Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1845]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
8. Februar 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357, 69 (Siegel); [Beilage:] E II 357a, 639f 1 (Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 235-237, Nr. 1064; Teildruck: Lenz II 232

Bucer hat die Kölner "Reformation"[,,Einfaltigs bedencken"]geschickt, die Blarer bald an Bullinger weitersenden wird; hat einige Kapitel überflogen und ist der Ansicht, dass diese Ordnung zu loben ist, wenn man bedenkt, dass sie vom Kölner Erzbischof [Hermann von Wied]eingeführt wird, obwohl sie im Vergleich zu den [reformierten] Kirchen natürlich noch mangelhaft ist. Gleichwohl wünscht er für die Christenheit, dass Kaiser [Karl V.], der Franzose [König Franz I.] und die übrigen Fürsten diese Reformation annähmen. Für Bucer, der von Mainz, auf den sich auch der folgende Satz bezieht. Albrecht starb am 24. September 1545 im Alter von 55 Jahren.

13 Hermann von Wied, Erzbischof von Köln, und Franz von Waldeck, Bischof von Münster.
14 Oben Nr. 1839.
15 Theodor Bibliander.
16 Der Aufbewahrungsort dieses Briefes lässt vermuten, dass Bullinger ihn an Vadian weiterleitete.
17 Der mitgesandte Brief liegt nicht vor.
1 Die Zugehörigkeit der Beilage zu diesem Brief ergibt sich aus der zeitlichen Einordnung der auf f. 639 erwähnten Ereignisse (Eintreffen Karls V. am Reichstag zu Speyer am 30. Januar; vgl. oben Nr. 1837, Anm. 5) sowie der Erwähnung des auf f. 640 diskutierten Falles Hütlin im darauffolgenden Brief Blarers; s. unten Nr. 1847, 4-6.


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sich für seine Aufgaben aufopfert, müssen wir beten und angesichts des Versagens der Fürsten alles tun, damit andere gerettet werden. Grüße. [Beilage:][Ferrante I. Gonzaga] wurde von Kaiser [Karl V.] zu König [Heinrich VIII.] entsandt und traf auch mit Königin Maria [von Ungarn, Statthalterin der Niederlande] zusammen; Heinrich VIII. will angeblich Karl V. militärisch gegen den Franzosen [Franz I.] unterstützen. [Franz I.] entsendet eine Botschaft zusammen mit der des Papstes [Paul III.]auf den Reichstag [zu Speyer]; es ist aber unsicher, ob sie sicheres Geleit haben und der Kaiser sie anhören wird; Kaiser, Landgraf [Philipp von Hessen]und Kurfürst [Johann Friedrich von]Sachsen sind bereits eingetroffen. [Franz I.]hat grosse Teile des Piemonts eingenommen und belagert Ivrea [Prov. Turin]. [Karl V.] bemüht sich durch Herzog Moritz von Sachsen um die Restitution Herzog Heinrichs von Braunschweig[-Wolfenbüttel], die Protestanten werden dem aber nicht zustimmen, da der Herzog seinem Volk sicherlich nicht die Religionsfreiheit lässt. Bullinger betont immer die gegenseitige Treue und Redlichkeit, doch Zürichs Unterstützung des ehemaligen Zunftmeisters Thomas Hütlin befremdet die Konstanzer. Unlängst traf in Konstanz ein herablassendes Schreiben der Eidgenossen unter der Federführung Zürichs ein, das den Gerichtsanspruch der Stadt Konstanz über seine Bürger ignoriert und eine Anhörung Hütlins vor dem Thurgauer Landvogt [Melchior Heinrich]ohne weitere Appellationsmöglichkeit fordert. Die Konstanzer bekümmert die Rolle Zürichs sehr, Bullinger soll sie zur Umkehr bewegen, was auch Blarer umgekehrt tun würde. Der gerissene [Hütlin] hat sicherlich viele Menschen geblendet; Zürich soll sich nicht mit ihm beschmutzen.

S. Misit nobis diebus hisce Coloniensem Reformationem 2 Bucerus noster, quam vel mox lectam ad vos dabimus aut, si non vacaverit legere, mittemus vobis legendam, sed ita, ut deinde rursum ad nos mittatis; 3 cupimus enim magna diligentia omnia perspicere multas ob caussas. Tumultuanter capita quaedam evolvi et talem prorsus invenio, ut, si a Coloniensi archiepiscopo 4 praescriptam cogites, non possis non omnibus visceribus dominum laudare, qui crassissimas istas tenebras verbi sui luce hunc in modum illuminavi[t]a 5 ; si autem ex nostrarum ecclesiarum institutione aestimare velis, multa sis omnino desideraturus. Ego vero ut nostras ecclesias huc revocari, quod ad multa sane adtinet, nolim, ita vehementer cupio, ut Romanus imperator 6 , Gallus 7 caeterique potentissimi mundi monarchae reformationem istam recipiant atque, o felicem orbem christianum, si ad hanc regulam se suaque omnia aequari substineat!

