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Teilabschrift von unbekannter Hand (17. Jh.) a : Zürich ZB, Ms F 64, 649r.-v.
Vadian betrauert die viel jüngeren [Georg] Binder und [Kaspar]Megander, die [am 18. Juli
bzw. am 17. August 1545] verstarben. — Bucers Schrift [,,Von den einigen rechten wegen und
mitlen Deutsche nation inn christlicher religion zu vergleichen", August 1545] hat er gelesen
und erkennt darin die entgegenkommende Fürsorge Bucers, welcher die sich widerstreitenden
Parteien liebt und eine Einigung sucht, auch wenn er dabei unbeständig erscheinen mag.
Bösartigkeit kann Vadian sich bei Bucer nicht vorstellen; auch zweifelt er nicht daran, dass
Bucer ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt, ohne die [Heilige]Schrift aus den-Augen zu verlieren.
Dies ist auch Vadians Einstellung; deswegen schwankt er aber nicht. Vielmehr teilt er die
Lehre der Zürcher, doch ist er der Meinung, man müsse bei der Deutung der Geheimnisse
[Gottes] die Wahl seiner Worte genau abwägen. — Bullinger hat von einem zuverlässigen
Freund [Blarer]2 erfahren, Vadian hätte bedauert, dass "seine Zürcher Luther ungerecht
behandelt" haben. Die Sache verhält sich folgendermaßen: Frecht wollte Vadians Meinung
[über das "Warhaffte Bekanntnuß"]erfahren. Vadian antwortete ihm, er hätte das Buch noch
nicht gelesen, doch hätte er gehört, dass die Zürcher den verdienstvollen [Luther] sehr ungerecht
behandelt hätten. Dies entspricht nämlich dem Urteil von rechtschaffenen Menschen aus
[Vadians Umfeld], die die Zürcher schätzen, es aber gern sehen würden, wenn diese sich inBriefe_Vol_15_529 arpa
ihren Schriften zurückhaltender und weniger bissig zeigten und ihre helvetische Suffisanz
aufgaben. Vadian braucht hier keine Namen zu nennen, weil es jedem freisteht, eine eigene
Meinung zu haben, und weil er die Zuverlässigkeit seiner Angaben selbst bezeugen kann. Also
teilte er Frecht die Meinung anderer und nicht seine eigene mit, und zwar deshalb, weil er
diesen dadurch für den Rest seines Briefes empfänglicher stimmen wollte. Darin wollte er
Frecht zu verstehen geben, dass Luther sich über die Geheimnisse [Gottes]genauso ausdrückt,
wie wenn die [Protestanten] über das Bischofs [amt]sprechen und sich dabei ganz überzeugt
auf die [Heilige]Schrift berufen; dass Luther ferner der tropischen Redeweise feindlich gesinnt
ist, wo doch das ganze Altertum diese anerkennt, und die Geheimnisse [Gottes] ohne
diese nicht zu deuten wären; ferner, dass mit dem Sauerteig der Pharisäer, vor dem man sich
hüten soll [vgl. Mt 16, 6-12 par.], nicht so sehr die falsche Lehre der Papisten gemeint ist als
vielmehr die heuchlerische, prahlerische Verkehrtheit im Denken. Dies und noch anderes
wollte Vadian Frecht verdeutlichen. Leider besitzt Vadian keine Kopie seines Briefes mehr. Er
wollte sich Frecht gegenüber als Herold der Einträchtigkeit erweisen und diesen bitten, brieflich
bei Philipp [Melanchthon]dafür einzutreten, dass nicht noch Unverschämteres geschehe.
—Inzwischen hat keiner von den anspruchsvollen Zuschauern auf Luthers [Angriff] reagiert.
Doch freuen diese sich, die Mühe der in der Arena kämpfenden [eidgenössischen Protestanten]
zu beobachten und nehmen sich dabei sogar die Freiheit heraus, Kleinigkeiten zu kritisieren!
—Bullinger soll nicht an Vadian zweifeln. Wenn dieser Zank doch nur beigelegt würde
und die brüderliche Sanftmut zu Einigkeit führte! — Vadian bedankt sich allerdings für Bullingers
Verlässlichkeit und Offenheit, die er ihm in seinem mahnenden Brief [nicht erhalten]
erwies.
[Gedruckt: Vadian BW VII 113-115, Nr. 84; Teilübersetzung: Joachim Vadian, Ausgewählte Briefe, hg. v. Ernst Gerhard Rüsch, St. Gallen 1983, S. 88f, Nr. 22.]