Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1665]

Erasmus Ritter an
Bullinger
Bern,
25. September 1542

Autograph: Zürich StA, E II 362, 44 (Siegelspur) Ungedruckt

Ein Kostgänger von Peter Kunz [Adam Heinricher]hat ausgestreut, Ritter sei unehrenhaft von Schaffhausen geschieden, und hat sich, als ihn Ritter rechtlich belangen wollte, auf den Schaffhauser Bürgermeister [Hans von] Waldkirch -gemeint war wohl [Hans]Ziegler - sowie auf den Bürgermeister von Memmingen als Zeugen berufen. Ritter war einzig im Jahr 1525 kurz in Memmingen, erinnert sich aber, dass ihm Bucer einmal vorhielt, in Memmingen sage man, er habe dort eine Bürgerstochter entführt und sich [im Bauernkrieg] zu den Aufrührern gesellt; offenbar nutzen die Anhänger Bucers [in Bern] diese falschen Vorwürfe, da sie Ritter sonst nichts anhaben können. Bittet Bullinger, sich bei Gervasius [Schuler, Pfarrer in Memmingen] für ihn zu verwenden und, falls es ihm geraten erscheint, auch dem Memminger Rat zu schreiben; hat auch selbst an Schuler geschrieben und legt Geld für einen Boten bei; bittet um rasche und diskrete Erledigung. Einzig Kaspar [Megander] darf davon erfahren; Gruß an diesen.

Gratia et pax etc.

Geliebter herr und bruder, mir statt ein schwärer handel zu a handenn; da bitt ich üch, wellent mir hierinn hülfflich und rättlich sin 1 . Es hatt Petter Cuntz ein tisch genger 2 ; der hatt mich offentlich mit verdachtem mutt b 3 hinderrucks gscholten: "Erasmus ist ein leckers bub 4 und ist unerlich und unredlich c wie ein lotters bub 5 von Schaffhusen gescheiden", 6 und wie ich in recht gfasset 7 , ist er an red gwesen 8 und hatt zu kuntschafft botten 9 burgermeister Waldkilch 10 zu d Schaffhusen, achten aber wol, er hab burgermeister Ziegler 11 vermeint, ouch den burgermeister zu e Meiningen 12 .

a Vor zu gestrichenes zu handel.
b Vor mutt gestrichenes w.
c Vor unredlich gestrichenes unerlich.
d In der Vorlage zw.
e In der Vorlage zw.
1 mit Hilfe und Rat beistehen.
2 Adam Heinricher, ein Kostgänger von Peter Kunz, war 1542 für kurze Zeit Prediger am Siechenhaus bei Bern (s. Lohner 52. 590). Ritter verwahrte sich auf rechtlichem Weg erfolgreich gegen Anschuldigungen, die Heinricher gegen ihn in Umlauf gebracht hatte (s. unten); vgl. die Entscheide vom 9. und 16. Oktober 1542 und vom 6. April 1543 im Berner "Spruchbuch" (Bern StA, A I 340, 353f. 426. 559) sowie die diesbezüglichen Notizen im Ratsmanual (A II 152, 19. 28. 38f. 135; A
II 154, 168), dazu auch Ritters Brief an Bullinger vom 23. April 1543 (Zürich StA, E II 362, 47).
3 vorsätzlich, arglistig.
4 ein übler Schelm o. ä.
5 ein liederlicher Geselle o. ä.
6 Der radikale Zwinglianer Ritter hatte Schaffhausen nach jahrelangen Querelen mit seinem Kollegen Benedikt Burgauer über die Abendmahlslehre verlassen müssen; vgl. Jakob Wipf Reformationsgeschichte der Stadt und Landschaft Schaffhausen, Zürich 1929, S. 310.
7 ihn rechtlich belangt habe.
8 hat er sich dazu bekannt.
9 als Zeugen genannt.
10 Hans von Waldkirch.
11 Hans Ziegler.
12 Wer gemeint ist, war bereits Bullinger unklar,


