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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Der Wolf von Ringgenberg


1.

In frühern Jahrhunderten gab es im Schweizerland noch Ritter und Zwingherren, die auf Burgen und Schlössern wohnten und sich das umliegende Land untertan machten. Das waren oft gar rohe Gesellen , quälten die Leute mit hohen Abgaben und Frondiensten und ließen solche, die sich ihnen etwa widersetzten, in ihre Verließe sperren und dort verhungern.

Ein Ritter solcher Art hauste einst auf der Burg zu Ringgenberg am Brienzersee.

Schon das Aussehen dieses Mannes flößte Furcht und Schrecken ein. Er war von mächtiger Gestalt, hatte rotes Haar und einen roten Bart, und ein gelblich Feuer glühte aus seinen Augen. Früh und spät sah man ihn im Harnisch und mit der Armbrust bewehrt, und diese verstand er zu handhaben wie kein andrer, also daß nicht der Vogel in der Luft, noch der Hecht im Wasser vor seinem Bolzen sicher waren. Gleich einem Wolfe lauerte der Mann überall auf Beute, war grausam wie dieser, war wild und heimtückisch zugleich, weshalb ihn die Leute des Tales den Wehrwolf, seine eignen Knechte aber kurzweg den Junker Wolf nannten.

Eines Tages bestieg der Ritter sein schwarzes Pferd, ritt über Goldswil und die Aare hinüber zum andern Ufer des Sees und auf steinigem Pfade hinauf nach Iseltwald. Das kleine Dörfchen gehör ihm; doch war er, wie das bei solchen Herren geschehen mag, seit Jahr und Tag nicht hingekommen und wußte wenig, was da ging und was es Neues gab.

Wie nun der Freiherr stolz bei den Hütten vorüberritt, sah er einen schönen Mann mit schwarzem Haar und Bart. Der war gekleidet wie ein Fischer, doch besser, als sonst des Gewerbes Brauch, und beschäftigt, seine Netze zum Trocknen aufzuhängen. Da hielt der Ritter sein Pferd an und fragte in barschem Ton:

Kerl, was treibst du hier, und woher bist du?



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Bescheidentlich antwortete der Angesprochene:

Edler Herr, bin ein Fischer, wie Ihr sehet, und heiße Kunz. komme vom Lande herauf, bin ein freier Mann und bewohne hier ein freies Hüttlein, das ich mir vor drei Monden gekauft.

Der Junker schien über diese Antwort nur wenig erfreut. mochte auf seinem Boden keinen freien Menschen dulden, und auch die freimütige Art, wie der Fischer ihm gegenüber auftrat, war seinem Herrengeist zuwider. Indessen wollte der Wolf für diesmal sein r Wege reiten und später sehen, was er dem unliebsamen Manne etwa antun könnte, als des Fischers Töchterlein aus der Hütte trat. Das war ein gar schmuck und hold Mägdlein, mit zwei goldnen Flechten, die ihren Kopf und Nacken zierten, und nach des Landes Art in reines Zeug gekleidet wie der Vater.

Da kam dem Zwingherrn Arges in den Sinn, und er schnauzte den Fischer an:

"Wess' ist die Dirn ? Und was tut sie so üppig auf meinem Land und macht die Bauernweiber hoffärtig mit eitlem Prunk ?"

"Gestrenger Herr", antwortete der Fischer, es ist mein liebes Kind, und was sie trägt, geschiehet meinetwegen, derweil das Mägdlein weiß, daß ich gern eine schmuck und reinlich Jungfrau mag um mich sehn.

Jetzt fuhr der Zwingherr auf.

"Ich duld es nicht ", herrschte er den Fischer an, daß Gesetz und Brauch also verachtet werden und man meinen Grund und Boden



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betritt, ohne mich auf meinem Schlosse zu begrüßen. Darum, wenn euch Nuh und Friede lieb sind, so kommet heute auf den dritten Tag hinüber auf mein Schloß und bringt auch gleich euer Mägdlein mit, auf daß wir sie lehren, wie man hierzuland in Zucht und Sitte wandeln soll.

Es antwortete der Fischer demütiglich:

Edler Herr, so seid nicht ungnädig und zürnet mir nicht, daß ich es unterlassen, euch aufzuwarten. Ich bin hieher gekommen, mit den frommen Landleuten in Frieden zu leben und wollte euer Gnaden nicht mit meinem Besuche belästigen. Nun Ihr es aber wünschet, werde ich mich heut in drei Tagen bereitmachen und mit meinem Töchterlein auf eurem Schloß erscheinen.

"Wer klug ist, tut, wie ich befehle erwiderte der Zwingherr, schielte begehrlich nach dem schönen Mädchen hinüber, gab seinem Pferde die Sporen und ritt von dannen.


2.

Früh am dritten Tag zog der Fischer sein ledernes Wams an, setzte die befederte Mütze auf den Kopf und hing sein Schwert an die Seite, wie er solches bei feierlichen Anlässen zu tun pflegte, bestieg mit seinem Töchterlein das Schiff und fuhr gegen Ringgenberg.

