Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2717]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
17. Dezember [1546]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 717 (Siegelspur)

Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 545f, Nr. 1380

[1]Schon gestern schrieb Blarer (mit Nr. 2716]in Eile, und auch jetzt mangelt es ihm an Zeit, da er auch an die Augsburger schreiben möchte, um diese zu weiterer Standhaftigkeit zu ermahnen. Zudem gibt es weder über die (Schmalkaldener] noch über die (Kaiserlichen] irgendetwas Sicheres zu berichten. [2]Die Ulmer schicken (leider wohl aus guten Gründen) die Briefe [der Zürcher] zurück Der Konstanzer Rat wird jetzt die an [Johannes] Haller adressierte Sendung der Zürcher Obrigkeit nach Augsburg übermitteln. Doch zuvor möchte Blarer dieser Sendung seine eigenen Briefe beilegen. [3] Über Kaiser (Karl V.]gibt es nichts Verbürgtes. Der Konstanzer Rat, der sonst keine Ausgaben scheut, war überraschenderweise nicht bereit, Geld auszugeben, um durch einen Boten Gewisses über die [Schmalkaldener] und die Feinde erfahren zu können. Doch sobald Blarer etwas Wichtiges vernimmt, wird er es melden. [4]Es ist erfreulich, dass die (Zürcher]keinen Schutz ihres Glaubens von den Neun Orten fordern, zumal so etwas nun wirklich nicht getan werden sollte, wie Bullinger es [in einem nicht erhaltenen Brief]schon trefflich dargelegt hat. Dass aber Bern und Basel dies beabsichtigen, befremdet Blarer sehr! Da muss etwas dahinter stecken, das man wohl bald erfahren wird, besonders wenn die Neun Orte das Gesuch ablehnen. [5]Ach, wie schlecht steht es um diese Welt! Jeder denkt nur an sich. Man kann auf kein Bündnis mehr zählen. Alles bröckelt auseinander. Doch Bullinger hat recht: Gott wird die Seinen nicht verlassen, solange diese sich von ihm nicht abwenden. Zunächst aber muss man echte Reue und Bekehrung bekunden, da Christus, der die Wahrheit ist, jegliche Falschheit verabscheut. [6]Grüße. [Thomas]Blarer und [Konrad]Zwick lassen auch grüßen.

Scripsi ad te heri 2 plus quam tumultuanter; id quod nunc quoque velim nolim facere cogor, mi venerande et plusquam charissime Bullingere, quoniam nunc Augustam 3 multa mihi omnino scribenda sunt, quos valde cuperem

77 Ghört im: (Es) ist von ihm. — Ein von Schöner geschriebenes "Lied" ließ sich nicht ermitteln. Roth, Augsburg III 252 erwähnt ohne nähere Angaben, dass Schöner etliche "Schmachbüchlein" gegen die Stadt Augsburg verfasst habe (darunter die bisher einzige bekannte
Schrift Schöners, s. HBBW XVII 308, Anm. 26).
78 zellen und inzemachen: zu erzählen und hinzuzufügen.
1 Das Jahr ergibt sich aus dem Briefinhalt.
2 Mit dem in Eile verfassten Brief Nr.


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in illa sua laudata constantia pro mea virili 4 retinere, 5 quamquam, ut maxime vacaret 6 , nihil tamen esset, quod ad te nunc de nostris 7 aut adversariorum rationibus scribere possem; adeo omnia iactantur incerta!

Ulmenses vestrorum literas 8 remittunt. Vereor, ut syncaero animo fecerint. Nostri senatus 9 vestri literas iam Augustam mittet, quibus Hallero inscriptas, 10 , pariter et meas 11 coniunctas cupio.

Wir hörend ain ainigs gewisses gschray nitt 12 vom keyser 13 , ut supra modum demirer nostrorum negligentiam, qui, quum alioqui non ferendos sumptus faciunt, nolint etiam in tabellarios tantum impendere, ut, quid a nostris quidve ab adversariis agatur, certo subinde resciscant. Ubi primum tua cognitione dignum aliquid accepero, diligenter curabo, ut nulla tibi mora significem.

