Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1208]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
26. Dezember 1538

Autograph a : Zürich StA, E II 336, 183 (neu: 201)(Siegel) Ungedruckt

Wartet immer noch auf seine Stellungnahme zur [Reform der] Universität. Angesichts der Pest und anderer Nöte tröstet ihn, wie junge Leute vorbildlich im Glauben sterben. Aus Frankreich kommen Nachrichten über eine Reise des Kaisers [Karl V.] und über eine bevorstehende Heirat seiner Tochter [Maria] mit Herzog [Karl] von Orléans; auch der Papst bindet durch die Ernennung von Kardinälen und durch Heiratspolitik die Mächtigen an sich. Die Kleriker

c vor neque gestrichenes s.
d in der Vorlage irrtümlich me.
e in der Vorlage irrtümlich altari.
6 Heimlicher des Jahres 1538/39 waren Hans von Erlach, Hans Franz Nägeli, Peter Berchter und Michael Sager; s. Fabian, Geheime Räte 361 (zum Amt des Heimlichers s. ebd., S. 342f).
7 Über diesen Vorfall ist sonst nichts bekannt.
8 Theodor Bibliander.
9 Gemeint ist die 1538 erschienene Druckausgabe der Schmalkaldischen Artikel (WA L 160-254).
10 Im Vorjahr war den Berner Pfarrern untersagt worden, tropische Redeweisen im Zusammenhang mit dem Abendmahl ohne Interpretation zu gebrauchen; s. HBBW VII, S. 311, 11-14.
a Mit Anstreichungen und Randbemerkung von späterer Hand.


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von Minden haben eine Reihe von Prälaten und Fürsten als Exekutoren der Reichsacht vorgeschlagen; Gerüchte sprechen von bevorstehenden Treffen verschiedener [katholischer] Herrscher. Myconius erkundigt sich nach dem Stand des Streits um die Zehnten des Klosters Stein; ist besorgt wegen der in Basel lebenden [Kartäuser]. In Niederdeutschland soll ein neuer Täuferkönig hingerichtet worden sein, die Nachricht von der Vertreibung des Bischofs von Münster ist aber falsch. Bullinger soll sich angesichts der Bedrohungen für die Einheit [der Protestanten] einsetzen.

S. Expecto iam diu responsum a te super universitatis negocio, quo de scripseram 1 ; sed frustra. Quaeso adhuc, ne me prives eo, quod inde veniet, gaudio.

Nos adhuc pugnamus cum morte 2 ; ex puerorum et adulescentium migratione mirum, quantum solatii accipiam. Qui vix loqui valent, nomen invocant Christi et dicunt se cum gaudio cohabitaturos huic deinceps. Qui sunt adultiores, loquuntur. ut circumstantes admirentur et gratias agant domino. Ex quo novi Christi evangelium esse misericorditer datum hoc tempore nobis. Crede mihi, non vulgariter inde confirmor contra mundi et satanae tentationes. Quae quam sint multae, te intelligere ex proximis tuis 3 clare intellexi.

Scribunt ex Gallia boni viri 4 caesarem ad ver futurum transiturum Gallias in Germaniam Inferiorem 5 ; ducem Aurelianensem ducturum filiam caesaris et dominum futurum Mediolani 6 ; archiepiscopum Rotomagensem non ita pridem factum cardinalem 7 , ut iam sint in Gallia modo cardinales 12. In Hispania similiter agit papa, ut omnes sibi devinciat 8 . Filio dedit in matrimonium viduam Florentinam 9 et liberos Galli 10 petiit sic iungi suis 11 . Quos per

1 Siehe oben Nr. 1205, 16-38.
2 Zur Pestepidemie in Basel vgl. ebd., Z. 1f.
3 Oben Nr. 1203.
4 Auf wessen Schreiben sich Myconius bezieht, ist nicht bekannt.
5 Kaiser Karl V. hatte König Franz I. bei ihrer Zusammenkunft im Juli 1538 versprochen, auf dem Weg in die Niederlande nach Paris zu kommen; s. Cardauns 10.
6 Der Kaiser stellte dem französischen König in Aussicht, seine Tochter Maria mit Herzog Karl von Orléans zu verheiraten und diesem Mailand zu geben; s. Cardauns 6f.
7 Der Erzbischof von Rouen, Georges d'Amboise, wurde erst 1545 Kardinal (s. Pastor V 535, Anm. 2). Es handelt sich um eine Verwechslung mit dem am 20. Dezember 1538 ernannten Kardinal Robert de Lenoncourt, Bischof von Châlons-sur-Marne;
s. Pastor V 129.
8 Im Jahr 1538 ernannte Papst Paul III. gleich drei Spanier zu Kardinälen, wobei politische Gründe eine wichtige Rolle spielten; vgl. Pastor V 129f.
9 Margarete von Parma, illegitime Tochter Karls V. und Witwe des 1537 ermordeten Alessandro de' Medici, wurde 1538 gegen ihren Willen mit Ottavio Farnese, einem Enkel des Papstes, verheiratet; s. Pastor V 222. 229f.
10 Franz I., französischer König.
11 Während der Friedensverhandlungen zu Nizza im Juni 1538 wurde die Vermählung von Vittoria Farnese, einer Enkelin des Papstes, mit einem französischen Prinzen in Aussicht genommen; s. Pastor V 206. In ähnlicher Weise hatte Papst Clemens VII. 1533 die Heirat seiner Nichte Katharina von Medici mit Herzog Heinrich von Orléans arrangiert; s. HBBW III 211, 18-20.


