Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Dietrich Bitter an
Bullinger
Köln,
7. März 1535

Autograph: Zürich StA, E lI 361, 106r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Die Täufer rühren sich an vielen Orten: In Köln sind etliche hingerichtet worden, in Wesel ist ihr geplanter Aufruhr gescheitert, in Münster können sie sich noch halten, in den Niederlanden sind Deventer, Amsterdam, Antwerpen und andere Orte mit ihrer Ketzerei angesteckt. Der Kaiser soll beabsichtigen, zur Wiederherstellung der Glaubenseinheit nach Deutschland zu kommen. Arnold von Wesel ist unversehens gestorben.

Mynen fruntlichen dienst und was ich liebs und guetz vermach, lieber Henrice.

Ich bedancken mich noch zer tzyt (dem herren lob) sampt den meinen guder gesontheit. Das selbig myr allizeit eyn sondere freudt wer von dyr, dynre lieben gemahel 1 , bruder 2 und andern geliebten zo erfaren.

Vort 3 wisse, das leider die widdertheuffer vill boeser ansleeg in dussen 4 landen gemacht haben und vill dapfere 5 orth mit ihrm gifft bestanden 6 zo verirren 7 . Bey uns zo Collen sient etliche verbrant, eyndeil enthoeffd, eyn part noch gefanghen 8 , ouch vill entloeffen, die sunst fromme doegsamme 9 manner

16 Über Geschäfte zwischen Zehnder und Johannes Bullinger ist nichts bekannt.
1 Bullingers Frau Anna, geb. Adlischwyler.
2 Johannes Reinhart Bullinger.
3 Ferner (Grimm IV/I 1 9).
4 diesen.
5 bedeutende (Grimm XI/I I 135f).
6 [erfolgreich] in Angriff genommen (Grimm I 1670f).
7 in die Irre zu führen (Grimm XII/I 598).
8 Im November 1534 waren in Köln ein Täufer verbrannt und zwei weitere enthauptet worden; eine Frau blieb längere Zeit in Haft. Vgl. Hans H. Th. Stiasny, Die strafrechtliche Verfolgung der Täufer in der freien Reichsstadt Köln 1529-1618, Münster i. W. 1962. — Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 88, S. 9f. 16f.
9 tugendsame.


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und wieber voirhin geacht gewesen 10 . Zo Nederwesell ist ouch eyn groeß rumoer erwachsen 11 und synt, als man sagt, umb driehondert in rustung gesien, in meynung, die andere burger umbtzobringen und sich aldair 12 zo stercken, umb die Munsterschen zo entsetzen 13 . Meer: Ihr ansleeg synt verdorben, und die Munsterschen enthalden sich 14 noch in ihrer stat, spyt 15 den vorsten, villeicht in hoffnung, inen geschein 16 mochte. Synt aber hart umbcingelt; halds auch dair foir 17 , wanne ghein troist 18 mehr ist, sie werden alle dinck und ihre stat gantz verrotten 19 und sich darnach under die fiandt willigklich geben, es khome dair von wer will. Wyder synt angestochen ab dusser verdoempter ketzeryen Deventer, Amsterdam, Hantwerp und vill kleyner vlecken es Nidderlandts 20 . Und ihnen wirdt also begegnet durch die fursten, das sie sich khum durffen regen.

Ist auch bey uns eyn gantz geschrey, key[serlich] ||106v. m[aieste]t werd overkommen mit groesser menighe 21 , umb gebrechen duetscher nation zo stillen und eyn guede reformation zo machenn, uff das myr eynhellich im geloeben got dhienen moegen. Des uns der her des friddens gunnen will, und balde.

Ouch wisse, das Arnoldus Wesalie 22 , unser praeceptor, voir tzwen moenden 23 haestig und unversienlich, als er sich des morgens froe zor metten rustede von erdtreich verscheyden ist

10 Unter den Täufern, die Köln verließen, waren Mitglieder der angesehenen Familie Westerburg; vgl. Stiasny, aaO, S. 11-15.
11 Nach Gerüchten über einen bevorstehenden Aufruhr und auf Grund von Angaben des übergelaufenen Täufers Heinrich Graeß wurden in Wesel im Januar 1535 zahlreiche Täufer festgenommen; vgl. Wilhelm Niepoth, Gerhard Hein, Art. Wesel, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. IV, Karlsruhe 1967, S. 496f (mit weiterer Lit.).
12 dort (Grimm I 215f).
13 befreien.
14 halten sich... auf (Grimm III 551f).
15 trotz (Grimm X/I 2476).
16 geschehen(?).
17 ich halte dafür.
18 Hoffnung, Rettung (Grimm XI/I 2 906-915).
19 zerstören(?).
20 Die genannten Städte gehören zu den Orten, wo Abgesandte aus Münster um Unterstützung für das Täuferreich warben; vgl. Cornelius Krahn, Dutch Anabaptism. Origin, Spread, Life and Thought (1450-1600), Den Haag 1968, S. 124-127. 145-155.
21 Menge, Heerschar (Grimm VI 2009).
22 Arnold von Wesel (Arnoldus Vesaliensis, eigentlich Arnold Halderen, Haldrein, Haldrenius), ca. 1484-1534, gemeinsamer Lehrer von Bullinger und Bitter in Köln, lehrte seit 1516 an der Artistenfakultät. Er galt als profunder Kenner der alten Sprachen und gab Werke verschiedener lateinischer Schriftsteller heraus. 1530 nahm er mit Cochläus als katholischer Theologe am Reichstag zu Augsburg teil. — Lit.: HBD 4f. 7. 125; Köln, Matrikel II 513, Nr. 89; Carl Krafft, Aufzeichnungen des schweizerischen Reformators Heinrich Bullinger über sein Studium zu Emmerich und Köln (1516-1522) und dessen Briefwechsel mit Freunden in Köln, Erzbischof Hermann von Wied etc. Ein Beitrag zur niederrheinisch-westfälischen Kirchen-, Schul- und Gelehrtengeschichte, Elberfeld 1870, S. 26-31; August Franzen, in: LThK IV 1330.
23 Diese Angabe ist ungenau; als Todesdatum ist der 30. Oktober 1534 überliefert (s. Krafft, aaO, S. 30).


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Sunst weiß ich dyr itzt sonders niet zo schrieben, sonder der almechtiger ewiger got will dich in synem dienste stercken unnd bewaren und von alle dem abwenden, das seynem gotlichen willen in eynichem widderstreben mochte.

Datum ylens zo Coln, uff sontag letare, 7. martii anno 1535.

Diderich Bitter von Wipperfoird,

dein gunstiger freundt.

[Adresse auf f. 106a v.:] Dem eirsamen, wolgeleirten hernn Meister Henrico

Bullinger, meinem gunstigen, lieben freundt, zo handenn.