Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[453]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Tübingen,
6. Oktober 1534

Autograph: Zürich StA, E II 343, 36r.-v. und 31a-c v. (Siegelspur) Gedruckt: Blarer BW I 563-566

Ist befremdet über die Lüge, er habe seine bisherige Abendmahlslehre in der [Württemberger]Konkordie mit Schnepf widerrufen. [Herzog Ulrich]gebot beiden, nicht zu behaupten, der andere habe seine frühere Auffassung aufgegeben. Viele Pfarrer sind mit der Konkordie zufrieden. Blarer und die Seinen lehrten entgegen anderer Behauptung immer: Wein und Brot sind nicht nur Zeichen; Christi Leib und Blut sind im Abendmahl wahrlich gegenwärtig. Dies stimmt mit dem Augsburgischen Bekenntnis überein, auf welches die Württemberger Pfarrer verpflichtet werden. Bibelstellen gegen Feinde und Gottlose. [Drei Beilagen mit] einer Einfügung, einem Titelvorschlag samt Begründung, falls Bullinger Blarers Erklärung in Form eines Sendbriefes veröffentlichen will, sowie einer Verbesserung. Johannes Wagner ist Briefbote. [Georg]Distel kehrt zurück.

a Von späterer Hand zugefügt: 1534.
b-e Rest beim Öffnen des Briefes abgerissen.
Frecht, Matthias Limberger, Wolfgang Musculus, Karlstadt und die Schweizer) klagten darüber, nahmen ihn in Schutz oder tadelten ihn, mahnten zur Standhaftigkeit und drängten ihn zu Gegenmaßnahmen (s. Blarer BW I 517-521. 523-526. 531. 537-540. 543f. 548. 552. 555-559. 566-579. 583-585. 590-592; Max Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipp's des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, erster Theil, Leipzig 1880. - Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven V, S. 42f; PC II 222; oben S. 306-308, 3-42. 318, 5-7. 323, 9-11. 328f, 2-5. 338, 2-19. 339, 2-5 und unten 355, 11). Vgl. auch Köhler, ZL II 339-346. 350f; Brecht, Blarer in Schwaben 157f; Held 160-162.
22 Ähnlich begründete Blarer seinen Verzicht auf eine Verteidigungsschrift gegenüber seinem Bruder Thomas am [ca. 20.] und 22. September (Blarer BW I 547f); doch hat sich Blarer noch am selben oder folgenden Tag anders besonnen (s. unten Nr. 453).
23 Leo Jud mißbilligte am 3. und 15. September 1534 in Briefen an Blarer die Württemberger Konkordie, s. Blarer BW I 539f. 542f.
24 Wohl im zweiten der beiden nicht mehr erhaltenen Briefe, s. Anm. 13 und 1.
25 Theodor Bibliander.
1 Diese Erklärung richtet sich ebenso sehr an Leo Jud, auf dessen Briefe vom 3. und


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Meines widerruffs 2 halber, so ich im articul das nachtmal Christi betreffend thon soll haben, betrömbdt mich zum hochsten, wer doch söliche unverschampte lüge anfangs auffgeblaasen 3 und erdicht 4 hab, dann das allain der laidig 5 satan, so ein lugner und von anfang in der warhait nitt gestanden 6 , zu nachtail der warhait durch seine botten 7 , deren er allenthalb vyl hat, sölichs ausspeyet, welchs in doch, ob gott will 8 , nichts helffen soll a . Ich hab in der vergleichung 9 mitt meinem lieben herren unnd mittbruder Maister Erhart Schnepfen in diser sach ain ainig 10 wort weyter nitt nachgeben, dann wie ich bysanher 11 hierinn zu Costentz und in andern schwebischen stetten offt und vyl gelehrt hab 12 , mich ouch damals vor angeregtem 13 Schnepfen und dem fursten 14 selbs bezügt, das ich durch söliche concordi mein vorig 15 mainung und lehr gar kains wegs welte begeben haben. So hat auch der christlich, thür fürst selbs gewelt, ouch unß baiden mundtlich bevolchen, das unser kainer von dem andern ausgeben 16 sölle, das er von seiner vor gehaltnen 17 mainung gefallen seye, sonder das wir unß auff ain weg und maaß, unß zu baiden thailen leydig 18 , vergleicht haben. Zu dem so seind ye all fürnem und namhafft diener des wort gottes diser concordi und vergleichung halber wol mitt mir zufriden, wie ich dann ir freuntlich, brüderlich zuschreiben 19 desshalb bey handen hab. Es hellt sich ye nitt allso, wie b viel leut 20 wähnen 21 wellen c, das sy 22 oder ich unsere kirchen gelehrt haben, im gnadreychen nachtmal Christi nichts dann weyn unnd brot sein und geben werden, oder das die hochwirdigen sacrament allain des abwesenden Christi zaichen seyen; dann was sollt diß die glöbigen nützen? Sonder ist allweg

