Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[283]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
7. November 1533

Autograph: Zürich StA, E II 343, 22. Siegelspur. -Ungedruckt

Berichtet über die noch nicht beigelegten Unruhen in Solothurn. Bern hat Zürich im Hinblick auf einen drohenden Durchzug von katholischen Hilfstruppen durch bernisches Gebiet um treues Aufsehen gemahnt, aber eine abschlägige Antwort erhalten. Haller bittet Bullinger nachzuforschen, was Bern von Zürich erwarten kann.

S. Günstiger geliepter bruder.

Wisß, daß die zwytracht ze Soloturn 1 noch nitt zertragen 2 , aller eidgnossen botten sich träffelich darinn bemüyent, unser herren 6 der räten, 4 der burgeren da habend. Und ist das der anfang der sach, als ich hab hören sagen: By dryen jaren, als ich ze Soloturn prediget 3 , ward ouch ein uffrur liederligh 4 . Ist durch Friburg, Basel, Biel und Bern vertädinget 5 , und brieff und sigel uffgericht 6 , wie sich beed partyen gegenenandren halten söllend, da sich unser teil hoch beclagt, inen nie kein stund gehalten sin, sunder darvon je lenger je meer getrengt, ja ouch in der statt inen kein platz gotts wort vergünnen ze hören, demnach understanden uff der lantschafft, da ob 30 pfarren unser religion angenummen 7 , sy mitt meeren 8 und practicieren 9 abfellig ze machen. Je in kurtz verrückten 10 tagen ist ein falscher evangelischer pfaff 11 widerum zur mess gfallen, darab unser part ein grosß missfallen. Indem hett sich zutragen,

1 Siehe Haefliger 166-199 und unten Nr. 285. 286. 288.
2 geschlichtet, beigelegt (SI XIV 563f).
3 Haller war Mitte Januar 1530 auf Wunsch der Reformierten vom Solothurner Rat als zeitweiliger zweiter Prädikant berufen worden (s. ASchweizerRef II 1060) und hatte von Bern für einen Monat Urlaub erhalten (s. ABernerRef 2698). Er wirkte vom 24. Januar bis 15. Februar 1530 in Solothurn (s. ASchweizerRef II 1075 a.; Z X 452, 2 und Anm. 8).
4 Zu den Unruhen von Anfang Februar 1530 s. Haefliger 49-54.
5 geschlichtet (SI XII 451).
6 Der mit Hilfe der genannten Orte ausgehandelte Vertrag vom 11. Februar 1530, s. Haefliger 54.
7 1532 standen den 15 katholischen 32 reformierte
Gemeinden gegenüber, s. Haefliger 134f.
8 abstimmen (SI IV 371-373). -Die Entscheidung für oder gegen die Reformation wurde vom Solothurner Rat den einzelnen Landgemeinden überlassen, die darüber abzustimmen hatten. Die Minderheit wurde nicht gezwungen, am Gottesdienst der Mehrheit teilzunehmen, durfte jedoch keinen Pfarrer anstellen. Zu den Verhältnissen in den einzelnen Gemeinden s. Haefliger 128-134.
9 intrigieren (SI V S74).
10 vergangenen (SI VI 856).
11 Möglicherweise ist Ulrich Stampfler, Prädikant von Kienberg, gemeint, der 1533 eine andere Gemeinde übernahm und wieder katholisch wurde, s. Haefliger 133f und EA IV/1c 187.


