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[BULLINGER AN
BARBARA MAY ]
[1528, 1529]
Autographe Abschrift oder Konzept: Zürich ZB, Msc F 47, 270r. —271r.
3 fol. S., sehr gut erhalten
UngedrucktBeantwortet ihren ratsuchenden Brief und bestärkt sie in ihrem Entschluß, nicht mehr ins Kloster
zurückzukehren: das Nonnenleben sei nicht Gottes Wille, sondern nur menschliche Erfindung. Übersendet
das Lobgedicht eines Zürchers auf die Stadt Bern und bittet um eine Schrift von Niklaus Manuel, tröstet
sie und ihre Familie wegen des Unglücks ihres Bruders.
Jesus Christus, gottes und a Mariae son verliche 3 üch sinen göttlichen geist,
daß ir inn 4 alein erckennind das einig oberist gut 5 sin damitt ir in einem guten
glückseligen jar gantz selencklich 7 läbind. Amen.
Üwer letst warlich wyses, früntlichs und mir gantz anmütig 8 schryben 9 hat
mich, geliepten und dugentrychen 10 wolgebor[en] frowen, uß der massen 11 wol
gefröuwt, und so vil me, so vil geneigter ich üch mir alle zyt befind 12 . Ouch von
üweren getrüwen brüderen 13 hör b , daß sy üch wol bedenckend 14 und es üch uß der
maassen wol gadt. Das kan mich warlich nitt gnug und one end fröwen, besonders
daß ir das kloster verlassen habend 15 . Daran söllend ir gantz ghein rüwen 16
haben, ist min ernstliche pitt, ja vil me gott dancken, daß er üch erlöst hat. Hie
gedenckend jetzund der trostlichen worten Christi unsers heylands und siner
apostlen. Christus spricht Mathaei 15 [9]: «Vergäbens eerend sy mich mitt menschen
satzungen 17 .» Nun ist das gwüß, daß üwer klosterläben und üwer orden ein
menschen satzung ist. Dann Dominicus 18 ist wol vor 400 jaren xin 19 , und hat man
darvor von Christus purt 20 tusendt jar von keinem sölichen orden gewüst, ja
üwer statt Bernn ist ettwas elter dann üwer orden 21 . Dorumb üch nüt rüwen sol an
dem stand, der so nüw ist von menschen angerycht 22 , usset 23 gottes wort, und in
dem ir gott nüt gedienet hettind, lut 24 siner worten. Imm Evangelio Luce am
17 [20f] spricht der herr abermols, das rych gottes stande nitt in 25 usseren
dingen. Also Paulus zuon Römeren am 14 [17]: das rych gottes sye «fryd, fröud
und grechtigheit imm heyligen geist». So ists ye nitt kutten, orden, sibenzyt 26
oder derley münchenthumbs 27 . Aber 28 spricht er Ioan. am 8 [12]: «Ich bin das
liecht der wellt. Wer mir volgen wirt nitt in der finsternuß wandlen.» Item der
vatter züget 29 vom himel 30 Mathaei 17 [5]: «Das ist min lieber son, imm 31
loosend 32 »; und Paulus Colloss. 2 [3]: «In imm sind alle schetz der wysheyt»;
und 1. Cor. 1 [30]: «Christus ist uns von gott zur wysheyt gäben»; item
Mathaei 23 [10]: Christus ist unser einiger 33 meister. So dem nun also ist und
Christus die einig wysheit ist, das einig liecht, der recht meister, der die seeligheit
alein gipt und weist
34 worumb ers gibt, hette er doch billich
35 der örden gedacht
36 , wo sy not
37 werend zum heyl. Er hat iren aber nienen
38 gedacht, wie die
heyligen gschrifft züget, die doch alles verfasset
39 , das notwendig zum heyl ist:
loan. 20 [31]; 2. Timo. 3 [14ff]. So ist ouch das klosterläben nitt not zum heyl,
zuo dem daß es, wie obgemellt
40 , dusent 41 jar nach Christus purt erst uffgrycht
ist. Dorumb habend ghein duren
43 dran, fröwend üch üwer christenlichen
fryheyt, und daß Paulus spricht 1. Cor. 3 [21]: «Alle ding sind üwer», verstadt
ussere libliche ding, menschen uffsetz 44. Item 1. Cor 7 [23]: «Ir sind thür
erckoufft, werdent nitt der menschen knecht.» Lieber läsend ouch das ander
45
capittel zun Collosseren [2,8ff] und das 4. cap. der Ersten c epistel Pauli zum
Timotheo [1 Tim 4,1 ff]. Imm 5. cap. wil er schlechts
46 nitt, daß man junge
frowen in glübd uffnemme der reinigheit
47 ; sy söllind fromm sin, kinder zühen
48 , huß hallten und nitt fuulen
49 under einem valschen schyn deß geists
50 .
