Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Dietrich Bitter an
Bullinger
Köln,
2. September 1535

Autograph: Zürich StA, E II 361, 104 (Siegelspur) Ungedruckt

Hat die ihm zugesandten Bücher erhalten und möchte sich besonders für Vadians ["Epitome"] erkenntlich zeigen. Münster ist durch Verrat gefallen; unter den wenigen Entkommenen soll Bernd Rothmann sein, während Jan van Leiden und Bernd Knipperdolling nun Gefangene des Bischofs sind. Wegen des Krieges zwischen Lübeck und Herzog [Christian] von Holstein sollen sich viele Fürsten und Städte in Kopenhagen versammelt haben. In Köln ist die Lage unverändert. Gute Wünsche von Adolf [...] aus Wittenberg.

Mein fruntwillich dienst, liebster Henrice.

Wiß, das ich, dem herrn sy lob, sampt meiner husf[rauwen]1 und frunden in guter gesontheit bin. Des selbige mich alle tziet van dyr und den deynen erfrewt zo vernemen.

b vor Me gestrichenes A.
8 Grynäus hatte auch Ambrosius Blarer gebeten, in diesem Sinne auf Herzog Ulrich einzuwirken; vgl. Blarer BW I 703f.
9 Siehe oben Nr. 550, Anm. 8.
10 Der Basler Rat hatte Grynäus aufgefordert, sogleich nach der Ankunft Phrygios
auf dessen Pferd nach Basel zurückzukehren; vgl. Gauß, Grynäus 105.
11 in der Zwickmühle, vgl. Adagia, 1, 1, 15 (LB II 33).
1 Der Name von Bitters Ehefrau ist nicht bekannt.


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Die boecher. myr lest zogeschickt, habe ich na außwysong diener schrifft 2 untfangenn. Das Vadiani Compendium 3 , hette ichs gewist hie zo bekommen, wuld dich dairmit neit beschwert haben, wiste a auch neit, das eß so groeß waer, und b bidden noch wie voir mehe: Wanne das du myr sulchs adir deroglychen aberschicks 4 , enbiede myr, was ich dairgegen mocht schicken, adir was gekost habe; wils goetlich verrichten.

Lieber Heinrice, weyß diß maels neit newes zo schrieben, dan der Munstersche handell 5 ist genochsam verbreyttet. Was verhofft, dairvan solte etwas in druck außgangen sien, sulchs wollte ich dyr zogestalt haben. Es ist gewiß, das die statt mit verreterey erobert 6 ; wie und was, kan ich neit eygentlich schrieben. Die dair inne gesyen, synt alle umkhommen. und synt etliche ußkommen, moessen sich gar heymlich halten. Man duldet sie nyrgent. Men spricht, ir verfoerer, Stuten c Bernt 7 , sige dairvan khommen und noch ime leben. Der bisschoff 8 hait ouch noch d ime leben gefencklich Johan van Leye 9 . den newen koninck, und Klypperdollinck 10 den alten. Was endes das sie nemen werden, ist lichtliche zo betrachten.

