Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Andreas Karlstadt an
Bullinger
Altstätten ,
16. Januar 1532

Autograph: Zürich StA, E II 358,93. Siegelspur. —Gedruckt: Barge II 593f

Entschuldigt sich wegen der durch die Zurückbehaltung seines Lohnes in Altstätten verzögerten Rückkehr nach Zürich. Bullinger soll helfen, die Gunst der zürcherischen Förderer weiter zu erhalten. Grüße von Heinrich [Strübi?] an Bullinger.

Pax tibi a deo patre et domino nostro Iesu Christo. Amen.

Quandoquidem meae spes omnes in te, viro et eruditissimo et candidissimo, sitae sint, mihi animum sumpsi penes te liberius dolorem effundere nihil addubitans te condonaturum, si peccavero invitus. Nam et deus lubenter dissimulat eorum delicta, qui per fiduciam sese adeunt 3 .

Ecce, mi charissime praeceptor, quam astutis remoris detineor. Priusquam istuc 4 profectionem subornassem, magistratus Alstetensis diligenciam suam sic spopondit, ut reverso me nihil opus mihi foret quam mercedem capere et rebus meis convolutis discedere. At diversum evenit. Novas mihi moras struunt. Interim comminiscuntur, quae non sunt. Quamvis autem invidia Voglerum 5 appetat, at me contingit

daß vor allem Röist es war, der sich im Zweiten Kappelerkrieg bis zuletzt persönlich um das Eingreifen der in Bremgarten stationierten Berner Truppen bemüht hatte (s. HBRG III 231.236).
1 Zu der in HBBW I 193, Anm. 2 genannten Lit. sind zu ergänzen: Ronald J. Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of his Thought 1517-1525, Leiden 1974. — Studies in Medieval and Reformation Thought XI; Calvin Augustine Pater, Karlstadts Zürcher Abschiedspredigt über die Menschwerdung Christi, in: Zwa XIV 1-16; Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977. —Jus Ecclesiasticum, Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, Bd. 24; Martin Anton Schmidt, Karlstadt als Theologe und Prediger in Basel, in: ThZ XXV, 1979, 155-168.
2 Altstätten im St. Galler Rheintal, wo Karlstadt seit dem 14. September 1531 geamtet hatte, s. Barge II 434f.
3 Vgl. u. a. Hebr 4,16.
4 Nach Zürich.
5 Hans Vogler, 1498-1567, Sohn des gleichnamigen äbtischen Gerichtsammanns in Altstätten, besuchte die Schulen in St. Gallen und Appenzell und trat 1520 als Weinschenk (d. h. Oberaufseher über die Weinkellereien) in den Dienst des Abtes von St. Gallen.
Im folgenden Jahr amtete er als Stadtschreiber von Altstätten, zog 1521 in französische Dienste und erlebte die Schlacht von Bicocca. 1523 wurde er Stadtammann in Altstätten. Maßgeblich unter seinem Einfluß erfolgte seit 1528 die Einführung der Reformation im Rheintal. Mit dem Sieg der katholischen Orte 1531 erfolgte auch im Rheintal wiederum eine Wende (vgl. Frey 181-191). Vogler floh im Dezember 1531 aus Altstätten und hielt sich im Appenzellerland, in St. Gallen, Lindau und Zürich auf (s. unten Nr. 59.92.147). Die von den V Orten gegen Vogler erhobenen Rechtsansprüche wegen der Zerstörung von Kirchenzierden im Rheintal wurden nach langwierigen Verhandlungen schließlich an der Tagsatzung vom 21. Januar 1533 geregelt (s. EA IV/1b passim und IV/1c 9 ee.). 1535 erhielt er das Zürcher Bürgerrecht. Seit 1537 war er Stadtschaffner in Reichenweier (Elsaß) und kaufte bei seiner Rückkehr nach Zürich 1541 Schloß und Herrschaft Uster. 1562 wirkte er als Stadtschaffner in Rappoltsweiler (Elsaß), später als Amtmann im benachbarten Zellenberg. Vogler starb in Zürich. Mit Bullinger unterhielt Vogler vor allem in den Dreißigerjahren einen regen Briefwechsel. — Lit.: Vadian, Diarium und Vadian BW passim; J[ohannes] Häne, Das Familienbuch zweier rheinthalischer Amtmänner des XV. und XVI. Jahrhunderts (Hans Vogler, der Reformator des Rheinthals), in: JSG 25, 1900, 43-80; Frey passim; Feller-Bonjour I 303f; HBLS VII 288.


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damnum. Proinde tardior erit reditus, quam aut velim aut expediat 6 . Sed te, vir piissime, per Christum obtestor, ut patronorum 7 animos retineas in officio et, si opus est, demulceas, praesertim ut et tu per tuam prudenciam boni consules. Quod neutiquam scribo, quasi arbitrer meam praesenciam ulli conducturam, sed ne ego vestra excutiar benevolencia. Si vos istorum calliditates sentiretis, quibus ipse degravor, indubie miseresceret vos mei meorumque, et istorum versuciae irasceremini. Neque ego iacturam ex ea parte maximam censeo, qua mercedulam debitam paulatim insumo, sed quod a concionibus et lectionibus vestris 8 abesse me necesse est. Me tibi, viro summo, credo, commendo, dedo.

Vale faeliciter. Parentem tuum 9 salutato atque uxorem 10 .

Datum Alstedii, die ianuarii 16. anno 1532.

Tuus Carolstadius.

Heinrichus, vicinus meus Tiguri natus educatusque 11 , te ex animo cupit esse salvum. Eius probitas scientiaque mihi plurimum placet. Obsecravit, ut se tibi commendaret, licet ipse idem potuisset a politius meliusque et mihi opus sit commendatore.

[Adresse auf der Rückseite:] Eruditissimo viro Heinricho Bullingero, ecclesiasti Tigurino primo summoque praeceptori charissimo b .

a In der Vorlage irrtümlich potuissem, was keinen Sinn ergibt; vgl. dieselbe Konjektur bei Barge, aaO.
b Darunter von fremder Hand: Manus Carolstadii.
6 Karlstadts Lage war seit der 'Wiedereinsetzung von Sebastian Kretz aus Unterwalden als Landvogt im Rheintal unhaltbar geworden. Schließlich verließ er Altstätten und kehrte gegen Ende Januar 1532 nach Zürich zurück, wo er seine frühere Stelle als Seelsorger am Spital wieder erhielt, Barge II 439-441.
7 Wohl unter den zwinglifreundlichen Ratsherren zu suchen.
8 Gemeint sind die Vorlesungen der Prophezei (vgl. Farner III 554-563), über die sich Karlstadt 1530 begeistert geäußert hatte (s. Barge II 425).
9 Dekan Heinrich Bullinger.
10 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
11 Wahrscheinlich Heinrich Strübi von Wolsen (Kt. Zürich), der seit 1530 im sanktgallischen Marbach, einer Nachbargemeinde von Altstätten, Pfarrer war (über ihn s. unten S. 179, Anm. 1). Obwohl Strübi kein Stadtzürcher war, ist er der einzige unter den Pfarrern im Rheintal mit dem Vornamen Heinrich, auf den diese Beschreibung zutreffen könnte.