Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2529]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
8. August 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 242 (neu: 260)(Siegelspur) Ungedruckt

Das Zögern [der Schmalkaldener] hält an, auch wenn man sich jetzt angeblich beeilt, im Wissen, dass die 80000 erwarteten Italiener dem Kaiser Karl V. bald zur Verfügung stehen werden. Papst [Paul III.]hat alles gegeben und kann nun auf den Beistand des Kaisers zählen. Martin Peyer aus Schaffhausen erzählte heute von dem Brief eines Mitglieds des Geheimen

2 Panizzone war seit 1535 Repräsentant des Statthalters von Mailand (zur Zeit des vorliegenden Schreibens war dies Ferrante I. Gonzaga); s. HBBW XIV 386, Anm. 1; XVI 386, Anm. 28. —Schon 1544 hielt sich Panizzone auf Mission in der Eidgenossenschaft auf und war auch damals im Gasthaus der Bullinger in Bremgarten abgestiegen; s. HBBW XIV, Nr. 1979. 1983. 1992.
3 die vergangenen Beziehungen mit Bullinger.
4 Bullingers Verwandter Marti Bullinger, Wirt "Zum Ochsen" in Bremgarten; s. HBBW XIV 387f, Anm. 13.
5 Ein solcher Brief Bullingers ist nicht erhalten; s. aber Anm. 2.
6 Girolamo Franco, päpstlicher Nuntius an der Tagsatzung zu Baden im Juli; s. Nr. 2474, Anm. 6; Nr. 2494, Anm. 55.
7 Zum Auszug des päpstlichen Heeres aus Bologna s. Nr. 2511, Anm. 57; Nr. 2518 und Anm. 105.
8 Karl V.
9 Paul III.
10 Es handelt sich um die am 26. Juni zwischen Kaiser und Papst ausgehandelten Artikel, die u.a. in "Bapsts Pauli III Breve" (VI16 K437), f. Ciii v.-Dii r., veröffentlicht wurden; s. schon Nr. 2485, Anm. 52.
11 Eine Antwort Bullingers ist nicht erhalten.


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Rats aus Ulm [Georg Besserer?]: Die Könige [Franz I.] von Frankreich und [Heinrich VIII.] von England sollen dem Kaiser ihre Hilfe abgeschlagen haben. Dieser habe auch beim Sultan [Suleiman 1.] um 1 '800 Kavalleristen gebeten. Doch ist die entsprechende Antwort noch unbekannt, da der kaiserliche Gesandte [Gerhard Veltwyck]noch nicht [aus der Türkei]zurückgekehrt ist. Man sagt, dass die Eidgenossen beim Eintreffen der Italiener im Reichsgebiet die Obersten [des Schmalkaldischen Bundes] um 8'500 Mann baten, um mit diesen den ersten Angriff gegen den Kaiser steuern zu dürfen. Man soll ihren Vorschlag angenommen und ihnen zusätzlich 2'000 Reiter angeboten haben. Die Eidgenossen wollen nun mit ihrem Angriff auf den richtigen Moment warten. Infolge der Vereinbarung mit [Suleiman] hat der Kaiser die Kanonen aus Wien und die dort stationierten 1'200 Spanier mit ihren Hakenbüchsen zu sich bestellt. Bucer schrieb über ein neues Heer aus Belgien, dessen Vorhaben unklar ist: Entweder soll es von Mainz aus Hessen überfallen, oder [Friedrich II.] von der Pfalz und die evangelischen Rheingrafen in Schach halten, oder auch den [Landgrafen Philipp von]Hessen von hinten angreifen. Myconius dachte aber, dass der Landgraf sein Land gut versehen hatte; dass deshalb kein Angriff darauf zu befürchten war ... — Der Straßburger Gesandte [Heinrich von Müllenheim] erzählte gerade, dass in Donauwörth die [schmalkaldischen Truppen] zusammengekommen seien. Es sind 7'000 Reiter und 60'000 Fußsoldaten. Veit Dietrich hat den Straßburgern die Unterstützung der [Nürnberger] in Aussicht gestellt. Möge die [kommende eidgenössische] Tagsatzung Gutes bewirken! Sollten die [Eidgenossen]auf die Wünsche der [schmalkaldischen] Gesandten [Heinrich von Müllenheim, Ulrich Hochrütiner und Hans Herter von Hertneck] nicht eingehen, wären sie wirklich dumm! Gott möge den Fünf Orten die Augen öffnen! Grüße. [P.S.:]Jeder, dem Myconius das Gedicht [Rudolf Gwalthers] über den Verfall des Klosters [Einsiedeln] zum Lesen gibt, ist geschockt und kann es nicht glauben. Der Autor soll Genaueres darüber berichten.