a Nach soll bezeichnet ein Stern [*], daß die in der ersten Beilage gegebene Ergänzung hier eingefügt werden soll.
b-c am Rande nachgetragen.
15. September (Blarer BW I 539f. 542f) sie antwortet und der sich am 25. Oktober (ebenda 590f) befriedigt zeigte, und an Konrad Pellikan, der am 27. Oktober (ebenda 592) Blarers Vorgehen billigte, wie an Bullinger, von dem die hierzu gehörigen Briefe nicht mehr erhalten sind (vgl. oben S. 340f, Anm. 2 und 13) und der Blarers Rechtfertigung guthieß (vgl. oben S. 339, 2-4 und S. 343, 48-50 sowie Köhler, ZL II 345).
2 Vgl. oben S. 342f, Anm. 21.
3 aufgebracht (SI V 144f; Grimm I 624).
4 erfunden, erlogen (SI XII 391-393).
5 widerwärtige (SI III 1086).
6 Joh 8, 44.
7 Vgl. Spr 13, 17.
8 Jak 4, 15.
9 Die Württemberger Konkordie vom 2. August 1534, s. oben S. 279, Anm. 47.
10 einziges (SI I 279).
11 bis jetzt.
12 Die Begriffe «essentialiter et substantive» der Marburger Formel 1529 und Württemberger Konkordie 1534 (oben S. 292, 4f) hat Blarer früher nicht verwendet, s. Köhler, ZL II 345.
13 erwähntem (SI VI 733).
14 Herzog Ulrich von Württemberg.
15 frühere (Grimm XII/II 1214-1218).
16 behaupten (SI II 85).
17 früher festgehaltenen, beachteten (Grimm XII/II 806f. IV/II 293f; SI II 1224f).
18 annehmbar (vgl. SI III 1093).
19 Blarer denkt wohl an die Briefe von Jakob Otter (6. August und 14. September, Blarer BW I 519f. 542), Wolfgang Musculus (17. August, ebenda 523-526), Bucer (um 20. August, Anhang, ebenda 527) und Martin Frecht (27. August und 27. September, ebenda 531f. 552). Andere nahmen Blarer Dritten gegenüber in Schutz, s. Köhler, ZL II 342f.
20 Gemeint sind wohl Lutheraner.
21 vermuten, zu Unrecht annehmen (Grimm XIII 650-664).
22 Die mit Blarer Übereinstimmenden, s. Anm. 19.


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mitt ernst und allen truwen von unß d fürgeben e 23 , das der war leyb und das war blut Christi in seinem nachtmal warlich gegenwirtig seye und geraicht werde 24 , wie dann ouch die sachsisch bekandtnuss 25 , auff nechst 26 gehaltnem reychstag zu Augspurg kai[serlicher]m[ajesta]t übergeben 27 , ainfaltigklich fürgibt, welch bekantnuss in disem articul 28 auch gemeldter unser gnediger fürst und herr unß baiden bevolchen hat 29 , den pfarrhern, so in seiner f[urstlichen]g[naden] furstenthumb auffzusetzen 30 oder von den vorauffgesetzten belyben 31 seind, fürzegehen 32 , ouch f inen bevelchen, ire kirchen dergestallt ze lehren g , mitt ernstlichem eynbinden 33 , das yeder h den andern dabey beleyben und weyter onersucht 34 lassen, auch alles schmechen 35 oder schmützen 36 desshalb solle underlassen belyben. ||36v. Ja eben sölich gantz christlich des fromenn fursten vorhaben und handlung tut dem tufel zorn 37 , das er sich gedenckt in ander weg ze rechen. Noch wurt inn der herr in kurtz under unser füss zertretten 38 . Darum lasst die weht die weht sein 39 und nach ir art handlen. «Der yn unß ist grosser dann der in der weht» [1 Joh 4, 4]. Unser widerwertig 40 pflegen allweg etwas auffzupringen, damitt si sich in dem abfal irs reychs, welchs inn teglich under den henden verschwyndt 41 , trösten und inen selbs etwas labung und fröd machend. Aber, wie geschriben ist: «Der rum der gottlosen bestaat nitt lang, und die fröd des gleisners 42 weret ain ougenplick» [Hi 20, 5]. Der trüw gott und vatter im himel hailge und erhalt unß durch die warhait seines krefftigen und ewig bestendigen worts byß in das ewig leben 43 . Amen.

