Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2675]

Bullinger
an Theobald Thamer
Zürich,
14. November 1546

Autographe Abschrift: Zürich StA, E II 345, 351r.-353r. a

Druck: Otto Opper, Theobald Thamer (1502-1569). Sein Leben und seine religiöse Gedankenwelt, Dresden 1941, S. 130-133;

Teildruck: CO XII 416-418, Nr. 851

[1] Thamers Brief [Nr. 2647] war Bullinger sehr willkommen, weil dieser über das Wohlergehen des Fürsten [Landgraf Philipp von Hessen] und dessen Heer berichtete und zudem von einem Menschen verfasst wurde, von dem Bullinger dachte, dass er ihm feindlich gesinnt sei! Bullinger nimmt Thamers Freundschaft gerne an und will sich so gut wie möglich darum verdient machen. Möge sie glücklich sein und ewig währen! [2]Engelbert [Milander] hat ganz richtig über die zwei Mal wöchentlich in Zürich stattfindenden Gottesdienste berichtet, die nicht nur zugunsten der [Schmalkaldener], sondern auch der [protestantischen Eidgenossen]

a F. 353v.—354v. leer.
des 27. (von der landgräflichen Kanzlei als G bezeichnet) und des 30. Oktober (als H bezeichnet), die von der im Feldlager eingerichteten landgräflichen Kanzlei erstellt wurden und in Lenz, Bericht 13-15 veröffentlicht sind. Sie konnten in den heutigen Zürcher Beständen bisher nicht aufgespürt werden; s. dazu Nr. 2666, Anm. 3.
4 übermitteln.
5 beim letzten Mal - nämlich mit seinem nicht mehr vollständig überlieferten Brief Nr. 2666 vom 10. November (s. Nr.
2693,3-6), mit dem Bing auf das vor dem 5. November verfasste Schreiben Bullingers (s. dazu oben Anm. 2) geantwortet hatte.
6 mich allweg inn üwerm bevelch haben: möge ich Euch stets empfohlen sein.
7 Bullingers Brief Nr. 2651 an den Landgrafen vom 31. Oktober. Er traf am 10. November im Lager ein; s. Thomanns Brief an Zürich vom 10. November (Zürich StA, A 177, Nr. 131). Zum Ubermittlungsbericht s. Nr. 2678.


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abgehalten werden, die der gleichen Gefahr ausgesetzt sind. Auch bei jeder Sonntagspredigt wird das Volk zum Gebet sowohl in der Kirche als auch zuhause aufgerufen. Dies scheint auch ernst genommen zu werden, zumal das Volk sich von selbst demütigt, Reue bekundet und auf die Aufforderung des Magistrats hin (wie schon im Falle Ninives) auf irdische Frivolitäten verzichtet, so dass es guten Grund gibt, auf Gottes Güte zu hoffen, auch wenn zu erwarten ist (wie dies Thamer in seinem Brief richtig vermutet), dass die (Protestanten] zuvor noch wie durch das Feuer erprobt werden müssen. 1[3]Auch zweifelt Bullinger nicht daran, dass der Krieg schon längst beendet gewesen wäre, wenn man dem Landgrafen die Vollmacht in der Führung des Krieges gewährt hätte. Dass die anderen ihm diese nicht übertragen haben, ist eher dem Schicksal (fatum) als ihrem bösen Willen zuzuschreiben. Gott beabsichtigt wohl, die Ausdauer der Seinen auf die Probe zu stellen. Vielleicht ist auch das Maß der Schuld der Amoriter noch nicht voll [s. Gen 15, 16]. Fest steht aber, dass Christus den Antichristen besiegen wird. Möge bis dahin Christus den Seinen Verstand verleihen, um im Interesse der Kirche zu wirken! [4]Bullinger hat Luther stets geschätzt und tut dies nach dessen Tod immer noch, denn er weiß, dass Gott durch diesen Menschen viel Gutes bewirkt hat. Allerdings konnte Bullinger nie dessen exzessives und derbes (immodica et crassa) Abendmahlsverständnis teilen; eine Auffassung, die jener kurz vor seinem Tode erneut in seiner [in 32 Artikeln]verfassten Schrift gegen die kreischenden Löwener [Theologen]2 und zuvor auch in seinem "Kurtz Bekentnis" 3 (das die Zürcher widerlegt haben 4 ) geäußert hat. Er behauptete, dass der eigentliche Leib des Herrn, und zwar derjenige, den dieser bei seiner Geburt angenommen hatte, während der Mysterienfeier des Abendmahls (coena mystica) voll anwesend sei und in seiner Substanz nicht nur im Glauben, sondern auch mit dem Munde verspeist werde, und dies, obwohl das Brot weiterhin Brot bleibe. Ja, auch Judas soll den Leib Christi gegessen haben, obwohl er nicht geglaubt hat! Solch eine Auffassung unterscheidet sich nicht von derjenigen der abscheulichen Papisten, außer dass Luther dabei nicht das Wort Transsubstantiation verwendet hat! Und so, wie Bullinger nichts mit der papistischen Meinung einer wahrhaften und körperlichen und doch nicht örtlichen, qualitativen und quantitativen Anwesenheit und Einspeisung (manducatio) des Herrn anfangen kann, genauso kann er auch Luthers Lehre nicht begreifen. Wie kann man denn den Leib des Herrn wahrlich und doch nicht auf örtliche, qualitative und quantitative Weise essen? Es ist so, als würde man behaupten, dass irgendwo ein Feuer brenne, das weder Licht noch Wärme abgäbe, oder dass etwas sei, ohne dass das, was man davon sagt, sei! Um keinen Unsinn zu behaupten, um die Wahrhaftigkeit des Leibes Christi nicht zu leugnen und um keine unnötigen Wunder (die nicht nur in der Schrift nicht belegt sind, sondern dieser auch widersprechen) zu erdichten (confingere), sollte man sich schlicht nur der Behauptungen der Schrift bedienen und sagen, dass der "wahre Leib und das wahre Blut des Herrn gegessen und getrunken wird"(Joh 6, (53-56]). Doch geschieht solches im Glauben und im Geiste, und zwar sowohl vor als auch nach der Abendmahlsfeier, sobald ein Mensch dem heilbringenden Wort glaubt und sich Christus anschließt. Das Abendmahl ist ein Gedächtnis, ein Bund (Luk 22, [19f]; Röm 4, [10-12]), ein Zeugnis und die Garantie, dass Christus für unser Heil seinen Körper geopfert und sein Blut vergossen hat. Dies wird dem Menschen nur durch den Glauben dargeboten (exhibere) und kann von diesem nur im Glauben empfangen (recipere) werden. Demzufolge erhalten die Teilnehmenden am Abendmahl die Gewissheit durch den Glauben, dass sie durch den anwesenden und nicht abwesenden Christus erlöst sind (1 Kor 10, [1-4, 16f]), welcher die wahrhafte Speise unseres Lebens ist. Der Glaube ist nämlich kein leerer Begriff Er hat wirksame Auswirkungen auf die Glaubenden, und dies schon während ihres irdischen Daseins, ehe sie das ewige Leben in Fülle erlangen. Es ist also nicht notwendig, einen Leib des Herrn zu erdichten, der vom Himmel aus, entgegen allen körperlichen Eigenschaften, überallhin ausstrahlt (diffundit), sich zu dem Brote dazutut oder sich mit diesem vermischt, ja dieses sogar umwandelt! Unser Herr behält seine körperlichen Eigenschaften und verbleibt im Himmel, genauso wie das Brot Brot bleibt und wir auf
1 Vgl. lpetr 1, 6f.
2 Siehe dazu HBBW XVI 83, Anm. 8.
3 Siehe dazu HBBW XIV 366, Anm. 20.
4 Siehe dazu HBBW XV 66, Anm. 9.


