Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1890]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
9. April [1544]

Teilabschrift von Bullingers Hand (Briefanfang a ): Zürich StA, E II 453, 189r.-v.; Autograph (Briefschluss und Beilagen b ): Zürich StA, E II 357a, 663. 666f. 662r.-v. (Siegelspur) c Teildruck und zusammenfassende Übersetzung von Briefschluss und Beilagen: Blarer BW II 244-246, Nr. 1073

Aus Speyer wird berichtet, dass die Kurfürsten und Fürsten dem Kaiser [Karl V.] 24'000 Fußsoldaten und 4'000 Reiter bewilligt haben, die er mit König [Ferdinand I.] zum Kampf gegen [Franz I.] bzw. [Suleiman I.]aufteilen wird; die genannten Stände und Fürsten wollen Franz [I.]aufgrund seines Bündnisses mit den Türken zum Feind der Christenheit erklären, wovon die Eidgenossen bald informiert werden sollen; ihre Antwort ist genau zu überdenken, da ihr Ansehen im Reich auf dem Spiel steht, und sollte möglichst einstimmig erfolgen und allgemein gehalten sein. Grüße an [Diethelm] Röist. Bemüht sich sehr um Nachrichten und deren Übermittlung. Hofft, dass ihm durch [deren Mitteilung an]Seckelmeister [Hans Rudolf] Lavater keine Nachteile entstehen, vertraut aber auf Bullingers Urteil über dessen Vertrauenswürdigkeit. Hat um fünf Uhr [nachmittags] noch keinen Boten gefunden, möchte den Brief aber schnell abschicken und keinen Stadtboten nehmen, um Misstrauen zu vermeiden. [1. Beilage:] Entwurf eines Schreibens der Eidgenossen an die Reichsstände: Betrachten mit Sorge den Zwist zwischen [Karl V.] und [Franz I.] und wünschen dessen Beilegung, bitten aber um Nachsicht, wenn etliche Eidgenossen aufgrund ihrer Bündnisverpflichtungen in den Krieg ziehen oder wenn sie ungehorsame Untertanen nicht davon abhalten können. [2. Beilage:] Bittet Bullinger um Erkundigung nach eidgenössischen Rechtsentscheidungen über die Erbansprüche von Kindern, die von den Eltern in ein Kloster eingewiesen wurden, [nach der Reformation]jedoch wegen Gründung einer Familie enterbt worden sind oder einst auf ihr Erbe verzichtet haben; erkundigt sich desgleichen nach der Gültigkeit derartiger Testamente,

a Bullingers Teilabschrift ist zunächst als undatiertes Fragment zu betrachten. Die Verbindung zum ebenfalls fragmentarischen Briefschluss Blarers vom 9. April ergibt sich einerseits aus dem zusammen mit beiden Teilen überlieferten Vorschlag Blarers für ein Schreiben der Eidgenossen an die Reichsstände (vgl. unten Z 19-22 mit Anm. 25), andererseits aus folgenden Indizien zur Datierung des Briefanfangs: Die unten Z. 5-8 angeführten Zahlen zur Aufteilung der von den Reichsständen zu bewilligenden Truppen finden sich erstmals in der Triplik Kaiser Karls V. vom 29. März 1544 (RTA JR XV/3 1018-1020, Nr. 112). Die unten Z. 8-12 mitgeteilte Zustimmung der Stände erfolgte mit der Quadruplik vom 4. April (s. unten Nr. 1894,
Anm. 10). Bullinger dürfte das fehlende Original des Briefanfangs an Diethelm Röist weitergereicht und seine eigene Abschrift zurückbehalten haben.
b Zur 1. Beilage vgl. oben Anm. a. Die Zugehörigkeit von Beilage 2 zu diesem Brief lässt sich aufgrund von Bullingers Antwort vom 11. April (unten Nr. 1892, 64-70) vermuten; sie könnte aber auch schon etwas früher übersandt worden sein.
c Mit Anmerkung in der Hand von Traugott Schieß.
1 Die in Bullingers Teilabschrift sowie in den Briefteilen in Blarers Hand erwähnten Ereignisse lassen sich eindeutig dem Jahr 1544 zuordnen.


