Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2103]

Pfarrer und Lehrer von Zürich an
Philipp von Hessen
Zürich,
12. März 1545

Original (von Zürcher Kanzleihand a ): Marburg HStA, PA 1797 (3, 1797), 32r.—35v. (Siegelspur); Entwurf von Bullingers Hand b : Zürich StA, E II 337a, 366r.—367r. Gedruckt nach dem Entwurf: Mühling, Kirchenpolitik 293-295, Anlage 7

[Die Zürcher] bedauern das aggressive [,,Kurtz bekentnis"] Luthers: zum einen nehmen die Schwachen an der Uneinigkeit unter den Befürwortern des Evangeliums Anstoß, zum anderen werden dadurch die Friedensbemühungen des Landgrafen [Philipp] und anderer Fürsten zunichte gemacht. Die Zürcher hätten weiterhin geschwiegen, wenn Luther sie nicht als Ketzer verdammt und geschmäht hätte. Ihre Antwort, das [,,Warhaffte Bekanntnuß"], haben sie mit Wissen der Bürgermeister [Johann Rudolf Lavater und Johannes Haab] und der Ratsherren Zürichs verfasst; diese können Luthers Verhalten nicht verstehen, zumal die Zürcher Kirche sich an die apostolische Lehre hält. Sie schicken dem Landgrafen nun ein Exemplar dieser

a Die gleiche Hand wie unten Nr. 2110.
b Im Apparat werden nur bedeutsame Abweichungen des Entwurfs und Angaben zu
den dort beobachteten Hinzufügungen verzeichnet.


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Antwort zu, weil dieser darin im Zusammenhang mit dem Marburger [Religionsgespräch von 1529] erwähnt wird. Er möge diese Antwort und überhaupt Zürcher Drucke in seinen Territorien nicht verbieten, genauso wie die Zürcher Luthers Bücher und die [seiner Anhänger] zur Lektüre zulassen. Jeder soll feststellen können, dass die [eidgenössischen Kirchen] keineswegs der Darstellung Luthers entsprechen. Der Landgraf soll Kurfürst [Johann Friedrich L] von Sachsen und Herzog Moritz [von Sachsen]je eines der beigelegten Exemplare [dieser Antwort] zukommen lassen und diese bitten, [die Eidgenossen] nicht ungehört zu verdammen. Er möge sich ferner des Anliegens der zu Unrecht von Luther verdammten Zürcher annehmen; so wird ihn Gott bestimmt dafür belohnen.

Durchlüchtiger, hochgeborner fürst und gnädigister herr, unnser underthänig willig dienst sampt erbietung alles guten sye üweren fürstlichen gnaden von uns alle zyt bevoran bereit 1.

Das d. Martin Luther so gar grimmig 2 wider unns one unnsern verdienst unnd beschulden geschriben unnd in den truck geben hatt, 3 ist unns leid, insonders von wägen der einfalten, schwachen christen, die sich an dem nit wenig verergerend unnd anstossend, das wir, die usß einem evangelio einen herren Christum predgend 4 von sinem heyligen zeichen unnd sacrament in so langwirigem span gegen andren stand. So beduret uns ouch nit wenig, das üwer fürstlichen gnaden unnd annderer frommer christenlicher fürsten, herren, standen unnd stetten früntlich zu thun unnd friden nit mee by d. Luthern hatt mögen verfahen 5 dann das er nach lanngem stillstannd unnser, unnd desshalb one rechtmässigen anlaß, den ergerlichen stryt widerumb ernüweret. Wir zwaren 6 hättend lieber frid gehept unnd fürohin wie bißhar geschwigen, über das wir vil unnd lanng, ja mee dann flucht gilt, unns gelitten habend. 7 Diewyl aber unnser gedult unnd schwigen by d. Luthern nit mee gebracht hatt, dann das er in siner bekantnus c8 unns für kätzer verdampt, unnsere vorfaren, eeren christenlüt, unnd unnsere kuchen am glouben unnd eeren schmächt unnd schendt, alls hierumb sin schriben heiter am tag 9 ist, habend wir eeren, glimpfs 10, pflichten unnd ampts halben nit mee unnd wyter fürgan können 11. Da so 112 habend wir nit für unns selbs, hinder 13 unsern gnedigen herren unnd obren burgermeistern 14 unnd rädten gehanndlet, sonnder mit irem vorwüssen unnd verwilligen 15 ; welche, 16 ouch sampt allen glöübigen by unns, ein besonder groß beduren ab so abschüchlichem Luthers schenden unnd schelten todter 17 unnd läbendiger nit unbillich 18

