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Autographe Abschrift: Zürich StA, E II 345, 351r.-353r. a
Druck: Otto Opper, Theobald Thamer (1502-1569). Sein Leben und seine religiöse Gedankenwelt, Dresden 1941, S. 130-133;
Teildruck: CO XII 416-418, Nr. 851
[1] Thamers Brief [Nr. 2647] war Bullinger sehr willkommen, weil dieser über das Wohlergehen
des Fürsten [Landgraf Philipp von Hessen] und dessen Heer berichtete und zudem von
einem Menschen verfasst wurde, von dem Bullinger dachte, dass er ihm feindlich gesinnt sei!
Bullinger nimmt Thamers Freundschaft gerne an und will sich so gut wie möglich darum
verdient machen. Möge sie glücklich sein und ewig währen! —[2]Engelbert [Milander] hat
ganz richtig über die zwei Mal wöchentlich in Zürich stattfindenden Gottesdienste berichtet,
die nicht nur zugunsten der [Schmalkaldener], sondern auch der [protestantischen Eidgenossen]Briefe_Vol_18-274 arpa
abgehalten werden, die der gleichen Gefahr ausgesetzt sind. Auch bei jeder Sonntagspredigt
wird das Volk zum Gebet sowohl in der Kirche als auch zuhause aufgerufen. Dies
scheint auch ernst genommen zu werden, zumal das Volk sich von selbst demütigt, Reue
bekundet und auf die Aufforderung des Magistrats hin (wie schon im Falle Ninives) auf
irdische Frivolitäten verzichtet, so dass es guten Grund gibt, auf Gottes Güte zu hoffen, auch
wenn zu erwarten ist (wie dies Thamer in seinem Brief richtig vermutet), dass die (Protestanten]
zuvor noch wie durch das Feuer erprobt werden müssen. 1 —[3]Auch zweifelt Bullinger
nicht daran, dass der Krieg schon längst beendet gewesen wäre, wenn man dem Landgrafen
die Vollmacht in der Führung des Krieges gewährt hätte. Dass die anderen ihm diese nicht
übertragen haben, ist eher dem Schicksal (fatum) als ihrem bösen Willen zuzuschreiben. Gott
beabsichtigt wohl, die Ausdauer der Seinen auf die Probe zu stellen. Vielleicht ist auch das
Maß der Schuld der Amoriter noch nicht voll [s. Gen 15, 16]. Fest steht aber, dass Christus
den Antichristen besiegen wird. Möge bis dahin Christus den Seinen Verstand verleihen, um im
Interesse der Kirche zu wirken! — [4]Bullinger hat Luther stets geschätzt und tut dies nach
dessen Tod immer noch, denn er weiß, dass Gott durch diesen Menschen viel Gutes bewirkt
hat. Allerdings konnte Bullinger nie dessen exzessives und derbes (immodica et crassa) Abendmahlsverständnis
teilen; eine Auffassung, die jener kurz vor seinem Tode erneut in seiner [in
32 Artikeln]verfassten Schrift gegen die kreischenden Löwener [Theologen]2 und zuvor auch
in seinem "Kurtz Bekentnis" 3 (das die Zürcher widerlegt haben 4 ) geäußert hat. Er behauptete,
dass der eigentliche Leib des Herrn, und zwar derjenige, den dieser bei seiner Geburt angenommen
hatte, während der Mysterienfeier des Abendmahls (coena mystica) voll anwesend sei
und in seiner Substanz nicht nur im Glauben, sondern auch mit dem Munde verspeist werde,
und dies, obwohl das Brot weiterhin Brot bleibe. Ja, auch Judas soll den Leib Christi gegessen
haben, obwohl er nicht geglaubt hat! Solch eine Auffassung unterscheidet sich nicht von
derjenigen der abscheulichen Papisten, außer dass Luther dabei nicht das Wort Transsubstantiation
verwendet hat! Und so, wie Bullinger nichts mit der papistischen Meinung einer wahrhaften
und körperlichen und doch nicht örtlichen, qualitativen und quantitativen Anwesenheit
und Einspeisung (manducatio) des Herrn anfangen kann, genauso kann er auch Luthers Lehre
nicht begreifen. Wie kann man denn den Leib des Herrn wahrlich und doch nicht auf örtliche,
qualitative und quantitative Weise essen? Es ist so, als würde man behaupten, dass irgendwo
ein Feuer brenne, das weder Licht noch Wärme abgäbe, oder dass etwas sei, ohne dass das,
was man davon sagt, sei! Um keinen Unsinn zu behaupten, um die Wahrhaftigkeit des Leibes
Christi nicht zu leugnen und um keine unnötigen Wunder (die nicht nur in der Schrift nicht
belegt sind, sondern dieser auch widersprechen) zu erdichten (confingere), sollte man sich
schlicht nur der Behauptungen der Schrift bedienen und sagen, dass der "wahre Leib und das
wahre Blut des Herrn gegessen und getrunken wird"(Joh 6, (53-56]). Doch geschieht solches
im Glauben und im Geiste, und zwar sowohl vor als auch nach der Abendmahlsfeier, sobald
ein Mensch dem heilbringenden Wort glaubt und sich Christus anschließt. Das Abendmahl ist
ein Gedächtnis, ein Bund (Luk 22, [19f]; Röm 4, [10-12]), ein Zeugnis und die Garantie, dass
Christus für unser Heil seinen Körper geopfert und sein Blut vergossen hat. Dies wird dem
Menschen nur durch den Glauben dargeboten (exhibere) und kann von diesem nur im Glauben
empfangen (recipere) werden. Demzufolge erhalten die Teilnehmenden am Abendmahl die
Gewissheit durch den Glauben, dass sie durch den anwesenden und nicht abwesenden Christus
erlöst sind (1 Kor 10, [1-4, 16f]), welcher die wahrhafte Speise unseres Lebens ist. Der
Glaube ist nämlich kein leerer Begriff Er hat wirksame Auswirkungen auf die Glaubenden,
und dies schon während ihres irdischen Daseins, ehe sie das ewige Leben in Fülle erlangen.
Es ist also nicht notwendig, einen Leib des Herrn zu erdichten, der vom Himmel aus, entgegen
allen körperlichen Eigenschaften, überallhin ausstrahlt (diffundit), sich zu dem Brote dazutut
oder sich mit diesem vermischt, ja dieses sogar umwandelt! Unser Herr behält seine körperlichen
Eigenschaften und verbleibt im Himmel, genauso wie das Brot Brot bleibt und wir aufBriefe_Vol_18-275 arpa
Erden festsitzen, auch wenn unser Herz durch den Geist und den Glauben im Himmel