Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Berchtold Haller an
Bullinger
Bern,
16. Januar [1532]

Autograph: Zürich StA, E II 343,100. Siegelspur. —Ungedruckt

Über den glücklichen Ausgang der Berner Synode und die Schlichtung des Meganderstreites wird Capito, dem dabei große Verdienste zukommen, persönlich berichten. Wünscht seine an Zwingli gerichteten Briefe zurück und bittet erneut um eine Anleitung zum Studium sowie zur Auslegung von Ex 7,1-11,10. Die Kollekte der Synode soll den nach Zürich geflüchteten Predigern zugute kommen. Die Synodalakten werden zu Hallers Bedauern nicht bei Froschauer gedruckt. Bullinger soll Hallers Briefe über Meganders Streit verbrennen. Erkundigt sich nach Zwinglis «Annotationes» Fragt an, ob Rhellikan nach Zürich zurückberufen werde. Diethelm Röist wäre der geeignetste Vermittler zwischen Zürich und Bern.

S. Quam sancte et faeliciter apud nos per dominum Capitonem 1 sint acta, charissime frater, tam sinodi 2 quam Megandri negocia 3 , ipse referet coram 4 et paucis diebus excusa videbis 5 .

Interim velim te obnixius precari, quatenus literae meae, quas innumeras ad Zuinglium scripsi, Capitonis opera tibi redderentur 6 , quemadmodum et Constantiensibus

1 Wolfgang Fabricius Capito (Köpfel), 1478-1541, aus Hagenau (Elsaß), hervorragender Hebraist und neben Bucer der bedeutendste Reformator Straßburgs, war seit 1523 Propst des Straßburger Thomasstiftes. Mit Erasmus stark verbunden, mit Luther und Zwingli im Briefwechsel, blieb er in seiner theologischen Haltung vermittelnd. Zusammen mit Bucer setzte er sich bei jeder Gelegenheit für die Einigung ein. An der Berner Disputation 1528, der Confessio Tetrapolitana 1530, dem Berner Synodus (s. Anm. 2), der Wittenberger Konkordie 1536 und der lutheranisierenden Tendenz der Berner Synode 1537 hatte er starken Anteil. Bullinger lernte Capito an der Berner Disputation kennen. Sie begegneten sich dann 1530 (vgl. Oekolampad BA II 1024), 1532 (s. unten Anm. 4) und 1535 in Zürich, 1536 zweimal in Basel und 1538 in Zürich (s. Pestalozzi 52.181-183.194.207; Straßer 126-130). Zahlreiche Briefe aus ihrer Korrespondenz sind erhalten. — Lit.: Baum; Z VII 299, Anm. 1; Straßer; Beate Stierle, Capito als Humanist, Heidelberg 1974. — QFRG XLII; James M. Kittelson, Wolfgang Capito from Humanist to Reformer, Leiden 1975. — Studies in Medieval and Reformation Thought, vol. XVII; Robert Stupperich, in: RGG I 1613; Heinrich Grimm, in: NDB III 132f, mit Werkverzeichnis und Lit.
2 Zur Geschichte der Berner Synode vom 9.-13. Januar 1532 s. Samuel Fischer, Geschichte der Disputation und Reformation in Bern, Bern 1828, S. 487-501; Max Billeter, Der
Berner Synodus vom Jahre 1532, in: Berner Beiträge zur Geschichte der Schweizerischen Reformationskirchen, hg. v. Friedrich Nippold, Bern 1884, S. 84-167; Guggisberg 147-154. — Zur Rolle Capitos an der Synode s. Straßer 67-89.
3 Kaspar Meganders Streit mit der Obrigkeit, entstanden durch seine erbitterte Kritik an der Haltung Berns im Zweiten Kappelerkrieg, konnte an der Synode mit Capitos Hilfe beigelegt werden, s. Straßer 77-81.
4 Auf der Reise von Bern nach Konstanz hielt sich Capito eine Zeitlang in Zürich auf, s. Baum 487; Straßer 83.176; unten S. 66, Anm. 6.
5 Die Synodalakten wurden bereits Anfang Februar 1532 in Basel gedruckt (Straßer 83). Eine lateinische Übersetzung von Simon Sulzer erschien Ende März in Basel. Zu den späteren Auflagen und Übersetzungen s. Straßer 171-173; die neueste, sich im wesentlichen auf Albert Schädelins Übersetzung (1932) stützende Ausgabe: Berner Synodus mit den Schlussreden der Berner Disputation und dem Reformationsmandat, übersetzt von Markus Bieler, Bern 1978. — Dokumente der Berner Reformation; in Vorbereitung befindet sich: Der Berner Synodus 1532. Edition und Abhandlungen zum Jubiläumsjahr 1982, hg. vom Forschungsseminar für Reformationsgeschichte in Bern unter Leitung von Gottfried W. Locher.
6 Hallers an Zwingli gerichtete Briefe befinden sich noch heute in Zürich, vgl. Z XI, Reg.


