Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3023]

[Ambrosius Blarer]
an Bullinger
[Konstanz],
29. September 1547

Autograph: Zürich StA, E II 357, 253 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 658-660, Nr. 1480 1

[1] Aus Augsburg schrieb man, dass der französische Gesandte [Charles de Brissac] von Kaiser Karl V. mit 1'500 Kronen beschenkt und verabschiedet wurde und wieder nach Basel reitet. Bullinger möge ermitteln, ob das Verhältnis zwischen dem Kaiser und Frankreich wirklich so gut ist, wie behauptet. - [2] Einem weiteren Bericht aus Augsburg zufolge soll der Kaiser unter dem Vorwand der Jagd nach München abgeritten sein. Der wahre Grund dafür sei seine Krankheit. Er gleiche einer lebenden Leiche. Seine Ärzte wissen nicht mehr ein noch aus und halten es für besser, wenn er in München anstatt in Augsburg stirbt, zumal man dann seinen Tod länger verheimlichen kann. -[3] Es heißt, dass alle Kurfürsten, außer Moritz von Sachsen, die Suche nach einer Lösung in der Religionsangelegenheit dein Kaiser überlassen haben. Blarer wird bald erfahren, ob das stimmt. - [4] Sein Schwager [Stephan Schäffer] schrieb aus Esslingen, dass am 19. September 700 für Augsburg bestimmte niederländische Reiter durch die Stadt ritten, eine weitere Truppe von Reitern in das Remstal und eine dritte nach Schwäbisch Hall und Dinkelsbühl zog. Alles sei für den Kaiser bestimmt. Auch sei immer wieder von einem Vorstoß des Kaisers gegen Konstanz und die Eidgenossenschaft die Rede. Dies wird auch aus anderen Briefen deutlich. Hoffentlich stimmt es nicht! - [5] Einigen Konstanzern wurde brieflich mitgeteilt, dass in Böhmen neue Unruhen ausgebrochen seien. Selbst der Kaiser habe die von König Ferdinand verhängten Strafen als so grausam empfunden, dass er ihm diesbezüglich einen Brief geschrieben habe. -[6]Martin Bucer berichtet von einer möglichen Überwinterung des Kaisers in Straßburg. - [7] Blarer hat den Brief [Nr. 3014], den Bullinger in seinem letzten Schreiben [Nr. 3019] erwähnt hatte, noch nicht erhalten. Er weiß nicht, weshalb Johannes Gisling ihn noch nicht überbracht hat. Allerdings hat er auch nicht gehört, dass Gisling von Zürich wieder zurückgekehrt sei. -[8]Blarer weiß nicht, was mit dem noch gefangen gehaltenen Spanier [...]geschehen soll. Soweit ihm bekannt ist, hat dieser, abgesehen von seinem waghalsigen Vergehen, nichts angestellt, das die Todesstrafe verdienen würde, was auch jener betont. Er schreibt seine Freveltat stets der Trunkenheit zu. Blarer hörte nur, dass Jakob Zorn mit vielen anderen herbeigelaufen sei. Von einer ruhmvollen tapferen Tat eines einzelnen Menschen hat er nie etwas vernommen. Er muss aber auch zugeben, sich nicht besonders für die Angelegenheit interessiert zu haben. Auch will er Jakob Zorn diese Tapferkeit nicht streitig machen, falls dieser als ein unbewaffneter Schweizer es tatsächlich wagte, einem bewaffneten und rasend schnell galoppierenden Spanier die Zügel zu entreißen! - [9] Blarer dankt für die Abschrift der Auszüge aus dein langen Pasquill [...].

1 Traugott Schieß ordnete dem vorliegenden Brief noch eine Beilage zu, nämlich die Abschrift eines in Augsburg am 23. September verfassten Briefes (Zürich StA, E II 338, 1450), die er in Blarer BW II 660f veröffentlichte. Doch ein Vergleich der Falten dieser Abschrift mit den Falten des vorliegenden Briefes schließt eine solche Zuordnung völlig aus. Zudem sind im Papier des vorliegenden Briefes
Schnittspuren zu sehen, nicht aber in der Abschrift des Briefes aus Augsburg. Falls der Brief Blarers, dem diese Abschrift beigelegt worden war, noch erhalten wäre, käme Blarers Brief Nr. 3031 vom 4. Oktober in Frage, der auch keine Schnittspuren hat, und dem diese Abschrift den Falten zufolge hätte einverleibt werden können.


