Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[446]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
29. September 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 48 (Siegelspur) Ungedruckt

Obwohl krank, will er Bullingers drei Briefe beantworten. Die von Bullinger aus Bern erbetenen Schriftstücke zu den Ereignissen der letzten Jahre kann er wahrscheinlich nur teilweise beschaffen und abschreiben lassen, weil einige dem Zweiten Landfrieden gemäß den V Orten ausgehändigt werden mußten. Bern hat dem Herzog von Savoyen unter Berufung auf den Rechtsspruch von Payerne die Vermittlung der eidgenössischen Orte im Streit zwischen Savoyen und der Stadt Genf angeboten. Die unter sich uneinigen Genfer leben in Furcht vor den aus der Stadt exilierten «Banditen» und ihren bischöflich und savoyisch gesinnten Helfern. Eine Berner Truppe von 4000 Mann unter der Führung von Wolfgang von Wingarten und Peter Im Haag steht bereit; man hofft trotzdem auf eine friedliche Lösung. Die Entsendung einer Berner Botschaft nach Zürich als Annäherungsversuch zwischen den beiden Städten ist

8 eilends.
9 Ulrich, Herzog von Württemberg.
10 Unbekannt.
11 meint, vermutet (SI I 80).
12 Das Wortspiel «wildprät ... us prätt» ist nicht aufzuhellen.
13 seither, später (SI VII 1445).
14 wohl verschrieben für: prät (Wildbret).
15 Vermutlich ging es um wirtschaftliche Ansprüche der Frau von Hans Vogler; s. auch oben S. 305, 11-16.
16 welche Hilfe er erwarten darf.
171 Konstruktion unklar, Sinn vielleicht: Ich vertraue Peter Weber so gut wie mir selbst.
18 wenn es nach seinem Sinn ist (vgl. SI I 700).
19 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
20 Anna, geb. 1530, Margaretha, geb. 1531, Elisabeth, geb. 1532, und Heinrich, geb. 1534; s. Pestalozzi 314.
21 Unbekannt.


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nutzlos, weil es in Zürich keinen Heimlichen Rat mehr gibt. Die Gesandten von beiden Seiten verderben die Sache immer wieder. Johannes Haab soll sich vor den Abgeordneten katholischer Orte ungeschickt benommen haben. Haller bittet um die Zusendung von Bullingers Werk über die zwei Naturen Christi [die «Assertio utriusque in Christo naturae»].

S. Tametsi infirmitate mea premar, charissime Heinrice, nolui tamen hunc ad te vacuum redire nuncium 1 , quin ternis a literis 2 vel aliquid responderem.

Quae petis, ut transcribi curem 3 , sedulo id agam, modo sint prae manibus et mihi a secretario 4 communicari liceat. Apud Valerium 5 haec non sunt, quandoquidem nunc scribit, quae anno 19. acta sunt. quae in negocio Silvanorum 6 erant prae manibus, una cum literis commeatum negantibus 7 Bremgarti 5 Pagis - conditione pacis sic exigente - tradita sunt 8 , quorum copiam vix crediderim esse apud nos. Reliqua, si supersunt et mihi creduntur, habebis.

De Gebennensium negocio 9 sic se res habet: Pacem speramus. Pro pace impetranda emissi sunt legati ad Allobrogum ducem 10 ea conditione, ut si quae habeat adversus Gebennam b , eos conveniat apud Helvetiorum Pagos, qui Paterniaci 11 sententia lata prius bellum, e quo et hoc nascitur, composuerant

a vor ternis gestrichen tribus.
b In der Vorlage irrtümlich: Viennam (vgl. auch die Bemerkung Simlers, Zürich ZB, Ms S 36, Nr. 167).
1 Der Überbringer des Briefes ist nicht bekannt.
2 Die drei an Haller gerichteten Briefe Bullingers sind nicht erhalten.
3 Welche Schriftstücke Bullinger in Bern abschreiben lassen wollte, ist aus Hallers Antwort nur zum Teil ersichtlich. Zweifellos handelte es sich um Material zu seiner Reformationsgeschichte.
4 Gemeint ist sicherlich der Berner Stadtschreiber Peter Cyro.
5 Valerius Anshelm, der Berner Chronist.
6 Gemeint sind die Akten zum Unterwaldnerhandel von 1528, vgl. Hermann Specker, Die Reformationswirren im Berner Oberland 1528. Ihre Geschichte und ihre Folgen, Freiburg i. Ue. 1951. - ZSKG, Beiheft 9, S. 83-99; s. noch unten Anm. 8.
7 Gemeint ist die Proviantsperre, dazu s. Anm. 8.
8 Der Friedensschluß zwischen Bern und den V Orten erfolgte in Bremgarten am 24. November 1531; der Zweite Landfrieden verlangte die Aushändigung der «Burgrechtsbriefe» der reformierten Orte, der Urkunde des Ersten Landfriedens mit dem dazu gehörenden Beibrief (s. EA
IV/1b 1573, Art. IVa). Der Beibrief vom 24. September 1529 regelt u. a. tatsächlich die mögliche Verhängung einer Proviantsperre als Druckmittel gegen die V Orte (s. EA IV/1b 1483-1486); wahrscheinlich bezieht sich Hallers Angabe auf dieses Dokument, und nicht auf irgendwelche (unauffindbare) Schriften zur Proviantsperre von 1531 im Vorfeld des Zweiten Kappelerkrieges. Bern wurde außerdem verpflichtet, alle auf den Unterwaldnerhandel von 1528 bezügliche Briefe und Abschiede den Schiedleuten zur Vernichtung auszuliefern (s. EA IV/1b 1574, Art. VIII; Specker, aaO, S. 99; Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 225).
9 Zur Lage der von Savoyen bedrängten Stadt Genf Ende September 1534 s. EA IV/IC 385-388. 393-395. 397-401; Gautier II 423-427.
10 Zwischen ca. 20. September und 11. Oktober 1534 wurden von Bern Botschaften nach Moudon, Genf, Chambéry und Turin gesandt. Die Abgeordneten waren: Hans Franz Nägeli, Michael Ougspurger, Hans Rudolf von Graffenried, Hans Rudolf von Erlach und Wilhelm Runsi. Den Inhalt der Botschaft an Herzog Karl III. von Savoyen und der nachfolgenden Verhandlungen in Turin gibt Haller ziemlich genau wieder, s. EA IV/IC 398-401.
11 Payerne (Kt. Waadt).


