Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2110]

Bullinger an
Ulrich von Württemberg
Zürich,
15. März 1545

Original von Zürcher Kanzleihand a : Stuttgart Hauptstaatsarchiv, Bestand A 63, Bündel 7 (unfoliiertes Doppelblatt, Siegelspur); Autographer Entwurf b : Zürich StA, E II 337a, 369v.—370v. Gedruckt nach dem Entwurf: Immanuel Kammerer, Schweizer Quellen zur württembergischen Reformationsgeschichte, in: BWKG 57/58, 1957/1958, 24f

Ulrich von Württemberg wird Luthers "Kurtz bekentnis", in dem Oekolampad und Zwingli geschmäht werden, zur Kenntnis genommen haben. Nachdem die Zürcher es etliche Jahre lang schweigend ertrugen, gereizt zu werden, können sie dies nach Luthers letzter Schrift nicht länger hinnehmen. Hier nun ihre mit Wissen der [Zürcher]Obrigkeit verfasste Antwort, das [,,Warhaffte Bekanntnuß"], um dessen Kenntnisnahme Bullinger bittet. Ferner bittet er, die Bücher der Zürcher im Fürstentum [Württemberg] nicht zu verbieten. Luther hat die Zürcher ungerecht geschmäht und als Ketzer verdammt; demzufolge wäre es angemessen, dass deren Erwiderung ebenfalls gelesen werden kann.

Durlüchtiger, hochgeborner fürst unnd gnedigister herr, mm unnderthenig, willig dienst sampt erbietung alles güten sye u[weren]f[ürstlichen]g[naden] von mir alle zyt bevoran bereit 1 .

Dill, in: HLS V 182 (Quelle des angeführten Zitats); Amerbach Korr. IV 48, Anm. 1; Amerbach Korr. IX/I 335-339 (Vorbemerkung). 345-353; Contemporaries II 84f (ergänzt und überholt durch Amerbach Korr. IX/I); Centuriae Latinae II. Cent une figures humanistes de la Renaissance aux lumieres. A la mémoire de Marie-Madeleine de la Garanderie, hg. v. Colette Nativel, Genève 2006 — Travaux d'Humanisme et Renaissance 414, S. 337— 351; Pierre Petitmengin, Un ami de Melanchthon: Sigismundus Gelenius, éditeur et traducteur de textes classiques et patristiques, in: Die Patristik in der Frühen Neu- zeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. bis 18. Jahrhunderts, hg. v. Günter Frank, Thomas Leinkauf und Markus Wriedt, Stuttgart/Bad Cannstatt 2006 — Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10, S. 65-92.
12 Hieronymus Frohen.
a Von derselben Hand wie das Original von Nr. 2103.
b Bloße orthographische Abweichungen vom Original sind nachfolgend nicht verzeichnet.
1 bevoran bereit: vorab entboten.


Briefe_Vol_15_188arpa

Mir zwyfflet nit, u. f. g. habe d. Martin Luthers büchlin, "Kurtze bekentnis vom heyligen sacrament"genent 2 —unnd namhafftig c wider d. Johansen Oecolampadium, U[lrich] Zwynglin seligen d , unns hie 3 Zürich unnd alle anndere, die nitt gloubend, das deß herren brot der natürlich lib Christi sye unnd muntlich von unglöubigen so wol alls von gloubigen gassen werde, geschriben unnd in truck geben e -, gesähen unnd zum theil f gelesen, das von unnoten ist, hie wyter darvon zu schriben. Unnd wiewol wir, die hie Zürich Christi unnd der kuchen diener sind, wol ermässen könnend, was ergernus unnd unwillens ouch bi frommen, gloubigen lüten usß dem zangg, schriben unnd widerschriben entstadt, desshalb wir ouch ettliche jar vilfaltig g gereitzt, geschmächt unnd getratzt 4 , uns gelitten, unnd ergernus zevermiden, umb gottes unnd eins besseren hoffend, geschwigen habend, haft doch d. Luther mit obgedachtem sinem büchlin todte und läbendige fromme eerenlüt, rechtgschaffne leer unnd unnser ampt unnd unschuldige kuchen so grüwlich gescholten unnd geschmächt, das wir eeren, ampts unnd glimpfs halb 5 nitt mee habend kannen stillschwigend fürgan. Unnd habend also mit anrüffen des, der getrengte 6 unnd unschuldige rettet, 7 ouch nit one vorwüssen unser gnedigen herren unnd obern, unnseren glouben unnd ler bekendt, Luthers ler von dem h[eiligen] nachtmal, wie ungegrünt sy ist, bewysen, unnd sine zureden 8 , schelten unnd schmehen abgeleinet 9 . Söliche bekantnus unnd antwort 10 überschick ich underthänig h u. f. g. mit demütiger pitt, u. f. g. wolle solich büchlin gnedig von iren gantz willigen, gutgünstigen diener empfahen 11 unnd, wo jenen müglich i12 , lesen.