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suas esse redditas Zuickii frater 7 indicavit 8 . Multa enim scripsi, que ab iniquo lectore in pessimam verti possent partem. Proinde miseram ad eum sanctiones, quibus magistratus noster pensiones abrogavit 9 , quas identidem, si superessent, restitui vellem. Sed interim verba deficerent, si tibi depingere deberem, quam optime omnia cesserint. Capitonem nunquam novimus nisi nunc. 220 fuimus fratres congregati ad quadriduum 10 .

Tandem quae restant de proxima epistola dissolvenda, nempe rationem studii mei 11 , et quemadmodum locus ille in Exo[do] de obduratione pharaonis 12 coram plebe tractandus sit, mittas 13 .

Mittunt et fratres totius sinodi collectam 14 , quam tibi et Leoni fratribus verbi ministris dividendam comittimus, iis scilicet, qui in Waggental 15 aliisque locis proscripti sunt 16 . Modo vos certiores nos reddatis, qui, quot et quantae familiae sint, ut dum amplius egent, si quid possemus, erogaremus.

Quod autem acta 17 non mittuntur ad Cristophorum 18 excudenda 19 , hinc est: quidam,

7 Konrad Zwick, etwa 1500-1557, Bruder des Johannes (s. unten S. 100, Anm. 1), seit 1525 Mitglied des Großen, seit 1526 des «täglichen» Rates von Konstanz. Er nahm an mehreren Gesandtschaften teil. Nach der Besetzung von Konstanz durch die Österreicher 1548 lebte er im Exil im Thurgau und in Zürich, zuletzt als Anhänger des Täufertums. Er war Mitarbeiter an der Konstanzer Zuchtordnung von 1531 und verfaßte wahrscheinlich eine Schrift über den Zweiten Kappelerkrieg. Bullinger kannte Zwick wohl seit seiner Reise nach Konstanz 1533 (HBD 23,15-17). Einige Briefe von Zwick an ihn sind erhalten. — Lit.: Z X 486, Anm. I; Moeller 28.78.283; Fritz Hauss, in: RGG VI 1950.
8 Wie Haller dies erfuhr, ist nicht bekannt. Nach Z XI, Reg. müssen die beiden Brüder Zwick ihre an Zwingli gerichteten Briefe mit einer Ausnahme zurückerhalten haben.
9 Das bernische Mandat gegen das Pensionenwesen vom 24. August 1528 (ABernerRef 1847) wurde in zahlreichen Kopien verbreitet (vgl. ABernerRef 1856; s. noch Guggisberg 137).
10 Siehe oben Anm. 2; zur Teilnehmerzahl vgl. Straßer 79.
11 Siehe unten Nr. 83.
12 Ex 7,1-11,10. —Bullingers Antwort auf diese Frage ist nicht erhalten.
13 Der vorausgegangene Brief Hallers, in welchem diese Wünsche anscheinend ausführlicher erörtert wurden, ist nicht erhalten.
14 Vgl. Billeter, aaO, S. 109.
15 Ältere Bezeichnung für das aargauische Freiamt, HBLS III 248; vgl. auch HBRG III 276.
16 Zur Flucht der Prediger nach Zürich s. HBRG III 259-261.306f; Pestalozzi 82f.
17 Die Synodalakten, s. oben Anm. 5.
18 Christoph Froschauer, etwa 1490-1564, wahrscheinlich aus Kastl bei Altötting