a vor wiste ein unleserlich gestrichenes Wort.
b vor und gestrichenes hette.
c vor Stuten gestrichenes Bernt.
d noch übergeschrieben.
e vor lichtlich gestrichenes van[?1.
2 Nicht erhalten.
3 Gemeint ist Vadians Werk "Epitome trium terrae partium", das Bitter von Bullinger erbeten hatte; s. HBBW IV, S. 195, 34. 299, 43-45.
4 wieder schickst.
5 Am 25./26. Juni 1535 war die von den Täufern beherrschte Stadt Münster erobert worden, s. Kirchhoff 141-144.
6 Zwei Überläufer hatten den Angreifern den Weg gewiesen, s. ebd., S. 141.
7 Bernhard (Bernd) Rothmann (Rottmann), um 1495-1535(?), von Stadtlohn (Kr. Borken, Nordrhein-Westfalen), predigte als Kaplan am St. Mauritz-Stift bei Münster ab 1530 in lutherischem Sinne. 1531 besuchte er Straßburg und übernahm die zwinglische Abendmahlsauffassung, was ihm den Übernamen "Stutenbernd" eintrug (Stuten: feines Weißbrot; HBBW IV, S. 298, Anm. 12 ist entsprechend zu korrigieren). Ab 1532 predigte er in Münster, wo er sich zum Wortführer der radikalen Täufer wandelte. Als "Worthalter" des Königs rechtfertigte er die Theologie des münsterischen Täufertums bis zum
Fall der Stadt. Ob er den Untergang des Täuferreichs überlebt hat, wie das von Bitter zitierte Gerücht besagt, ist fraglich. — Lit.: Robert Stupperich, in: RGG V 1200; Die Schriften Bernhard Rothmanns, bearb. y. Robert Stupperich, Münster j. W. 1970. — Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens XXXII.
8 Franz von Waldeck, Bischof von Münster.
9 Der Schneider Jan van Leiden (Johann Bockelson, Beukelszoon, Bocaldus), geb. 1509 bei Leiden (Holland), kam im Januar 1534 als Apostel des Täuferpropheten Jan Matthys nach Münster. Als dieser im Kampf gefallen war, übernahm er die geistliche Führung und bald auch die Herrschaft in der Stadt. Im August 1534 ließ er sich zum König proklamieren. Nach der Eroberung Münsters wurde er im Januar 1536 hingerichtet. — Lit.: Robert Stupperich, in: NDB II 344f (mit weiterer Lit.).
10 Der Tuchhändler Bernd Knipperdolling (eigentlich: van Stockem), um 1490-1536, von Münster, war Führer einer bürgerlichen Oppositionsbewegung gegen Bischof und Rat. Er schloß sich Rothmann an und stellte sein Haus seit Januar 1534 für Versammlungen der Täufer zur Verfügung. Im Februar 1534 wurde er zum Bürgermeister gewählt. Seine Visionen


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Ouch so ist eyn groesser tzoch itzt voirhanden thuschen den van Lubeck und dem hertzoch van Holtsteden 11 . Sulchen niddertzolagen synt vill forsten und stede in vlyssiger betrachtungh versamlet, als man sagt, zo Koppenhagen 12 .

Unsere van Cohen halten sich noch allermaeß wie voir. Got gebe, das theutsche nation widder zor eynongh im glauben und ceremonien khommen moge.

Der Adolphus 13 , myn bewanter 14 freundt, wonet zo Wittenbergh, haet eyn hueßf[raw]15 und gehet im wohl, hie f16 hait mich gebetten, dyr synent wegen gesontheit zo wunschen.

Hy mit dem almechtigen befohlen.

Datum zo Cohen, altera septembris anno 35.

Theodericus Bitter Wipperfordensis.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem eirsamen und wolgeleirthen Meister Heinrichen Bullinger, meinem geliebten freundt, zo handen. Gen Zürich. Gebdt dussen brieb Christophoro Froschouer.

f vor hie gestrichenes ich.
sicherten ihm eine einflußreiche Stellung; Jan van Leiden ernannte ihn zu seinem Statthalter, wies jedoch seinen Anspruch auf das geistliche Königtum zurück. Zusammen mit dem König wurde er nach dem Fall des Täuferreichs hingerichtet. — Lit.: Robert Stupperich, in: NDB XII 187 (mit weiterer Lit.).
12 Mit seinem Feldzug gegen Lübeck und dessen Verbündete sicherte sich Herzog Christian von Schleswig-Holstein die Herrschaft über Dänemark. Nach einem Sieg auf Fünen hatte er am 24. Juli mit
der Belagerung von Kopenhagen begonnen; vgl. Waitz, Lübeck II, bes. S. 236-240; III, bes. S. 36.
12 Eine solche Versammlung hat in der belagerten Stadt mit Sicherheit nicht stattgefunden. Im Juli und August tagte jedoch die Hanse in Lüneburg und Lübeck; vgl. Waitz, Lübeck III 3-61.
13 Bitters bereits früher erwähnter Neffe Adolf ist nicht näher bekannt, vgl. HBBW II, S. 175, 17f mit Anm. 20.
14 verwandter (Grimm I 1767).
15 Unbekannt.
16 er.