Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[793]

[Konrad Wirz?] an
[Bullinger]
Zürich,
[nach Mitte April 1536?]

Autograph: Zürich StA, E II 441, 129 (Siegelspur) Ungedruckt

Hat zwar im Kloster Wettingen um Asyl nachgesucht und kann verstehen, daß dies in Zürich Mißfallen erregt hat, neigt aber keineswegs dem Papsttum zu, sondern lehnt Bilder, Messe und Zeremonien ab; an ihrer Stelle soll die Hl. Schrift stehen. Fürchtet, dass er im Streit mit [Heinrich] Holzhalb sein Recht nicht durchsetzen kann, obwohl er nie die Herausgabe einer Urkunde versprochen hat; Holzhalb wird von den Gegnern des Evangeliums unterstützt, wie die an ihn ergangenen Auftrage für Fenster und Wappenscheiben zeigen. Er selbst hat versprochen, kein Mönchswerk mehr zu machen, doch bringt ihn die Bitte um ein Andachtsbild immer wieder in Versuchung, hat er doch nichts anderes gelernt und muß seine Kinder ernähren. deshalb mochte er wissen, ob es sich mit dem Glauben vereinbaren läßt, biblische Geschichten zu malen.

Wie dan mich gott gstraft hat um miner sünden willen, das ich am hochen donstat 4 hinab gen Wedingen 5 gangen und daselbs fryheit 6 begert und in dem

1 Konrad Wirz (Wurtz) von Erlenbach (Kt. Zürich), ein "künstlerisch herausragender Vertreter der Schweizer Glasmalerei am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance" (B. Anderes), ist der einzige Zürcher Glasmaler, von dem ein Gevatterschaftsverhältnis zu einem Angehörigen der Familie Holzhalb (vgl. unten Z. 15) bekannt ist: Am 18. Januar 1536 war Heinrich Holzhalb Pate bei der Taufe seines Sohnes Heinrich (s. Zürich Stadtarchiv, VIII C 1). Signierte Werke von Win sind einzig aus dem Kloster Wettingen bekannt; sic sind uni 1521 entstanden. Seit 1536 gehörte er der Meisenzunft an. Die Angabe, er habe 1538 Anna Escher geheiratet, beruht auf einer Verwechslung mit Konrad Wirt (s. Zürich StA, B VI 312, 262v.). Keller- Escher nennt als Ehefrau Verena Schneider und verzeichnet zahlreiche zwischen 1502 und 1521 geborene Kinder; mehrere weitere Kinder sind laut Kirchenbuch des Großmünsters zwischen 1531 und 1541 getauft worden. 1533 und auch noch zum Zeitpunkt seines Todes (um Ende 1541) war Wirz mit Elsbeth von Wyl verheiratet (s. Zürich StA, B VI 312, 11r.; 335, 44r.). Das letzte Lebensjahr verbrachte er als Pfründer im Spital (s. Zürich StA, III
629, Spitalrechnung 1540 und 1541). — Lit.: Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. VII (Zürich ZB, Ms Z II 6a), S. 381; Hans Lehmann, Das ehemalige Cisterzienserkloster Maris stella bei Wettingen und seine Glasgemälde, 3. Aufl., Aarau 1926, S. 67. 71-73. 138; Bernhard Anderes und Peter Hoegger, Die Glasgemälde im Kloster Wettingen, Baden 1988, S. 58f und Reg.
2 Da sich der Brief in Bullingers Nachlaß befindet, handelt es sich bei dem mit "Meister Heinrich" angesprochenen Adressaten nach aller Wahrscheinlichkeit um Bullinger.
3 Der Briefschreiber blickt aus nicht allzu großem Abstand auf Vorfälle zurück, die sich in der vorösterlichen Zeit ereignet haben. Als Jahr kommt am ehesten 1536 in Frage, nämlich nach Beginn des Gevatterschaftsverhältnisses zwischen Wirz und Holzhalb (s. oben Anm. 1), aber noch vor dem Tod von Niklaus Setzstab, der im wenig später geschriebenen Brief des gleichen Schreibers (unten Nr. 794, 11) erwähnt wird.
4 Donnerstag vor Ostern (1536: 13. April).
5 Wettingen (Kt. Aargau).
6 Asyl (SI I 1265f). — Vgl. R. G. Bindschedler, Kirchliches Asylrecht (Immunitas