Buceri ministerium nunquam cessemus domino commendare, qui totus in hoc est et omnibus fit omnia 8 , ut regnum Christi quam latissime proferat idque per infamiam et bonam famam, per innumera convicia, opprobria et non ferendas calumnias et iniurias, quibus omnibus quantumvis deprimitur, identidem tamen superior emergit, ut plane in illo divinam virtutem, quae in infirmitate perficitur 9 , agnoscere, velint nolint 10 , adversarii cogantur. Ah mi

a Rand beschnitten.
2 Gemeint ist Bucers "Einfaltigs bedencken"; s. oben Nr. 1838, 22f mit Anm. 15 und 17, sowie Blarer BW II 234.
3 Weitere Briefe zwischen Bullinger und Blarer zum Austausch von Bucers Schrift sind nicht erhalten.
4 Hermann von Wied.
5 Jes 9, 1.
6 Karl V.
7 König Franz I.
8 Vgl. 1 Kor 9, 22.
9 Vgl. 2 Kor 12, 9.
10 Adagia, 1, 3, 45 (ASD II/1 358f, Nr. 245).


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frater, quam dolet omnibus bonis, quod per bellicos istos tumultus et cruentos conatus nihil reliquum[!] faciunt nostri principes, quod vel temporis vel sumptuum in recte instituendam religionem et pietatis studia impendant, ut nihil aliud quam horrendam quandam vastitatem omnium honestarum rerum impendere videamus nec spes ulla sit fore, ut reges et principes nostri sapiant, ut erudiri se ferant, ut dei filium Iesum Christum osculentur, ne pereant. Liberemus igitur 11 nos, pusillus grex, animas nostras et, quoscumque possumus, a malis istis, quibus magis atque magis mundus involvitur, vindicemus nostram fidem domino probaturi, si aliis etiam salutis autores esse pergamus. Ora pro nobis assidue, mi suavissime Bullingere, ut sint omnia mundi mala nobis ad emendationem disciplina, ne cum hoc mundo damnemur. 12

Saluta totam tuam domum ex mea, praeterea suavissimum amicum et optimum patrem Rodolphum Gvaltherum cum Theodoro 13 , Pellicano, Megandro, Erasmo 14 etc. Bene vale.

Constantiae, 8. februarii anno 1544.

Tuus Ambr. Bl.

[Ohne Adresse.]

[1. Teil der Beilage: gedruckt in Blarer BW II 236f, Nr. 1064.] 640

|| [2. Teil der Beilage:] Sonders vertrauwter, lieber bruder, ir hapt mir ettlich mal geschriben 15 mitt vermanung, wir sollend getrüw unnd redlich an euch sein; das wellind ir ouch thain 16 . Nun halt ichs warlich darfür, das an den unsern nitt mangel weren; ich kan euch aber danecht nitt verhalten 17 , das ich yetzund allerley klag und jomer hör, ouch von denen, die euch allweg gantz genaigt gewesen sind und gutz gundt 18 haben. Dann es befrömbdet meine herren sehr, das ir euch ires ellenden 19 etwan gewesten 20 zunfftmaisters Thomans Hütlins 21 , der vor ainem jar uss der statt gewichen von seiner bösen handlungen wegen, sovyl annemmen.

11 Vgl. Lk 12. 32.
12 Vgl. 1 Kor 11. 32.
13 Bibliander.
14 Schmid.
15 Nicht erhalten.
16 tun.
17 dennoch nicht verschweigen.
18 gegönnt.
19 hier wohl: flüchtigen, entflohenen.
20 gewesenen.
21 Thomas Hütlin (Hüetlin, Hütli) (vor 1500 - nach 1566) entstammte einem angesehenen Konstanzer Bürgergeschlecht und besetzte prominente Positionen in der Stadt. Ab 1515 war er Mitglied des großen
Rates, 1518-1542 als Zunftmeister der Wingartzunft im täglichen Rat, dem heimlichen Rat gehörte er 1529 bis 1537 an. 1520-1541 war er Wachtmeister, 1529-1534 Spitalpfleger. 1524-1525 Raitevogt, 1526-1527 Vogt zu Weinfelden. Anscheinend schon früh für die Reformation engagiert, wurde er 1528 zusammen mit Konrad Zwick Oberkirchenpfleger und beaufsichtigte die Verwaltung der Kirchengüter, eine Funktion, die ihn auch öfter in die Eidgenossenschaft und nach Zürich führte; schon bald wurde er der Veruntreuung bezichtigt. In den folgenden Jahren wirkte er auch in verschiedenen


