[1721]
Gervasius Schuler an
Bullinger
Memmingen,
15. Februar 1543
Autograph a : Zürich StA, E II 358, 143r.-v. (Siegelspur)
UngedrucktNachdem Landgraf [Philipp] von Hessen die Städte Ulm, Augsburg und Memmingen vor den
Werbungen Christophs von Landenberg gewarnt hat, wurden in Memmingen 400 Mann unter
die Waffen gerufen und Feldgeschütze aufgestellt. Am Reichstag zu Nürnberg ist erst König
Ferdinand mit zwei Söhnen sowie Pfalzgraf Friedrich eingetroffen; der Memminger Gesandte
[Christoph Zwicker] hat noch nicht geschrieben; es heißt, Kaiser [Karl V] werde mit spanischen
Truppen nach Deutschland oder Italien kommen; Herzog [Ludwig X.] von Bayern, der
Hauptmann des [Nürnberger] Gegenbundes, führt etwas im Schilde; aus den Niederlanden
wird über Rüstungen des Herzogs [Wilhelm V.] von Jülich berichtet; für den Sommer rechnet
man mit einem Vormarsch des türkischen [Sultans Suleiman I.]; die Papisten prahlen, der
Mordbrenner [Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel] werde seine Restitution erzwingen.
Die Protestanten haben das Kammergericht rekusiert; dieses hat auf Antrag des
Herzogs von Braunschweig die [schmalkaldischen] Städte unter Achtandrohung vorgeladen;
im Reich herrscht gefährliche Uneinigkeit; Balthasar Funk hat Schuler vertraulich wissen
lassen, dass bedeutende Städte mit den Eidgenossen sympathisieren; Bullinger soll darauf
hinarbeiten, dass sie sich nötigenfalls zusammentun könnten. Martin Frecht schreibt, die Eidgenossen
hätten in Baden einen Entschluss bezüglich des Kammergerichts gefasst; es wäre
nützlich, wenn sie mit den Städten in die gleiche Lage kämen. Ambrosius [Blarer] wird Bullinger
das schwenckfeldische Lied [,,Ein schön new lied von der gotheyt und herrligkeyt unsers
herren Jesu Christi"] geschickt haben. Bitte um Förderung nachbarschaftlicher Einigkeit;
Grüße. Hofft, wenigstens einen Gruß zu erhalten. Empfiehlt den nach Bern reisenden Briefüberbringer
und würde ihm eine Pfarrstelle im Zürcher Gebiet wünschen.
Gnad und fryd von gott dem vatter und unßerem herren Jesu Christo. Amen.
Eß hatt, hertz lieber pruder, innerhalb acht tagen der landgraff 1 von Heßenn
die oberen stett Ulm, Ougspurg, Memmingen mitt eygnem gesanten
pottenn 2 ernstlich gewarnet, 3 das wir gute sorg sollen haben, damitt wir nitt
ungewarneter sachen überfallen wurdend; dann sein fürstliche gnad gut wißen
trag, das Christoffel von Landenberg 4 , der vor kurtzem die von Rothweyl
übermittelt; am 1. Februar teilte auch
Ulm die Nachricht von der Warnung des
Landgrafen mit (s. Memmingen StadtA, A
Bd. 320, 1ff).
überzoch
5 , in eyner großen werbung sey umb knecht; versehe sich, 6 eß
sey Haynrichs von Braunschweygs anstyfftung.
7 Doruff sollen wir gut kundschafft
machenn, das wir nichts uber sehen; dann seyn furstliche gnad welle
sich nitt saumenn
8 . Doruff haben meyne herren von Memmingen auff nechst
verschinen
9 sontag Invocavit 10 400 mann under den burgeren außgeschoßen 11 ,
den selben befolhen, daß sy mitt wehr und harnasch gefaßt seyend
und alle stund eynes weyteren beschayds warten. Hand auch b das feldgeschütz
hin und wider
12 in der statt durch ire kriegs räht c verordnet, so vyl
noch ist, zu der eyl.
Auff dem reychtag[!] zu Nurnberg 13 laßt es sich ansehen, sam 14 gantz und
gaar nichts ußgericht werden solt; es ist kain fürst do dann Ferdinandus, der
kunig, mitt zweyen sönen, 15 und hertzog Frydrich, der pfaltzgraff. Unßer
gesanter von Memmingen 16 hatt noch nie geschrybenn, daß noch so gaar
nicht weder angefangen nach außgericht ist. 17 Wir haben gewisse kundtschafft,
das kayßlerlichel m[ajesta]t 18 in aygner person mitt ettlich taußend
Spanier herauß kommenn in Teutschland oder in Italiam solle. Der hertzog
von Bayeren 19 prütet ouch waß unglüks, haubtman des contrapunds. 20 Hab
in kurtzen tagen schreyben
21 auß dem Nyderland, das der hertzog von
Gulch
22 in treffenlicher
23 kriegß rustung sey. Des Turckens
24 sind wir d gewertig
auff zukunfftigen sommer mitt großer macht. Unßere papisten glorieren
aber
25 hefftig, meynende, der mordtprenner
26 welle ihnen zu hilff
kommen, wir mußend ihn wider ein setzen.
