Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[855]

[Bullinger im Namen der]Synode an
Bürgermeister und Rat [von Zürich]
Zürich,
[Juni/Juli 1536]

Autograph Bullingers: Zürich StA, E I 30. 124, Nr. 8 (ohne Siegel) Ungedruckt

Bitte an Bürgermeister und Rat um Weiterbehandlung der folgenden Fälle aus der Synode: Die Klage gegen Heinrich Landenberger, Kaplan in Turbenthal, der des übermäßigen Trinkens und der Grobheit irn Umgang mit den Dorfbewohnern bezichtigt wurde; die Herbstsynode 1533, in der Ihm auch Geschäftemacherei, Herumtreiberei und Fluchen vorgeworfen worden war, ließ Gnade walten, da er Besserung versprach. Eine weitere Klage richtete sich gegen Hans Kübler, Kaplan in [Hausen bei]Ossingen, der zusammen mit seiner Frau an katholischen Gottesdiensten teilnahm und mit Pfarrer [Thomas von Gachnang] seit vielen Jahren verfeindet ist; die Herbstsynode 1533, in der bereits solche Klagen vorgebracht worden waren, ließ Kübler - in der Hoffnung auf Besserung -unbestraft, empfahl aber, seine Frau ihres wüsten und lästerlichen Betragens wegen vor Ehegericht zu zitieren und einzusperren. Es wird dem Ermessen des Rates überlassen, Abhilfe zu schaffen.

Fromm, vest, ersamm, fürsichtig und wyß herr burgermeister unnd gnedig, lieb herrenn. Es bitt und vermanet uwer ersam wyßheyten der gantze synodus, sy wölle volgende händel willig vernämmen und nach gepür trüwlich volenden.

In a letst gehaltnem synodo vergangnen meyens diß 1536. jars ist über h[errn]Heinrychen Landenbergernn 3 , säßhafft und capplon imm Durbenthaal, klagt wie er über vilfalitig und fruntliche vermanungen und warnungen noch immerdar one alle scham nacht und tag vollen wyns werde und dann also grob und wüst mitt biderben 5 lüten und siner nachpuren kinden rede, das mitt der zyt grösser leyd zu besorgen sye. Diewyl er sich aber abzogen 6 und nitt in

a Der hier beginnende Abschnitt ist am Rand mit 1. markiert.
1 Adressat und Absender ergeben sich aus dem Eingang des Briefes (Z. 1-4).
2 Zur Datierung: Der vorliegende Bericht bezieht sich auf die Behandlung der Fälle Landenberger und Kübler in der Synode vom 9. Mai 1536 (vgl. Anm. 4 und 16). Vom 1. Juni an konnte Bullinger von "vergangnen meyens" (Z. 5) sprechen. Das Schreiben führte zur Verhaftung von Hans Kübler und seiner Frau in den ersten Augusttagen, zur mehrtägigen Gefangenschaft und zur Verurteilung am 12. August 1536 (vgl. Zürich StA, E III, 209, und Anm. d und i).
3 Heinrich Landenberger, gest. 1543, war
seit spätestens 1526 Kaplan am St. Margarethenaltar in Turbenthal (Kt. Zürich). Schon in der Synode der Stiftsgeistlichen und Kaplane 1528 war er wegen Lügens und Fluchens gerügt worden, in der Herbstsynode 1533 und in der Frühjahrssynode 1536 folgten weitere Anschuldigungen gegen ihn (vgl. Z. 5-26). — Lit.: Hans Kläui, Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Turbenthal, Bd. I, Turbenthal 1960, S. 218. 221. 224f. 233f. 438; Pfarrerbuch 400.
4 Zur Behandlung des Falles Landenberger in der Synode vom 9. Mai 1536 vgl. Zürich StA, E III, 205f.
5 rechtschaffenen (SI XIII 1412-1415).
6 entzogen (Grimm I 158).


