 wit vor der statt ussen gesamlet, by welchen der cantzler mitt ainem gutten schlachtschwert, och der vogt von Oberberg 24 im fordersten glid zogen, und andre
2 wahr, zuverläßig (SI XIV 1626).
3 falls (Grimm VII 1051f).
4 Anspielung auf den Verwaltungssitz des Abtes in Wil (Kt. St. Gallen).
5 Zum Bericht über diese "Tanzkirchweih" vgl. auch Kessler, Sabbata 433.
6 Diethelm Blarer von Wartensee.
7 Kirche in Tablat, östlich der Stadt St. Gallen, im Klostergebiet.
8 festgesetzt, angeordnet (SI VII 555-557).
9 Fest (SI VIII 956-958).
10 Die einzelnen Gerichtsbezirke der fürstäbtischen Herrschaft.
11 20. Juni 1535.
12 Im Jahr 1535 war Vadian Bürgermeister.
13 in einem Kreis zusammenzustehen, eine Ehrenformation zu bilden (SI VI 486).
14 Gegend, Gerichtsbezirk.
15 man erwarte, glaube (SI VII 567f).
16 Niklaus Friedrich von Heidenheim zu Klingenberg (s. St. Gallen Stiftsarchiv, Rep 14a, S. 45).
17 Ulrich Sailer (s. ebd., S. 61).
18 Unbekannt.
19 eröffnet (SI VIII 795f).
20 bewilligen (SI II 332f).
21 Gerücht, Gerede (SI IX 1448f).
22 Die seit dem 2. Kappelerkrieg von den Katholiken als Parteiabzeichen getragenen Tannenbüschel (vgl. SI II 838f).
23 irgendwo (SI I 591).
24 Möglicherweise Sebastian Gaisberg von Konstanz, der 1534 als Vogt auf Oberberg erwähnt wird; 1536-1542 versah Ulrich Ritz von Berneck das Amt (s. St. Gallen Stiftsarchiv, Rep 14a, S. 94).


Briefe_Vol_05_240arpa

amptlüt ettlich, zu gwarsamy 25 , jemand zu tratz 26 , hat burgermaister von Wadt den alten 27 , och underburgermaister 28 zu im gnomen under das tor und da dannen den stattknecht zu dem cantzler und volck ushe geschick, ain cantzler uff früntlichest erfordern, ob sy sich der antwurt bewilgung ains ratz benügen lassen. Daruff der cantzler selpst 29 sim schlachtschwert hinn gangen zu den dryg burgermaistern zum tor, die offen gsin, dem also abermals ains ratz bewilgung erofnet, mitt beger, daby zu bliben und sich benügen lassen. Daruff der cantzler gerett: "Lieben hernn, wir sind dess rättig worden, samptlich mitt ainandren in den hoff zu ziehen, darinn ain rädly zu machen, m[inem] g[nedigen] h[errn] und dem convent zu eren (wie wol der apt nitt da gesin ist), doch uns dess verainbart, daß wir uns nitt kains wegs trennen lassen wellend; daby man sich aber alles gutz versechen sol." Daruff im geantwurt, by gethonem bewilgen dess ratz zu bliben, wie wol sy beduren haben, daß sy sich hier inn der statt nitt wilfarn noch benügen lassen; wol vermaint, nitt irs sins etc. Uff disse antwurt redt der burgermaister witer: "So megen ir wol uff dem graben um statt ziechen." Daruff cantzler redt: "Nain, das wend wir nitt ton, sonder wend den nächsten 30 uff den berg in m[ines]g[nedigen] h[erren] gricht ziechen gen Sant Fiden." Aber sy zugend da har bis zum thor, den cantzler mit dem schlachtschwert forder 31 . Schlug also bim tor umhe 32 uff dem graben. Och in stille ghaim, zu guttem, habend och der rat 200 man in ire hüser potten, gerüst, sampt 4 stuck büchsly geladen, wo sy gwaltig 33 hierin weltend, alles wol gerüst, bis alle burger dess och innen wurden und sich gerüsten mochtend. Sy sind och so noch zum thor zogen, daß der burgermaister Franzist Studer selb 14 büchssenschützen zu im berüft in yl under das thor, die ir büchssen geladen ain jeder, alsso erwart. Gott syg lob, zu guttem gwent. Item uff nächst sontag, ist die sag, komentz zu Roschach zusamen.

Ittem uff sontag och montag ist vil sir räten, och von Wil alhie ingriten der hoptman 34 . Item der ist och hie gsin von Schwytz, Jacob An der Rüty 35 , welcher

25 zur Vorsicht (Grimm IV/I 3, 4877).
26 niemandem zur Provokation (Grimm IV/II 2303. SI XIV 1657f).
27 Alt Bürgermeister war Hans Ramsperger.
28 Ambrosius Schlumpf.
29 mit, samt (vgl. SI VII 825).
30 auf dem nächsten Weg.
31 zuvorderst.
32 Schwenkten beim Tor ab.
33 mit Gewalt.
34 Anton Auf der Mauer von Schwyz.
35 Jakob An der Rüti, Schwyzer Politiker, Ratsherr, 1527-1529 und 1543-1545 eidgenössischer Landvogt in Baden, 1547-1549 Landammann, war zwischen 1524 und 1550 als Abgesandter an zahlreichen eidgenössischen Zusammenkünften - so
etwa 1531 an den Friedensverhandlungen in Deinikon - beteiligt. Auf der Heimkehr der fünförtischen Truppen nach dem Friedensschluß habe Jakob An der Rüti, so berichtet Bullinger anerkennend, sein Haus in Bremgarten, in dem dieser Nachtquartier bezogen hatte, vor Plünderungen geschützt. — Lit.: EA IV/1a-1e, Reg.; HBRG III, Reg.; Joh. B. Kühn. Die Landammänner des Landes Schwyz. Nach urkundlichen Quellen, in: Der Geschichtsfreund 32, 1877, S. 128; ders., Verzeichnis der Landammänner des Landes Schwyz. Nachträge und Berichtigungen, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 27, 1918, S. 37f.