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Erden festsitzen, auch wenn unser Herz durch den Geist und den Glauben im Himmel

an Christus teilhaftig wird, auch außerhalb einer Abendmahlsfeier. [5]Bullinger will übrigens Thamer nicht vorgeschrieben haben, was dieser glauben soll. Thamer möchte nur das aufnehmen, was seiner Meinung nach im Einklang mit der Heiligen Schrift steht. Bullinger hat seine Ausführungen deshalb mitgeteilt, damit Thamer besser begreifen mag, warum die Zürcher sich Luthers Meinung nicht anschließen können, und was sie eigentlich glauben. Dabei wird Thamer feststellen, dass die Zürcher das Zeichen (signum) oder das Symbol (symbolum) nicht als profan oder leer ansehen, sondern als rein göttlich, als eine Mysterienfeier (mysterium) ihrer Erlösung, als Zeichen des einigenden christlichen Bundes. [6] Wie schön wäre es, wenn Thamer trotz der gegenwärtigen Wirren Zürich besuchen könnte! Dann würde man sich über alles freundlich austauschen. Thamer sei also herzlich eingeladen! Bullinger wird ihm gerne Unterkunft gewähren und ihn nicht nur als Gast, sondern als Bruder behandeln. Thamer soll wissen, dass Bullingers einzige Sorge darin besteht, die ihm anvertraute Kirche unbescholten und unverdorben Christus zuzuführen. Deshalb ist Bullinger auch stets bereit, mit der Schrift über die Lehre zu diskutieren. [7] Thamer soll alles zum Besten aufnehmen. Bullinger wünscht ihm alles Gute. Er empfiehlt sich dem Landgrafen, diesem starken Helden, und auch dem lieben [Leib]arzt [des Landgrafen], Doktor [Johann] Meckbach, dem [landgräflichen] Sekretär Simon Bing und den anderen Herren und Brüdern. Gruße von [Konrad] Pellikan, [Theodor] Bibliander, [Rudolf] Gwalther (Bullingers [Zieh]sohn, dessen ["Endtchrist"] (Antichristus) Bullinger als Geschenk beilegt), von [Heinrich] Buchter, [Johannes] Wolf ganz besonders von Bullingers "Gevatter" Otto Werdmüller, von den Professoren Doktor [Konrad]Gessner, [Johann Jakob]Ammann (Schulaufseher) und [Rudolf] Collin wie auch von allen guten Menschen.