Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[750]

Sulpitius Haller an
Bullinger
Lenzburg,
22. Februar 1536

Original von unbekannter Hand: Zürich StA, E II 360, 299f (Siegelspur) Ungedruckt

Sendet die Abschrift eines Briefes von Nikolaus Zurkinden mit Nachrichten über den Fortgang des Zuges in die Waadt: Die Walliser erobern in Absprache mit Bern das Gebiet um St-Maurice, während die Berner die Festung Klus besetzt haben; ihrem Vormarsch auf Chambéry sind französische Truppen zuvorgekommen, die nach Mailand ziehen wollen. Die V Orte beteiligen sich nicht am Vermittlungsversuch eidgenössischer Gesandter. Freiburg ist, ähnlich wie Wallis, durch Vereinbarungen über die Einnahme von Romont, Rue und Yverdon in das bernische Unternehmen eingebunden. Auch die Spannungen zwischen König [Franz I.] und Kaiser [Karl V.] um Mailand kommen Bern zugute. Bis auf die noch ausstehende Übergabe von Yverdon steht alles zum besten. Von den Wallisern und Freiburgern ist trotz ihren zweifelhaften Beweggründen kaum Untreue zu befürchten. Der sehr geschwächte Berchtold [Haller] lebt noch. Sulpitius Haller wünscht Bericht über die Verhandlungen der Gelehrten in Basel und über das Begehren Herzog [Karls III.] von Savoyen an Zürich. Bittet um den Kauf von zwei Hüten für den Ratsschreiber [Zurkinden]. Grüsse.

Min früntlichenn gruß und alles gutz etc. zuvor.

Günstiger, lieber Meister Heinrich, wie ir mir nechstmals geschrybenn 1 , ob mir neisswas 2 nüwer gloubhaffter märenn 3 zukämint, das ichs üch wetty lassenn wüssenn, da ist mir sydher nüt kummenn, wann 4 gestert sind mir dise nachgende 5 mär von Bern wordenn, derenn inhalt ich üch guter meynig zuschicken vonn wort zu wort, wie nachfolgt, ein missiv 6 , mir zugschickt etc., lutet also:

"Min früntlich gruss und alle gutwilligkeit zuvor. Günstiger, lieber herr und bruder, wiewol ich, als ir wüssend, mit vil gschefften beladen, wil ich dennocht in kurtzer summ uff üwer begerenn nit verhalten, was nüws mir sydherr 7 üwerem nechsten abscheid zukhommenn, namlich:

Die Wallysser hand sich mit minenn herrenn im veld aller dingen vereinbaret, nemend dem hertzogen 8 etlich lannd in ummb Sant Morytzenn 9 Des sind m[in] h[erren] zfriden. Ursach irs handels ist, das inenn der hertzog etlich saltz nidergworffen 10 .

1 Bullingers Brief ist nicht erhalten.
2 irgend etwas (Grimm VII 593).
3 Nachrichten (SI IV 360f).
4 nur, aber (Grimm XIII 1859-1864).
5 folgenden (SI II 30f).
6 Brief.
7 seit (SI II 1565).
8 Herzog Karl III. von Savoyen.
9 St-Maurice (Kt. Wallis). —Vgl. oben Nr. 744, 63-77 mit Anm. 24f.
10 beschlagnahmt (Grimm VII 814). — Siehe oben Nr. 744, Anm. 26.


Briefe_Vol_06_137arpa

Das übrig lannd vonn Morsee 11 bis zu der Clus 12 und der andrenn sytenn des sews ist alles m. h. Die Clus hand die unseren angfangenn stürmenn unnd die vyend genötiget, sich uffzegebenn 13 .

Die unsern wolten uff Camrach 14 züchenn, so fart aber der küng vonn Franckrich 15 mit einem züg 16 uß dem Delphinat 17 dohin und mit einem anderenn volck in die Bresß 18 , willens, dem hertzogen das bad zegesegnenn 19 und die ort inzenemenn, darnach in Meyland zezüchenn.

Die 5 ort beladent sich unser nut 20 , weder thedings noch andrer wyse 21 . Got schickts als 22 recht. Die andren Eydtgnossenn sind hinyn geritten; habenn sich m. h. nüt erbotten noch inglassen, sonders inenn den handel heimgsetzt, zeryten oder nit 23 etc.

Die von Fryburg sind 2000 starck gerüst, Remund, Rua und etlich ander fleckenn mit gunst und willenn miner herrenn inzenemenn, und hand sich erbotten, minenn herrenn Iverden zelassenn, des m. h. wol benügig 24 . Also sind Wallis und Fryburg ouch im bad 25 . Die 5 ort möchten wol gedencken, es sye ein seltzamer handel, des sy sich nit versehenn hetten. Es gat mit krüterenn zu, die sy nit kennind 26 . Got ist meister, der git fründ und vyendt noch sinem gfallenn.

