Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2708]

Bullinger
an Oswald Myconius
[Zürich],
8. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 342, 157 (ohne Siegel) Ungedruckt

[1]Bullinger weiß wegen des elenden Kriegs bald nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Er wird immer mehr in die politischen Angelegenheiten verwickelt und leidet unterdessen an andauernden Kopfschmerzen. Das Schlimmste steht aber noch bevor! [2]Er erhielt vier Briefe von Myconius [Nr. 2683, Nr. 2691, Nr. 2692, Nr. 2702], darunter den letzten vom 4. Dezember. Danke für den erwiesenen Fleiß! Bullinger gab gestern John Burcher einen Brief für Francisco [de Enzinas] mit. Burcher hat [bei der Tagsatzung] in Baden geschäftlich zu tun. Wie lange, ist unklar. Auf Myconius' Briefe gibt es lediglich das Folgende zu erwidern. [3] Zur Frage nach den Feldpredigern: Dem Namen nach kennt Bullinger nur [Theobald Thamer], den Prediger des [Landgrafen Philipp] von Hessen. Beiliegend der an Bullinger gerichtete Brief dieses Predigers [Nr. 2647] unter der Bedingung schnellstmöglicher Rücksendung! Bullinger hat ausführlich darauf geantwortet [Nr. 2675]. [4] Die Meldungen über die Böhmen und über Herzog Moritz [von Sachsen] stimmen. Am 1. November mussten die [ernestinischen] Sachsen eine Niederlage einstecken: 1'200 Mann fielen, und 500 wurden gefangen. Dies berichteten die Berner gemäß einem Schreiben des Herzogs Christoph von Württemberg. [5] Heute Nachmittag meldeten die Konstanzer, dass eine Anzahl kaiserlicher Reiter ihr Winterlager im Hegau und am Bodensee aufschlagen wird. Stimmt das, wird es noch etwas geben! [6]Beiliegend ein Schreiben der Konstanzer, das gestern ankam, mit der Bitte um Rücksendung mit diesem [...] oder dem nächsten Boten. Alles schwebt in höchster Gefahr! Man muss Gott um Schutz bitten! [7] Bürgermeister [Johannes Haab] berichtet [mit Nr. 2711 von der Tagsatzung] in Baden, dass [Nicolas Perrenot, Herr von] Granvelle, den französischen König [Franz 1.] dazu veranlasst hat, das für die Protestanten bewilligte Geld zu sperren und sich zur Beratung nach Paris zu begeben, indem er dem König mitteilte, dass [Kaiser]Karl V. um die Hand seiner Tochter [Margarete von Frankreich] wirbt. Die Ratgeber des Königs werden bestimmt nur die Auslöschung des Christentums in Deutschland beabsichtigen.

19 Ulrich Wolfhart.
20 Wohl der Handelsmann Johannes Rembold Funck; vgl. HBBW XV 660f,2f. 663,60f.
21 Bartholomäus Bertlin, damals Pfarrer im nahe bei Memmingen gelegenen Woringen (Unterallgäu, Bayern).
22 Johannes Schmid, Helfer in Memmingen; vgl. Culmann, Schuler 65. 87.
23 [...] Schuler, geb. Lübegger.
24 Der Brief wurde durch Balthasar Funk überbracht; s. oben Z. 13f.


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Ist denn dieser Kaiser nicht teuflisch? Der Sieger [Christus] aber lebt, während man den Fürsten nicht trauen kann! [8] Die Meldung über die 2'000 getöteten Kaiserlichen ist bloß ein falsches Gerücht. Auch hätte [das ernestinische] Sachsen niemals 6'000 Reiter und 24'000 Fußsoldaten aufbringen können; daher werden die Böhmen auch nicht so viele getötet haben! [9]Jodocus [Kilchmeyer]hat in Bern nichts Schreckliches versucht. Er setzt sich nur für die Erhaltung der während der Berner Disputation [von 1528]festgelegten Lehre ein. Vielleicht ist das Gerücht auf die Entlassung von [Thomas] Grynäus und dessen Schüler [Peter Zeller]zurückzuführen. Diese Ausweisungen sind aber angesichts des hier beigelegten, von dem entlassenen Schüler verfassten Lieds (das Myconius mit dem gegenwärtigen Boten gleich zurückschicken soll) keineswegs verwunderlich! [10] Heute tagt in Zürich der [Große] Rat. Bern und Basel wollen sich von den Neun Orten den Schutz ihres Glaubens zusichern lassen. Die Zürcher aber lehnen das Gesuch ab, damit sie nicht im Gegenzug den päpstlichen und abgöttischen Glauben der Neun Orte verteidigen müssen. Seltsam, dass die Basler und Berner diese Frage vorbringen! [11] Gruß, auch an Enzinas und [Johannes] Gast. Mehr kann Bullinger nicht schreiben.