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chrützgang in dem cabitell hus, oder wie 7 man im dan jett , da dan fill grabsteinen sind und schillt 8 darab hangind, bin ich uff einem banck gellegen und da geruwet, dan mir was heis, ouch inn die chillchen gangen, aber denn hut nüit abzogen, ouch bin ich um ckeiner anderen ursach dar gangen, dan ich meint, ich wet 9 recht begeren und da sin, bis min sach besser wurd. Item ouch chan ich woll ermesen, das ein christenlliche gmeind hye zu Zürich sich übell veregeret hatt 10 . Aber gott sy globtt, und der schöpffer himell und erden, der welle mir allwegen den glouben meren, so han ich ckein gfallen am babstdum. den das ist mir der war allt ungetzwiflet gloub: ckeiny billter han, ckein mes, ckeine zellymonyen 11 , und ann die stat 12 hellgy gödliche gschrift bruchen, wie man dan dut, gott sy globt. Ouch ist woll ztenncken, das Cristus nüit vill sylber oder golt by im gehan heyg 13 , dan uff das aller schletist 14 heyg ers bucht 15 .

Zum anndren, wie ich dan ein span 16 mit mini gfater Holtzhalben 17 und er mit mir, wie woll ich iren nieschulltig hyn worden 18 , so mag ich doch nüt wüßen, ob er dran chunt 19 oder nüdt. Dan wie ich im sömlichs gseitt han uff dem hoff 20 und im alle ding xeit, doch nut von iren gseit im, und das vonn a sbesten willen 21 . Aber ich bsorg 22 , man heig mir nüt gschpart 23 , dan ich fürcht nut wirs 24 , dan waß geret sy worden, man legs über mich 25 oder waß ich gret

a kann auch als umb gelesen werden.
ecclesiarum localis) und Freistätten in der Schweiz, Stuttgart 1906. — Kirchenrechtliche Abhandlungen 32/33.
7 sagt (SI III 5).
8 Totenschilde (vgl. Grimm XIII 1 620).
9 wollte.
10 geärgert, Anstoß genommen hat (den Zürchern war es verboten, auswärts die Messe zu besuchen; s. AZürcherRef 1536). — Über den Vorfall ist sonst nichts bekannt.
11 11 Zeremonien.
12 statt dessen.
D gehabt habe. äußerst schlicht, zurückhaltend (SI IX 49f.
15 Gebrauch davon gemacht.
16 einen Streit (SI X 279-285).
17 Gemeint ist wohl (vgl. Anm. 1) der Zürcher Glasmaler Heinrich Holzhalb, 1502-1570, der vom Zürcher Rat oft mit Auftragen bedacht wurde und diesem von 1559 bis 1564 als Ratsherr von freier Wahl selbst angehörte. Seit 1529 war er Zwölfer zur Kämbel, 1548 bis 1555 Landvogt zu Andelfingen, 1559, 1561 und 1563 Obervogt zu Meilen und ab 1565 Landvogt zu Grüningen. Über seinen
Streit mit Konrad Wirz ließ sich nichts Näheres feststellen. — Lit.: Hermann Meyer, Die schweizerische Sitte der Fenster- und Wappenstiftung vom XV. bis zum XVII. Jahrhundert, Frauenfeld 1884, S. 209; Max Spörri, Verzeichnis der zürcherischen Land- und Obervögte 1391 bzw. 1497-1798 (Typoskript: Zürich StA, Db 20); Schnyder, Ratslisten 584; Fabian, Geheime Räte, Reg.; Dütsch, Landvögte 84. 102 und passim; HBLS IV 280, Nr. 8.
18 nie ihr Schuldner geworden bin. — Gemeint ist wohl Holzhalbs (erste) Ehefrau Elisabeth Werdmüller (1512-1540), s. Leo Weisz, Die Werdmüller. Schicksale eines alten Zürcher Geschlechtes, Dritter Bd., Zürich 1949, Stammtafel 1.
19 [an das Geld?] herankommt.
20 Gemeint ist wohl das (auch unten Z. 31-33 erwähnte) Amtshaus der Fraumünsterabtei, vgl. Vögelin, Das alte Zürich I 542-544.
21 in bester Absicht.
22 fürchte.
23 man habe mir nichts erspart, mich nicht geschont (SI X 402).
24 mehr, arger (Grimm XIV/II 625).
25 im Sinne von: man verwende es gegen mich(?).


