Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[540]

Heinrich von Ulm an
Bullinger
Grießenberg,
28. Februar 1535

Autograph: Zürich StA, E II 355, 70r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Der Komtur von Tobel [Dietbald Gyß von Gyßenberg] will Hans Wähinger, dem Kaplan zu Bußnang, der zurzeit die Pfarrei [Märwil] betreut, die Pfrund nur belassen, wenn sich dieser an die Stiftungsbriefe hält; Wähinger kommt nach Zürich, um Rat zu holen. Bittet Bullinger, dem rechtschaffenen Mann behilflich zu sein.

Wyrdiger, hochgelerter, besunder gunstyger her.

Her Hanß Wechinger a1 , zayger dyß brieff, der dan ain lange zytt ain capplon zu Bussnang und ain ordesman sant Johans ordens gwessen und vom huß Thobel 2 belechnett 3 und vom gantzen cappyttel verwylgt 4 worden, lutt 5 siner uffgerychten brieffen, so dan on zwyffel uch och furhaltten wird und verlessen lon, und daruff mir furgehaltten, wie dan im der jetzgender 6 her zu Thobel 7 im hab abkund 8 , das er im die capplony uberantworde, oder aber daß er sy versenche 9 nach inhalt der thotatzcion 10 und der styfftbrieffen 11 , daß b dan sich der gutt altt man ubel beschwertt, und nit versenen 12 , und hette vermaind, man hette sin altters lon gniessen und lassen blypen, und mir darby anzaicht, er habe uff die pfrund ain huß von grund uff, uff sin costen buwen, one des genantten gottzhus schaden, und jetz ain zyttlang dem huß Thobel ain andere

a vor Wechinger gestrichenes Schmid.
b daß übergeschrieben.
1 Über Hans Wähinger ist nicht viel bekannt. Wie aus einem Rechtfertigungsschreiben Wähingers (Zürich StA, E II 441, 61f) hervorgeht, hat er die Kaplaneipfrund Bußnang (Kt. Thurgau), über die das Ritterhaus Tobel verfügte, 40 Jahre lang innegehabt. Er hatte vermutlich in den späten zwanziger Jahren geheiratet. Auch sein Vater war Angehöriger des Johanniterordens und zudem Komtur des Hauses Tobel gewesen (vgl. ebd.). Vorübergehend betreute Wähinger von Bußnang aus, wo er auf eigene Kosten ein Haus gebaut hatte, die Pfarrei Märwil. Als der Komtur mit dem Entzug der Pfrund drohte, sprach Wähinger - auf Anraten Bullingers - beim Landvogt im Thurgau vor; daraufhin lenkte der Komtur ein und ließ Wähinger weiter in Märwil wirken (vgl. Wähingers Brief an Bullinger, 1. April 1535, unten Nr. 568).
Noch von 1541 bis 1557 ist seine Tätigkeit als Kaplan in Bußnang bezeugt (vgl. Bühler, Tobel 43).
2 Die zwischen Weinfelden und Wil (Kt. St. Gallen) gelegene Johanniterkommende Tobel (Kt. Thurgau) besaß die Kirchensätze der Pfarreien Affeltrangen, Märwil und Wängi sowie Patronatsrechte in Bußnang, Matzingen, Wuppenau usw. (vgl. HBLS VII 3f und Bühler, Tobel 17-20).
3 belehnt.
4 anerkannt (Grimm XII/I 2276).
5 laut, gemäß.
6 der jetzige (vgl. SI I 629-631).
7 Dietbald Gyß von Gyßenberg, Komtur seit 1532.
8 aufgekündigt, widerrufen (SI III 356f).
9 versehe, besorge (SI VII 568f).
10 Dotation, Stiftung.
11 Wähinger hatte wohl mit Äußerungen über die Messe den Unwillen des Komturs erregt (vgl. unten Nr. 568, 8f).
12 erwartet (SI VII 566). in


Briefe_Vol_05_128arpa

pfar 13 versenen hautt, des doch ain huß Thobel hett müssen c an costen erlyden 14 , deßhalb er dem huß ersparett haut; und daß mit guttem wyllen don, damit sich weder daß huß noch nemen ab im erggeren möcht, das man jeche 15 , er nem ain pfrund in und dette 16 nuntz 17 drum. Und haut mich also um rautt betten, wie er sich haltten sölle und dem lantzfryden 18 gmeß syge, und mir darby anzaygt, er welle hinin gen Zurich zu ettlichen sinen frunden und gsellen d19 und rautz suchen, wie er sych doch haltten sölle. Daß dan mir e nit ubel gfallen haut.

Uff semlich, gunstyger her, ist min ernstlich bytt an u[wer] w[yshait]. das ir dem gutten alten man hylfflich und rättlich syn, darzu er fug haben möcht; dan ich in mir nyt wayß finden, im zu rautten. Dan der gutt man ist altt und hautt wib und kind, und die frow gantz groß und schwer, deßhalb sy ||70v. nytt wol mögent f wanderen. Sol dan er vyl drufft leggen, so furcht ich, er mug es nit erhaltten 20 . Deshalb ich im nit wayß zu rautten; dan ich bin zu schlecht 21 . Und wöllent in in u. w. laßen bevollen sin. Dan ich in jetz ain lange zit erkent 22 hab und nie anders vom im ghörtt hab, dan g waß ain h byderman zustuatt, und ich selbs nie anders erfaren 23 . Wo dan ich kan semlichs um u. w. verdienen 24 , so söl sy mich nit sparen; mitt diengsthlichem 25 und i fruntlichem bitt k , ir wellen mich in gunstigem bevelch haben.

Datum uff occoly l , nach der geburtt unsers haylland im 35. juar etc.

Hainrich von Ulm

zu Griessenberg.

[Adresse auf S. 71a v.:] Dem wirdigen, hochgelertten heren Henrico Bullinger zu Zürich, minem günstygen und lieben heren.

c hett müssen am Rande nachgetragen.
d vor gsellen gestrichenes gsle.
e vor mir gestrichenes wi.
f mögent am Rande nachgetragen.
g vor dan gestrichenes daß.
h vor ain ein unlesbares Wort gestrichen.
i vor und gestrichenes bytt.
k vor bitt gestrichenes ir.
l vor occoly gestrichenes occy.
13 Märwil (Kt. Thurgau); vgl. unten Nr. 568, 6f.
14 tragen (vgl. SI III 1091).
15 sage (SI III 5).
16 täte.
17 nichts.
18 Gemeint ist der von den Kriegsparteien nach dem zweiten Kappelerkrieg geschlossene Friedensvertrag, der im 2. Artikel die Bestimmungen über die gemeinsamen
Herrschaften, insbesondere über die Glaubensverhältnisse, enthält; vgl. EA IV/1b 1567-1571 (Vertrag der V Orte mit Zürich, 20. Nov. 1531; die Verträge mit Bern, Basel und Schaffhausen lauten im wesentlichen gleich).
19 Formelhaft für: Verwandten und Freunden (SI VII 717). — Außer Bullinger besuchte Wähinger in Zürich noch den aus dem Thurgau stammenden Peter Meyer (vgl. unten Nr. 568, 21f mit Anm. 19). Weitere Bekannte oder Verwandte in Zürich sind nicht bekannt.
20 durchstehen (SI II 1232), d. h. es würde seine finanziellen Kräfte übersteigen.
21 unwissend in diesen Dingen.
22 gekannt (SI III 313).
23 wahrgenommen (SI I 896).
24 vergelten (SI XIII 169f).
25 untertäniger, ergebener (SI XIII 804).