c Im Entwurf. letsten bekantnus.
1 bevoran bereit: vorab entboten.
2 so gar grimmig: so sehr wütend.
3 Anspielung auf Lutherstr "Kurtz Bekentnis"; s. oben Nr. 2061, Anm. 7.
4 predigen. —Vgl. Eph 4, 5.
5 bringen.
6 zwar.
7 Dies entspricht nicht Bucers Wahrnehmung des Verhaltens der Zürcher; s. HBBW XIV 503, 36-39.
8 Siehe oben Anm. 3.
9 heiter am tag: offensichtlich.
10 glimpfs ... halben: in Rücksicht auf.
11 nit mee unnd wyter fürgan können: nicht [so] fortfahren können.
12 Da so: Demzufolge.
13 ohne Wissen von.
14 Johann Rudolf Lavater und Johannes Haab.
15 Einwilligung.
16 Die Bürgermeister und Räte Zürichs.
17 Hauptsächlich Zwingli und Oekolampad.
18 nit unbillich: nicht zu Unrecht.


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em-|| 32v. pfangen habend unnd tragend, diewyl mengklich vermeint 19 , wenn glych wol die kuchen by unns unnd wir, deren diener, imm hanndel deß sacraments ettwas mangels hättend, solte doch Luther sy unnd unns nit also gar uußschütten 20 , insonders diser zyt, in welcher der warheit ungünstige alle krefft 21 herfür thünd, evangelische warheit ze verdammen und ze vertrucken. So wir aber recht unnd der ersten apostolischen heyligen kylchen glichförmig lerend unnd haltend, solte d. Luther noch vil minder sich von unns trännen unnd ein spaltung in der kuchen one nodt machen.

Sidmals dann ouch u[wer] f[ürstlichen] g[naden] in unnserer antwort 22 gedacht wirt, da wir von dem colloquio zuo Marpurg gehalten redend, 23 überschickend wir unnderthänig u. f. g. unnsere antwurt unnd bekantnus mit demütigister, früntlichister pitt, u. f. g. wölle die in gutem von unns, gar günstigenn d unnd willigen dieneren, empfahen unnd, wo vile unnd grösse der gschäfften halben jenan 24 müglich, ouch willig läsen.

Darneben bitten wir wyter, u. f. g. wölle umb gottes unnd sines heyligen worts willen gnedigklich fürkummen 25 das unnsere bekantnus unnd antwort sampt anndern unnsern bücheren nit in u. f. g. fürstenthumb verbotten unnd wir also unverhört unnd unschuldig verdampt werdind. Unsere gnedigen herren unnd oberen lassend in irer statt e , graffschafften, stetten unnd lannden alle und jede Luthers bucher, ouch annderer unnser widerwertigen gschrifften verkouffen unnd kouffen. Wir vermanend ouch mengklichen, die ze lasen; dann billich ists, das beide theyl verhört unnd nieman unverhört unndertruckt werde. Da so truwend 26 wir gott unnd siner ||33r. hällen 27 , ewigen warheit, alle glöübigen werdind klarlich unnd eigentlich 28 befinden 29 , das weder unsere kuchen noch wir söliche verdampte lüt sind, wie uns d. Luther der gantzen christenheit gern inbildete 30 . Gott verzyhe im.

Darüber bittend wir u. f. g. ouch umb das, das sy abermals gott, die warheit unnd unnsere unschuld ansahen f , unnd früntlich an den churfürsten von Saxen 31 , ouch an u. f. g. tochter man, hertzogen Moritzen, 32 unnsere