Der küng vonn Franckrich het dem keyser Meylandt fründtlich abgfordert. Ist im versagt; doruff der keyser und küng gerüst, je einer den andrenn usszemachenn 27 . Got schirmpt die sinenn und brucht diser stund die fürstenn der welt und verachter sines namens zu unser wolfart; im sye lob. Amenn.

11 Morges (Kt. Waadt).
12 an der Rhone unterhalb von Genf.
13 Zur Einnahme der Festung Klus (fort de l'Ecluse, Dép. Ain; vgl. HBLS II 779) am 13. Februar s. Gilliard, Conquête 146f.
14 Chambéry (vgl. oben Nr. 744, 21f).
15 Franz I.
16 Heer (Grimm XV 832; XVI 388).
17 Dauphiné.
18 Bresse. — Die Nachricht vom Vormarsch französischer Truppen hatte ein Gesandter des Königs am 12. Februar ins bernische Lager gebracht; vgl. Gilliard, Conquête 137f, und unten Nr. 752, 7-16.
19 Eigentlich: um ihm zu wünschen, das Bad möge ihm gut bekommen. Zum ironischen Gebrauch der Redewendung s. Röhrich I 89f; Wander I 219, Nr. 33; SI VII 466.
20 Die katholischen Orte beteiligten sich nicht an der Gesandtschaft, die gemäss Beschluss der Luzerner Tagsatzung vom 1. Februar zur Vermittlung zwischen den Konfliktparteien nach Bern ritt; vgl. Gilliard,
Conquête 106-109; EA IV/1c 613-615. 626-628.
21 weder in vermittelnder (vgl. SI XII 434f) noch in anderer Weise.
22 fügt alles.
23 Zu den Verhandlungen in Bern vom 9. bis 11. Februar vgl. Gilliard, Conquête 118-120; EA IV/1c 628f.
24 Bern hatte Freiburg die Überlassung von Romont und Rue (Kt. Freiburg) gegen Unterstützung bei der Einnahme von Yverdon (Kt. Waadt) angeboten; vgl. Gilliard, Conquête 117f; EA IV/1c 637, Nr. 2.
25 Zur Redensart vgl. Wander I 219, Nr. 40; SI IV 1012.
26 d. h. es muß ihnen wie Zauberei vorkommen; vgl. Röhrich I 539; SI III 884.
27 zu verderben (SI IV 46). — Die französischen Ansprüche auf Mailand hatten mit dem Tod des mailändischen Herzogs am 1. November 1535 neue Aktualität erhalten. Zu den Verhandlungen zwischen König Franz I. und Kaiser Karl V. und zu den beginnenden Rüstungen s. Brandi I 317; II 253-255.


Briefe_Vol_06_138arpa

||300 Wo sich Yverden nit uffgebenn, werdenn m. h. mit den landtgrichten 28 unnd grossem gschütz darfur züchenn. Sunst stat aller handel vast 29 wol in gottes hand; der sye uns furhin wyter gnedig zu besserung unsers zytlichenn lebens und dem ewygen etc.

Vyl lüten meynend, die Wallysser und Fryburger wellind gfärd 30 bruchen und untrüw an uns sin, ein schyn der fründtschafft erzeigenn uff prattica 31 und uffsatz 32 . Ich kan in mir die meynig nit findenn; acht ouch, ir begird uff land und lüt, eer, gyt und pracht trybe sy, nach unserer wyß, aber unglycher bewegung 33 , dem a hertzogen sin land zenemenn. Ist untrüw darhinder, so füge es got, das sy irenn herrenn nach gmeinem sprichwort schlache 34 .

Datum in yl, 18. februarii 1536.

U[wer]guter fründ und williger bruder

Niclaus Zurkindenn 35 .

Her Berchtold 36 ist nach ser schwach, aber nit tod."