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Dieses ist auch in Konstanz vorhanden. Die Konstanzer sind wirklich zum Gespött ihrer Nachbarn geworden! Sie verdienen es allerdings, zumal sie das Evangelium nicht ernst genommen haben. Der Herr nehme diese Schande all denjenigen ab, die wieder zur Vernunft kommen! -[10]Soeben, uni die Zeit des Abendessens, traf ein anderer Brief Bullingers [nicht erhalten] mit der Verteidigungsrede ["Contra scandala ex hello infeliciter gesto oborta Apologia"] und der Beschreibung der Glarner Himmelserscheinung ein. Wie soll sich Blarer dafür bedanken? Gemäß Bullingers Wunsch wird er diese Unterlagen an Vadian weiterleiten, sobald er sie gelesen hat. Sollte ihm oder irgendeinem Kollegen eine Deutung der Vision zuteilwerden, wird er sie mitteilen. Hoffentlich ist diese Erscheinung ein gutes Omen! Bullinger soll fur die Konstanzer beten. -[11]Blarer schließt hier, denn er muss noch nach Augsburg und nach Isny schreiben.

Es wirt von Augspurg her geschriben, das die frantzösisch bottschaft 2 vom kaiser 3 gantz wol abgefertiget worden und mitt 1'500 cronen verehret, darnach widerum uff Basel verrytten seye. Lieber, macht kuntschafft daruff, ob doch alls 4 güt ainikait zwyschen kaiser und Frantzosen seye, wie man fürgibt.

Man schreibt ouch von Augspurg, das der kaiser uff Mönichen 5 verritten seye under dem schein, alls ob er jagen welle. Man habs aber darfür 6 , das er kranckhait halber sich dahein hab füren lassen, dann er seche gar kainem lebendigen menschen gleych: seye nichts dann vivum cadaver, 7 und die ärtzt gar an im verzagt; habind aber darfür, besser sein, er sterbe zu Mynchen

2 Charles I. de Cossé, comte de Brissac (geb. 1505, gest. 1563), Großmeister der französischen Artillerie und Diplomat. Er war am 10. oder 11. August 1547 in Augsburg eingetroffen; s. NBD X 76. 79. Zusammen mit Charles de Marillac (der aber in den Quellen anscheinend eher selten erwähnt wird; s. etwa NBD X 77 mit Anm. 3) fungierte Brissac auf dem Augsburger Reichstag als eigentlicher französischer Gesandter; s. PC IV/1 721, Anm. 1 zu Nr. 639. Allerdings war Brissac im August 1547 gesundheitlich angeschlagen (s. NBD X 82. 84. 94. 100), und seine Audienz beim Kaiser konnte erst am 8. September stattfinden (s. ebd., 103- 105. 111). Am 17. September schrieb Kardinal Francesco Sfondrato aus Augsburg an Papst Paul III., dass Brissac zusammen mit dem "ambasciatore vecchio". dem alten Botschafter (gemeint ist damit zweifelsfrei Jacques de Ménages, s. nämlich ebd., S. 117; sowie Venetianische Depeschen II 343, Nr. 146, unten: "ambassator vecchio") am Montag, 19. September, die Heimreise antreten würde (s. NBD X 117. 119), die dann aber erst
einen Tag später, am Dienstag, 20. September, erfolgte (s. ebd., S. 119, Anm. 1; S. 121, Anm. 3). Zum Inhalt der Verhandlungen mit dem Kaiser, die für Brissac nicht ganz zufriedenstellend verliefen, s. NBD X 119, Anm. 1, und 121, Anm. 1; Druffel, BA I 69, Anm. 1; Venetianische Depeschen II 343-347, Nr. 146; 350f, Nr. 148, u.ö.
3 Karl V.
4 so; s. SIT 198.
5 München. - Siehe schon Nr. 3017,29f. - Dass es dem Kaiser (wie hier erwähnt) vornehmlich um seine Gesundheit ging, ist in RTA-JR XVIII/1 821 (bei Anm. 1) bezeugt.
6 Man habs darfür: Man ist der Meinung; s. SI II 883.
7 Vgl. Nr. 2872,18; Nr. 2943,10; Nr. 2954,4f. 9.
8 Die Namen der Ärzte Karls V. während des Schmalkaldischen Krieges und des Augsburger Reichstags 1547/48 sind verzeichnet bei Mameranus, Fam. 21. An der Spitze stehen Cornelius Baersdorp und Andreas Vesalius.


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dann zu Augspurg, us vyl ursachen, sonderlich aber, das es lenger möge verschwigen sein.

