Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2652]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
Zürich,
1. November 1546

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 205-205a (Siegelspur)

Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 528-530, Nr. 1366

[1] Bullinger hat Blarers Schreiben vom 27. Oktober [Nr. 2645] empfangen und ist ganz dessen Meinung. Gott erbarme sich unser! [2]Am 30. [Oktober] versammelte der Zürcher Rat die Räte und Bürger und informierte sie über die Tagung [der Vier protestantischen Orte] in Zürich. Dabei beschloss man, alle Gemeinden der Stadt und Landschaft Zürich in Kenntnis der gefährlichen Lage zu setzen und diesen mitzuteilen, was der Zürcher Rat bisher mit den Eidgenossen und anderen verhandelt hat, und was Papst [Paul III.], Kaiser [Karl V.]und [der Schmalkaldische Bund] zu erreichen suchen. Dabei soll klargemacht werden, dass es bei diesem Krieg um den Glauben und um die Freiheit Deutschlands geht; dass der Zürcher Rat am Wort Gottes und am (evangelischen] Glauben festhalten will und den (protestantischen] Stadtkantonen und ihren Nachbarn nach Bedarf mit Hilfeleistung und Truppen beistehen wird; dass er aber auch die Bünde und den Frieden mit den Neun Orten halten will; und, da die Sache alle, Arm und Reich, betrifft, dass er Versammlungen im ganzen Gebiet Zürich angeordnet hat, um zu erfahren, ob er auf die Gemeinden zählen kann oder nicht. Zu diesem Zweck wurde ein schriftlicher "Fürtrag" zur Verlesung abgefasst. [3]Am 31. Oktober versammelte man die Zünfte, die den Rat einhellig ermutigten, weiterhin so tapfer und fromm zu handeln und sich den [protestantischen]Eidgenossen und Nachbarn behilflich zu erweisen, falls diese vom Kaiser, Papst und sonstigen Feinden der Wahrheit angegriffen würden. [4]Ab dem (7. November] werden die Landesversammlungen in den Graf-, Herr- und Ortschaften Zürichs abgehalten. [5]Inzwischen rüstet man und wird wohl innerhalb von 14 Tagen Truppen ausheben. [6] Blarer möge Konrad Zwick bitten, an den [schmalkaldischen] Kriegsrat in Ulm wegen eines Soldaten in der Truppe des Hauptmanns Heinrich Richmut zu schreiben. Es handelt sich um Wolfgang, den Sohn des Bürgermeisters [Hans Rudolf] Lavater. Letzterer ist ein redlicher und [den Schmalkaldenern] sehr gewogener Mann, wie Blarer es ja weiß. Bullinger befürchtet, dass die obersten Befehlshaber Wolfgang schlecht bezahlen und seine Herkunft nicht berücksichtigen, während sie anderen (denen er ebenbürtig ist) Ehrensolde gewähren. Doch ist dies nur eine Vermutung. Der Hauptmann [Richmut], sein Leutnant [...]und sein Fahnenträger [...] sind sonst gute Menschen. Diese Anfrage soll ihnen also nicht zum Nachteil gereichen. Der Kriegsrat [in Ulm] möchte doch dieser Sache nachgehen und Wolfgang die Ehre erweisen, die ihm gebührt. Es geht nicht ums Geld, denn Wolfgang ist wohlhabend. Er ist auch nicht um des Geldes willen, sondern aus Eifer für die Sache Soldat geworden. Sein Vater (ohne dessen Wissen er übrigens in den Krieg gezogen ist) weiß nichts von diesem Schreiben. Bullinger schreibt aus eigener Initiative, da er der Überzeugung ist, dass eine angemessene Behandlung der Kinder von solch ehrbaren Leuten Gutes bringt. Wolfgang ist Leibwächter des Hauptmanns Richmut. [7] Größe an Bürgermeister [Sebastian Gaisberg], [Thomas] Blarer und Konrad Zwick.

Gnad und frid. Uwer schryben, 27. octobris uußgangen, 1 hab ich empfangen. Bin in allwäg der meynung wie ir Gott wölle sich unser erbarmen.

