Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1906]

Ambrosius Blarer
an [Bullinger]
[Konstanz],
4. Mai 1544

Autograph: Zürich SIA. E II 357, 77f (ohne Siegel) Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 255, Nr. 1083

Dankt für sein Schreiben und für die Antwort [der Eidgenossen] an die Reichsstände; möchte sich gerne in den nächsten acht Tagen mit ihm treffen, aber aus gewissen Gründen nicht im vorgeschlagenen Grießenberg, sondern in Stammheim oder an einem anderen Ort. Plintenburg wurde von den Türken erobert. Aus dem Piemont wird von großen Verlusten der kaiserlichen Truppen [in der Schlacht bei Ceresole] berichtet. Vom Reichstag gibt es keine Neuigkeiten, außer einem erst kürzlich von [Philipp von Hessen] an [Konstanz]gesandten Druck [,,Der Churfürsten, fürsten, graven ... warhaffter und bestendiger bericht"] über die Taten Herzog Heinrichs von Braunschweig, den Blarer übermitteln wird. Will Bullinger beim bevorstehenden Treffen die Antwort der Eidgenossen zurückgeben, nachdem er sie nach Ablauf der von Bullinger gesetzten Frist auch anderen gezeigt hat; man sagt, Bern habe nicht zugestimmt. Bucer ist nach kurzem Aufenthalt in Straßburg auf Bitte des Kölner Erzbischofs [Hermann von Wied] wieder [zum Reichstag] nach Speyer zurückgekehrt; er berichtet von geheimen, gegen die Protestanten gerichteten Friedensverhandlungen der Fürsten; bedauert, dass es die Protestanten versäumt haben, [Franz I.] durch Friedensvermittlung für ein Bündnis gegen die Türken zu gewinnen, und zweifelt an der Einhaltung der von den Protestanten geforderten Zusagen zur Religionsausübung. Um den [entlohnten]Boten braucht sich Bullinger nicht zu kümmern; er soll einen Ort [für ihr Treffen] vorschlagen; Grüße. Leitet die Sendung Sixt Bircks [mit dessen Schrift "Judith"] weiter.

Insonders geliepter her und vertrauwter bruder.

Ewere schreiben 2 sind mir wol zukomen sampt der antwurt an die reychstend 3 , und nach dem ich nochmals usß nitt a geringen ursachen selbs gern personlich bey euch sein und muntlich mitt euch sprachhalten 4 wellt und ir mir aber Griessenberg 5 zu ainem b platz, da sölichs beschechen möchte, fürgeschlagen haben, der mir aber darzu usß ursachen, wie ir von mir vernemen werdt, nitt gelegen sein will, ist demnach mein fruntlich pitt an euch, die weyl euch die pletz und flecken hiezwischen Zurich 6 wol bekant, ir wellt mir ainen ungefar uff halbem weg anzögen, da wir möchten zusammen kommen, mitt besynnung 7 des tags und der herberg, da wir ainander

a Nach nitt irrtümlich ein zweites uss.
b ainem anstelle eines gestrichenen, unlesbaren Wortes über der Zeile nachgetragen.
1 Der Brief reiht sich nahtlos in die Korrespondenz zwischen Blarer und Bullinger ein.
2 Nicht erhalten.
3 Blarer bezieht sich auf die Antwort der Eidgenossen vom 29. April an die in Speyer
versammelten Reichsstände; s. oben Nr. 1890, Anm. 25.
4 mich unterreden. - Vgl. oben Nr. 1893, 23-26; 1904, 19-21.
5 Schloss Grießenberg (Amlikon, Kt. Thurgau), das Blarers Schwester Barbara und deren Mann Heinrich von Ulm seit 1529 gehörte.
6 zwischen Konstanz und Zürich.
7 Überlegung. Vorschlag.


briefe_vol_14_224arpa

treffen möchten, so will ich mich gewisslich uff sölich zeyt dahein verfügen, es were gen Stammen 8 oder an ain ander ort, wa es euch für das geschiktest ansehen mag. Wann es aber allso auff halbem weg, were es desshalb am kommelichsten 9 , das wir baid auff mittag allda sein und unsser sach usrichten kondten und alls dann mornderigs 10 yeder zeytiich widerum anhaim kommen. Ich wellt aber vast 11 gern, wa es ewer halb ouch fug hette 12 , das sich unser zusamenkommen über acht tag die nechsten nitt verzuge und wir uff sontag cantate 13 oder die nechsten tag darnach unser sach verrichten möchten. Ich will hie sagen, ich müsß gen Griessenberg; wirt nieman weyter fragen. So finden ir ouch wol ain fürwort 14 Der lieb . gott fügs alles mitt gnaden zu seinem lob und preyß. Amen.

Wir habend zeytung 15 , das Blundenburg 16 von dem Turcken 17 schon erobert und vyl volcks erwirgt seye. Gott erbarme sich seiner armen christenhait!

Den kaiserischen wirt grausamer zugeschriben, wie es in Bemont 18 ergangen seye, dann die kuntschafften der aidgnossen anzögend, namlich ist gen Prixen und Ynspruck 19 ylends auff der post geschriben, das der kaiserischen ob 15 m[ilia], der frantzösischen aber gantz wenig umkommen seyen 20 etc.