Die churfürsten all sollen kai[serlicher] m[ajesta]t die religionsach haimgestellt haben, 9 aussgenommen hertzog Morytz. 10 Der wells nitt thain 11 . Aber was daran seye, wyll ich in kurtzen tagen wol gewar werden.

So schribt mir mein schwager 12 von Esslingen, das uff 19. septembers ob 13 700 niderlendische pferdt durch Esslingen uff Augspurg, dessgleichen ain anderer hauff niderlendischer pferdt das Ramstal 14 hinuff zogen seyen und noch ain hauff für 15 Hall 16 und Dinckelspyel 17 , all dem kaiser zu 18 Und seye für und für 19 das geschray bey inen der kaiser welle Costentz sampt den Schweytzern überziechen. Das schreibt man unß ouch von andern orten. Aber wir hoffend gentzlich zu gott, es seye nichts daran. Amen. Amen!

Es ist ettlichen auch hieher geschriben worden, das in Behem 20 neuw uffrür seie, und der könig 21 alls grausam gehandelt, das der kaiser selbs ain treffelich missfallen darab gehapt und ime desshalb geschriben hab.

So hat mir B[ucerus] verruckter tag 22 von Strassburg geschriben 23 , es welle die sag sein und darfür gehalten werden, der kaiser welle by inen winteren. 24

Tuas 25 , de quibus mentionem facis in proximis literis 26 , nondum accepi. Quid bannern Gyslingerum 27 remoretur, quominus reddat, plane ignoro, quamquam etiam, num istinc rursus redierit, nondum a quoquam accepi.

9 Siehe dazu schon Nr. 3017, Anm. 10, und vgl. auch das Votenprotokoll des Kurfürstenrats in RTA-JR XVIII/1, bes. S. 376-378, unter dem 28. September.
10 Die Räte von Moritz von Sachsen forderten die Zulassung der augsburgischen Konfessionsverwandten zum Konzil sowie die Unterordnung des Papstes unter das Konzil, das vom Kaiser als "götlich, christlich concilium in teutscher nation anzustellen" sei; s. RTA-JR XVIII/1 377.
11 tun.
12 Stephan Schäffer. Er war von 1532 bis zu seinem Tod 1549 Prädikant in Esslingen (s. Pf-Baden Württ III 4: 90, Nr. 346)"bei den Barfüßern" (s. Blarer BW I 389, Anm. 4), also an der Georgskirche; s. Beschreibung des Oberamts Eßlingen, hg. y. dem Königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart und Tübingen 1845, 5. 102. Er war mit Sophia, einer ehemaligen Nonne des Klara-Klosters Esslingen und Schwester (oder Halbschwester!) von Blarers Gattin Katharina, geb. Ryff, verheiratet: s. Blarer BW I 481, Anm. 5.
13 mehr als.
14 Das Remstal, östlich von Stuttgart.
15 in Richtung.
16 Schwäbisch Hall.
17 Dinkelsbühl.
18 Vgl. Nr. 3021,74f (einige tausend Pferde); PC IV/2 767, Nr. 670 (800 Pferde).
19 fur und Thr: immer wieder.
20 Böhmen. - Vgl. Nr. 3020,24f: Ein falsches Gerücht; s. Nr. 3019, Anm. 5.
21 Ferdinand I.
22 verruckter tag: vor kurzem; s. SI VI 856.
23 Bucers Brief ist nicht bekannt.
24 Vgl. die in Nr. 3009, Anm. 2, angeführten Stellen.
25 Bullingers Brief Nr. 3014 vom 16. September. - Siehe Weiteres dazu in Nr. 3037,2-7.
26 In Bullingers Brief Nr. 3019,13f, vom 22. September.
27 Johannes Gisling, der problematische junge Pfarrer in Langrickenbach, Thurgau (s. zu diesem HBBW XIX Reg.), dem übrigens der hier von Blarer vermisste Brief anvertraut worden war; s. Nr. 3037,2-7. -Gisling wurde offensichtlich auf Martin Möttelis Wunsch hin (Nr. 2928) in Zürich examiniert.


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Hispanus ille 28 adhuc in vincula coniectus detinetur. Quid de illo futurum sit, nescio, nec audio extra audax istud facinus, quicquam morte dignum (quod fassus sit) t designasse. Quicquid vero hic peccavit, in temulentiam constantissime reiicit. lacobum Zornium accipio cum multis aliis accurrisse. De singulari vero hominis strenuitate et digno gloria facto nihil audio, tametsi non valde diligenter, ut istuc rescirem, laboraverim. Non invidebo autem bono lacobo b hanc fortitudinis laudem b , si inermis Helvetius armatum Hispanum et equo incitatissimo vectum transversum rapere ausus est.