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die am Kammergericht, am Hofgericht zu Rottweil oder am Landgericht aufgesetzt wurden, und bittet um konkrete Beispiele aus der Eidgenossenschaft. Hat dies bisher vergessen und bittet um baldige Antwort, die aber nicht gleich durch diesen Boten erfolgen muss.

Lieber und guter freund, es ist nächt 2 widerumb bottschafft von Spyr 3 kummen, und stadt die sach gantz gefarlich. Die chur- und fürsten habend k. m. 4 bewilligt 24'000 zu fuß und 4'000 zu roß in iren kosten zu erhalten. 5 Die sölle sin maiestat und der römisch könig 6 teylen uff den Franzosen 7 und die Türggen, wie es inen amm gelägnisten ist. Daruff ist ouch die teylung beschähen, das der keysser nemmen wirt 16'000 ze fuß und 3'000 za roß; die überigen 8'000 zu fuß und 1'000 ze roß wirt der könig in besatzung wider die Türggen nemmen. 8 So wöllend genampt ständ und fürsten den Franzosen, von wägen das er sich zum Türggen 9 xellet 10 , declarieren und uußschryben alls iren und gemeiner christenheyt vind 11 . So wirt man ylendts üch eydgnossen ouch vomm rych zuschryben und üch abmanen vomm Franzosen, wie ir wol verston werdent etc. 12 Dorumb lugend, wie ir wyslich 13 ||189v. handlind. Dann an üwer antwurt wirt vast 14 vil gelägen sin. 15 Gut eeren lüt im rych d und günstig der eydgnoschafft redent gar vil darvon, das, so ir da nitt fürsichticklich handlend, das es vil anlassens 16 bringen wirt. Söllend ir eydgnossen üch von einanderen trännen und gespalltene antwurt gaben, so sterckend ir üwere mißgünstigen gar häfftig. Söllend sich dann die ort in glyche fußstapfen stellen, da die stond, die gällt genommen und vil iamers angericht, wirt vor gott und aller erbarckeit imm rych übel luten. Und were vilicht das fugcklichest, man gäbe ein allgemeine antwurt unvergriffenlich 17 uff beide teyl. Darvon ich wyter üch wyser und verständiger lüten gedancken e und reden mitteylen wil etc. f E II 357a. 663

|| Wellt mir meinem günstigen her Rösten 18 vyl vyl dienst, guts und grutz sagen. Hapt mich allzeyt brüderlich für bevolchen.

d im rych am Rande nachgetragen.
e Vor gedancken gestrichenes ant.
f Hier endet Bullingers Teilkopie mit der Überschrift Formm der antwurt und entwürffen (zu Bullingers Abschrift des Entwurfs s. unten Anm. g).
2 gestern Abend, letzte Nacht.
3 Vom Reichstag zu Speyer.
4 Karl V.
5 Vgl. Nr. 1886, 43.
6 Ferdinand I.
7 Franz l.
8 Siehe dazu die oben Anm. a erwähnte Triplik; s. RTA JR XV/3, Nr. 112, S. 1018-1020, bes. 1019. Das entsprechende kaiserliche Mandat an Konstanz vom 24. Juni findet sich im dortigen Stadtarchiv, Ref. A. Fasc. 23, f. 250.
9 Sultan Suleiman I.
10 gesellt hat.
11 Feind.
12 Das Schreiben der in Speyer versammelten Reichsstände an die Eidgenossen wurde bereits am 2. April abgefasst; s. RTA JR XV/3 1020-1023, Nr. 113.
13 weise.
14 sehr.
15 Zur Antwort der Eidgenossen vom 29. April s. unten Anm. 25.
16 Gelegenheit, Grund (zu Auseinandersetzung).
17 unverbindlich, ohne den Rechten anderer vorzugreifen.
18 Diethelm Röist.


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Ir wisst und gloubt nitt, wie ich mich wider meinen brauch reysß 19 und üb, unverzug dise ding zuerfaren und verstendiger leut gut beduncken darinn zuvernemmen. Der treuw gott verleich zytlichen unnd ewigen friden durch Christum Jesum.

Ir söllt gewisß und ungezwyfellt sein, das ich mich kains wegs sparen will 20 in erfarung ouch in , zuschreibung alles des jhenigen, daran ich achten mag euch etwas gelegen sein. Doch das mir sölichs nitt zu nachtail raiche. Des herr Laveters 21 seckelmaister halber, diewyl ir mir anzögen, das im nit weniger dann dem h. R[östen] zetrauwen, 22 lasß ichs ouch geschechen, dann ich ewerm iudicio sovyl zugib, das ir nunmehr uss erfarung der eweren wol mutmassen mögt, wem zu trauwen seye oder nitt.