Dort angekommen, schritten die beiden zum Schloß hinan. Beim Vorhäuschen hackte ein Knecht mit schwerem Beile Holz. Der Fischer wünschte dem Knecht einen guten Tag und dat ihn, dem Junker zu melden, daß der Mann von Iseltwald mit seinem Töchterlein nach seiner Gnaden Befehl vor dem Tore stehe. Der Knecht aber achtete des Angekommenen wenig, brummte etwas vor sich hin und mühte sich weiter ab, einen buchenen Klotz auseinanderzutreiben, was ihm indessen nicht gelingen wollte.

Da trat der Fischer an ihn heran und sagte ärgerlich:

"Hast mich denn nicht verstanden, Bursche? Zum Junker sollst gehen und ihm sagen, der Fischer Kunz sei da. Dein bißchen Holzspalten werd ich inzwischen schon besorgen.



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Sprach s, griff mit beiden Händen nach seinem Schwert, schwang es über dem Kopf, daß es pfiff und der Knecht sieben Schritt auf die Seite fuhr und spaltete den gewaltigen Klotz mit einem Schlage mittendurch, daß die beiden Hälften nur so dahinhüpften.

Dem Knechte standen die Haare zu Berge. Ohne ein Wort zu sagen, lief er erschrocken durch Tor und Tür zum Zwingherrn und berichtete ihm vom Fischer Kunz und seiner greulichen Mannskraft, und daß er solches noch nie gesehen hätte.

Der Junker, wie er das hörte, biß sich in die Lippen, tat einen Fluch und schrie den Knecht an:

"Ist s auch wahr, was du sagst?"

"Wie Ihr sehet, eure Gnaden. Ich zittere vor Schreck noch setzt an allen Gliedern.

"Dann wünsch ich den Kerl nicht zu sehen", donnerte der Zwingherr. "Laß ihn laufen. Den Abschied aber werd ich ihm segnen, daß er meiner künftig nicht mehr vergessen soll.

Mit diesen Worten griff er nach seiner Armbrust, sprang treppauf in den Turm und hin zu einer Scharte nach dem See und legte sich auf die Lauer.

Dem Knechte lief es heiß und kalt über den Leib. Er schlich zaghaft zum Vorhäuschen hinab, tat vor dem Fischer einen Bückling, wie er dies sonst nie getan, und stammelte:

Der gnädige Herr läßt euch melden, er sei aufs beste zufrieden mit solchem Gehorsam und erlasse euch den weitern Besuch in aller Huld. Er wünscht euch seinen Segen auf die Heimfahrt und hofft, Ihr werdet noch lange Jahre des Glückes auf seinem Grund und Boden genießen.

Als der Fischer diese Worte vernahm, ward er nachdenklich und voll Sorgen. Er nahm sein Kind bei der Hand, kehrte hastig hinab zu dem Schifflein, ergriff das Ruder und trieb mit gewaltigen Schlägen vom Ufer weg auf den See.

Wie er nun aber, den Rücken dem Schlosse zugekehrt, aufrecht im Schiffe stand und sich eben vorwärtsbückte, um mit dem Ruder



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auszuholen, da schwirrte es plötzlich durch seinen Federbusch und ein Pfeil, von der eisernen Armbrust des Zwingherrn abgesandt, flog mitten in die Brust seines Kindes und mordete das junge Leben mit einem Schlag. Der Schuß hatte dem Fischer gegolten, traf aber das Herz des unschuldigen Mägdleins, das, freundlich gegen den Vater gekehrt, am Ruder saß und, wie dieser, so schnell wie möglich wieder nach Hause zu kommen wünschte.

Der Fischer fuhr hin zu seiner Hütte und bestattete die Leiche seines Kindes. Dann ließ er, also erzählt die Sage wetter, Hütte, Schiff und Netze zurück und ging, ohne mit einem Menschen ein Wort zu reden, hinauf in die Berge und blieb spurlos verschwunden.



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3.

Nach Jahr und Tag, derweil das Herz des Zwingherrn immer grausamer ward, fing er an zu sinnen und dachte am Ende darauf, eine neue Burg zu erbauen. Die sollte dreimal fester werden als sein altes Schloß zu Ringgenberg, sollte hochgelegen sein und wohlversehen mit dicken Mauern, mit schlanken Türmen, mit Gräben ringsherum , dazu, tief in der Erde drin, mit heimlichen Gängen und Mordgewölben .

Auf freier Höhe zwischen Ringgenberg und Niederried ließ er Steine führen und Bäume hauen und zwang die armen Landleute, zu graben, zu meißeln und zu zimmern, also daß es weit durchs Tal scholl und hoch hinauf in die Berge und alles den Bau mit Furcht erstehen sah.