d Im Entwurf gilt günstigen.
e In der Vorlage satt, hier anhand des Entwurfes korrigiert.
f Im Entwurf davor gestrichenes gnädicklich.
19 mengklich vermeint: jeder der Meinung ist.
20 nit also gar uußschütten: nicht so sehr verurteilen.
21 der warheit ungünstige alle krefft: damit sind Kaiser und Papst gemeint; vgl. oben Nr. 2079,29-33.2090,9—11.2096,28—30.
22 Das gerade erschienene "Warhaffte Bekanntnuß" der Zürcher (s. oben Nr. 2061, Anm. 9), Anlass dieses Briefes.
23 Warhaffte Bekanntnuß (HBBibl I 161; BZD C 346), f. 6r.—9r., wo auf f. 6v. der Landgraf als Initiator des Marburger Religionsgesprächs von Oktober 1529 gewürdigt wird.
24 irgendwie.
25 hinwirken.
26 vertrauen.
27 klaren.
28 genau.
29 feststellen.
30 darstellen würde.
31 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
32 Herzog Moritz von Sachsen, der im Januar 1541 Philipps Tochter Agnes (1527-1555) geheiratet hatte.


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gnedigesten herren, vermögen wölle 33 , das jr fürstliche gnaden unns unverhört mit verbieten unnser gschrifften in iren fürstlichen gnaden fürstenthumen nit lassind verdammen. Wir habend ouch ettliche büchli 34 hiebi gelegt, welche iren f. g. möchtend, wo es u. f. g. nit widerig, überantwortet werden. g

Allergnedigester h fürst unnd herr, lassend u. f. g. unnser schwere 35 anligen ze hertzen gan, angesähen 36 , das es umb unnsere frommen, glöübigen kilchen, umb redliche, gotsförchtige unnd gelerte abgestorbnen unnd umb unnsere eer unnd guten namen, ja ouch umb die warheit ze thun ist, dann je 37 d. Luther unns als unbussfertige verdampte kätzer usßschrypt 38 , deren gmeinschafft unnd schriben alle glöübige myden sollend, da aber wir 39 von hertzen aller kätzery find sind unnd begärend, mit christenlicher warheit in der gmeinschafft aller recht glöübigen ze blyben. Wir hoffend ouch zu gott, unnserem herren, wenn u. f. g. unnser begär unnd demütigs schriben gnedigklich uffnimpt unnd erhört, der allmechtig werde u. f. g. hit unnd begär ouch annemmen unnd erhören, diewyl i er heiter 40 im h. evangelio gesprochen hatt, welcher einem siner dienern ein kalten wassertrunck biete, wolle er nit unvergulten lassen. 41 Wo wir unns dann mit underthänigen, willigen diensten gagen u. f. g. danckbar bewysen k42 köndend, wöltend wir uns 33v zu allen zyten gantz underthänig unnd willig erzeigen. Gott unnser himelischer vatter wölle u. f. g. sampt allen iren züghörigen durch Jesum Christum, unnseren erlöser, in sinem schirm trüwlich unnd allweg 43 erhalten.

Datum Zürich in der eydgnoschafft, deß 12. tags im mertzen anno 1545.

U.f.g.

underthänige diener, pfarrer,

prediger, der heiligen gschrifft

läser unnd gemeine diener

der kylchen Zürych.

g Im Entwurf wurde dieser Satz am Rande nachgetragen.
h Im Entwurf wurde der Abschnitt von Allergnedigester bis recht glöübigen ze blyben z. T. über gestrichenem Text, z. T. am Rande nachgetragen. Gestrichen wurde: Wir trüwend ye gott, der warheit und unschuld, wenn fromme glöübige lüt allenthalb in den kylchen unsere leer und wie wir von dem heiligen sacrament haltend lasen und verstan, werdint sy mitt uns eins und zefriden sin
i Im Entwurf wurde der Textabschnitt diewyl bis unvergulten lassen zwischen den Zeilen eingefügt.
k Im Entwurf aus erzeigen korrigiert.
33 an ... vermögen wolle: bei ... bewirken möchte.
34 Damit sind Exemplare des "Warhaffte[n] Bekanntnuß[es]"gemeint.
35 wichtiges.
36 angesichts dessen.
37 dann je: weil stets.
38 in seinen Schriften verleumdet.
39 da aber wir: wo wir doch.
40 klar.
41 Mt 10, 42 par.
42 erweisen.
43 unter allen Umständen.


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[Adresse auf f. 35v.:]1 Dem durchlüchtigen, hochgebornen fürsten unnd herren, herren Philipsen, lantgraffen zu Hessen, graven zu Catzenelenbogen, zu Dietz, zu Zigenhain unnd zu Nidda, unnserm gnedigisten herren.