(Oberbayern), der Buchdrucker der Zürcher Reformation, erhielt 1519 das Bürgerrecht von Zürich «von siner kunst wegen» geschenkt. Er wurde ein überzeugter Anhänger der Reformation und Freund Zwinglis. Beim Fastenhandel 1522 war er einer der Hauptbeteiligten. In seinem Testament legte er die künftige Ausrichtung seiner Druckerei auf die «evangelische Wahrheit» fest. Aus Froschauers Offizin gingen u. a. die Zürcher- (oder Froschauer-)Bibel und Johann Stumpfs Schweizerchronik hervor. Da Froschauer jedes Jahr die Frankfurter Frühlings- und Herbstmesse besuchte, wurde er nicht nur zum Lieferanten ausländischer Literatur nach Zürich, sondern auch zum wichtigsten Vermittler des vertraulichen Briefwechsels der Reformatoren zwischen Zürich, Basel, Straßburg und Frankfurt. Mit Bullinger war Froschauer freundschaftlich verbunden und war Pate von Bullingers Sohn Christoph (HBD 26,2f). Bullinger widmete ihm 1545 seinen Kommentar zum Markus-Evangelium (HBBibl I 170). Bis 1585 hat die Offizin Froschauer über 150 Bullinger-Werke veröffentlicht. — Lit.: Rudolphi; Paul Leemann-van Elck, Die Offizin Froschauer, Zürichs berühmte Druckerei im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Buchdruckerkunst anläßlich der Halbjahrtausendfeier ihrer Erfindung, Zürich 1940; Joachim Staedtke, Christoph Froschauer, der Begründer des Zürcher Buchwesens. Zum Gedenken seines 400. Todestages, (Zürich 1964), mit älterer Lit.; HBLS III 348; Benzing, Buchdrucker 488-490; Grimm, Buchführer 1348f.
19 Froschauer war sonst der von Bern bei der Veröffentlichung amtlicher Erlasse bevorzugte Drucker, s. ABernerRef 1546.1552.2189.2734; Leemann-van Elck, aaO, S. 46; Staedtke, aaO, S. 16.


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ut sunt apud omnes, habend imm das wort thon 20 , es syind bären truckt, die habind keini kräwel an den tapen, et nescio quae alia, da ich wol weisß, Cristoffeln so frumm und redlich ouch unschuldig in diser sach velut ovinus 21 , rumor ille tantum obfuit 22 . Mone igitur hominem mihi charissimum. Capito tamen commode literis erga senatum nostrum ipsum excusare poterit 23 .

Caeterum experientia didici, quam integer, fidelis et sincaerus erga me sit animus tuus, cum tam exacte ad omnia responderis. Unum hoc perpetuo a te velim, quae de Megandri causa scripsi, comburas 24 . Postremo indicabis, num quaedam supersint Zuinglii annotationum, ut excuderentur 25 .

Vale et hoc nuncio nostro 26 rescribe 27 .

16. ianuarii, Bernae.

Tuus B. Hallerus.

Audio Rellicanum apud vos ambire provinciam. Quod si acceptus fuerit, scribe. Nam ego timeo ipsum non posse hac provincia diucius servari apud nos 28 . Ad restituendam utriusque civitatis amiciciam 29 nemo nobis gratior, immo et aptior erit Röstio 30 , qui si semel ad nos mitteretur, multa posset 31 .

