Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2881]

[Bullinger]
an Ambrosius Blarer
Zürich,
15. April 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 240 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 615f, Nr. 1430

[J]Bullinger hat sich sehr nach einem Brief Blarers gesehnt und siehe da, er wurde mit zwei Briefen [nicht erhalten]erfreut! Gott sei Lob, dass er den Seinen doch noch beisteht, auch wenn er ihnen Angst macht. -[2]Bei der Angelegenheit um Marcell Dietrich von Schankwitz fürchtet Bullinger, die Familie Richmut geärgert zu haben. Denn diese hegt nun vermutlich den Verdacht, Bullinger sei dafür verantwortlich, dass ihr [Schloss]Dübelstein nicht gekauft wurde. Die Familie hörte nämlich von anderen, dass er vom Handel wusste. Sie wollten sogar von ihm erfahren, warum es denn nicht zum Kauf komme. Er antwortete, dass er darüber nichts weiß, dass Blarer wohl etwas [wegen des Schlosses]nachgefragt hatte: dass er darauf antwortete, sich aber des Handels nicht annimmt, da er Schankwitz nicht kennt und dieser ihm nicht geschrieben hat. - [3] Hans Schöner war einige Tage abwesend. Er soll sich nach Straßburg begeben haben, als er vom Tod seiner [dort wohnhaften] Frau [Dietburg, geb. Schellenberger]gehört hat. So wurde Blarers Brief an Schöner dessem Hausverwalter [...] anvertraut. Bullinger ist gerne bereit, Schöner zu helfen und sich gemäß Blarers Vorgaben für ihn in Augsburg zu verwenden. -[4] Es freut ihn auch zu hören, dass es Georg Frölich gut geht. -[5] Unter welchen Bedingungen Straßburg sich mit dem Kaiser ausgesöhnt hat, weiß Bullinger nicht. Er weiß aber, dass es zu einer Verständigung kam, die vermutlich genauso trügerisch ist wie im Falle der anderen Städte. - [6] Gott gehe, dass der Kaiser von den Sachsen und den Böhmen in die Zange genommen und richtig zusammengeschlagen werde! -[7]Blarer soll weiter Nachrichten übermitteln. Erkennt Sultan Suleiman die Lage, wird er noch in diesem Jahr seine Sache gut vorantreiben können. Gott stärke den Landgrafen Philipp von Hessen, und möge Blarer bald Erfreuliches mitteilen! -[8]Die Konstanzer sollen standhaft bleiben. Auch wenn es [unter den Feinden] zu vermehrten Schwäbischen Bünden käme, wurden diese ihnen nichts nützen, weil Gott davon ferngehalten wird. -[9]Der Tag zu Baden [vom 28. März] war gar nicht so schlecht, wie behauptet wird. Zürich und die Eidgenossen halten gut zusammen. Die Sieben Orte haben sich um eine Schlichtung in dem durch [Rudolf Gwalthers] Büchlein ["Endtchrist"]ausgelösten Streit bemüht. Auch der Botschafter Frankreichs [Guillaume Du Plessis, sieur de Lyancourt]hat sich nicht unmöglich aufgeführt, zumal er davon ausgehen kann, dass er die Anzahl der beanspruchten Söldner erhalten wird. Am 17. April kommt es zu einem Tag in Solothurn, an dein Frankreich zudem das [1516 vereinbarte] Friedensgeld [den Dreizehn Orten] ausbezahlen wird. Details zur vergangenen Tagsatzung werden die Konstanzer umgehend von St. Gallen aus Bullingers für Joachim Vadian erstellten Aufzeichnungen zur Tagsatzung entnehmen können. -[10]Am 31. März ist der alte König Franz I. gestorben. Es wird also kaum zum [geplanten] Feldzug [Frankreichs gegen den Kaiser]kommen, da der Kaiser sich wahrscheinlich mit dem jungen Thronfolger [Heinrich II.] verständigen wird. Jedenfalls ist mit Franz I. ein böser Mensch gestorben! Wenn nur die