Datum zu Tubingen auff den 6. tag octobris anno 1534.

Ambrosius Blaurer.

d Nach unß gestrichen: gelehrt.
e Nach fürgeben bezeichnet ein geschweifter Stern [*], daß der nachfolgende Satz durch die in der dritten Beilage gegebene und begründete Fassung (Z. 77f) verbessert werden soll.
f-g am Rande nachgetragen für gestrichenes: und ire kirchen dergestallt ze lehren, wie dann.
h yeder am Rande nachgetragen für ein gestrichenes, nicht mehr lesbares Wort.
23 dargelegt worden (SI II 89f).
24 Vgl. den Abendmahlsartikel der Confessio Tetrapolitana in: Bucer DS III 123-127. Zur Abendmahlslehre Blarers und der andern Konstanzer s. Bernd Moeller, Ambrosius Blarer 1492-1564, in: Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer, 1492-1564. Gedenkschrift zu seinem 400. Todestag, Konstanz 1964, S. 17-19. 21. 23; Brecht, Blarer in Schwaben 155f.
25 Die Augsburger Konfession, s. oben S. 277, Anm. 17.
26 letzthin (SI IV 636).
27 Die Augsburgische Konfession war am 25. Juni 1530 vom sächsischen Kanzler Dr. Christian Beyer verlesen und Kaiser
Karl V. übergeben worden, s. BSLK, Einleitung S. XVIII.
28 Artikel 10 «Vom heiligen Abendmahl», BSLK 64; vgl. unten Z. 78-80.
29 Herzog Ulrich befahl Schnepf und Blarer, das Augsburgische Bekenntnis als Lehrgrundlage in Württemberg den Pfarrern vorzuschreiben, s. oben S. 308, Anm. 31.
30 einzusetzen [in ihr Amt] (SI VII 1647f).
31 geblieben.
32 darzulegen (SI II 89f; Grimm IV/I 1, 731f).
33 Gebot, Befehl (SI IV 1351).
34 unbehelligt (SI VII 220f).
35 Schmähen, Verleumden (SI IX 827. 834f).
36 Beschimpfen (SI IX 1040f).
37 Apk 12, 12.
38 Jes 26, 6.
39 Vgl. Kol 2, 20; 1 Joh 2, 15.
40 Gegner (Grimm XIV/I 2, 1368).
41 dahinschwindet, kleiner wird (SI IX 1920f; Grimm XII/I, 1201).
42 Heuchler (SI II 604).
43 Vgl. 1 Thess 5, 23; Joh 5, 24. 17, 17; Apg 19, 20.


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||31c [1. Beilage: i ] Ista inserta vellem mox post haec verba a principio 44 : «Der laidig satan, so ain lugner und von anfang in der warhait nitt gestanden ist, zu nachtail der warhait durch seine botten, deren er allenthalb vyl hat, sölichs ausspeyet, welchs in doch, ob gott wyll, nichts hellfen soll» - hic insere sequentia: «gleich so wenig alls, das er durch seine glider vyl ander prachtig lugenen ausgossen hat, alls das ich sollt zu Costentz entloffen sein, ouch nitt mehr weder gen Esslingen noch ander stett, da ich gepredigt hab 45 kommen dörffen, sampt unzalbarn andern nichtigen reden, deren unwarhait heller am tag ist, dann das sy verantwurtung bedörffen. Ich beyn sölicher verlumbdung und schmachwort wol gewon. Wir sind nitt besser dann unser herr und hailand Christus, der unß für all unser getruwe dienst bey der wellt kain ander besoldung dann schmach, schand und verfolgung verhaissen hat 46 . Er verlich christlich langmütikait 47 , und das wir unser seelen in der geduldt besytzen und byß in das end verharren mögen.» Iam addantur 48 : «Ich hab in der verglichung mitt meinem ||31cv. lieben herren und mittbruder Maister Erhart Schnepffen in diser sach ain ainig wort» etc.