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. Interim Bernates curaturos, ut Gebennenses obediant. Arx quaedam 13 12 est non longe a Vienna 14 , quam incolunt exules, panditen, cum episcopi familia et aliquis ducis 15 nebulonibus. Hi invadunt quosque urbem exeuntes, at quod exercitus quidam sit prae manibus, nusquam auditur. Die Jenfer förchtend inen sust so übel; si sind treffelich in der statt zerteilt 16 . Vix tertia pars verbum domini amplectitur. Reliqui pontificii sunt et regulo Sabaudiae 17 addicti, id quod apud nos invenies saffoysch und jenfisch. Delectus factus est: 4 tusent fußknecht mitt eim fenli 18 , hoptman der von Wingarten, lütiner 19 der Imm Hag. Interim legati circumequitant totum agrum 20 et negocia illa iis exponunt 21 , ne putent magistratum temere omnia agere et plus aequo propensum ad bellandum. In summa: In zehen tagen ist keins kriegs nie dacht. Wir wartend, wenn die botten usß Pemund 22 vom hertzogen kummind.

Quod scribis de ineunda civitatis utriusque amicicia 23 deque legatis ad vos mittendis: Es ist vergäbens; ir habind kein heimlichen ratt 24 , mitt dem man sich könde beraten, wie die sach anzegriffen wäre. So verderbend üwer und unser botten vil ze tagen, das wäger 25 wär erspart. Habius 26 male se habuit, und wäre ein kleins gsin, als ich hör sagen, wenn er sich nitt von dem botten

12 Im «Rechtsspruch von Peterlingen» (Payerne) vom 31. Dezember 1531 wurde der Streit zwischen dem Herzog und Genf vorläufig geschlichtet. Die Artikel betrafen: «I. den Vicedominat (Vidomat) zu Genf; II. Das Wappen des Herzogs, das die Genfer an dem Schloß der Insel abgethan haben; III. Das Burgrecht der Städte Bern und Freiburg mit Genf; IV. Die mit dem Kriege aufgelaufenen Kosten; V. Die aus Genf vertriebenen Burger» (EA IV/1b 1517; Volltext 1516-1562). Das Ergebnis: Die Genfer erhielten zwar in einigen Punkten (Vidomnat etc.) keine Genugtuung, der Herzog mußte jedoch 21000 Dukaten (&us) als Kriegsentschädigung bezahlen, s. Naef, Genève II 264.
13 Schloß Peney (Kt. Genf).
14 Vienne (vgl. auch oben Anm. b).
15 des Herzogs von Savoyen.
16 uneinig, in Parteien gespalten (SI XII 1613).
17 Herzog Karl III. von Savoyen.
18 Fahne (SI I 828).
19 Leutnant.
20 das Gebiet Berns.
21 Wegen der ernsten politischen Lage wurde am 15. September 1534 in Bern
beschlossen: «In Stadt und Land sollen Gemeinden gehalten werden» (EA IV/IC 398).
22 Piemont (SI IV 1253).
23 Zu Bullingers Bemühungen um eine Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Bern und Zürich vgl. Rudolf, Aussöhnungsversuch 508-521.
24 Zur Abschaffung der «Heimlichen» in Zürich nach 1531 s. Kurt Maeder, Die Unruhe der Zürcher Landschaft nach Kappel (1531/32) oder: Aspekte einer Herrschaftskrise, in: Zwa XIV/2-3, 1974/1975, S. 128. 131; Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 273f.
25 besser (Grimm XIII 481).
26 Johannes Haab, der zusammen mit Heinrich Rahn bei der Verhandlung der Delegation der sechs Schiedorte mit dem Berner Rat am 14. September 1534 Zürich vertrat (s. EA IV/IC 391). Die in der Vorlage erwähnte Begebenheit ereignete sich zweifellos an dieser Tagung; an der Eidgenössischen Tagsatzung vom 29. September 1534, wo die Vertreter der sechs Schiedorte zum ersten Mal wieder gemeinsam in Erscheinung traten, war Haab gar nicht anwesend (s. EA IV/IC 403).


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von Friburg 27 , vogt Bschiesser 28 von Glarus und Isenhutt 29 von Appenzell desß entschlossen 30 . Ich mag nimmen schriben. Lieber, schick mir De duplici natura 31 , sobald müglich.

Vale.

Ipsa Michaelis anno 34.

Tuus Berch. H.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, ecclesiastae Tigurino, fratri suo charissimo.