a vor dem gestrichenes ist.
28 mit Truppen aus den vier Landgerichten Konolfingen, Seftigen, Zollikofen und Sternenberg; vgl. SI VI 362f.
29 ganz (SI I 1111f).
30 Betrug (SI I 878f).
31 Machenschaft (SI V 568-570).
32 Arglist (SI VII 1533-1536).
33 aus anderen Beweggründen.
34 "Untreue schlägt ihren Herrn", ein weit verbreitetes Sprichwort, vgl. Wander IV 1485f, Nr. 22; SI IX 290.
35 Nikolaus Zurkinden (Zerchintes), von Bern, 1506-1588, einer der gebildetsten und einflussreichsten Berner der Reformationszeit, hat möglicherweise in Strassburg studiert und gehörte seit 1528 dem Großen Rat an. Er war als Notar tätig und versah zunächst kleinere Ämter wie das eines Eichmeisters (1528), eines Gerichtsschreibers (1530/31) und eines Feldschreibers (im Müsserzug von 1531). Von 1532 an war er Vogt in Sumiswald (Kt. Bern), wo er sich mit Täufern auseinandersetzen musste; seine Nachsicht trug ihm eine Rüge von seiten des Rates ein Seit Herbst 1534 ist er als Rats- bzw. Unterschreiber nachweisbar. Wohl dank seinen französischen Sprachkenntnissen war er 1537-1539 Schaffner im soeben aufgehobenen Kloster Bonmont bei Nyon (Kt. Waadt) und 1544-1547 Vogt zu Nyon, auch trat er zunehmend als Gesandter in Erscheinung. 1547 wurde er zum Seckelschreiber, 1551 zum
Welschseckelschreiber und Generalkommissar der Waadt ernannt. Besondere Verdienste erwarb er sich in den Verhandlungen mit Savoyen. 1561-1565 wirkte er als Stadtschreiber, danach bis 1572 nochmals als Generalkommissar. Zurkinden, der mehrere theologische Traktate verfasst hat, stand in freundschaftlichem Kontakt mit Calvin und bemühte sich um Vermittlung zwischen Bern und Genf, lehnte aber Calvins Prädestinationslehre ab und kritisierte die Hinrichtung Servets. Von seiner Toleranz zeugt auch sein Eintreten für Antitrinitarier und für Schwenckfeld. Zu seinen zahlreichen Korrespondenten zählten neben Calvin auch Beza, Castellio, Gwalther u. a. Mit Bullinger, den er einst in Bremgarten predigen gehört hatte, stand er von 1562 bis zu dessen Tod in brieflicher Verbindung. —Lit.: Z XI 293f mit Anm. 1; Eduard Bähler, Nikolaus Zurkinden von Bern 1506-1588. Ein Vertreter der Toleranz im Jahrhundert der Reformation, in: Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 36, 1911, S. 215-344, und 37, 1912, S. 1*-106* (Sonderabdruck: Zürich 1912); Mathias Sulser, Der Stadtschreiber Peter Cyro und die Bernische Kanzlei zur Zeit der Reformation, Bern 1922, S. 121-129; Kurt Guggisberg, Johannes Calvin und Nikolaus Zurkinden. Glaubensautorität und Gewissensfreiheit, in: Zwa VI/7, 1937, S. 374-409; Otto Erich Strasser, in: RGG VI 1943; HBLS VII 767.
36 Berchtold Haller


Briefe_Vol_06_139arpa

Wyter, lieber Meister Heinrich, bitten ich üch, das ir (wie ir üch denn in üwerem nechsten schrybenn erbotten) mir die handlung, so die glerten zu Basel miteinander gehept 37 , uffs kürtzest in einer summ gschrifftlich berichten, ouch das ir mich eigentlich 38 lassend wüssenn, was des hertzogen vonn Saffoy anbringenn an unser eydtgnossenn vonn Zürich gsin, ouch mit was antwurt abgefertiget 39 .

Auch so bittenn ich üch, das ir üch so vil demütigint und mir 2 hüt kouffind uff die form, wie ich üch ein visamy 40 ingschlossenn, eins umb die wal 41 spytzer den das ander, mit finer, reinenn, suberenn wollenn, aber einfalt 42 und liecht. Dann miner herrenn ratschryber 43 mir darumm gschrybenn, und kan ich selb yetz nit von huß kon; ich wet sunst selb überhin gen Zürich sin und sy selbs kouffen. So wil ich üch das gelt, was sy kostent, mit trüwenn wider schickenn.

Und was üch b nüwer warhafften merenn zukommenn, lassend mich wüssenn; dessglichen, was mir zhandenn wirt, wil ich üch ouch berichten.

Nit me, dann got halt üch in siner hut, und grüssend mir c Meister Löwenn und den vogt vonn Kyburg 45 , dessglychenn, wer üch lieb sye.

Datum zu Lentzburg uff den 22. tag hornungs im 1536. jar.

Ü[wer]gutwilliger

Sulpitius Haller obervogt der

graffschafft Lentzburg.

[Adresse auf S. 292:] Dem eerwirdigen und wolgelertenn Meister Heinrichen Bullinger, diener des worts unnd der kilchenn in mererem Zürich 46 , minem günstigen, liebenn herrenn.

b üch über gestrichenem ir.
c mir über der Zeile nachgetragen.
37 Vgl. oben Nr. 741, 19-21 mit Anm. 25.
38 genau (SI I 147f).
39 Eine savoyische Gesandtschaft, die auch in Luzern aufgetreten war, verhandelte am 17. Februar in Zürich (s. EA IV/1c 639 und Gilliard, Conquête 133f; vgl. das Kredenzschreiben vom 29. Januar in Zürich StA, A 212. 1, Nr. 79). Die Gesandten
baten darum, Bern vom Krieg abzumahnen; welche Antwort ihnen erteilt wurde, ist nicht bekannt.
40 Die Skizze (vgl. Lexer III 369) ist nicht erhalten.
41 ein wenig (Grimm XIII 515).
42 einfach (SI I 818).
43 Nikolaus Zurkinden.
44 Leo Jud.
45 Hans Rudolf Lavater.
46 Siehe oben Nr. 722, Anm. 25.