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synodum kummen, hatt der synodus sin ungeschickt wäsen 7 für u[wer] w[yßheit] tragen wöllen mitt sampt der urteyl, die imm ergangen imm synodo zu herpst gehallten deß b 1533. jars. Die lut also 8 : Bißhar hatt h. Heinrych Landenberger ein unchristlich, nitt wie einem priester zustadt, läben gefürt mitt tuschen 9 , hin und wider louffen 10 trincken, wüten und schwerren 11 , ouch so grob, das man inn gemeinlich die "suw von Landenberg"genämpt. Des er ouch beckantlich 12 sin muss und ist. Sölichs ist nun dem synodo gar zu wider, alien biderben ergerlich und so gar schantlich, das ein synodus rüher mitt imm hätte gehandlet, wo er nitt so trungenlich umb gnad gepatten und merckliche besserung verheissen hätte. Nun aber, so imm die mittgeteylt 13 , sol er sich c fürohin abthun deß trinckes unnd schwerres, der schlafftrüncken unnd düschen, er sol fürohin daheymen blyben unnd sich erberlich betragen und mitt sömlichen articklen nitt mee kummen. Dann wo er me kummen wurde, sol imm ghein gnad mittheylt werden etc. Uber sömlichs kumpt hür 14 obgemelte klag, namlich nach den 3 jaren, in denen er sich nützid gebessert. Stellt nun ein gantzer synodus u. w. heym, nach gepür darinn zu handlenn d .

|| In e erstgemeltem synodo, zu meyen diß jars gehallten. ist ouch klagt worden über herr Hansen Kübler 15 , caplonen zu Ossingen, wie er sich häncke nach der bäpstischen religion 16 . Dann er uff der frowen von Wyden seligen 17 jarzyt 18 gewäsen mitt sampt siner frowen 19 , die das oppffer gefürt 20 . So habind

b deß am Rande für gestrichenes imm.
c sich am Rande nachgetragen.
d Am unteren Rand der ersten Seite vom Stadtschreiber, wohl während der Sitzung vom 12. August 1536 (vgl. unten Anm. i) notiert: Sy gyt 1 march silbers mitsampt dem cost, unnd gyt er ouch ailen costen; sond hinfür geschigkt[er] sin.
e Der hier beginnende Abschnitt ist am Rand mit 2. markiert.
7 unpassendes Treiben.
8 Vgl. das Protokoll der Synode vom 21. Oktober 1533 in AZürcherRef 1988, S. 877.
9 Handel treiben (SI XIII 1941). — Laut Synodalprotokoll (AZürcherRef 1988, S. 877) handelte Landenberger mit Pferden.
10 herumziehen.
11 fluchen.
12 geständig (SI III 372).
13 gewährt (SI XII 1606f.
14 dieses Jahr (SI II 1585)
15 Hans Kübler, gest. nach 1536, war seit mindestens 1518 Kaplan des Liebfrauenaltars in Hausen bei Ossingen (Kt. Zürich). Bereits in der Synode der Stiftsgeistlichen und Kapläne 1528 war er wegen seines unmäßigen Trinkens gerügt
worden. In der Herbstsynode 1533 und in der Frühjahrssynode 1536 wurden seine und seiner Frau Sympathien für den katholischen Kultus, die Feindseligkeiten gegenüber dem Pfarrer und dessen Frau usw. bemängelt (vgl. Z. 27-48); der Rat sprach sein Urteil in dieser Sache am 12. August 1536 (vgl. Anm. i). Über Küblers weiteres Schicksal ist nichts bekannt. — Lit.: Emil Stauber, Schloss Widen, 2. Teil, Winterthur 1910. —Njbl. der Stadtbibliothek Winterthur 1911, 246. Stuck, S. 131-133; AZürcherRef, Reg.
16 Zur Behandlung des Falles Kübler in der Synode vom 9. Mai 1536 vgl. Zürich StA, E II 1, 204f.
17 Gemeint ist Magdalena von Neuhausen, die Witwe des 1526 gestorbenen Junkers Bernhard Happ, auf Schloß Widen (vgl. Emil Stauber, Schloß Widen, 1. Teil, Winterthur 1909. —Njbl. der Stadtbibliothek Winterthur 1910, 245. Stück, S. 74. 76). Ihr Todesjahr ist nicht bekannt.
18 Im Synodalprotokoll schreibt Bullinger "begrept"(vgl. Zürich StA, E III 1, 204).
19 Dem Namen nach nicht bekannt.
20 die Trauernden beim Totenopfer angeführt hat (s. unten Anm. i und SI III 1083).