Diß schreib ich zu drey uren; hab zu wol zu funffen geschickt, kan kain potten ankomen. Wellt gern, das ainer noch etwa wyt gieng und uff morn dunstag by euch were zytlich. Ich will den brieff schliessen, dann ich hab wyter um ain boten usgeschickt, das ich inn nitt summe g 23 ; darff kein stattbotten brauchen, argwon zuverhüten. Will euch die horam uff den brieff schreiben. 24

Datum f[eria] 4. post palmarum.

AB. 666f

|| [1. Beilage gedruckt in: Blarer BW II 245f, (Teil von) Nr. 1073.]h 25 662r.

|| [2. Beilage:]

Liebster herr und bruder, es langt an euch min gar fruntlich beger, wellt euch sovyl möglich erfaren by den jenigen, so gemainklich auff die täg von ewern herenn gesandt werden, ob sölich fäll ouch etwa fur gemain aidgnossen kommen und was von inen darinn gesprochen seye, was ouch noch hierinn verhoffelich 26 by inen erlangt möchte werden; namlich das die elteren in oder usserhalb ainer aidgnoschafft testament uffrichtend und ettliche

g Erster Buchstabe korrigiert aus z.
h Eine von Bullinger angefertigte Abschrift dieses Konzepts für eine Antwort der Eidgenossen an die Reichsstände findet sich in Zürich StA, E II 453, 189.3r.-v.
19 bemühe.
20 Ermittlung.
21 Hans Rudolf Lavater.
22 Ein Brief Bullingers mit dieser Mitteilung ist nicht erhalten.
23 aufhalte.
24 Auf dem im Original erhaltenen Briefteil findet sich keine entsprechende Notiz.
25 Der Brief der Eidgenossen an die Reichsstände vom 29. April 1544 (in RTA JR
XV/3, Nr. 124, S. 1049-1052, bes. 1051) weist teils starke Parallelen zu dem hier beigelegten Entwurf Blarers auf. Unter dem Titel "Churfürsten, Fürsten und gemeiner des heiligen Rychs Stendt, so uff dem Rychßtag zu Spyr versamlet, Zuschryben an gemeine Eydgnoschafft im M. D. XLIIII. Jar. Item, Gmeiner Eidgnoschaft gesanten Radtsbotten zu Baden Antwort uff gemelts der Rychsstend Zuschryben" wurde dieser Brief in Bern durch Matthias Apiarius 1544 gedruckt (s. VD 16 R 747; Exemplar in Zürich ZB, Ms S 54, 105).
26 voraussichtlich.


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irer kind enterbend ausß kainer anderen ursach, dann das die kind inen yn iren kintlichen jaren gefolget und in clöster gangen, darnach aber, alls sy der sachen verstendig worden, widerum herausß gangen und in eestand kommen, darinn mitt kindlin von gott begabt sind.

Item, was in sölichem fall gesprochen worden, wa sich die kind usß unwissenhait der erbschafft verzygen 27 habend.

Item, wie es mitt den jhenigen gehalten werde, die sich nitt verzygen habend und danecht 28 enterbt werden von den elteren allain usß ursach wie obgemeldt.

Item, was man söliche testament gelten lasß, wa sy vorm camergricht oder hoffgricht zu Rotwyl 29 uffgericht werden.

Item, wie im falle, so sy vorm landtgricht uffgericht werden.

Und ob ir mir ettliche exempel kondten anzögen, wie man vor gmainen aidgnossen hierinn gehandelt und was man gsprochen hette; dann mir etwas daran gelegen von ains guten freunds 30 wegen, derhalb ich euch gantz vleyssig pitt, sovyl von minen wegen bemüet zesin und mir sölichs zuerfaren.

||662v. Diß i wollt ich euch nehermals 31 zugeschickt haben, aber in der yl ists mir abgefallen. So bald ir mitt statten mögt, wellt mirs erfaren; muß nitt gleych bey disem botten sein. k

[Adresse über Kopf zur Nachschrift:]Bullingero suo.