Briefe_Vol_03_0225arpa

daß 2 evangelisch puren eim messpfaffen zins bracht, der die puren nitt kent, sunder vor inen usßgelassen, ee dry tag ein end habind, werde man wunder sähen in Soloturn, und werde der lutersch glob ein end han 12 . Dess söllind unser part von den 2 puren gewarnet sin und sich übel besorget vor gwalt und desshalb 30. octobris umm das ein imm tag zemmen glüffen, das büchsenhuß ingenommen 13 , pontificii aber och zum teil gegen inen gstanden, zum teil mitt büchsen in die hüser sich gelegret und alsbald, daß ich nitt reed 14 zu inen zilen, habend ouch wellen das thur [!]15 gegen ir lantschafft im Göw 16 und den kilchhoff S. Ursen wellen innämen, bsorgen, syind irs anschlags verraten worden. Indem hett sich der schultheiß 17 in der statt, Brosi von S. Gallen 18 und ander darzwischet gelegt und ir beger, das nütt anders was, dann daß man brieff und sigel an inen hielti, verhört 19 und uff morgen for grossem und kleinem ratt bescheid entpfahen geheissen. Also sind sy mitt enandren, iren bi hundert wol gerüst, über die brugg in die forstatt zogen, die brugg abgworffen. Als bald unser buren 20 , ire nachburen, das vernommen, sind sy inen zu glüffen mit grossen huffen. Also sind unser herren 21 dess verstendiget, ir bottschafft gschickt, die sy nitt habend wellen lassen darzwischen reden, si mantind dann die iren ab. Das ist nun bschähen 22 . Indem habend pontificii unser herren gmant binn pündten und burkrechten, daß sy inen wellind helfen, die meineidigen verräter straffen. Was inen ze antwurt worden sy, weiß ich nitt. Indem hand wir vil warnungen enpfangen, wer inen 23 ze hilff kummen und durch unser biett zihen welle; sind wir verursachet, üch und ander ze ermanen, ein trüw uffsähen uff uns ze haben 24 . Da ist uns ein so gar spöttlich und schimpflich antwurt gschriben 25 von üch, daß unß übel beduret. Mögend nitt wissen noch erdenken, uss was grund das bschähe, ob wir uns aller dingen nütt zu üch dörffind versähen 26 , wäder hilff, rätt noch trost, oder wie es stande. Ist min ernschnlich bitt, wellist dich doch an vertrüwten erkunden, wie es doch stande, dann wir unß noch aller dingen nütt partyet hend, helfend
12 Über diese Drohrede berichtete der Solothurner Seckelmeister Urs Stark am 1. November dem Berner Rat, s. EA IV/1c 181.
13 Die Reformierten hatten tatsächlich im Sinn, das Zeughaus zu besetzen, konnten den Plan wegen der schnell organisierten Gegenwehr der Katholiken aber nicht ausführen, s. Haefliger 177. 187f.
14 wohl im Sinn von: was ich nicht sage, behaupte (also bloß vermute).
15 Tor; gemeint ist das Basel- oder Eichtor im Osten der Stadt Solothurn.
16 Buchsgau; die zwischen Jurafuß und Aare gelegene, von Olten (Kt. Solothurn) bis Oberbipp (Kt. Bern) reichende Landschaft.
17 Niklaus Wengi, um 1485-1549, Weinschenk und Handelsmann, der als einer der reichsten Bürger Solothurns galt. Seit 1525 vertrat er seine Vaterstadt oft an den eidgenössischen Tagsatzungen. 1530 wurde er Seckelmeister, 1531 Venner und 1532 Schultheiß, welches Amt er bis zu seinem Tod bekleidete. Wengi war ein entschiedener Anhänger des katholischen Glaubens, betrieb aber immer eine vermittelnde Politik. -Lit.: Haefliger
177-186; Hans Sigrist, Niklaus Wengi der Jüngere, in: Jahrbuch für solothurnische Geschichte 53, 1980, S. 63-70; HBLS VII 481.
18 Ambrosius Eigen (Aigen), gest. 1534/35, Söldnerhauptmann aus St. Gallen, war seit 1524 Agent Frankreichs bei der Gesandtschaft in Solothurn. Als solcher war er 1531 an der Ausfertigung des Zweiten Landfriedens zwischen den V Orten und Bern beteiligt (s. EA IV/1b 1572). - Lit.: Vadian BW, Reg.; HBLS III 7.
19 angehört (SI II 1574).
20 die bernischen Bauern aus dem benachbarten Wangen und Landshut, s. Haefliger 193.
21 der Rat von Bern.
22 Siehe Haefliger 193.
23 den Solothurner Katholiken.
24 bei der Wahrung der gegenseitigen Interessen Hilfe zu leisten; zum staatsrechtlichen Terminus s. SI VII 550f.
25 Zu Berns Gesuch um Hilfe und der abschlägigen Antwort der Zürcher s. EA IV/1c 207.
26 ob wir nichts von euch erwarten dürfen (SI VII 566f).