Briefe_Vol_05_241arpa

in Sant Gallen sach ain spruchman gsin by maister Haben 36 . Item der apt redt am sampstag in die statt; des tags wider hinus etc.

Item es hat ainer von Thal us dem Rinthal (Vogt Brulisowers 37 son 38 , dess aptz rat) mitt dem stattaman von Sant Gallen 39 zu Lindow im wirtzhus frischlich ain koff geben 40 , villicht nit ghaiten von dem us dem Rinthal, ain wingart im geben um 600 lb den[ar] Sant Galler werig, wenn man zu Sant Gallen in der statt mess hab, im zaln etc.

Ittem der münch 41 , so jetz im closter Sant Gallen predigt (ist, als gwiss ist, durch den messner 42 für ain rat tragen), ja der statt kilchen Sant Lorentzen, zum messner komen und mitt mer worten grett, da well er oder man werde in jars frist mess in der kilchen halten. Was fräffels 43 mögen ir bedencken etc.

Item den ainen brieff 44 kompt von Nürmberg, gebend maister Andres Gässler 45 .

Alhie im Rinthal was spater winblust gsin; fast abgfallen.

Ich fürcht fürhin me, wie es by üch stand. Was ir zittung habend, schribend uns.

Von Nürmberg ist nicht nüws. Dann man achtet 46 , das von Angsterdam syg war, laider 47 .

So ich zu üch kom, hab ich mitt üch min sorg zu reden.

Grützend mir minen lieben hern nachpurnn, hernn Rösten 48 , vor ain uns baiden 49 üwer gantz hus, maister Kasparn 50 , Rordorffem. Sagen im, daß er das blaw garn, welches ich [...]en a hie lassen färwen, by Gebhart Bronner 51 nem; ich habs in sin fässly gschlagen und [...]en b och zu wissen thon.

a-e Textverlust (beim Öffnen des Briefes abgeschnitten).
36 Am 27. Juli 1534 waren eidgenössische Abgeordnete - unter ihnen Jakob An der Rüti und Johannes Haab - zusammengekommen, um im langwierigen Streit zwischen St. Gallen und Abt Diethelm über ein Messebesuchsverbot der Stadt Recht zu sprechen. Vgl. dazu EA IV/1c 355 a und Kessler, Sabbata 420-422.
37 Konrad Brüllisauer, von Appenzell, Politiker und Söldnerführer, war ein entschiedener Gegner Voglers und der Reformation. Von 1520 bis 1522 amtete er als eidgenössischer Landvogt im Rheintal und von 1534 bis 1536 als Obervogt des Abtes in Berneck. Zwischen 1519 und 1532 nahm er mehrmals an eidgenössischen Tagungen teil, wirkte als Vermittler im 2. Kappelerkrieg und war an den Friedensverhandlungen der V Orte mit Bern beteiligt. Als Söldnerhauptmann stand er von 1523 an immer wieder in französischen Diensten. — Lit.: EA
III/2-IV/1c, Reg.; Kessler, Sabbata, Reg.; Büchler passim, bes. S. 161, Anm. 3; Koller/Signer 41.
38 Nicht namentlich bekannt.
39 Albrecht Schlumpf.
40 eine Anzahlung gemacht (SI III 164).
41 Unbekannt.
42 Unbekannt.
43 Kühnheit, Frechheit (vgl. SI I 1287).
44 Nicht erhalten.
45 Andreas Geßner.
46 man nimmt an.
47 Vogler hatte Bullinger zuvor schon einen (nicht mehr erhaltenen) Bericht über den Täuferaufstand in Amsterdam zukommen lassen (vgl. oben Nr. 589, Anm. 5 und Nr. 594, 20f mit Anm. 10).
48 Bürgermeister Diethelm Röist.
49 vor allem von uns beiden.
50 Kaspar Nasal.
51 Gemeint ist wohl der Goldschmied Gebhart Brunner, von Zürich, gest. 1563, Meister seit 1525, von 1537 an im Großen Rat, 1548 Augustiner-Amtmann. — Lit.: Zürich ZB, Ms Z II 1, 505; Zürich


Briefe_Vol_05_242arpa

Mich blanget 52 zu üch hinn, Hans Müllem, sin volck etc. [...]c Habenn 53 . Die Rintaler und ander sagen warlich vil gutz, och vil mitlidens von im [...]lb d , das sagend im und danckend im, fümämlich och der prediger us dem Rinthall 54 . Gott [...]alte e inn.

Actum S. G[allen], yl, uff zinstag vor Johanis Baptiste anno 35. jar.

U[wer]williger a[rmer]

Hans Vogler

zu S. Gallen.

[Adresse auf der Rückseite:] Ain min insonnders gelieptten hernn und fründtt, M. Hainrichen Bulligemn, zu aygnen hannden.