Und diewyl sunst nut 2 ist in üwerm schryben, daruff ich ze antworten bedarff, füg ich üch ze wüssen, das min herren 30. septembris 3 rädt und burger 4 gehept. Da ist verhört alles, das man uff dem tag alhie gehallten 5


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verhandlet hat. Daruff habend sich erckent 6 rädt und burger, die gantzen gmeind 7 in statt und uff dem land ze berichten, wie dise gfarliche löuff gestalltet 8 ; was min herren bißhar gehandlet mitt den Eydgnossen und anderen; 9 10 11 was bapst , keyser und das rych begärt; das man daruß erlernt, das es der tütschen nation zu thun ist umb den glouben und fryheit; das sich min herren erkent und sich vereinigt, by dem göttlichen wort und rächter religion 13 ze verharren, iren Eydgnossen von stetten 12 , ouch iren nachpuren , trüwlich zuzesetzen 14 mitt zusätzen 15 und gwalltigem zuziehen mitt fenli und panern 16 , wie es die notturfft 17 vordert; das man an den 9 Orten pündt und friden ouch hallten wölle, etc.; und, diewyl die sach mencklich 18 antrifft, rych und arm, das man die gemeinden hallte in statt und land, 19 erfaare, wez 20 man sich zu inen ze versahen habe . Und ist der fürtrag in gschrifft gestellt 21 , den gmeinden vorzeläsen.
1 Nr. 2645.
2 nichts.
3 Richtig: Oktober; s. Nr. 2651,8-11; Nr. 2653,59-65.
4 radt und burger: der Kleine und der Große Rat.
5 Das Treffen der Vier protestantischen Orte in Zürich vom 19. bis 26. Oktober; s. Nr. 2606, Anm. 60.
6 sich erckent: beschlossen.
7 Ortschaften.
8 wie dise gfarliche löuff gestalltet (sind): wie es sich mit diesen gefährlichen Ereignissen verhält. — Siehe dazu Nr. 2651,11f; Nr. 2653,65-68.
9 Paul III.
10 Karl V.
11 Der Schmalkaldische Bund.
12 Den drei anderen protestantischen Orten.
13 Den Zugewandten Orten (s. Nr. 2651, Anm. 4) und wohl auch Konstanz.
14 beizustehen.
15 Hilfeleistung.
16 Das Fähnlein (fenli) und der Banner (paner) sind Heeresfahnen, die als Synonyme für kleine bzw. große Truppenabteilungen stehen; s. SI I 828.
17 Not, Bedrängnis.
18 jeden.
19 Ab Sonntag, 7. November; vgl. Nr. 2651, Anm. 8, und unten Z. 261.
20 wez man sich zu inen ze versähen habe: was man von ihnen zu erwarten habe.
21 Gemeint ist der schriftliche "Fürtrag", der vom Zürcher Rat Ende Oktober im Anschluss an die reformierte Städtetagung
aufgesetzt wurde. In Zürich StA, A 95/2, Fasz. 4, gibt es davon zwei Abschriften von zwei verschiedenen Händen. Der Endnotiz zufolge, die einer dieser Abschriften von ihrem Abschreiber hinzugefügt wurde, hat man diesen "Fürtrag unnd begeren [...]zuvor an die Constafell unnd Zünfft als ein ganntze gemeynd inn unnser Statt langen [=gelangen] lassen. Welliche unns mit eynheyliger anntwort begegnot sind, namlich, das sy an dem, so wir bißhar gehanndlet, ein gut gefallen unnd vermügen empfangen, unnd söllend fürer [=weiter] vollen gewalt haben, alles das zu handlen unnd zethund, so wir zu erhaltung göttlichs worts unnd Eeren und wollfart gemeyns vatterlants gedennckend". Demzufolge (vgl. nämlich Nr. 2651,8-11) wurde dieses Rundschreiben zwischen dem 26. und 29. Oktober verfasst. Es ist in den Quellen zur Zürcher Zunftgeschichte. 13. Jh. bis 1798, hg. y. Werner Schnyder, Bd. 1, Zürich 1936, S. 257, Nr. 350 (wir danken Rainer Henrich für diesen Hinweis), zusammengefasst. Mit ihm wurde die Bevölkerung über die Hintergründe und die Gefahren des Krieges in Deutschland und über das bisherige Verhalten der Vier protestantischen eidgenössischen Städte unterrichtet und ferner gebeten aufzurüsten, um einen etwaigen Angriff der Vier Städte abwehren zu können. Von einem Eintritt in den Krieg aufseiten der Schmalkaldener ist nicht die Rede. Man wolle aber die Neun Orte über den


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Gestern haft man die zünfft all in der statt gehept, etc. Da ist wunder, wie dappffer und einmütig, trostlich und willig alle mannschafft zugesagt hat, das min herren fürfarind, dappffer syind, vomm wort gottes nitt wychind, frommen Eydgnossen und ||205v. nachpurn wider keyser und bapst und wer sy von der warheit trängen wil trostlich behulifen syind 22 ; darzu wöllind sy setzen ir lib und gut und sich erzeigen alls fromme, gehorsame underthanen mitt darstrecken alles, das sy vermögind. 23

Uff künfftigen sontag und volgender tagen wirt man in graffschafften, herschafften, stetten und gepieten gmeinden 24 . Darzwüschen rüst man sich häfftig, dann man sich versicht 25 , man werde uußnemmen inet 26 14 tagen, etc.