Es gefellt unß treffelich wol das ewer herren 14 alls handtich 15 sind und mitt den 9 orten des schirms halb irer religion sich nitt haben wellen inlassen. Dann solichs ja usß ursachen, wie ir die gemeldt, 16 kainswegs zu thain 17

2716, da der Bote im Aufbruch war; s. Nr. 2716,39f. 76.
3 nach Augsburg.
4 = pro mea virili parte.
5 Wobei Blarer noch am Vortag Augsburgs Standhaftigkeit gepriesen hatte; s. Nr. 2716,49-54.
6 = ut maxime tempus vacaret.
7 über die Schmalkaldener.
8 Ein vom Zürcher Rat an Heinrich Thomann gerichteter Brief, den die Ulmer hätten weiterbefördern sollen, den sie aber wegen des am 22. November erfolgten Aufbruchs des schmalkaldischen Heeres den Zürchern via Konstanz zurücksenden ließen; s. die Briefe des Konstanzer Rats an den Zürcher Rat vom 13. und 16. Dezember (Zürich StA, A 177, Nr. 152f). Unterdessen aber war Thomann am 8. Dezember wieder nach Zürich gelangt; s. Nr. 2713,1f. Dem Brief des Zürcher Rats an Thomann war vermutlich auch ein Brief Bullingers an denselben beigelegt, dem wohl auch Bullingers Schreiben Nr. 2693 (vom 26. November) an Simon Bing beigefügt gewesen war. Dies würde erklären, warum Blarer hier auch Bullinger über die Rücksendung der Briefe durch seine Behörden benachrichtigt; vgl. nämlich Nr. 2693, Anm. 54.
9 = Nostrum senatus; s. dazu Stotz IV 406, Nr 111.8
10 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers an Haller, etwa vom 14. Dezember (s. schon Nr. 2716,47f), den Haller am 26. Dezember empfing (s. Nr. 2726,7), und ein Schreiben des Zürcher Rats an den Augsburger Rat vom 14. Dezember (Zürich StA, B IV 16, 73v.). Mit Letzterem verlangten die Zürcher, dass man ihnen Lorenz Meyer, Thoman Ruman und Rudolf Schwyzer d.Ä. zurückschicke (vgl. Nr. 2726,1-12). Die Augsburger verdankten das Schreiben am 7. Januar 1547 (Zürich StA, A 202/1, Nr. 21), baten aber, dass man ihnen die drei Prädikanten weiterhin überlasse.
11 Die schon oben Z. 1-4 erwähnten Briefe, u.a. auch ein in Blarer BW nicht veröffentlichter Brief an Georg Frölich; s. Nr. 2726,7.
12 ain ainigs gewisses gschray nitt: kein einziges verbürgtes Gerücht. 13 Karl V.
14 Die Zürcher Ratsherren im Gegensatz zu denen von Bern oder Basel; s. dazu schon Nr. 2708,39-43.
15 alls handtlich: derart standhaft; s. SI XII 1404.
16 In einem nicht erhaltenen Brief Bullingers, der auch unten Z. 25f vorausgesetzt wird.
17 tun.


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ist. Nympt unß treffelich frombd an Bern und Basel, 18 was sy doch damitt mainind 19 . Achtend, es stecke sonst etwas darhinder, wie sich die sach dann bald wirt sechen lassen, sonderlich im fal, das inen durch die neun ort sölichs ir beger abgeschlagen wurde 20 .

Ach herr gott, wie zerrütt und zerludlet 21 steht es in aller wellt! Es sicht kains mer recht zu dem andern. 22 All fügen und band lassend 23 . Es kracht und brastlet 24 alles, sam 25 es welle zu trümern gehn! Verum ita est, ut scribis: Non deseret dominus suos, 26 modo nos non ipsum deseramus. Urgeamus, quantum possumus dignam christianis hominibus resipiscentiam solidamque ad dominum conversionem, qua sine frustra illius opem imploramus, adeoque magis ac magis iram illius gravius contra nos irritamus a . Odit enim, qui veritas est, 27 quicquid falsum, 28 quicquid fucatum est, et proximus praesenti suo numine adest omnibus invocantibus se in veritat[e] b . 29

Bene vale, domine et anime mi, nostri apud dominum memor. Salutant te germanus meus frater 30 cum Zviccio 31 . 17. decembris.

Tuus Amb. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinricho Bullingero, summo amico fratrique in domino charissimo su[o]c . Zurich.