S. Adhuc molesta dilatio 1 , quamvis nunc tandem (si rumor verus est) frustra festinatio tentetur, postquam Carolus 2 obtinuerit, quod fuit in votis. Aiunt enim exercitum Italicum adpropinquare usque ad octoginta millia delectorum, non sponte currentium. 3 Papa 4 tentat extrema; adest tentanti Carolus.

Sed audi, quid narravit d. Martinus Bavarus Schafhusianus 5 hodie mihi. Ulmensis senator, vir bonus et ex numero eorum, qui bellicis praesunt negociis, 6 scripsit Schafhusiam certum esse, quod Carolus misent ad Gallum 7 et Anglum 8 et Turcam 9 pro auxiliis. Quid petierit a regibus, non constat; a Turca petiit equites 1'800. 10 llli"11 negarunt se quicquam daturos; legatus 12 a Turca nondum rediit. Nescitur ergo, quid is sit facturus.

1 Die Verzögerung beim geplanten Angriff der Schmalkaldener auf den Kaiser.
2 Kaiser Karl V.
3 Zum Vormarsch dieser Truppen s. zuletzt Nr. 2528,9f. — Zu deren Eintreffen s. Nr. 2531,52f; NBD IX 178.
4 Paul III.
5 Martin Peyer.
6 Vermutlich Georg (Jörg) Besserer, einer der fünf Ulmer Geheimen Räte (oder Kriegsräte). Sein Name wird nämlich in der in Fischer, Chronik 152 aufgestellten Liste der damaligen Geheimen Räte Ulms angeführt, und aus PC IV/1 257
(Anm.) und 376 geht ferner hervor, dass damals Georg Besserer betreffend die Kriegsläufte tatsächlich in brieflichem Kontakt mit den Verbündeten und Glaubensverwandten stand. — Am 6. August schrieb der Rat von Schaffhausen diesbezüglich auch an Zürich (Zürich StA, A 177, Nr. 20). Ähnliches wurde ferner ebenfalls vom Konstanzer Rat an Zürich mit einen undatierten Brief (aaO, Nr. 21) übermittelt.
7 Franz I.
8 Heinrich VIII.
9 Suleiman I.


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Rumor volat, quod, postquam Itali venerint in terram imperialem, Heivetios octies mille, et quingentos 13 petisse a ducibus 14 , ut liceat sibi facere impetum in istos primarium; concessum et additos bis mille equites. Querere nostros occasionem, ut voto satisfaciant.

Ex Vienna Austrie Carolus boardas 15 omnes adducere ad se mandavit et Hispanos 1'200 uncatas 16 gerentes; adeo convenit ei cum Turca. 17

Ex Belgico venit exercitus novus. 18 Quis sit et quo velit, ignoratur. Hoc Bucerus. 19 Divinant vel ex Maguntia insidiaturum ditioni Hassie, vel Palatinum 20 , principes alios et comites religionis nostre Rhenanos cohibiturum, vel sequuturum Hessum 21 , ut a tergo invadat. Equidem, quod scribitur, non capio, quod constanter audivi 22 Hessum post se reliquisse omnia sic munita, ut timore vacet.