Min gantz früntlich pitt langt an üch, das ir mitt üwerm vettern, minem lieben herren J[uncker] Conradt Zwicken, redind, das er üwerm kriegsradt zu Ulmm 27 schrybe, wie under Heinrych Rychmüts 28 , houptmans, fenli ein junger gesell ligt. Heist Wolffgang Lavatar 29 . Ist mins herren burgermeister Lavaters 30 sun. Da wüssend ir wol, das sin herr und vatter gar ein redlicher und dem rych großgünstiger mann ist. Und wil mich aber beduncken, wie die gwalltigen 31 amm regiment der houptmanschafft den guten. redlichen jungen vilicht mitt der besoldung schlächt haltend, nitt sagend, wemm er zühört oder wer er ist. Gäbend aber andern eerensöld, deren diser wol allsbald genoß 32 were und nitt unverdient wurde beliben. a Suspicor. Nil certi pronuncio. Alioqui capitaneus 33 , locum tenens 34 et signifer 35 viri boni sunt. Sed forte haec ipsi non expendunt. Nolim ergo haec illis esse fraudi. a Da, so ist min pitt, der kriegsradt wölle imm 36 nachvragen und verhälffen, das er

a-a Von Bullinger am Rande nachgetragen.
Zweck dieser Rüstung benachrichtigen, damit diese nicht meinten, dass man einen Angriff gegen sie plane, und zugleich beteuern, dass man die Bünde mit ihnen sowie den nach dem Zweiten Kappeler Krieg geschlossenen Frieden weiterhin halten wolle, weil man "nieman [...] im glauben [...] zwingen" möchte.
22 behulifen syind: dienen, behilflich seien; s. SI 111195.
23 Die hier gemachten Aussagen entsprechen völlig den Angaben der in oben Anm. 21 erwähnten Endnotiz.
24 Gemeindeversammlungen abhalten; s. SI IV 307.
25 sich versieht: erwartet.
26 uußnemmen inet: ausheben innerhalb von.
27 Gemeint ist der schon seit Beginn des Krieges in Ulm tagende Kriegsrat der Schmalkaldener.
28 Heinrich Richmut (Reichmuth, Richermuth),
ein Kaufmann, der einen Schwager in Kempten hatte. Er wurde 1548 vom Landvogt zu Baden, Wolfgang Herster von Zug, in Dietikon (damals Vogtei Baden) verhaftet, weil er während des Schmalkaldischen Krieges eidgenössische Knechte (wohl aus den Neun Orten) unter sich hatte. 1549 gab er das Zürcher Bürgerrecht auf und wurde Bürger von Schaffhausen. 1551 trat er in kaiserlichen Dienst; s. EA IV/1d 905 b. 934 ce. 943 e. 959 X; HBLS V 619.
29 Siehe dazu schon HBBW XVII 396f,2f.
30 Hans Rudolf Lavater.
31 Befehlshaber.
32 deren diser wol allsbald genoß: deren (,,eerensöld) er ebenso würdig.
33 Richmut.
34 Unbekannter Leutnant.
35 Unbekannter Fähnrich.
36 dem (der Angelegenheit).


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nach eeren ouch bedacht werde. Es ist umb die eer, nitt umb das gut dann er sunst wolhabend ist. Ist uß yfer, nitt umb 205a,r. || gällts willen hinuß zogen. Nun weist der herr und vatter darvon nut, das ich hie schrib, dann der jung ouch one wüssen des vatters hinwäg zogen ist. Ich schrib das alein uß miner selbs bewegnus und zu gütem der sach, dann ich acht, wenn sölicher eerenlüten eerenkind früntlich gehallten, mög es guts bringen. Genampter Wolffgang Lavatar ist des houptman Rychmuts trabant

Gott mitt üch. Datum in yl Zürych, 1. novembris zu 12 ur mittags 1546. Grüssend mir minen herren burgermeister 38 , üwern brüder 39 und vettern J[uncker] Conradt Zwicken.

Der üwer Bullinger.

[Adresse auf f. 205a,v.:] [Dem]b erwirdigen [und wol]gelerten her[ren m. Am]brosio Blau[reren, pr]edicanten zu [Constantz], sinem lie[ben her]ren und brüder. Constanz c .