Nach etwelcher Zeit aber merkte der Zwingherr, daß er eines solch gewaltigen Werkes nicht kundig genug war, und soviel er auch herumfragen ließ, so wußte doch niemand Nat.

Da trat eines Tages ein Mann auf den Bauplatz. Er schien von stiller Art, trug nahezu graues Haar und einen langen Bart und ging langsam und ein wenig gebeugt, als ob ein schwerer Gram fein Herz bedrücke. Er schritt auch gleich auf den Zwingherrn zu, begrüßte ihn ehrerbietig und bot sich an, die Arbeit an dem herrlichen Schlosse zu vollführen. Er wäre, also sprach der Mann, feines Gewerbes ein Baumeister, sei lange Jahre in Rom gewesen und hätte sich dort in seinem Handwerk gründlich umgesehen.

Der Zwingherr war es höchlich zufrieden, daß ihm ein Mann, wie er ihn gerade wünschte, also in den Weg lief. Er klopfte ihm derb auf die Schulter und rief:

"Das trifft sich sa gut, Männchen, und ich nehme deine Dienste an. Führe das Werk hinaus, und dir soll ein Lohn werden, wie du ihn noch nie erhalten. Setzt aber komm, Wau dir den Bau näher an und tue, was dich heiße!

Mit diesen Worten führte der Ritter den Baumeister mitten



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durch die Arbeiter, stieg dann voran auf die Grundmauer und zeigte ihm, wie alles kommen sollte, und tat groß nach links, und tat groß nach rechts, also wie ein gewichtiger Mann zu tun pflegt. Der Baumeister hörte ihn ruhig an, sah und ergriff, als er mit dem Zwingherrn allein auf dem Gemäuer stand, wie von ungefähr einen langstieligen Hammer und schlug damit auf den Steinen herum, als wollte er prüfen, ob sie auch aus gutem Korn und wohlgefügt und nicht brüchig und locker wären.

Da hatte der Zwingherr ein höhnisches Gelächter.

Klopfe nur zu, Meister", rief er, "klopfe nur zu! Das hält entgegen, und Gnade Gott denen, die hineinkommen. Die müssen gute Zähne haben, sich da durchbeißen zu können.

"Das müssen sie", versetzte der Meister gleichmütig. "Und wünscht der gnädige Herr das ganze Schloß also fest gebauet ?"

Freilich, das ganze Schloß. Auch die Türme.

"Mit einem Graben ringsherum ?"

"Mit einem tiefen Graben.

"Den Platz habt Ihr gut gewählt, gnädiger Herr", fuhr der Meister fort, derweil er um sich schaute. "Er gewährt einen freien Blick auf die Gegend und auf all die, so euch etwa schaden könnten.

"Wohl gesprochen, Meister", antwortete der Zwingherr, "und also soll auch des Schlosses Name sein.

"Wie meint Ihr das, edler Herr ? Wie gedenkt Ihr das Schloß zu nennen ?

Iesi hob der Freiherr seine Hand und wies nach dem Tale.

"Dies Schloß", rief er in herrifchem Ton, dies Schloß, das der Schrecken des Landes wird und einem jeden zum Schaden gereichen soll, der ihm zu nahe tritt — Schadburg soll es genannt werden!

Setzt richtete sich der demütige Mann mit einem Ruck die Höhe, schwang den Hammer mit beiden Händen in der Luft, und derweilen ein schreckliches Feuer aus seinen Augen glühte, rief er mit plötzlich veränderter Stimme:



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"Schadburg, meinet Ihr, soll es genannt werden ? Ihr irret, Herr. Freiburg wollen wir es heißen!

Und sausend fuhr das schwere Eisen nieder auf des Zwingherrn Haupt, daß er dahinstürzte über das Gemäuer mitten unter die Werkleute. Der Meister aber stieg hinab und schritt ruhig und heitern Angesichts, als ob nichts geschehen wäre, durch die vor Schrecken starr dastehenden Arbeiter, grüßte sie mit Kopfnicken nach links und nach rechts, und verließ den Bauplatz. Nicht einer wagte ihn zu greifen,



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denn einem jeglichen ward plötzlich offenbar, es könne der seltsame Mann niemand anders sein als der ehemalige Fischer von Iseltwald, der gekommen, sein Kind zu rächen. Und als die Leute erkannten, wie nun das Land von der Gewalt des grausamen Zwingherrn befreit , da buben sie zu jubeln an und fielen einander vor Freuden um den Hals.

Wohin der Fischer gegangen, davon weiß die Sage nichts zu berichten . Einige aber meinen, er wäre erst in die Berge zurückgekehrt und sei dann nach dem heiligen Lande gezogen, um am Grabe des Heilandes Gnade zu erflehen für die blutige Rache, die er am Mörder seines Kindes genommen.

Die Burg ward nicht vollendet. Noch heute sind an jener Stelle nur spärliche Neste zu erblicken — nichts als die Grundmauern, die von den ersten Arbeitern errichtet worden.


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