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heyg, das man mirs vercker 26 , dan ich weiß woll, wie man dan hant 27 in dem huß, daman biterben lüt verspotet 28 und wenig uff dem gotlichen wort hat. Dan ich weiß woll wort, die vergangen 29 sind, namllich ich han ein brief 30 , der wyst 31 100 lb., und ann der mitwuchen znacht nach der allten faßnat 32 hat sy bruder Jacob 33 heiter 34 geseit, wen ichs der muder 35 me b seg, so müß ich den brief uß hin gen, und mit verdackten 36 worten. Am nechsten fridag dar nach han ich imß selber c geseit, und morndiß 37 am sambstag znacht han ich min drückly 38 mit dem mall züg 39 gereicht 40 , da hantzy[?]41 fin 42 ein brief mit einen sigel und zwey hackmesser uff die ander syten gleitt. Das ich aber inen heig ferheßen 43 brief ußhin zegen 44 , inn ckein wiß noch weg, daß ist nüit. Desglichen het er gret, man well die fryheit d45 abbrechen, namllich dem amen 46 zum frowen münster sy hus uff dem boten 47 , und müß er die fenster machen, gschowman 48 den steinhufen bim stein rat 49 . Dan es will mich gentzlych duncken, denen daß götlich wort nüt gfall, Dass die selben e im fürheigit 50 . Desglichen mit den waben 51 . So ist mir gentzlich, es geschechend fill fersuchingen darmit; nüt drum, das ich so vill truff heig 52 oder das es mich ermane 53 , aber es will mich duncken, man wedy 54 gern under stan 55 das gmell 56 zehallten 57 , wie man dan fyl innwürffen dun möcht 58 . Wie dan ir und ein jedlich biterman woll weist 59 , so han ich mich vertzigen 60 , ckein münchen f werch me tzmachen. Des[glichen]g fermein ich 61 , ich welle ouch ckein gschichten
b kann auch als nie gelesen werden.
c in der Vorlage helber.
d in der Vorlage fyheit.
e in der Vorlage felben.
f in der Vorlage müchen.
g Text beim Entfernen des Siegels beschädigt.
26 verdrehe.
27 getan hat.
28 wo man ehrliche Leute verspottet.
29 geäussert worden (vgl. SI 1127).
30 Urkunde (SI V 435-439).
31 lautet auf.
32 Mittwoch nach Invocavit (1536: 8. März).
33 Ein Bruder des Konrad Wirz von Erlenbach namens Jakob ist erwähnt in einer Ratsurkunde von 1532 (Zürich StA, B V 4, 342r. -v.).
34 ausdrücklich (SI II 1769f).
35 Konrad Wirz' Mutter hieß laut der genannten Urkunde von 1532 Elsy Wynmann.
36 zweideutigen (SI XII 1219).
37 tags darauf (SI IV 420).
38 ein kleiner, mit Deckel versehener Behälter (SI XIV 839-845).
39 mit den Malutensilien.
40 geholt (SI VI 141f).
41 haben sie.
42 etwa im Sinne von: gerade (SI I 836f).
43 verheißen, versprochen.
44 zu geben.
45 Zur Freistätte in der Fraumünsterabtei s. Vögelin, Das alte Zürich I 541f; Bindschedler, aaO, S. 74-81. 196-199.
46 Ammann.
47 bis auf den Grund, völlig (SI IV 1024). — Von 1537 bis 1539 fand ein großer Umbau dieses Gebäudes statt; s. Vögelin, Das alte Zürich I 542.
48 man sehe.
49 Zum Steinrad am Limmatufer s. Vögelin, Das alte Zürich I 551.
50 ihn begünstigen (SI II 910).
51 Wappen(scheiben).
52 davon halte.
53 erinnere (SI IV 294).
54 wollte.
55 versuchen, sich unterstehen (SI XI 619-626).
56 das Gemälde, die Malerei (SI IV 153f).
57 beizubehalten.
58 Einwande erheben konnte.
59 jeder Biedermann wohl weiß.
60 verzichtet (Grimm XII/I 2515-2524).
61 halte ich dafür (SI IV 312).