Convenisse iam nostros Werde ad Danubium 23 legatus Argentinensis 24 mihi dixit hodie, consultaturos, quid deinceps agendum. Equites sunt septies mille, pedites 60.000.

10 In dem oben in Anm. 6 erwähnten Schreiben aus Konstanz ist von 10,000 türkischen Reitern die Rede.
11 Die Könige Frankreichs und Englands.
12 Gerhard Veitwyck, Gesandter Karls V. an der Pforte; s. NBD IX Reg. Er war drei Wochen zuvor aus Regensburg mit Briefen des Königs Ferdinand und des Kaisers vom 13. bzw. 16. Juli zum Sultan geschickt worden; s. Lettres et mémoires d' Estat des roys, princes, ambassadeurs et autre ministres sous les règnes de François premier, Henri II et François II, hg. v Guillaume Ribier, Bd. 1, Paris, 1666, S. 562-584 (Text der Briefe).
13 In einem Brief des Konstanzer Rates an Zürich vom 4. August werden 10 Fähnlein eidgenössischer Söldner bei Füssen bezeugt (Zürich StA, A 177, Nr. 19). Ein weiteres Schweizer Fähnlein (mit 600 Mann) ist um den 4./5. August in Donauwörth nachgewiesen; s. Nr. 2531,38-40. 55. 102-105. Anfang August wurden acht der zehn in Füssen stationierten eidgenössischen Fähnlein mit sieben weiteren aus Landsknechten bestehenden Fähnlein nach Süddeutschland zum großen "Haufen" bestellt. In Füssen blieben lediglich "zwey vendlin Schwytzer"; s. Zürich StA, A 227/1, Nr. 83 (Recto-Seite), [Johannes Haab] an [Hans Escher vom Luchs], [Baden], 6. August 1546. Aus aaO, Nr. 83 (Verso-Seite), Derselbe an Denselben, 8. August, geht hervor, dass die zwei in Füssen gebliebenen
Fähnlein aus Appenzeller Söldnern bestanden. Aus Mameranus, Rebel. B2v. geht hervor, dass der Anführer der acht Fähnlein der Memminger Hieronymus Lehel war.
14 Die Obersten der schmalkaldischen Truppen.
15 Kanonen (Schlangenbüchsen), da das Wort wohl aus "boa" (eine dicke Schlange) abzuleiten ist. Dass damit "bombardae" gemeint sind, geht auch aus WA LXIV (Lateinisches Sachregister, A—C) 282 und aus Caspar Ursinus Velius, De bello Pannonico..., hg. v Adam Frantisek Kollár, Wien 1762, S. 137, hervor.
16 Hakenbüchsen, zumal "uncatus" "gekrümmt" oder "hakig" bedeutet (s. Niermeyer II 1370) und ferner aus vorliegender Stelle hervorgeht, dass die spanischen Söldner diese Waffe vom Gewicht her tragen konnten.
17 So auch in dem oben in Anm. 6 erwähnten Schreiben von Konstanz an Zürich. — Zum Frieden mit Suleiman s. HBBW XVI 30 und Anm. 174.
18 Siehe dazu Nr. 2512,15f, und Nr. 2541,13-19.
19 In einem nicht erhaltenen Brief an Myconius.
20 Friedrich II. von der Pfalz. 21 Landgraf Philipp von Hessen.
22 Siehe nämlich Nr. 2512,16f; Nr. 2515,10f.
23 Donauwörth. — Zur Ankunft der Truppen des Landgrafen und des Kurfürsten von


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Significavit Vitus Theodorus 25 Argentinensibus aliquid bonae spei de suis. 26 Utinam vero concedat dominus, ut comitia nostra 27 boni aliquid pariant! Invocandus in hoc dominus idem ex corde fideli, constanti et perseverante, usque dum nos exaudierit. Protestantium legati 28 habent, quae sunt proposituri; quibus qui non consenserit, prorsus insanus est. Aperiat itaque dominus corda Quinquepagicorum, ut intelligant et recipiant, quae ipsis eque sunt ac nobis profutura.