24 Antistes.


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Eidgenossen von den Fürsten und dein Kleinadel abließen! Gott befreie sie von der Geldgier und dem damit verbundenen blutigen Geschäft! -[11] Am Vorabend traf in Zürich ein Brief aus Luzern von Renward Göldli ein, laut dem es doch noch zu einem großen Feldzug [Frankreichs] kommen soll, da Heinrich II. angeblich viel Geld für die Anwerbung von Söldnern Lyancourt durch Antoine Morelet du Museau bringt. - [12] Es gibt keinen Grund, Herzog Ulrich von Württemberg zu bedauern! Er hätte sich anders verhalten sollen. -[13] Gruß an die Familie, die Ratsherren und die Freunde.

Gnad und frid. Mich hatt übel belanget 1 nach üwerm schryben; und bin abermals 2 erfröwt! Gott hab lob, das er den sinen denocht ettwas hilff (doch mitt forcht 3 ) a gibt. Den lassend uns ernstlich bitten, das er unser gott sye. Marcellen 4 halb ist mir die sach deßhalb seer widerig gesin, das 5 ich besorgen meiß, ich hab ein grossen unwillen von der früntschafft 6 uff mich geladen, deren Dübelstein 7 . Dann 8 sy vilicht argwhonend, ich trage sy 9 schuld, das es 10 nitt koufft wirt. Dann one min sagen wüssend sy, das ettwas an mich gelangt. Habend ouch zu mir gesandt und gevragt, wie die sach stande, woran es haffte 11 . Antwort ich, ich wüste nienervon nüt 12 ; m. Ambrosy hätte mich ettwarumb 13 gevragt; dorumb 14 hätte ich bescheid gäben; wyter belud ich mich der sach nitt; kandte Marcellen nitt; er habe mir ouch nüt zugeschriben. etc.

Schöner 15 ist ettlich tag nitt hie xin 16 . Verstan, er sye uff Straßburg, dann er siner frowen 17 todt erfaren. Hab üwern brieff sinem wirt 18 gaben, wenn er kumm, das er imm werde. Wil ouch gern trösten und hälffen (wie ir vermeinend, das es anzegriffen, und wie ir mir angäbend), gen Augspurg ze handlen. 19

Wenn es Laeto 20 wol gadt, ist min gar grosse fröwd. Gott erhallte inn!

Wie Straßburg uußgesöndt, weiß ich nitt. Das es uußgesöndt, weiß ich wol! 21 Acht, wol wie ander stett. Ist luter valsch und betrug, etc.

a Dieses und die nächsten Klammerpaare ergänzt.
1 Mich hatt übel belanget: Ich habe mich sehr gesehnt.
2 erneut (und hier vielleicht sogar im Sinne von "zweimal"). - Die zwei hier erwähnten Briefe sind nicht erhalten. Der letzte erhaltene Brief Blarers an Bullinger ist vom 28. März 1547 (HBBW XIX, Nr. 2863).
3 mitt forcht: nicht ohne [den Protestanten] Furcht (einzuflößen).
4 Der aus Ulm geflüchtete Hauptmann Marcell Dietrich von Schankwitz. - Er wollte damals das Schloss Dübelstein bei Dübendorf (Kt. Zürich) vom Zürcher Großhändler Gotthard Richmut erwerben; s. HBBW XIX 21.
5 weil.
6 Verwandtschaft.
7 Gemeint ist die Familie Richmut.
8 Denn.
9 dessen; s. SI VII 1013.
10 das Schloss.
11 woran es haffte: an was es hängen bliebe.
12 nienervon nüt: von alldem nichts.
13 um irgendetwas.
14 diesbezüglich.
15 Der Augsburger Kaufmann Hans Schöner, der sich im August 1546 nach Zürich zurückgezogen hatte.
16 gewesen.
17 Dietburg Schellenberger; s. Augsburger Eliten 743, wo das Todesjahr nun ergänzt werden kann.
18 Unbekannter Hausverwalter.
19 Zu Hans Schöners Schwierigkeiten in Augsburg s. HBBW XVII 307, Anm. 3, und Reg.
20 Georg Frölich.
21 Siehe dazu Nr. 2872, Anm. 17.