S. D. Ita divexor turbis et miseria praesentis belli, venerande mi Myconi, ut saepe nesciam, caput ne humeris adhuc insideat an rapiatur et volvatur per aera! Negotia excipiuntur negotiis et magis atque magis me involvunt. Laboro interea perpetua fere capitis imbecillitate. 1 Aber es ist alles noch nut gägen dem, das werden sol und noch wirt.

Quaternas a te accepi. Ultimas dedisti 4. decembris. 2 Scribis satis diligenter et fidelissime. Ago tibi pro diligentia et fide gratias. Pridie dedi literas ad d. Franciscum 3 d. Ioanni Burchero Anglo. Ignoro, quamdiu mansurus sit 4 Badenae. Habet ibi negotia. Nihil scio esse in tuis, ad quae omnino respondere oporteat nisi hec paucula.

Rogas, 5 qui sint in castris concionatores. Ignoro. Neminem enim novi nisi Hessi 6 idque ex nomine 7 Is ad me dedit literas 8 , quas hic vides, at ea lege, ne quis praeter te legat et ut mox remittas. 9 Respondi illi satis longa epistola. 10

1 Bullinger hatte schon früher, im Dezember 1545, über ähnliche Beschwerden geklagt; s. HBBW XV, Nr. 2303; 2310 bei Anm. 22.
2 Die vier letzten erhaltenen Briefe von Myconius sind Nr. 2683 vom 19. November, Nr. 2691 und Nr. 2692 vom 24. November sowie Nr. 2702 vom 4. Dezember.
3 Francisco de Enzinas (Dryander), der damals in Basel wohnte. —Ein solcher Brief ist nicht erhalten, aber in Nr. 2718 bezeugt.
4 Subjekt ist Burcher. — Er führte Holz aus der Eidgenossenschaft nach England aus. Zweifellos ist er der "arme Engländer", der sich auf der Badener Tagsatzung vom 7. Dezember 1546 über die Beschlagnahmung
gefällter Bäume beklagte; s. HBBW XII, Nr. 1689; EA IV/1d 723 a. — Möglicherweise war dieses Holz für Richard Hilles bestimmt, da Burcher vielleicht schon damals im Dienste des Letzteren gestanden hat; vgl. Hildebrandt, Exiles 68f bei Anm. 212 und 221.
5 In Nr. 2692,14-17.
6 Landgraf Philipp von Hessen.
7 Gemeint ist Theobald Thamer.
8 Brief Nr. 2647 vom 28. Oktober.
9 Myconius fertigte sich auf dem vorliegenden Brief eine Teilabschrift von Thamers Brief an (s. unten Z. 48f) und schickte diesen dann umgehend zurück; s. Nr. 2715,12-16.
10 Mit Brief Nr. 2675 vom 14. November.


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Vera sunt, quae scripta sunt de Bohemis et duce Mauritio. 11 Insuper cladem acceperunt non parvam Saxones. Ceciderunt 1'200, capti 500 calendis novembris. Ita scribunt huc Bernates ex duce Christophoro Wirtembergensi.

Hodie ad horam 3. pomeridianam scribunt Constantienses 12 caesaris 13 equites aliquot nec paucos hyberna habituros in Hegovia 14 et ad lacum Podamicum 15 . Quod si verum est, videbis, quid futurum sit.

Quae pridie huc miserunt, 16 vides hic, sed ea lege, ut per hunc 17 aut per proximum remittas. Vides omnia in summo versari discrimine. Oremus dominum nihil dubitantes de eius protectione.