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Es ist kurtzverruckter tag 22 meinen herren von gmainen aidgnossen ain schreiben 23 zukomen, so scharpff, spytzig, trutzig und gantz imperiose 24 , von diß ellenden mans wegen, alls ob mine herren ire aignen knecht wären. In welchem schreiben mine herren von Zürich oben an stond 25 , welchs uns nitt wenig, wie billich, beschwärdt. Es ist ye ain ungehörts, ainen handthaben 26 by dem, das wider sein ehr und aid ist, wie dann yedem burger bey unß diß in seinen aid geben würdt, und diß schwert 27 er jerlich, das er recht geben und nemmen welle vor ainer oberkait diser statt um all sach[en]b , die sich zutragen haben der zeyt seiner burgerschafft zu Coste[ntz]c . Aber darzu wellen gmain aidgnossen den Hütlin nitt hallt[en]d sonder schreiben meinen , herren, diß seye ir mainung, das meine herren zwen zusetz 28 und Hütlin ouch zwen gebind und der landtvogt im Turgöw 29 obman seye, und was da gsprochen werde, dabey sölle es on weyter appellieren blyben etc. 30 Das ist meinen herren ain unleidlich sach und bekumberet sy nitt wenig, das die von Zürich sich ouch in sölich schreiben setzen lassen, wie es dann warlich erbermlich und wol zeklagen ist. Ich schreib euch sölichs in grossem brüderlichem vertrauwen, ob ir etwan ursach möchten haben, die ewern von sölichem zezie[chen]e 31 ; dann ichs gewisslich ouch thain wellte, wann die unseren der massen wider die ewern sollten helffen schreiben oder hand[len]f . Lassend euch aber nitt irren, das vyllicht ettlich der eweren

b-f Rand beschädigt.
theologischen Kommissionen mit, etwa bei der Ausarbeitung einer Konstanzer Reaktion auf die Wittenberger Konkordie 1536 oder der Erstellung einer Schulordnung 1541. 1536 verkaufte Hütlin den ihm verliehenen Kehlhof im Thurgau ohne Wissen des Bischofs an das Spital, was in einen langwierigen Prozess zwischen den beteiligten Parteien ausartete und schließlich auch zum Bruch mit dem Rat führte. Aufgrund von "uffrurisch" Reden im Wahlkampf musste er im Januar 1543 aus der Stadt fliehen. Offenbar zog er sich auf ein Besitztum im Thurgau zurück; von dort aus brachte er seine Sache an mehreren Tagen zu Baden bis zum Jahre 1546 vor (s. EA IV/1d, Reg.; Stadtarchiv Konstanz, Ref. A. Fasc. 2, f. 316-370. Ref. A. Fasc. 203). - Lit.: Rublack, Konstanz, Reg., bes. S. 168; Vögeli, Schriften II/2 1059f; Burkhardt/Dobras/Zimmermann 76f; Dobras, Ratsregiment, Reg., bes. S. 66f.
22 vor wenigen Tagen.
23 Wahrscheinlich der Brief der Zehn Orte an Bürgermeister und Rat der Stadt Konstanz vom 2. Dezember 1543, Stadtarchiv Konstanz, Ref. A. Fasc. 203, Nr. 146. -Zürich war von den Zehn Orten beauftragt worden, in der Sache Hütlin gegen Konstanz zu vermitteln; s. EA IV/1d 290 w und oben Z. 44-47 mit Anm. 21.
24 im Befehlston gehalten.
25 zuerst genannt sind.
26 in Schutz nehmen.
27 schwört.
28 Schiedsrichter.
29 Landvogt im Thurgau war zu diesem Zeitpunkt Melchior Heinrich von Zug; s. EA IV/1d 1101.
30 Am Tag zu Baden am 6. August 1543 wurde Zürich beauftragt, im Namen der X Orte einen Boten nach Frauenfeld zu entsenden, der zusammen mit dem Landvogt und Landschreiber in der Sache Hütlin vermitteln sollte; s. EA IV/1d 290 w; das Protokoll dieses Vermittlungsversuches am 23. August in: EA IV/1d 297f.
31 davon abzubringen.


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möchten blendt worden sein von disem ellenden mennlin; dann es kan blauwe wunder 32 ; wers nitt kandte, müste gedencken, es were nichts dann erbarkait by im; er ist aber warlich ain rechter Catilina 33 gewesen in unserm rat, sovyl an im g , und menschlich davon zereden, were er blyben, so were grosser jomer enstanden. Gott hab lob in ewigkait, der inn wunderbarlich hinusgfürt hat. Wie wol er unß yetz vor der statt mehr zeplagen gedenckt, würt im doch gott, hoff ich, selbs bald weren, wann ir nun 34 euch nitt ouch mitt disem ellenden mennlin besudleten; das wunsch ich euch von gott, damit wir allweg gut nachbaren [blyben mögend]h .