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Nun bin ich min lebtag nitt mer dann ungfarlich 14 tag zu Meiningen gsin, aber im 25. jar, da alles Tütschland voller empörung was, kham frembd dar, das ich niemant nie vorhin khant, bin ouch nachmals nit mer darkhomen 13 , das ich nit khan wissen, warum doch diser mentsch den burgermeister von Meiningen hatt zur kuntschafft botten. Eins aber han ich mich sidhar erineret, das Buccerus, wie er zu Bernn gsin von wegen der concordy 14 und ich im ein wenig die sach mit ernst sagt, sprach er, warum ich mich so vil inlegte 15 , ich were doch frembd; ich solti gedenckhen, wie ich von Meiningen were gscheiden. Ich antwort, ich wüste nit anderst dan recht. Da sprach er, er were zu Meiningen an einem tisch gesessen; hette man von der concordy geredt und von mir, hett einer gsprochen: "Wie khan sich Erasmus so letz 16 gstellen; er hatt hie einem biderman ein tochter weg gfüert." Ich sprach, das wurde sich nimer mit der warheitt erfinden. Da sprach er, so hett ich mich aber zu den uffruerigen gsellet. Ich han aber sollichs biß har verachtet als ein unwarheitt. Nun muß ich gedencken, das die Buccerischen sollichs wider mich triben, so sy sunst nit an mir khinden gewünnen 17 .

Nun ist es war, wie ich gen Meiningen kham, da was vor mir, eb 18 ich dar kham, ein uffrur gsin, und stunden alle ding zerüttet. 19 Ich aber als ein frembder, der niemant khant, mag wol muglich sin gsin 20 das f sich ethwar 21 , habe zu mir gsellet; das ich aber weder umb uffrüerischen wort, werckh, thun noch lan 22 , kleins noch grosses gewüst hab, weyß ich mich vor gott unschuldig.

Darum ist min ernstlich bitt, ir wellent von minet wegen dem Gervasio 23 schriben und mich entschuldigen 24 - dann ich weyß, das mich ettlich, doch mit unwarheitt, scheltnn g , ich sye unruewig, ich sye wider die concordy, ich well nit dan prott 25 und win im nachtmal, leri 26 zeichen, und anders - und in bitten, das er helff und ratt, wie ich mechti 27 erfarnn an einem ersamen radt

f Vor das gestrichenes si.
g Auslautendes -nn (-n) hier und im Folgenden vielleicht als -en zu lesen.
wie seinem Brief an den Memminger Bürgermeister Balthasar Funk vom 29. September (unten Nr. 1668, bes. Z. 18-21) zu entnehmen ist.
13 dorthin gekommen.
14 Gemeint ist Bucers Aufenthalt in Bern anlässlich der Sondersynode vom September 1537; vgl. HBBW VII, Nr. 1045.
15 so sehr engagiere.
16 verkehrt.
17 mir nichts anhaben können.
18 bevor.
19 Zu den Unruhen in Memmingen zur Zeit
des Bauernkriegs von 1525 s. Die Geschichte der Stadt Memmingen, hg. v. Joachim Jahn u. a., Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 351-412.
20 es kann wohl möglich gewesen sein.
21 jemand.
22 Tun oder Lassen.
23 Gervasius Schuler, Pfarrer in Memmingen.
24 Bullinger folgte der Bitte am 29. September; vgl. unten Nr. 1667, 5-10, sowie Schulers Antwort vom 2. Oktober, Nr. 1671.
25 nichts als Brot.
26 leere.
27 könnte.


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zu Meiningen oder an dem burgermeister, wie doch die sach ein gstalt hab und ob mir mechti sicher platz werden, mich zu versprechen 28 - dann got weyst min unschuld h -uff das niemant kuntschafft uber mich gebe, biß das ich mich hette versprochen. Und ob es üch welti für gut ansechen, ob ir ouch selbs für mich an einen ersamen radt zu Meiningen hettind geschriben 29 und die sach erkhundett, wie sy stiende und wie ich mich solti hierin haltenn, und thetten das furderlich 30 und schicktend ein eignen potten in minem kosten. Ich han Gervasio ouch gschriben 31 und schick üch hie 2 gold kronen; da mögent ir us 32 ein botten dingen 33 . Was es witter wiert, will ich gernn bezalen; allein schickent ylents die prieff hinuß, das mir ein antwurt wurde, eb und 34 ich mich uff die strasß machte. Dann wie wol ich kranch und gar unmuglich 35 , so wil 36 doch ce und vill lieber lib und gut verliernn dann min er. Aber ich truwen i , gott werde mich erhalten. Wellent in aller still und doch unverzogenlich die sach fergen 37 und mm, ouch euwr brieff hinuß schickhen, und das der bott ein antwort bringe. Dar mit sind gott bevolchen.

Datum Berne, 25. septembris 1542.

Ir mugents wol Casparnn 38 vertruwen k , aber sunst niemant; den grüetzend mir ouch truwiich l .

Erasmus Ritter, ex

animo tuus.

[Adresse auf der Rückseite:]m Dem wolgelertnn herrnn Meister Heinrichen Bullingernn, predicanten zu Zürich, minem lieben herrnn und brudernn.