Pro fragmentis illis ex prolixo, quem habemus, pasquino 29 descriptis maximas tibi gratias agimus. Vere facti sumus oprobrium vicinis nostris, subsannatio et illusio his, qui in circuitu nostro sunt. 30 Sed ita meritum est nostrum, qui etiam verum et serium Christi evangelium pro ludo habuimus. Dominus auferat a nobis mature resipiscentibus opprobrium nostrum!

Iam sub cenam redduntur aliae literae tuae 31 cum oratione apologetica 32 et visione illa Glareana 33 , pro quibus non satis tibi gratiarum agere unquam

a Klammern ergänzt. -
b-b Am Rande nachgetragen.
28 Der unbekannte Spanier, der durch Konstanz geritten war und den Jakob Zorn aufzuhalten versucht hatte; s. Nr. 3014,9- 12; Nr. 3019,13-17.
29 Welches Pasquill hier gemeint ist, bleibt offen. - In dem aus ca. 70 Versen bestehenden ,Pasquillus Germanicolatinus"(s. dazu Nr. 2978, Anm. 87) sind die Protestanten im Allgemeinen, nicht aber die Konstanzer im Besonderen in Frage gestellt. Das Gleiche gilt für die etwa 1'000 Verse umfassende Schrift De bello Germanico Liber (VD16 Pli 10f) des Johannes Pedioneus, die Ende Juli oder Anfang August in Ingolstadt erschienen war (die darin an Johann Jakob Fugger gerichtete Widmungsvorrede datiert vom 27. Juli 1547).
30 Ps 79 (Vuig. 78), 4.
31 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers, dem die zwei hier unten angeführten Dokumente beigelegt waren, und der vermutlich nach Bullingers Brief Nr. 3019 vom 22. September (den Blarer bereits erhalten hatte; s. oben Z. 29) und kurz vor dem vorliegenden Brief verfasst worden sein wird.
32 Aus Nr. 3029,2-4 (Georg Frölich), Nr. 3031,1-8 (Blarer), und Nr. 3058,[i] (Vadian), geht deutlich hervor, dass Bullinger Verfasser der Abhandlung war. Einen entsprechenden Druck aus den Jahren 1547 oder 1548 gibt es aber nicht. Somit
wird es sich um eine handschriftliche Abhandlung gehandelt haben. Die "Brevis institutio" von Januar 1547 kommt hier nicht infrage, da Bullinger sie bereits zur Begutachtung an Blarer und Vadian gesandt hatte; s. die in HBBW XIX 477 angeführten Stellen. Aus den drei oben erwähnten Briefen, in denen deren Verfasser sich zur "Apologia" äußern, wird deutlich, dass diese den Gläubigen half, keinen Anstoß am Erfolg des Feindes zu nehmen (so Frölich), dass sie für ein breites Publikum zugänglich war und wichtige Themen ansprach (so Vadian). dass sie die Wichtigkeit der Bibel und der alten christlichen Geschichtsbücher hervorhob, zumal diese sich eignen, den in den letzten Zeiten lebenden Gotteskindern Mut und Ausdauer einzuflößen (so Blarer). Demzufolge ist hier nicht von der auf Deutsch verfassten Abhandlung die Rede, die Bullinger anlässlich des Besuchs von Georg von Württemberg in Zürich über die Frage, ob Judas beim ersten Abendmahl des Leibes und Blutes Christi teilhaftig wurde oder nicht (s. dazu Nr. 3048, Anm. 13), verfasst hatte, sondern von der Schrift "Contra scandala ex bello nuper in Germania ab Evangelico foedere infeliciter gesto oborta apologia" (Zürich ZB, Ms F 95, 182-195), über die man durch eine auf ihrer Titelseite angebrachten Angabe erfährt, dass


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potero. Ego Vadiano nostro lecta mox, ut petis, misero. 34 Quodsi vel mihi vel cuiquam ex nostris interpretatio quaepiam visionis illius revelata fuerit, haud te celabo. Utinam boni aliquid ista nobis portendant! Ora pro nobis.

Scribendum nunc Augustam et Isnam est, 35 ut nihil praeterea addere iis possim.

29. septembris 1547.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse auf der Rückseite:] Praestantissimo pietate doctrinaque viro d. Heinricho Bullingero, Tigurinorum episcopo syncaerissimo, domino et fratri suo colendissimo.