||31 a [2. Beilage: k ] Quid, si ista mox formulis grandiusculis 49 excudenda cures? Sed non velut a me iussus, nec cuiusquam nomen praefigatur, sed is titulus: «Von dem widerruff Ambrosii Blaurer ain ausszug auss ainem sendbrieff, von im an ainen guten fründ geschriben anno 1534, 6. octobris». Faceret hic titulus, ut adversarii etiam mox raperent, quicquid id esset paginae. Impleretur forte una pagina aut duae, aut in unam solam chartam pingenda forte erunt 50 . Fac, quod videtur. Supprime vel ede 51 , ut iudicaveris expedire gloriae Christi et meo nomini. Nam utrumque, si possim, vindicatum cupiam, quamquam nolim hic quicquam tamquam ex professo a me aeditum. Et tu cave, ne quid aliud addatur.

||31b [3. Beilage: l ]Quae hodie ad te per Ioannem Wagnerum 52 ad te scripsi, sic habent inter caetera 53 : «Sonder ist allweg mitt ernst und allen truwen

i Ein kleiner Zettel ohne Siegelspuren, zu a (Z. 6) gehörig.
k Ein kleiner Zettel, ursprünglich mit zwei Siegelpunkten auf den Brief aufgeklebt gewesen.
l Ein größerer Zettel mit Siegelspuren und der im Brief fehlenden Adresse, zu e (Z. 24) gehörig. In ihn wurden, zusammengefaltet, der Brief und die beiden andern Beilagen gelegt.
44 Siehe oben Z. 3-6.
45 Blarer predigte im Winter 1528/29 in Memmingen, 1531 bis Anfang 1533 in Ulm, Geislingen, Esslingen, Memmingen und Isny, s. Brecht, Blarer in Schwaben 141-152.
46 Joh 15, 18-21; Mt 5, 11; Lk 6, 22.
47 Eph 4, 2; Kol 3, 12; 1 Tim 1, 16.
48 Überleitung zur Fortsetzung oben Z. 6ff.
49 Gemeint sind kaum größere Formate,
sondern ein Druck mit größeren Schriftformen (Buchstaben, Lettern, Typen).
50 Blarer denkt an ein Flugblatt zu zwei Seiten oder einen Einblattdruck als Plakat, vgl. Köhler, ZL II 351.
51 Bullinger ließ Blarers Rechtfertigungsbrief nicht drucken (vgl. unten S. 384, 23). Eine von Bucer entworfene Rechtfertigung erschien am 4. Januar 1535 in Tübingen unter dem Titel: «Bericht Ambrosii Blaurer von dem Widerruf», s. Brecht, Blarer in Schwaben 157f; Köhler, ZL II 351.
52 Johannes Wagner ist somit der Bote von Nr. 452 (s. oben S. 342, 35) und von Nr. 453. Er ist offenbar erst abgereist, nachdem Blarer alle Beilagen zugefügt hat.
53 Siehe oben Z. 23f.


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von unß fürgeben, das der war lyb und das war blut» etc., quae sic emendata velim, si forte excudenda putaveris 54 : «das der lyb und das blut Christi im . nachtmal des herren warlich gegenwirtig seyen und geraicht werden». Sic enim ad verbum habet Saxonica confessio latina 55 . ut «verum» non ad corpus et sanguinem, sed ad praesentiam et exhibitionem referatur. Non quod hoc quicquam referat, sed quandoquidem hic citare visum est eam confessionem, conveniet illis ipsis verbis ista reddere, ne ut sunt supersticiosi nonnulli, putent me data opera voluisse mutare, quae vellent non mutata.

5. septembris 56 .

Redit ad te bonus ille Distel 57 .

[Adresse auf der Rückseite:] Suo venerando et charissimo fratri Heylricho Bullingero. Tiguri.