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Gott wölle (sie 22 es nitt wider sinen willen gebätten!), das der keyser 23 zwüschen die Saxen und Behem 24 kumm und trüwlich wol erpluwen 25 werde!

Thünd so wol und schribend alle zyt, wie die sachen gestalltet syend. Der Türgg 26 (ist er verständig) wirt hür 27 sin sach wol schaffen. Gott verlyhe dem lantgrâven 28 gnad, und das ir mir in kurtzem fröliche bottschafft von des herren wunderbarlicher schickung zuschribind!

Sind ouch ir zu Constantz alle zyt constantes! Gott sye üwer veste und gnad! 29 Wenn sy schon vil schwebischer pündten machend, 31 ist der nexus nitt mitt gott. Ists nun 33 inen schädlich!

Uff dem tag zd Baden 34 ist es nitt so letz 35 gangen, alls das geschrey 36 . Zürych und all Eydgnossen sind wol eins. Die 7 ort habend sich yngelegt 37 und ein vertrag 38 des büchlins halb gemacht. So hatt des Frantzosen bott 39 nitt so tratzlich gehandlet. Wirt sy nitt dörffen 41 , dann imm werdint knächt, und wie vil er wil. Uff 17. aprilis wirt ein tag zu Solenthürn. Da wil er das fridgällt gaben, etc. Das alles werdent ir volkommer nunmee 43 von S. Gallen haben, dann ich die summam actorum Badensium comitiorum Vadiano mitt denen gedingen 44 zugeschickt, das er sy üch ylends ouch mitteyle.

Ultima martii ist der könig in Franckrych, Franciscus der alit, gestorben. Dorumb achtend wir, da werde iet-|| v zund kein uffbruch 45 ; der keyser werde

22 sei.
23 Karl V.
24 Böhmen.
25 trüwlich wol erpluwen: gehörig durchgeprügelt.
26 Sultan Suleiman I. -Siehe aber Nr. 2949, Anm. 16.
27 heuer (in diesem Jahr).
28 Philipp von Hessen.
29 Vgl. z.B. Ps 18 (Vuig. 17), 3.
30 Die Feinde.
31 Der Kaiser wollte damals den 1534 aufgelösten Schwäbischen Bund wieder ins Leben rufen; s. HBBW XIX 166 und Anm. 105.
32 Vertrag.
33 Ists nun: Das ist nur.
34 Die eidgenössische Tagsatzung, die am 28. März begonnen hatte.
35 schlecht.
36 Gerede. -Vgl. dazu z.B. Nr. 2879.
37 yngelegt: verständigt. - Die Rede ist von Gwalthers "Endtchrist"; s. Nr. 2879, Anm. 3 und Anm. 5.
38 Schlichtung.
39 Guillaume Du Plessis, sieur de Lyancourt. - Mit dem "Frantzosen" ist hier noch Franz I. gemeint, unter dessen Regierungszeit Du Plessis' Entsendung erfolgt war. Vgl. zu dieser Stelle Nr. 2877,30-37.
40 überheblich.
41 Wirt sy nitt dörffen: Wird es nicht nötig haben.
42 So hieß der Betrag, den Frankreich 1516 allen Dreizehn eidgenössischen Orten jährlich zu bezahlen versprach, damit der Frieden mit den Eidgenossen gewahrt bleibe; s. SI II 248. Zu diesem Vertrag vom 29. November 1516 (der als "Ewiger Friede" bekannt ist) s. HBLS III 95. - Zur geplanten Tagsatzung in Solothurn s. Nr. 2877, Anm. 25.
43 volkommer nunmee: ausführlicher unterdessen.
44 denen gedingen: der Auflage. - Vadian hatte Bullinger darum am 28. März gebeten; s. HBBW XIX, Nr. 2864.
45 Feldzug.


