Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[702]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
14. Dezember 1535

Autograph: Zürich StA, E II 336, 147 (Siegelspur) Ungedruckt

[Valentin]Krautwald und Fabian [Eckel], aber auch andere Pfarrer in Schlesien und Preußen, werden wegen ihres Widerstandes gegen eine Konkordie mit Luther hart bedrängt; in Straßburg soll ein Abt - wohl [Paul] Volz - mit Bucer wegen dessen Konkordienplänen in Streit geraten sein. So wirft die Konkordie ihre Schatten voraus und könnte sich sogar als Gefährdung des Evangeliums erweisen.

S. Crautwald 1 , vir pius et nobiscum sentiens in causa eucharistiae 2 , Fabianus 3 item, quem novit Theodorus 4 , patiuntur a Lutheranis multa apud Slesios, quod nolunt concordiam Lutheri 5 . Monachi in Slesia et Prussia sectantes hac in parte

1 Valentin Krautwald (Crautwald, Cratoaldus, auch "Schwenckfelds Melanchthon" genannt), geb. um 1490, gest. 1545, von Neiße (Nysa, Oberschlesien), hatte sich 1520 der Reformation angeschlossen. 1523 traf er Schwenckfeld und arbeitete, seit 1524 als Lektor am Dom, gemeinsam mit ihm an der Ausgestaltung der Reformation in Liegnitz. Als Schwenckfeld, dessen Abendmahlsauffassung er wesentlich mitgeprägt hat, 1529 nach Süddeutschland ausweichen mußte, führte er sein Werk in Schlesien fort. In seinen zahlreichen Schriften verlieh er dem Schwenckfeldertum theologisches Profil, wobei er eine gemäßigte Position vertrat. — Lit.: CSch, Reg.; Oekolampad BA II 573 und Reg.; Z VIII 567-570 und Reg.; Peter C. Erb, Valentin Crautwald, in: Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des seizième et dix-septième siècles, hg. v. André Séguenny, Bd. VI: Valentin Crautwald, Andreas Fischer, Jan Kalenec, Sigmund Salminger. Baden-Baden 1985. — Bibliotheca Bibliographica Aureliana, Bd. C, S. 9-58 (mit weiterer Lit.).
2 Myconius verkennt, daß sich Schwenckfeld und seine Anhänger schon 1528 von der Abendmahlslehre der Schweizer distanziert hatten; vgl. Horst Weigelt, Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums
in Schlesien, Berlin-New York 1973. — Arbeiten zur Kirchengeschichte 43, S. 98-100.
3 Fabian (Fabius) Eckel, 1495(?)-1546, von Liegnitz(?), ein Anhänger Schwenckfelds, war seit 1522 Pfarrer in Liegnitz. Nach verbreiteter Annahme wurde er zwischen Oktober 1532 und Februar 1533 wegen Ablehnung der Kindertaufe entlassen, laut einer Liegnitzer Chronik mußte er jedoch erst im Zusammenhang mit der Einführung der Kirchenordnung von 1535 (vgl. unten Anm. 5) weichen, was gut zur vorliegenden Nachricht passen würde (vgl. F[erdinand] Bahlow, Die Reformation in Liegnitz, Liegnitz 1918, S. 185f, Anm. 215) Ab 1538 wirkte er als Pfarrer in Glatz (Klodzko, Niederschlesien). — Lit.: Z IX 100, Anm. 1 (hier allerdings auf Grund einer Verwechslung, vgl. Oekolampad BA II 482, S. 60, Anm. 1). 554; CSch I 44 und Reg.; Bahlow, aaO, bes. S. 33. 120f; Weigelt, aaO, Reg.
4 Theodor Bibliander ist Eckel zweifellos begegnet, als er 1527-1529 in Liegnitz lehrte; vgl. Egli, Analecta II 9-13.
5 Bucers Bemühungen um eine Konkordie mit Luther stießen bei den Schwenckfeldem auf entschiedene Ablehnung, s. Weigelt, aaO, S. 156-158. In den Territorien Friedrichs II. nahm unterdessen der lutherische Einfluß zu; am 12. November


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Lutherum 6 sacrificis se reliquis ita obponunt, ut conentur eos omnes eiicere. Abbas, concionator apud Argentinenses (ego puto Volzium esse 7 ) sic se obiicit Bucero, ut eius concordiam nolit. Dicunt aliquid inter eos non sani certe superioribus diebus exortum. Sic specimina dat concordia futura, priusquam vere coepta sit. Quid putas consequutum iri, siquid hic negabitur Luthero? Facit hoc nuncium, ut cogitem initia pulchra esse ad extinguendum evangelium. Precibus instemus, quaeso, ut deus potentem manum suam aliquando protendat. Nolui, ut haec nesciretis. De Slesiis et Prussiis scripta sunt ad nos 8 , de abbate rumor est.

Vale per Christum cum tuis.

Basileae, 14. decembris anno 35.

Os. Myco. tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero suo.

1535 wurde eine Kirchenordnung eingeführt, in der die Realpräsenz Christi im Abendmahl gelehrt wurde (s. ebd., S. 154-156). Im Unterschied zu Eckel konnte sich aber Krautwald in Liegnitz halten.
6 Wittenbergisch gesinnte Mönche waren beispielsweise Eckels Kollege Wenzel Küchler und sein Nachfolger Johann Wunschelt, vgl. Bahlow, aaO, S. 49. 122.
7 Paul Volz, geb. um 1480, gest. 1544, von Offenburg, trat früh in das Benediktinerkloster Schuttern (Ortenaukreis, Baden-Württemberg) ein und studierte 1495-1499 in Tübingen Theologie. 1512 wurde er Abt des Benediktinerklosters Hugshofen (Honcourt, Elsaß). Als ehemaliger Schüler der Lateinschule in Schlettstadt gehörte er zum Kreis der elsässischen Humanisten und stand in freundschaftlicher Verbindung mit Erasmus, der ihm 1518 sein Enchiridion widmete. Schon vor 1521 begann er sich reformatorischen Einflüssen zu öffnen. Nach seiner Vertreibung durch aufständische Bauern floh er nach Schlettstadt und 1526 nach Straßburg, wo er ab 1530 im Kloster St. Nikolaus in undis predigte. Beeinflußt vom Spiritualismus Schwenckfelds, geriet
er im Laufe des Jahres 1536 in offenen Konflikt mit den übrigen Pfarrern, als er die Unterzeichnung der Wittenberger Konkordie verweigerte. 1537 wurde er deshalb seines Amtes enthoben, doch konnte er auf die Kanzel zurückkehren, nachdem ihn Calvin 1539 zum Widerruf bewegt hatte. Volz, der wegen seiner Bildung und Frömmigkeit hohes Ansehen genoß, war Bullinger und Myconius wohl nicht näher bekannt. Sein Briefwechsel mit Leo Jud ist verloren. — Lit.: Timotheus Wilhelm Röhrich, Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses, Bd. 3, Straßburg-Paris 1855, S. 203-230; Gustav Knod, in: ADB XL 284f; Marie-Joseph Bopp, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt a. d. Aisch 1959. —Genealogie und Landesgeschichte, Bd. I (Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen, Bd. XIV), S. 563; Manfred Krebs, in: RGG VI 1492f; Miriam U. Chrisman, in: Contemporaries III 417f.
8 Nicht erhalten.