[2400]

Joachim Vadian an
Bullinger
[St. Gallen],
30. März 1546

Eine von Johann Jakob Wick angefertigte Teilabschrift des Briefes 2 und dessen Beilage: 3 Zürich ZB, Ms F 19, 224; a Eine von Bullinger angefertigte Teilabschrift des Briefes allein: Zürich StA, E II 342, 126 b Ungedruckt

[Johannes Schuhmacher, genannt] Otmar Gluß, Dekan der Abtei St. Gallen, ist seit Februar wegen Schlafmangels dem Wahnsinn anheimgefallen; die Gefangennahme des [Herzogs Heinrich von]Braunschweig [und dessen Sohnes Karl Viktor] nahm ihn nämlich sehr mit. Er ließ sich nach Wil führen, wo er lange Statthalter gewesen war. Am 27. März, frühmorgens, sprang er aus einem Fenster im zweiten Stockwerk. Man fand ihn reglos und stumm. Um 3 Uhr [nachmittags] starb er. Am 29. März wurde er in St. Gallen beigesetzt. Er hasste die [Protestanten]. [Beilage:]Spottgedicht auf Gluß' Tod.

Herr Othmar Gluß 4 , 4 decan dess closters zu S. Gallen, ist im verschinnen 5 Februario von mangelhaffte wägen dess schiaffs (dolebat enim ob captos tyrannos Brunsvicenses 6 ) zu öttwas unsinnikeyt 7 kommen, und sich angends 8 uss dem Closter gen Wyl füren lassen, do er vornaher 9 vil jar statthalter gewäsen, daselbs sich in siner melancholy enthalten 10 , und wenig lüth usserthalb der arzeten zu im glassen, und alda biss uff den 27. tag Merzen gelägen. An welchem er morgens zwüschet fünff und sächs urr uss dem stübli geloffen und unbesinter wyß sich über ein beyen 11 uss, zweyer gmachen 12 hoch, gestürzt und also gefallen, das er von der red und verstand

a Textgrundlage für die vorliegende Edition.
b Veröffentlicht Nr. 2407, 20—35.
1 Das Datum des Briefes ergibt sich aus unten Z. 12. Der Brief traf am 1. April in Zürich ein; s. Nr. 2407,20.
2 Weitere Angaben zum Inhalt dieses Briefes lassen sich aus Nr. 2425,11—33, rekonstruieren.
3 In der Wickiana-Sammlung unter dem Jahr "1571" und dem Titel: "Von dem erschrokenlichen fhal Herr Othmar Gluß, Decani zu sant Gallen Anno 1546".
4 Johannes Schuhmacher alias Otmar Wild, auch Gluß genannt, seit 1514 Konventual der Benediktinerabtei St. Gallen und seit 1526 deren Dekan. Von 1529 bis 1532 leitete er das Kloster in Abwesenheit des Abtes. Neben dem Dekanat hatte er spätestens ab 1532 auch die Statthalterei Wil inne; s. Rudolf Henggeler, Professbuch
der Fürstlichen Benediktinerabtei der Heiligen Gallus und Otmar zu St. Gallen, Zug [1930] — Monasticon Benedictinum Helvetiae [1], S. 244, Nr. 13.
5 vergangenen.
6 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel und dessen Sohn Karl Viktor. Seit Oktober 1545 wurden beide von Philipp von Hessen gefangen gehalten; s. HBBW XV 622 und Anm. 4. 638 und Anm. 40—42. 682f.
7 Wahnsinn.
8 darauf.
9 zuvor.
10 sich ... enthalten: verharrt.
11 Fenster.
12 Stockwerke.


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Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung
Briefe_Vol_16-277arpa

kommen sin und doch geläpt haben sol biß uff den abend. Umm die drü ist er verscheiden.

Gester, des 29. Merzen, zu uns in das closter S. Gallen gefürt und nütt c mitt vil glüts 13 und gesangs bestattet worden. Ich glaub nütt, das kein 14 listiger, hässiger und uffseziger 15 fyend 16 auch widerfächter unserer religion in der ganzen eydgnoschafft gewäsen sye. Fortasse ita dei providentia actum, ut hypocrita violentissimus nunc violenta ac deplorata morte extingueretur. d ||224v [Beilage:] De miserabili casu Othmari Glussi, monachi benedictini, qui apud Villam 17 Turgiae 18 se tertio de caeculo 19 praecipitavit. J. V. 20

Dedalias Glusso pennas si fata dedissent
In duram se non praecipitasset humum.
At vero implumi prorsus ne morte periret,
Illatum plumis triste cadaver obit.

Decidit autem e sublimi fenestra die 27. Martii mane anno domini 1546 dubium volens, ne an demens. Deinde in grabatum reportatus, nona ferme post casum illum hora mortuus est.