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sich zu dem jungen könig 46 thun. Doch mag ich nitt wüssen, wie es gan wirt. Da ist nüt guts gestorben! 47 Der allmächtig gott wölte, wir Eydgnossen giengend fürsten und herren müssig 48 , wie min herren Aber es ist vilicht nitt an unserm glück 50 . Gott kumme uns ze hilf und erlöse uns von der goldsucht 51 und blutigen volgenden hendlen!

Nächt 52 schript har von Lucern h. Rennwart Göldlin 53 : Es werde ein grosser uffbruch beschähen von Eydgnossen; dann der jung könig schicke herus den Monet 54 zum herren Leoncurt 55 mitt grossem gältt, die Eidgnossen ze bestellen, etc. Wöllend wir zulosen wie es gange.

Wirtenberg 57 beschicht rächt 58 , wie imm beschicht! Er hätts wol anders geschickt 59 . Lassend uns umb gnad bitten.

Datum in yl Zurych, 15. aprilis. Grussend mir üwer huß und alle gute herren und fründ. 1547.

[Ohne Unterschrift.]

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Ambrosio Blaurero, praesuli Constantiensis ecclesiae, domino et fratri observandissimo b . Constantz.

b Darunter von Blarers Hand: 15. aprilis anno 47. Vermutlich ist hier, wie sonst bei Blarer üblich, das Empfangsdatum und nicht das Abfassungsdatum des Briefes gemeint, was eine besonders schnelle Übermittlung des Briefes voraussetzt; vgl. aber schon HBBW XVIII, 466,[5].
46 Heinrich II.
47 Bullinger verglich nämlich Franz I. mit dem Pharao, der sich Moses und dem Auszug der Juden aus Ägypten äußerst widersetzt hatte, oder auch mit Jerobeam, dem gottlosen König Israels; s. HBBW XV 572; XVIII 336.
48 giengend fürsten und herren müssig: ließen von den Fürsten und dem Kleinadel ab; s. FNHDW 1X17 3054.
49 die Zürcher Ratsherren. es ist vilicht nitt an unserm glück: es liegt vielleicht nicht in unserer Hand.
51 Welche das Soldwesen in der Innerschweiz aufrecht erhielt.
52 Am Vorabend.
53 Ren(n)ward(t) Göldli(n) von Tiefenau (gest. 1555), ursprünglich aus Zürich, war zunächst Priester in Zofingen, ehe er diesen Stand noch vor 1500 aufgab, sich dem Kriegswesen zuwandte und 1507 zum Ritter geschlagen wurde. Im gleichen Jahr wurden er und seine Familie in Luzern eingebürgert. Seit 1522 ist er als Söldnerführer in französischen Diensten nachgewiesen; s. HBLS III 582f; Johanna Thali, Inszenierung in Text und Bild, in:
Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation, hg. y. Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und René Wetzel, Tübingen 2005, S. 547: Jürg Erwin Schneider, Baugeschichtliche Untersuchungen im Haus Steinbockgasse 7 in Zürich. Ein Beitrag zur Monumenten-Archäologie in der Zürcher Altstadt, in: Unsere Kunstdenkmäler XXXII/4, 1981, 457f. - Der hier erwähnte Brief Göldlis war vermutlich nicht an Bullinger gerichtet. Jedenfalls ist zwischen den beiden Männern kein Brief erhalten geblieben.
54 Antoine Morelet du Museau; s. u.a. HBBW XVIII 295, Anm. 14.
55 Lyancourt (s. oben Anm. 39).
56 (durch Hören) in Erfahrung bringen.
57 Herzog Ulrich von Württemberg, der wegen des mit dem Kaiser im Januar 1547 geschlossenen Hohentwieler Vertrags nach Meinung vieler (u.a. auch von Bullinger und Blarer) dem Kaiser zu sehr entgegengekommen war; s. HBBW XIX Reg. s.v. "Ulrich" und "Württemberg".
58 beschicht rächt: geschieht es recht.
59 wol anders geschickt: gut anders einrichten (können); s. SI VIII 502.