Läsend die ding eigentlich
51 mitt urteyl, so erfindent ir, daß das warlich nitt ein
gotsdienst ist, damitt man bishar umbgangen ist, sunder das, deß man wenig ||270v.
geachtet hat: glouben, liebe, unschuld, dugend, sorgsamme
52 , hushaben
53 , barmhertzigheyt,
dultmut
54 , frid, kinder zühen, von sünden ston
55 , das recht
56 annemmen,
lutergheyt
57 , warheyt. Wie aber die ding in klösteren geballten, ist
darby
58 schyn
59 , daß man die gantzen summ
60 nun gebunden hat an götzenwerck,
messen, schryen oder singen unverstandne ding, wachen, brummlen, spysen, kleider
etc., alles ussere ding, deren doch die seel nitt besonderbars erfröwt
61 ist,
noch gott vereeret, dann es was nitt sin gebott, noch der nechst erbesseret
62 ,
dann er sy
63 mee 64 engallt
65 mitt ggeben 66 und stüren
67 etc.
68 , ye daß üch an dem
verlassnen stand
69 nützid 70 duren
71 sol. Sinnend vil me jetzund, wie ir jetzund wellend
in gottes huld läben, all üweren trost, hertz, mut
72 und sinn in dem einigen
gott setzen, der alles erschaffen hat, der sinen son, unseren herren Jesum für unns
ggeben hat, der ouch üch mitt seel und lib 73 erschaffen hat; daß ir ja den selben
alein anrüffind, üch imm alein übergäbind und bittind mitt dem propheten David
imm 5. Psal. [9]: «O gott, leyt mich in diner grechtigheit, mach mir dine
wäg richtig
74 und lycht». Flissend üch
75 , daß ir niemands beleidigind, daß ir
yederman, so vil an üch stadt, guts thügind, das die armen üwer geniessind
76 , daß
ir üweren lib dem geist underthügind
77 und üwerem herren Jesu nachvolgind in
demut, güte, liebe, gedullt, verzyhung, reinigheyt, zucht und erbergheyt
78 : so
wirt alle hochfart, zorn, haß, uffsatz
79 raach und was unrecht ist, niergend 80 by
üch bliben. Habend ir die hoch gaab 81 von gott, so blibend also 82 gott stiff 83
und stät
84 mitt hertzlichem anbauten
85 : 1. Corinth. 7 [7f]; habend ir sy nitt, so
thünd das üch aber gott mitt sampt sinen apostlen heist Mathaei 19 [4ff],
1. d Corinth. 7 [1ff], 9 [5], 1.Timoth. 3 [1ff], 4 [3ff], 5 [9ff], Titum 2 [4],
Hebraeos 13 [4]. So ir dann also in gotsforcht läbind, so werdint ir gott vil baß
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gefallenn, dann hettind ir trissig wyler uff 87 ! Nemend min trost und instruction
imm besten an, dann ichs uß getruwem früntlichem gmüt gethon hab.
Hie antwurtend jetzund selbs, was ir thun wellind; ob ir das Wygerhuß 88
kouffen und ein Bernner werden wellind. Lügend
89 und verantwurtends wyslich.