Vale in Christo cum tuis et fratribus. Basileae, 8. augusti anno 1546.

Os. Myconius

tuus.

Quibuscunque carmen De casu Eremitano 29 ad legendum permitto, dubitant verumne sit: Adeo nemo non horret! Scribat author aliquid, unde res fiat clarior. Eundem salutabis. Scribam brevi.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, in domino suo.

Sachsen in Süddeutschland und zu ihrem Einzug in Donauwörth, wo sie sich mit den Streitkräften Württembergs und der süddeutschen Städte vereinigten, s. Nr. 2518, Anm. 47, und Nr. 2531.
24 Heinrich von Müllenheim. — Am 1. August hatte der Basler Rat den Straßburger Rat gebeten, ihnen Ulrich Chelius (Geiger) zu entsenden, auf dass Letzterer sich bei dem ihm gut bekannten Antoine Morelet du Museau, dem Gesandten Franz' I. in der Eidgenossenschaft, erkundigte, was die genaue Haltung seines Monarchen gegenüber dem Kaiser, dem Papst und den Protestanten sei; s. PC IV/1 271. Entsandt wurde jedoch von Müllenheim, der am 7. August in Basel eintraf; s. aaO. S. 287, Nr. 267.
25 Veit Dietrich. — In dem zeitlich nächstgelegenen, heute noch bekannten Brief Dietrichs an Bucer, der vom 5. Juli 1546 datiert (Kopie in Zürich ZB, Ms 60, 163), findet man nichts Derartiges.
26 Vgl. Nr. 2541,6-9; PC IV/I 285.
27 Die eidgenössische Tagsatzung, die am 9. August in Baden begann (EA Wild 655— 672, Nr. 307).
28 Heinrich von Müllenheim (für Straßburg); Ulrich Hochrütiner (für Konstanz) und Hans Herter von Hertneck (für Württemberg); s. PC IV/I 269, Nr. 250, Text und Anm. 3 (Württemberg); 287f, Nr. 267 (Straßburg); 303, Anm. 8 (Konstanz). — Text des schriftlichen Gesuches
der Schmalkaldener an die Eidgenossen in PC IV/1 299-303, Nr. 280. Details darüber, wie und wann dieses Gesuch den Eidgenossen in Baden vorgebracht werden sollte, in aaO, S. 287f, Nr. 267. Das Gesuch wurde am Vormittag des 12. August vorgetragen; s. aaO, S. 299, Nr. 280, Anm. 1. Zum Protokoll des Vortrags und zu den darauffolgenden Reaktionen s. EA IV/Id 658 h und 668-670 zu h.
29 Rudolf Gwalthers Gedicht "Prognosticon vel chria monachis Mariae Eremitanae oblata. Anno 1546, mense Julii" (Zürich ZB, Ms D 152, 77r./v.), mit dem auf sexuelle Missstände in diesem Kloster aufmerksam gemacht werden sollte. Myconius erhielt das "carmen"mit dem an ihn gerichteten Schreiben Gwalthers vom 3. August (St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 171) mit der Angabe, dass der Anlass dazu eine "wahre" Begebenheit im Marienkloster Einsiedeln sei (wir danken Herrn Kurt Jakob Rüetschi für diese Hinweise). — Vielleicht wurde damals auch eine deutsche Fassung dieses "carmen" angefertigt, gedruckt und verbreitet, da während der am 9. August beginnenden Tagsatzung zu Baden die katholischen Eidgenossen sich u.a. über ein "Schmachbüchlein und Liedchen"beklagten, das "so schändlich und schmählich" sei; s. EA IV/1d 654 g und 659 m.