Ich bitt ouch wyter gantz demütig in namen unnser aller, die hie || Zürich Christo unnd der kilchen dienend, umb gottes unnd der eewigen warheit willen, u. f. g. wölle gnedigklich fürkummen, das diser unnsere verantwortung 13 sampt anndern unsern büchern in u. f. g. fürstenthumb nit werde unndergeschlagen unnd ze läsen verbotten, unnd wir also unverhört 14 unnd

c namhafftig im Entwurf über der Zeile nachgetragen.
d seligen im Entwurf über der Zeile nachgetragen.
e Im Entwurf gegäben.
f zum theil im Entwurf am Rande nachgetragen.
g Im Entwurf wurde jar vilfaltig über gestrichenem zyt har nachgetragen; darauf folgt auf der Zeile unß.
h underthänig im Entwurf am Rande nachgetragen.
i Im Entwurf: müglich ist.
2 Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 2061, Anm. 7.
3 hierin.
4 herausgefordert, gereizt.
5 glimpfs halb: aus Rücksicht.
6 Bedrängte. 7 Gott.
8 Verleumdungen.
9 zurückgewiesen.
10 Das "Warhaffte Bekanntnuß"; s. oben Nr. 2061, Anm. 9.
11 empfangen.
12 jenen müglich: irgendwie möglich.
13 Rechtfertigung, Verteidigung.
14 unangehört.


Briefe_Vol_15_189arpa

unschuldig geschmecht unnd verdampt werdint. D. Luther hatt uns one unnseren verdienst unnd rechtmässigen anlaß geschmächt unnd ais k kätzer, ja alls die aller ergiste lut verdampt, die keine l artickel deß gloubens recht gloubind, etc. Billich 15 ist es, das unnsere antwort unnd unschuld dargegen zö verhören 16 nit abgeschlagen werde. Unnd so u. f. g. unns in somlicher 17 unnser zimlicher 18 pitt gnedig m erhört unnd geweret, hoffend wir, gott unnser herr werde ouch u. f. g. pitt unnd begären gnedigklich erhören. Wo wir dann danäben ouch unns mit underthänigen, willigen diensten gägen u. f. g. danckbar bewysen köndent, wöltend wir uns zu allen zyten gantz unnderthänig unnd willig erzeigen. 19

Gott, unser hymelischer vatter, wolle u. f. g. sampt allen iren züghörigen in sinen gnaden unnd schirm gnädigklich unnd trüwlich erhalten durch unnseren herren Christum.

Datum Zürych in der eydgnosschafft, des 15. tags im mertzen anno 1545.

Uwer fürstlichen gnaden

underthäniger diener H.

Bullinger, diener der kuchen

Zürich.

[Adresse auf der Verso-Seite des 2. Blattes des gefalteten Doppelblattes:]n Dem durchlüchtigen, hochgebornen fürsten unnd herren, herren Ulrychen, hertzogen zu Wirtenberg unnd zu Teck 20 , graffen zu Mümppelgart, etc., sinem gnedigesten herren.

k alls im Entwurf über der Zeile nachgetragen.
l Im Entwurf keinen.
m gnedig im Entwurf am Rande nachgetragen.
n Dabei Notizen der württembergischen Kanzlei: Bullinger, predicant zu Zürich. Anno 45. Die Recto-Seite des 2. Blattes des gefalteten Doppelblattes ist leer.
15 Gerecht.
16 za verhören: anzuhören.
17 solcher.
18 die sich ziemt.
19 Vgl. Z. 27-41 mit oben Nr. 2098, 13-27.
20 Das ehemalige Gebiet der Herzöge von Teck, das im Laufe des 15. Jh. in württembergischen Besitz kam, und dessen Burg Teck oberhalb von Owen (Kr. Esslingen, Baden-Württemberg) liegt.