Deß mechtigen uuszugs halb und erlicher 90 lüten ins feld verordnet sind wir
ouch sust berycht 91 worden, aber nitt so häll alls ir das gethon 92 . Loben
den allmechtigen gott, daß er die sinen nitt verlaast. Gloub ouch, er werde ein
eerliche, hochverrümpte 93 statt Bernn fürhin 94 erbauten (wo sy by imm bstond 95 ,
alls ich nitt zwyfflen)96 wie bishar, und sy mitt grossen eeren und gut begaaben
etc. Ich schicken üch hie ein lied, ist der statt Bernn ze lieb gemachet von dem
handel 97 ||271r. von einem Zurycher 98 , und bitten, ir wellind mir umb das helfen 99 ,
das Venner Walter 100 hiervon gemachet hat 101.
88f
Es ist ouch mir üwers bruders 102 faal von hertzen leyd. Imm und üch allen
widerfaart, das der prophet Salomon in Sprüchen am 3. cap. [12] spricht: «Wen
gott liebet, den heimsucht er zun zyten». So ist ouch sellten fröud one leyd 103 ;
beschicht von gott, daß wir sinen 104 nitt vergessind etc. Iren grutz ist mir
träffenlich e 105 angnäm, embüten inen ouch hiemitt minen willigen dienst, minen
früntlichen grutz und was ich inen liebs, eer und guts vermöchte 106 . Also ist ouch
min pitt, ir wellind mir frow Catherinen 107 , üwere schwester früntlichen grützen
etc.
Ich dancken ouch üwer müy 108 und arbeyt, besonders günstige 109 frow, daß
ir üch so vil habend bemüyen mögen und mir biß in die langen nacht schryben.
Kan wol verston, das ir vil mögend umb minet willen dulden, ouch mitt sömlichem
110 ein rechten gunst zuo mir tragend; derhalben ir mich allwägen alls ein
guten fründt finden werdent, also ouch, daß ich mich nitt bald 111 mitt gunst,
liebe und guthet 112 wirt überwinden"113 lassen"114 etc.
Das ir mir schrybind, der radt üch von mir ggeben sye trostlich und eerlich,
fröwt mich nitt ein wenig, dann ich üch gern das radten wellte, das üwer nutz,
fug 115 und eer. Wyters schrybens halben wundert mich alein; dann thund ir wie
ich, so schlahend ir vil an 116 in abwäsen 117 , die üch doch in bywäsen 118 vor f
fröüd und vile der hendlen g nitt mee zuo sinn kummend, zuo dem, das die
gschrifft wolbedacht, yffrig und wys ist. Daß ir ouch sprächind, ir wellend imm
nachsinnen, thund ir wyslich, dann man spricht: «Wol besinnen verhont 119 nie
ghein sach 120 .» Aber zum ersten thuon, und darnach radt suchen oder besinnen ist
ein dorheyt. Dorumb Salustius [!]sprach: «Ein yedes ding soll mitt ryffem radt
vorbetrachtet werden und, so es dann erraten 121 , sol es unverzogen dappfferlich
zehand genommen werden.» 122 Besähend ouch die welt nun wol; sy last sy anesähen
und doch nitt schnell erduren 123 . Alle wellt ist vallsches voll, dorumb
thund ir imm recht 124 und zum wysisten, daß ir üch imm end in gottes willen
ergäbend. Dann wer in gott vertruwt, wirt nitt ze schanden, spricht sin heyliger
prophet Isaias [49, 23].
Zum letsten ist min trungenliche 125 früntliche pitt, ir wellend min schryben
guoter meinung empfahen, dann, so es zuo dem üweren gelegt, ist es gar kleinfüg
126 . Gedenckend, daß man spricht, die lüt, so glich nitt wol reden könnind,
syend gar nitt ze betriegen geschickt h 127 , sunder die früntlichosten, alls die vil
hefftiger imm hertzen und der thaat syend dann die wort lutend 128 .
Hiemitt dancken ich üch aller eeren und alles guts, embüt 129 mich das ze
widergellten 130 , wie ich könde und mir müglich. Gott sye mitt üch.