Die protestierenden (acht 27 , ir wißends vor) haben das kamergericht in
religion und profan sachen recusiert. 28 Hertzog von Braunschwig hatt am
kamergericht wider unß procediert und ein citationem peremptoriam 29 erlangt
auff die acht, 30 die selbig laßen in unßer und anderen stetten offendtlich
laßen anschlagen, das wir fur den 22. 31 dißes monats der acht erwarten
und were sy wider unß exequieren welle. Eß ist layder im reych alles zertrent
und unaynig; ich sorg, die stuht 32 (wie man spricht) wyll zergahn,
dorumb so mußen wir eynanderen die schwentz abbayßenn; 33 wir habens
aber wol beschuld 34 solche noth. Ich sorg, die sach e sey also geschaffenn,
das eß eynmal prechen muß, und ist, loebe[r]f pruder, das daß aller ergest 35
das wir den unfryden im bußen tragend und wenig, jaa under hunderten nitt
ayner, der imme gottes eer und das vatterland laße von hertzen angelegen
sein. Contemptus dei, hypochrysis et avaritia omnia pene devastarunt. Eß
hatt mir der consul Balthazar Funck in eynem gehaym gesagt, das nitt die
mynsten 36 stett imm reych sych haben auff den reychstägen durch ire gesanten
mercken g lohn, wann die aydgnoßen erbarkeyt ||143v. meer liebeten
und gute iustitia hielten, welten sy sich nitt lang bedencken und ein kumaul
einer klaffter lang an sich nemen. 37 Verzuhe 38 mir der reden, du weyst wol,
worden war, s.
Schlauer-Schindler 230-236.
wie ichs gemayn
39 . Also sind die frommen und erbarn stett jetzt gedenckt
40 .
Das schreyb ich aber dir in gehaym, dormitt du deßder komlicher
41 in allem
deynem thun handlen kondest, das zu fryden und aynigkayt diene bey den
denen, wann es etwan dorzu käme (wie ich besorg), das wir eynanderen in
trubsal brauchen mußten, das wir als dann die köpff deßder genawer in eyn
kappen möchten stoßen,
42 unßer vatterland zu retten, bey entpfangner worhayt
gottes zpleyben und unß der plutdurstigen tyrannen erweeren möchten.
Ich hab die tag schreyben geheptt von Martin Frechten, 43 das auff den
elfften februarij die aydgnoßen seyen zu Paden beynander geweßt und sich
ettwas des kayßerlichen camergerichts endschloßen h : 44 wer eben recht, wann
wir und die aydgnoßen in ain i sack gerieten; 45 wer weyßt aber den rath
gottes herren.
Dominus Frechtus hatt dir ohne zweyfel durch M. Ambrosium 46 das
schwenckfeldisch lied 47 von seiner kätzerrey zugeschickt. Mirabilis cantio
est, at Schvenfeldi[!] spiritum probe sonat.
Laß dir, fruntlicher, lieber Bullinger, unßer gemayne trubßal angelegen
sein, wie du dann sonder zweyffel thuscht k , und handel noch dir gebner
gnadenn alles das, so zu nochtbeurlicher 48 frundschafft und eynigkayt furderlich
ist. Wir sind alle frisch und gesund von gots gnadenn, deß wir von
gantzes hertzen begyrd von dir und den deynen allezeyt begeren zu hören.
Den vatter aller gnadenn wolmayne dich 49 sampt deinem gantzen haußgesund
50 durch Jesum Christum. Gruß mir den frommen, gottliebenden Pellicanum,
herr Casparnn 51 Binderum 52 und alle diener des worts. Dominus
Speyer (Anastasius Nolt) 1543 (VD 16 S
3647f; CSch VIII, Nr. CCCXCVIII). Martin
Frecht zitiert aus diesem Lied in einem
Brief an Vadian vom 17. Februar 1543
(Vadian BW VI, Nr.
1281, hier S. 205f)
und erwähnt dort auch, dass er es an Blarer
geschickt und diesen um Weiterleitung an
Bullinger und Vadian gebeten habe. Blarer
übersandte das Lied am 24. Februar an
Bullinger (s. unten Nr.
1724, 47-54). Als
möglicher Autor -laut Vorwort ein "gottseliger
pfarrherr" —wurde Johann Wecker
(Weckunger) vorgeschlagen, was sich jedoch
nicht weiter belegen lässt (vgl. CSch
VIII 443).
Friderichus
53 , cooperarius meus, te plurimum salutat; simul et uxor mea
54 te
tuamque costam
55 una cum parente
56 salvum cupit.
Geben zu Memmingen, 15. februarii anno 1543.
Dein alter frund Gervasius
Schuler.
Ich dorff nitt wol brieff von dir vorderen, denn ich hab meyn unschick noch
nitt widerpracht, 57 welt aber dennocht gern einfart 58 ein fruntlichen gruß von
dir haben, mocht es nitt meer gesin. 59
Presentium lator 60 pius et bonis moribus, non penitenda eruditione adiuncta,
preditus Bernam profecturus Christo servire sattagit. Cuperem ex
animo illum apud tuos in agro Tigurino functione aliqua donatum, ubi ministerio
verbi domino serviret. Excipe illum transeunter nomine meo, obsecro,
frater.
[Adresse auf f. 144a v.:]l Dem frommen gottsgeleerten herren M. Haynrich
Bullinger, oberesten prediger der kyrchen zu Zurich, meynem frundtlichen,
lieben herren und pruder, zu selbs handen. m Zurch.