[Adresse auf der Rückseite:] Charissimo fratri Heinrico Bullingero, apud Tigurinos ecclesiaste doctissimo.

20 haben von ihm gesagt.
21 Vgl. Adagia, 3,1,95 (LB II 742 B); Otto 261, Nr. 1317.
22 «Der Vorwurf bezieht sich auf das Wappentier des Titelholzschnittes zur <Disputation zu Bern>, wo die Bären wirklich Tatzen ohne Klauen aufweisen» (Leemann-van Elck, aaO, S. 46f; vgl. auch Straßer 82f). Bei dieser Empfindlichkeit der Berner mag auch der Spott nach dem Zweiten Kappelerkrieg eine Rolle gespielt haben: «Der Bär will nicht kratzen» u. a. (SI IV 1450).
23 Briefe von Capito in dieser Angelegenheit sind nicht bekannt.
24 Ein Brief Hallers an Bullinger vom Dezember 1531 ist offenbar vernichtet worden (s. HBBW I 243, Anm. 13), andere, die ebenfalls Bemerkungen über Meganders Streit mit der Obrigkeit enthalten, sind jedoch erhalten, vgl. HBBW I 236,10-20.243,8f.
25 Es handelt sich zweifellos um exegetische Arbeiten Zwinglis, von denen einige unter der Bezeichnung «Annotationes» herauskamen (etwa «Farrago annotationum in Genesim», 1527, Z XIII 1-290); nach 1531 erschien u. a. «In evangelicam historiam de Domino nostro Iesu Christo, per Matthaeum, Marcum, Lucam et Joannem conscriptam, Epistolasque aliquot Pauli, Annotationes D. Huldrychi Zvinglii per Leonem Iudae exceptae et aeditae», 1539 (Finsler 74, Nr. 104); vgl. auch Walter E. Meyer, Die Entstehung von Huldrych Zwinglis neutestamentlichen Kommentaren und Predigtnachschriften, in: Zwa XIV 285-331.
26 Nicht bekannt, möglicherweise ein Ratsbote von Bern oder einer von Capitos Berner Begleitern, vgl. Baum 487; Straßer 82.
27 Bullingers Antwort ist nicht erhalten.
28 Siehe oben S. 29, Anm. 4.
29 Für die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Zürich und Bern, die nach dem Zweiten Kappelerkrieg auf einem Tiefpunkt angelangt waren, setzte sich Haller wiederholt ein.
30 Diethelm Röist, 1482-1544, aus altem Zürcher Geschlecht, war seit 1518 Mitglied des Kleinen Rates, 1522/1523 Säckelmeister, von 1525 bis zu seinem Tode Bürgermeister. Spätestens seit 1523 galt Röist als Freund Zwinglis, den er 1528 zur Berner Disputation begleitete. 1524-1541 war er Tagsatzungsbote, 1537 Gesandter zu Franz I. zugunsten der Evangelischen in der Provence. Auch mit Bullinger, der ihn das «Herz Zürichs» und «pater patriae» nannte (HBD 32,12), unterhielt Röist freundschaftliche Beziehungen, so daß er Pate von Bullingers Sohn Diethelm wurde (HBD 28,31ff). 1542 widmete Bullinger ihm und dessen Amtskollegen Johannes Haab den Kommentar zum Matthäus-Evangelium (HBBibl I 144). — Lit.: Z IX 24, Anm. 9; Jacob 233f; HBLS V 665.
31 Zwei Jahre später gehörte Röist immer noch zu denjenigen Zürchern, welche den Bernern am geeignetsten schienen, die Versöhnung der Städte zu bewerkstelligen (vgl. Haller an Bullinger, 26. Februar 1534, Zürich StA, E II 343,91; Kirchhofer, Myconius 124), wohl weil man sich daran erinnerte,