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religionem habet devinctos e magnis, etiam per affinitates et dignitatum beneficia sibi copulat. Haec tamen me non terrent.

Mindenses pfaffi 12 petierunt nuper a camera Spirensi, ut dent sibi exequutores banni 13 episcopos Coloniensem 14 , Treverensem 15 , Monasteriensem, Mindensem 16 , duces Brunswicen[ses]17 , Georgium Schenck 18 , vicarium caesaris in Phrysia. Rumor deinde est Ferdinandum 19 , Polonum 20 et vavoydam[!] 21 conventuros Viennam 22 , alibi caesarem, Gallum et papam 23 , ut serio tractent de Lutheranis obprimendis. Vigilandum esset profecto nostris et videndum, ut doctrinae fidei et operibus piis adiungeremus etiam consilia in domino; alioqui nescio, quid tandem futurum sit nobis.

Prae illis tamen nescio qua ratione me movet, quod Ferdinandus decimas abbatiae Steinensis renunciasse dicitur 24 . Suspiciones me vexant contra cohabitatores nostros 25 ; verum eas mitigo, quod rem vago rumore tantum intellexi. Tu, si quid est, poteris me reddere certiorem.

12 Kläger im Kammergerichtsprozeß gegen Minden waren die Kleriker zweier Kollegiatskirchen und eines Konvents; s. Schlütter-Schindler 155.
13 Als Exekutoren der Reichsacht wurden vorgeschlagen: Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig, die Erzbischöfe von Köln und Bremen, der Bischof von Minden sowie die Grafen von Holstein (s. ebd.).
14 Hermann von Wied.
15 Johann III. von Metzenhausen.
16 Bischof von Münster, Minden und Osnabrück war Franz von Waldeck.
17 Gemeint ist Heinrich IX. der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel. Bullinger, der die Nachricht am 1. Januar 1539 an Vadian weiterleitete, schreibt denn auch "ducem Brunschwicen[sem]" (vgl. Vadian BW V 517).
18 Georg Schenck von Tautenburg, gest. 1540, stammte aus thüringischem Freiherrengeschlecht. 1496 kam er mit dem neuen Bischof Friedrich von Baden nach Utrecht. 1502 wurde er dessen Drost auf Schloß Vollenhove (Overijssel). Kaiser Karl V. ernannte ihn 1521 zum Statthalter von Friesland; als solcher trug er wesentlich zum Ausbau der habsburgischen Herrschaft in den nördlichen Niederlanden bei und wurde in der Folge auch Statthalter von Overijssel, Groningen und Drenthe. Sein scharfes Vorgehen gegen die Täufer gipfelte 1535 in der Erstürmung des Oldeklosters bei Bolsward (s.
HBBW V 218). - Lit.: P. L. Müller, in: ADB XXXI 66f; Ilse Guenther, in: Contemporaries III 218.
19 Ferdinand I., römischer König.
20 Sigismund I., polnischer König.
21 Johannes I. Zapolya, Woiwode von Siebenbürgen und König von Ungarn. - Im oben Anm. 17 erwähnten Brief schreibt Bullinger an der entsprechenden Stelle "vaywodam Ung[ariae]" (vgl. Vadian BW V 517).
22 Von solchen Plänen ist sonst nichts bekannt.
23 Auch hier handelt es sich um ein bloßes Gerücht (vgl. auch PC II 517).
24 Im Streit um die von Zürich beanspruchten Einkünfte des Klosters Stein am Rhein (vgl. oben Nr. 1110, Anm. 3) hatte König Ferdinand den Zürcher Gesandten Lavater und Kambli am 17. April in Prag eine Entscheidung innert dreier Monate zugesagt. Am 30. September schrieb Zürich erneut an den König, um ihn an sein Versprechen zu erinnern (s. Zürich StA, B IV 9, 261r.-262r., vgl. auch 269r.). Seine Antwort scheint nicht erhalten zu sein.
25 Gemeint sind wohl die Basler Kartäuser. Im Januar 1539 predigte Myconius gegen ihre Duldung in der Stadt und warnte vor göttlicher Strafe; s. Peter Ochsenbein, Eine neuentdeckte Fortsetzung der "Aufzeichnungen eines Basler Kartäusers aus der Reformationszeit" (1532-1539), in: BZGA LXXV, 1975, S. 87.


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Catabaptistae novum regem in Germania Inferiore suscitarant; sed prehensus et capite plexus dicitur 26 . De episcopo Monasteriense eiecto 27 vanum est.

Fac, venerande mi Heinriche, ut in domino conveniamus, ut simul et unanimiter valeamus orare dominum pro defensione ecclesiae suae et simul etiam, si sic opus, verbo et armis pugnare feliciter. Amen.

Raptim, Basileae, 26. decembris anno 38.

Os. Myconius

tuus totus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, ministro verbi dignissimo apud Tigurum, perquam venerando in domino suo.