Accedit his aliud, quod hac hora ad me consul noster 18 ex Badena scribit. Fama est Granvellam 19 Galli 20 animum perpulisse postulata regis filia 21 in uxorem Carlo (schowt 22 , ob er nitt der tüfel sye corporaliter!), ut pecuniam Protestantibus paratam 23 sisti et asservari adhuc in praesenti jusserit, imo Parisios 24 contentat consulturus, quid agat. Consiliarii eius manibus et pedibus 25 in hoc erunt, ut christianismus extinguatur in Germania. Sed vivit, qui vicit! 26 Das wirt uns ||157v. leren fürsten und herren truwen. 27

Vana sunt, quae dicuntur de caesis 2'000 equitibus caesaris: koufflütten mer 28 ! Saxonia nunquam potuit colligere equites 6'000, pedites 24'000, tantum abest, ut tot potuerint cadere caesi a Boiemis.

Iodocus 29 Bernae non tentat horrenda, sed ut genus doctrinae in disputatione 30 assertum servetur syncerum et integrum. Audio Grynaeum 31 dimissum una cum studioso quodam 32 . Nec mirum, nam hic habes carmen 33 , quod

11 Damit antwortet Bullinger auf z.T. anderslautende Gerüchte, über die Myconius in Nr. 2683,10f; Nr. 2691,15-20, und Nr. 2702,9-39, berichtet hatte.
12 Gemeint ist der Brief des Konstanzer Rates an Zürich vom 7. Dezember 1546 (Zürich StA, A 205/1, Nr. 229). Darin wurde über Truppenwerbungen des Kaisers im Hegau und in Schwaben sowie über kaiserliche Truppensendungen an den Bodensee und Straßenblockaden berichtet. Ferner wurden mit diesem Brief die Zürcher und ihre Verbündeten gebeten, etwas gegen diese gefährlichen Zustände zu unternehmen, die bald auch Folgen für sie haben würden.
13 Karl V.
14 im Hegau.
15 Bodensee.
16 Gemeint ist der Brief des Konstanzer Rates an Zürich vom 4. Dezember 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 150), der laut dieser Angabe erst am 7. Dezember in Zürich eintraf oder zumindest erst an diesem Tag an Bullinger übermittelt wurde.
17 Unbekannter Bote.
18 Johannes Haab mit Brief Nr. 2711 vom 8. Dezember.
19 Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle. — Es handelte sich um ein falsches Gerücht; s. Nr. 2711, Anm. 9.
20 König Franz I. von Frankreich.
21 Margarete von Frankreich. — Karl V. war seit 1539 Witwer.
22 seht zu!
23 Zu dieser über Piero Strozzi abgewickelten Verhandlung über Geld für die Schmalkaldener s. die Verweise in Nr. 2711, Anm. 17.
24 Damit sind wohl die königlichen Räte in Paris gemeint.
25 Adagia 1, 4, 15 (ASD II/1 422, Nr. 315).
26 Vgl. Joh 16, 33; Apk 1, 8.
27 Vgl. Nr. 2690,37f; Nr. 2709,20-22.
28 koufflütten mer: ein Märchen, wie es die Kaufleute gern erzählen. — Hier und nachfolgend Bezug auf Nr. 2702,27-29. 37f. — Wer besonders damit gemeint ist, geht aus Nr. 2721,22-26, hervor.
29 Jodocus Kilchmeyer. — Bezug auf Nr. 2702,40-43.
30 Die Berner Disputation von 1528.


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studiosus iste scripsit contra nos! Carmen remittes per hunc. Quia adolescens dimissus est, ideo forte horrenda ille moliti dicitur.

Jetzund hat man radt 34 Bern und die üwern wöllend von 9 orten wüsses haben 35 , ob sy sy schirmen wöllind by irem glouben. Die unsern wöllend der vrag nitt. Ursach: Das sy nitt inen 36 zusagen müssend, das sy sy by des bapsts glouben und abgöttery schirmen wöllind. Nescio, quid futurum sit. Miror tamen vestros et Bernates haec proponere.

Vale. Plura non possum. Millies salvus sit Dryander, Gastius, etc. 8. decembris anno 1546.

Bullinger.

[Ohne Adresse.]

[Darunter folgt von Myconius' Hand eine genaue Abschrift eines Abschnittes aus Thamers Brief an Bullinger vom 28. Oktober (Nr. 2647).]37