Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3014]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
Zürich,
16. September 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 268 (Siegelabdruck) Druck: Blarer BW II 654f, Nr. 1476

[1]Als der Diener [...]des Grafen Georg von Württemberg-Mömpelgard [von Konstanz]nach Zürich zurückkam, war der Graf am Tag zuvor schon abgereist. Er wurde nämlich von Herzog Christoph von Württemberg eilends nach Basel zurückgerufen. Graf Georg unterhielt sich ausgiebig mit Bullinger über den Ausgleich in den strittigen Religionsfragen. Er erzählte auch, dass Melanchthon nach Tübingen kommen werde, und dass er sich Gutes von diesem erhoffe, zumal Letzterer stets den zänkischen Geist Luthers missbilligt hat. Er äußerte auch die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen Melanchthon und den Zürchern. Wegen der vorzeitigen Abreise des Grafen weiß nun Bullinger nicht, was für Neuigkeiten Blarer dein Grafen mitgeteilt hat, da der Abwesende ihn nicht mehr darüber informieren konnte. Blarer möge also auch Bullinger übermitteln, was er von Freunden erfahren hat. - [2] Es geht das merkwürdige Gerücht um, dass Spanier ungehindert durch Konstanz reiten können! Besonders einer [...]

b Klammern ergänzt.
Maximilian erst nach dem 30. Juni (also erst nach Pfingsten, den 29. Mai 1547) in Zürich als Kostgänger aufgenommen wurde, ist die Reise des Vaters frühestens kurz vor "Crucis" 1547 anzusetzen. Die Angabe in unten Z. 7, laut der der Vater vorhatte, den restlichen Betrag nach dem Herbst zu bezahlen, verleitet dazu, das Brieflein gegen Ende eines Sommers oder Anfang eines Herbstes zu datieren (zur Zeit des damals noch verwendeten julianischen Kalenders begann der Herbst am 10./11. September). Da zudem Konstanz nach dem 6. August 1548 bereits von den Kaiserlichen eingenommen war (was den definitiven Weggang Blarers aus Konstanz zur Folge hatte), und da überdies die hier benutzte Tinte sehr gut der schwarzen Tinte entspricht, die Blarer in seinem Briefwechsel mit Bullinger seit dem 8. August 1547 benutzt, wird das vorliegende Brieflein sehr wahrscheinlich kurz vor "Crucis" 1547 verfasst worden sein.
5 Maximilian Seemann; s. oben Anm. 4.
6 Die Schule am Großmünster, wo auch Theologie unterrichtet wurde.


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soll im Galopp durch die Stadt geritten sein, als Jakob Zorn den Zaum des Pferdes ergriff der ihm allerdings in den Händen blieb. Bullinger kann kaum glauben, dass die Konstanzer nicht besser aufpassen! -[3] Er hat nichts Weiteres zu berichten, außer dass rechtschaffene Leute die Furcht hegen, dass der listige Kaiser Karl V. irgendwann Soldaten in die Stadt einschleusen könnte, um nachts einen Überfall zu verüben. Man sei also vorsichtig! -[4]Bullinger weiß nicht, warum Graf Georg so schnell abgereist ist. Er wurde ganz freundlich behandelt. Einige argwöhnen, dass er sich wieder mit dein Kaiser versöhnt haben könnte. Andere wiederum vermuten einen anderen Grund. Sobald Bullinger etwas Verbürgtes darüber erfährt, wird er berichten. -[5]Gräße. In Eile.

S. D. Cum servulus 1 comitis 2 huc redisset, Ambrosi colendissime, discesserat comes pridie. Revocatus enim a duce Cristophoro 3 Basilaeam acceleravit. Contulit mecum plurima de consensione doctrinae 4 . Indicavit Melanchtonem venturum Tubingam. 5 Bene sperat de illo, praesertim quod semper improbarit importunum illum d. Lutheri spiritum. 6 Sperat illum nobiscum rediturum in gratiam. Ideoque quid rerum novarum illi 7 scripseris, nescio. Nihil ab absente potuit communicari. Oro ergo, ut et mihi ea, quae ab amicis habes, communices.

Es ist ein wundersag, wie üch die Hispanier in die statt rytind, insonders einer 8 üch durch die statt gerendt 9 , den lacobus Zorn 10 bym zoum ergriffen, ein stuck vom zoum in henden behallten hab. 11 Wil ich nitt glouben, das man nitt baas 12 sorg habe, etc.

1 Unbekannt. - Es handelt sich um denselben Diener wie in Nr. 3011,1f.
2 Georg von Württemberg-Mömpelgard, der sich seit etwa dem 20. Januar 1547 nach Basel zurückgezogen hatte (s. HBBW XIX 2753, Anm. 1), und unmittelbar vor der Abfassung des vorliegenden Briefes auf Besuch in Zürich war; s. HBD 35,12-15; Pellikan, Chronikon 176 (wo auch die Begleiter des Grafen angeführt werden). - Während seines Aufenthaltes in Zürich organisierte der Zürcher Rat ein Essen für ihn im Haus Zum Rüden, an dem er schließlich nicht teilnehmen konnte, weil er Zürich eilends verlassen musste; s. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, S. 67.
3 Christoph von Württemberg-Mömpelgard, der sich Anfang Januar 1547 ebenfalls in Basel niedergelassen hatte; s. HBBW XIX 158, Anm. 9.
4 Vermutlich das Abendmahl betreffend.
5 Am 5. Juni 1547 antwortete Melanchthon auf ein Schreiben Herzog Ulrichs von Württemberg, der ihn gerne für die Universität Tübingen gewonnen hätte. Melanchthon, der sich damals in Nordhausen befand, versprach, im Herbst zu ent
sprechenden Verhandlungen nach Stuttgart oder Tübingen zu kommen. In einem anderen Brief vom selben Tag gestand er jedoch, dass er sich nicht von den Freunden in Wittenberg trennen könne und vorhabe, bald wieder dorthin zurückzukehren; s. MBW-T XVI, 353, Nr. 4765; 357f, Nr. 4769; Vadian BW VI 656f.
6 Melanchthon sollte seinem Arger über Luther in einem Brief vom 25/28. April 1548 Luft machen; s. MBW-TXVffi 211; Matthias Dall' Asta, Wenn Privates ungewollt öffentlich wird. Philipp Melanchthons Skandalbrief an den kurfürstlichen Rat Christoph von Carlowitz, in: Momente. Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg 2019/3, S. 16-19.
7 Gemeint ist Georg. - Hier liegt eine Anspielung auf Nr. 3011,4f, vor.
8 Unbekannt.
9 galoppiert.
10 Der Konstanzer Jakob Zorn, seit 1540 Pfarrer in Regensdorf (Kt. Zürich), 1543 Zürcher Bürger.
11 Weil nämlich der Zaum riss; s. Nr. 3019,13-17; Nr. 3023,32-39.
12 besser.


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Wyter kan ich üch nitt verständigen 13 , dann das fromme lüt sorgind. Wie der keyser 14 geschwind 15 , werde er üch ettwan 16 lüt in die statt bringen heymlich, und by nacht ein duck 17 thun. Dorumb verman ich üch, flissig uffzesähen 18 .

Cur tam festinanter abierit comes, ignoramus. Amicissime hic tractatus est. Suspicantur quidam ipsum iam denuo caesari reconciliandum; quidam aliud in caussa esse suspicantur. Ubi certum aliquid habuero, scribam diligenter.

Vale cum omnibus bonis. Tiguri ocyssime, 16. septembris 1547.

Bullingerus tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo viro d. Ambrosio Blaurero, fratri incomparabili suo. Constantz. 19