Wir haben sydher nichts anders ab dem tag 21 , dann das yetzund meinen herren von dem landtgrauffen 22 ain truk 23 zukomen, der vor den reychstenden verlesen worden, 24 darinn hertzog c Hainrichs von Braunschweigs thaten

c r in hertzog über der Zeile nachgetragen.
8 Stammheim (Kt. Zürich). Das Treffen fand vor dem 26. Mai im Haus des Historikers und Stammheimer Pfarrers Johann Stumpf statt; aus den nachfolgenden Briefen geht hervor, dass hauptsächlich der Anschluss der Stadt Konstanz an die Eidgenossenschaft besprochen wurde. -Lit.: Joachim Staedtke, Blarer und Bullinger, in: Joachim Staedtke, Reformation und Zeugnis der Kirche. Gesammelte Studien, hg. v. Dietrich Blaufuß, Zürich 1978. - ZBRG 9, S. 65-76, bes. 71; vgl. oben Nr. 1893; unten 1919, 2054.
9 bequemsten.
10 am nächsten Tag.
11 sehr.
12 wenn es euch passen würde.
13 11. Mai 1544.
14 einen Vorwand.
15 Nachricht.
16 Zur Eroberung von Plintenburg (Visegrad, Ungarn) s. Bucholtz V 209.
17 Sultan Suleiman I.
18 Piemont.
19 Brixen und Innsbruck.
20 Zu den Nachrichten über den französischen Sieg bei Ceresole vgl. oben Nr. 1904, Anm. 15.
21 Gemeint ist der Reichstag zu Speyer.
22 Philipp von Hessen. 23 Der churfürsten, fürsten, graven ... warhaffter und bestendiger bericht ... von wegen der rechtmessigen, genotdrangten und unvermeidlichen defension, welche ire churf. f. g. g. ... wider Heinrichen, der sich nennet den jungem von Braunschweig, fürzunemen gedrungen, [Straßburg, Wendelin Rihel], 1544 (VD 16 E 4654) -Vgl. auch unten Nr. 1921 und Anm. 33.
24 Die Verlesung fand am 5. April statt; s. RTA JR XV/3 1519-1546, Nr. 252; PC III 484f.


briefe_vol_14_225arpa

inn begriffen seind; der soll euch bald ouch zelesen werden, 25 ist erst necht 26 kommen, habs selbs ouch noch nitt gesechen.

Der aidgnossen antwurt 27 will ich euch selbs uberantwurten, so unß der herr zusamen hilfft. Die acht tag sind yetzund erst herum, nach deren ir mir erloupt habend, ouch anderen ehrenleuten diß schriben mittzetailen; hetts euch sonst yetzund geschickt; man will sagen 28 , Bern habe in diß schriben nitt bewilliget.

||78 Bucerus ist ettlich tag anhaim gen Strasburg kommen und aber yetzund widerum auff Speyr verritten uff trungelich beger 29 des ertzbischoffs von Cöln 30 . Er schribt mir under anderm, quod intercesserit arcana quaedam de d pacificatione e inter monarchas actio f , ubi magnum nobis malum quaeratur. Deinde post aliqua addit: 31 "Nostri pacem hanc efficere suo bono potuissent, si recte agere novissent et ausi essent. Admissis enim legatis Galli 32 , qui unice pacem quaerebant, facile effici potuisset, ut Gallia abstracta penitus Turcis se nobis iunxisset contra Turcos, quum nunc a nobis ad Turcos, quo nostro malo pereat, detrudatur. Nostri pacem talem petunt in Germania constitui, ut praedicatio iustificationis, communio integra sacramenti et matrimonium ubique admittantur et ut omnibus etiam liberum sit nostram confessionem sequi totam. Quid impetraturi sint, nescio; verbis forsan aliquid, rebus, quantum mundus potest g concedere Christo."

Dem botten 33 sagt nienervon nichts 34 und nempt euch sein nichts an; er ist yetzund in meinen gescheuten. Lasst mich aber by im wissen aigentlich 35 ort und tag, euch gelegen; will ich mich da gewisslich mitt gottes hilff finden lassen. 36 Sagt mir all ewerm gesindle vyl liebs und guts, ouch meinem

d de vor der Zeile nachgetragen.
e Die Endung -ne über der Zeile nachgetragen.
f actio über der Zeile nachgetragen.
g potest in der Vorlage irrtümlich wiederholt.
25 Blarer übersandte die Schrift am 16. Juni; s. unten Nr. 1928, 19-21.
26 gestern Abend.
27 Vgl. oben Anm. 3.
28 man meint; man glaubt (SI XV 1164).
29 aufdringlichen Wunsch.
30 Hermann von Wied. - Zu Bucers Anwesenheit am Reichstag zu Speyer vgl. oben Nr. 1895, Anm. 1.
31 Fast wörtliches Zitat aus dem Brief Bucers an Blarer vom 20. April; s. Blarer BW II, Nr. 1076, S. 249f.
32 König Franz I. - Die Gesandten Frankreichs
waren François Olivier und Jean Du Bellay sowie dessen Sekretär Johannes Sleidanus. Ihnen wurde allerdings das freie Geleit verweigert, nur Sleidanus konnte schließlich einreisen; s. Catalogue des actes de François I er (Collections des ordonnances des rois de France), Paris 1890, Bd. 4, Nr. 13537; Alexandra Kess, Diplomacy Evangelism and Dynastic War: The Brothers Du Bellay at the Service of Francis I, in: Moderate Voices in the European Reformation, hg. v. Alec Ryrie und Luc Racaut, Aldershot 2005, S. 26f; dies., Johann Sleidan and the Protestant Vision of History, Aldershot 2008, S. 32.
33 Unbekannt.
34 von alledem nichts.
35 genau.
36 Vgl. oben Z. 3-21.


briefe_vol_14_226arpa

gunstigen herr Rösten 37 myn gantz gutwillig dienst mitt empietung alles guten. Der herr mitt euch zeytlich unnd ewigklich.

Datum 4. maii, zu früer tagzeyt, 1544.

Am. Bl.

Mitto, quae heri a Xysto Betuleio 38 tibi inscripta accepi. 39

[Ohne Adresse.]