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sy vil yngangs 21 inn das ober kloster 22 . Item er sye ein vertrunckes unnd liederlichs mensch. Wyter habe er nie der urteyl gelept, imm gäben imm 1533. jar 23 Dann allß er uff ein zyt gevragt, wie er mitt dem pfarrer 24 stande, hatt er geantwurt: "Wie vor." Darzu sye ouch damitt der urteyl nitt statt gethon, das sin, deß caplonen, frow nie inn gefengnuß geleyt sye, wie domals erckent 25 . Sidmol aber ouch diser sich f geüssert 26 und nitt imm synodo erschinnen, übergipt der synodus diß klag u. w., ob sy den caplonen hieruff verhorte. Doch zeigt synodus g u. w. volgende klag und urteyl, über gemelten caplonen beschähen zu herpst imm 1533. jar 27 Die klag was, diser caplon und pfarrer zu Ossingen h hättind einander nun mee dann 13 jar gehasset und einer den wäg gemitten, den der ander gangen. Der capplon habe ein wüst, unordenlich wyb, das übel schwerre und inn einem halben jar nitt zur kylchen kummen. Die urteyl ward darüber ggäben: Der besserung wöllte man erwarten, und sölltend sy beyd den nyd gägen andren ablassen. Deß caplonen wyb sollte man für das chorgrycht beschicken 28 , demnach inn gefängnuß ynlegen, und sy beyd söltend nitt mee inn ghein wyß noch gstallt me für den synodum kummen. Dann wo einige klag me kummen, wurde man sy absetzen etc. Nun aber ist sömliche obgemelte klag über den caplonen kummen.

stellt der synodus u. w. heym, wie sy sölich groß unrädt 29 abstelle und nach gepür straffe.

[Ohne Adresse. i ]

f sich am Rande nachgetragen.
g synodus am Rande für gestrichenes er.
h tu Ossingen am Rande nachgetragen.
i Dorsualvermerk von der Hand des Stadtschreibers: Herr Hanns Kublers, deß caplanen, frow za Ossingen ward umb ein march silber mitsampt dem costen gestraafft, umb das sy das leyd im obern closter gefurt und mäß gehört hat. Unnd soll der caplan sinen costen geben. Sind also uff ein urfechd ussgelassen, unnd sond nümmen komen unnd sich geschigktlich halten, oder man will sy wyter straaffen. Actum sampßtags nach Laurencii anno etc. 1536, presentibus herren Walder unnd beyd räth. stattschryber.
21 Sie gehen ein und aus.
22 Das Kloster konnte nicht ermittelt werden.
23 Vgl. unten Z. 37-48.
24 Thomas von Gachnang, gen. Goldenberger, Pfarrer von Ossingen (vgl. Pfarrerbuch 290 und Zürich StA, E II 1, 203).
25 Im Unterschied zur Frau des Pfarrers (vgl. Zürich StA, YY 1.5, 111, sowie B VI 254, 19r.).
26 ferngeblieben ist, sich ferngehalten hat (SI I 563f).
27 Zur Verhandlung und zum Beschluß der Synode vom 21. Oktober 1533 s. AZürcherRef 1988, S. 8751.
28 kommen lassen (SI VIII 523f).
29 heilloses Treiben (SI VI 1579).