Briefe_Vol_03_0226arpa

zu friden 27 , wie wir mögend 28 , doch daß der gottes wort nitt nachteilig sy, dann, als ich hör, unser botten nitt wyteren empfäl 29 hend. Wo aber über ein das nitt sin möcht und Antronii 30 understündind, adversis durch unser biett zuzezihen, wurd uns gantz und gar ungelägen sin, ouch semlichs nitt vertragen 31 , sunder weren, wie man möchte. Hie wil uns dran gelägen sin, dann vil geredt, vil warnungen kummen, wo ir weltind still sitzen, schid lüt darzwischend schicken, oder als bald wir enanders besorgen 32 . Wellist doch mich umm der eer unsers gottes willen uß dinen vertrüwten berichten, wess sich doch ze verhoffen sy zu üch. Ich weiß nitt, acht aber, doch von niemant bricht 33 , nostros 34 werdi man nitt lichtlich lassen zgrund gon, jedoch kein krieg anfahen. Wo aber er mitt uns angfangen wurde, werdent wir thun, wie unß dann gott das git. Man faht erst an articulieren 35 . Pontificii Salodorensium habend alle die iren, die sy uff dem land mögend ankommen 36 , dahin bracht, das sy zu der paner gschworen 37 , was je das meer ist, dem gehorsamen, alle alte mandat und bott hin und ab sin 38 . Si hend ouch von den evangelischen part (deren by 800 ze Wangen 39 und Wiettlispach 40 ligend, dann sy inn der vorstatt nitt sicher 41 )8 man 42 haruss gefordret, die wellend sy amm läben straffen 43 . Die übrigen söllend sich uff gnad und ungnad uffgen. Under den acht mannen sind das die fürnempsten: Hans Hugi fenner, Urs Starch alt seckelmeister, Hans Heinrich 44 Meister Lewen 45 fründ, zwen brüder, heissen Roggenbach 46 . Ich acht, wenn sy hantfest 47 blibend, werde alle sach
27 Frieden zu stiften (SI I 1283).
28 können.
29 Auftrag (SI I 798).
30 die Katholiken, s. HBBW II 88, Anm. 3.
31 dulden (SI XIV 530f).
32 oder wir vielleicht sogar (SI IV 1196) etwas anderes (Schlimmeres) befürchten (müssen).
33 doch bin ich von niemandem informiert.
34 Gemeint sind die Anhänger der Reformation in Solothurn.
35 wohl: Artikel, d. h. Bestimmungen, Bedingungen machen (vgl. SI I 479).
36 angehen (SI III 273).
37 den Fahneneid ablegten.
38 dem, was immer mit Mehrheit beschlossen wird, gehorsam zu sein (SI II 1570), (dafür sollen) alle alten Mandate und Verbote (SI IV 1897) aufgehoben sein.
39 Wangen an der Aare (Kt. Bern).
40 das Wangen gegenüberliegende ebenfalls bernische Wiedlisbach.
41 Die Reformierten hatten die Solothurner Vorstadt in der Nacht vom 2. auf den 3. November überraschend verlassen und sich auf bernisches Gebiet in Sicherheit gebracht, s. Haefliger 197.
42 Außer den fünf in Z. 55-57 namentlich Aufgeführten gehörten zu den acht Männern, die man als die Anführer des Aufstandes ansah, noch Urs Dürr, Heinrich von Arx und Hans Hubler (s. EA IV/1c 184).
43 Die Solothurner Räte hatten allerdings lediglich erklärt, sie wollten mit jenen acht weder unterhandeln noch unterhandeln lassen, s. EA IV/1c 184.
44 Hans Heinrich Winkeli, gest. 1547, zeichnete sich in der Schlacht bei Dornach am 22. Juli 1499 aus und nahm an den meisten Feldzügen in Italien teil. 1509-1512 und 1518-1521 war er Vogt in Dornach, 1513 kämpfte er als Hauptmann der Solothurner in der Schlacht von Novara. 1529 wurde er eidgenössischer Vogt in Lugano. Nach seiner Vertreibung aus Solothurn 1533 hielt er sich kurze Zeit in Bern auf (s. unten S. 276, 53-56) und ließ sich dann in Basel nieder. Myconius teilt Bullinger den Tod Winkelis in einem Brief vom 27. Oktober 1547 mit (Zürich StA, E II 336, 279). Mit Leo Jud war Winkeli durch dessen Mutter, eine gebürtige Solothurnerin, entfernt verwandt (s. Pestalozzi, Jud 1). Auch zu Bullinger bestanden offenbar Kontakte, wenn auch keine Briefe erhalten sind. 1537 widmete ihm Bullinger die in Basel gedruckte Schrift «Der alte Glaube» (HBBibl I 99). - Lit.: Pestalozzi 302; Z X 105, Anm. 6; Haefliger 144f. 196; HBLS VII 550.
45 Leo Jud.
46 Hans und Rudolf Roggenbach, beide Mitglieder der Solothurner Schiffleutezunft, gehörten zum extremen Flügel der Reformierten. Hans war seit 1517 Mitglied des Großen Rates. Als nach 1533 die langwierigen Verhandlungen der Obrigkeit mit den Brüdern erfolglos blieben, schickten diese zusammen mit weiteren Gesinnungsgenossen am 3. August 1535 Solothurn einen Absagebrief, worauf sie von der Regierung verbannt wurden. Unter der Führung der beiden Roggenbach


Briefe_Vol_03_0227arpa

ze gutem kummen, wo nitt, wirt großen jomer, eilend, ergernusß anstösß, und sind wir ummgäben. Nun lasß nitt und schrib eigentlich 48 . Quod facio non ex me ut antea.

Hiemitt vale.

7. novembris anno 33.

Schrib mir aller dingen antwurt by disem botten 49 . Er ist vertrüwt 50 .

Tuus B. H.

[Adresse auf der Rückseite:] An Heinrich Bulli, minen lieben gfatter.