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weder uß nüwem noch uß alltem thestament me mallen, und vermein, einen sölls lesen 62 . So ich der sach nach sinen 63 , so muss ich mich sys ernneren, dan ich chan sust nüit; ouch han ich chleiny chind, die wet ich gern ermeren[!] mit frumckeitt, aßlanng mir gott gnat und sleben ferichen 65 . Aber ich fürcht imerdar die bößen in würff, aß da einer sprech: "Ich will ein waben und ein gschht 66 uß dem allten testenment machen loßen h , Abrahamen, den Lott und ander damit allgnembt 67 . So ich das an sich 68 , so erinnert es mich, wie gott mit den allten gehantllet hat und sy erhallen". So nun dem allso ist, möcht einer sprechen: "So will ich ein chrutzefix oder ein ablößung 69 uß dem nüwen thestamend damit alls gnembt mallen loßen. So ich das an sich, so bin ich in gedenck des lites 70 Ckristy". Wie dan sy von der götzery redind und um söllicher bößer in würffen willen han ich ein schüchen 71 ab den andwech 72 , und wedy gott, das ich edwas anders darfür chönnd, dan ich bin bstanden 73 miß handwerchs halb. Ich wed mine chind ger er meren, so lang mir gott das leben verliche, und bytenn üch umb ein bricht, wie doch der sach ztun[?] were 74 , dan ich bin hindergangen 75 , und dunckt mich, die glaser, dernn ich mich er neren muß, die sygind ouch uff der widerbhart 76 , dan schlechtlych 77 mich will duncken, man chem gern des hegen 78 evangelions ab. Das ist gating 79 under fill lüten. Gott der schibs 80 zum besten. Und darum, lieber Meister Heinrich, so wed ich ger wüßen, ob es den glouben andreff 81 , so man gschichten mallet. Nüt me dan Gott sy mit unss allen. Amen.

[Ohne Adresse.]

h loßen aus hoßen korrigiert.
62 man solle sie lesen.
63 nachsinne.
64 davon ernähren (SI VII 1014).
65 das Leben verleiht.
66 Geschichte.
67 im Sinne von: wer sonst noch dazugehört.
68 betrachte.
69 Kreuzabnahme, Pietà (SI III 1439).
70 Leidens.
71 Abneigung, Abscheu (SI VIII 133-136).
72 gegen dieses Handwerk.
73 73 in Verlegenheit, ratlos (SI XI 710-712).
74 wie in dieser Sache zu handeln ist (vgl. SI XIII 338).
75 betrogen.
76 auf der Seite der Gegner.
77 schlechterdings (SI IX 67-69). vom heiligen.
79 die gängige Haltung (SI II 499-501).
80 wende es (SI VIII 59).
81 betrifft.