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Abschrift von Josias Simler 1 mit Überschrift von Bullingers Hand: Zürich StA, E II 345, 355 Druck: CO XII 288—291, Nr. 769
Bullinger dankt für die beiden Briefe (Nr. 2287 und Nr. 2324] und für die Sorgfalt, mit der
Musculus seine Fragen beantwortete. — Im ersten Brief erklärt Musculus, dass er lange nicht
geschrieben habe, weil er in dem vom Teufel erregten Streit zwischen Luther und den [Zürchern]
sich an den Rat [Salomons] halten wollte, der gesagt hat, dass es eine Zeit zumBriefe_Vol_16-164 arpa
Sprechen und eine Zeit zum Schweigen gibt [Koh 3, 7]. Bullinger nimmt diese Entschuldigung
an. —Da Musculus nun diesen Streit erwähnt, nutzt Bullinger die Gelegenheit, um zu betonen,
dass die [Zürcher] und die [eidgenössischen] Kirchen nicht schuld an dem erneuten Ausbruch
dieses Streites seien. Mit seinem ["Kurtz bekenntnis" von 1544] hat Luther die [eidgenössischen]
Kirchen und sowohl verstorbene als auch noch lebende Personen angegriffen. Es wäre
gottlos gewesen, darauf nichts zu erwidern. Daher antworteten die [Zürcher mit ihrem "Warhafften
Bekanntnuß" von 1545], und dies auf milde, wohlwollende und anständige Weise, wie
auch in der Zuversicht, dass Gott aus diesem Zank auch Gutes entstehen lassen wird. Luther
jedoch wird sich für diesen Anstoß vor Gott rechtfertigen müssen. — Es muss betont werden,
dass die [Zürcher] in ihrer Schrift weder Privatangelegenheiten noch Beschwerden, die nur
mit den Kirchen Zürichs und Wittenbergs zu tun hätten, vorgebracht haben. Sie behandelten
im Interesse aller Kirchen lediglich das Thema des Abendmahls (und zwar dessen Zweck,
Bedeutung und Auswirkung) sowie die Frage, ob Luther mit seiner Abendmahlslehre (die mit
Ausnahme der Transsubstantiationslehre völlig der Lehre des [römischen] Antichristen entspricht)
recht hat. — Die [Lutheraner] lehren, dass das Brot in seiner Quintessenz der Leib
Christi selbst sei, den sowohl die Würdigen als auch die Unwürdigen essen! Diese Speisung
wäre also nicht nur geistlich und sakramentalisch, sondern auch leiblich! Ferner lehrt Luther,
dass diese Speisung die Vergebung der Sünden und das ewige Leben vermittelt. Für Luther
stimmt es nicht, dass der Leib des auferstandenen Christus an einem begrenzten Ort des
Himmels sei; vielmehr soll dieser die Eigenschaft haben, überall auf Erden im ehrenvollen und
anbetungswürdigen Sakrament (um Luthers Worte zu gebrauchen) anwesend zu sein. Die
Zürcher aber lehnen diese Aussagen gänzlich ab. In dieser Anseinandersetzung geht es also
um eine öffentliche und die ganze Kirche betreffende Angelegenheit. — Da Luther die zürcherische
Auffassung verwirft, welche jedoch ungefähr bis ins 11. Jh. im Einklang mit der
offiziellen Lehre der Kirche stand, handelt es sich hier um eine ernsthafte Angelegenheit, die
keinem [Gläubigen]gleichgültig sein kann. Hier ist keine Mittelposition möglich, genauso wie
es in der Vergangenheit keine solche zwischen den Rechtgläubigen einerseits und den ehemaligen
Arianern, Eutychianern und Enthusiasten andererseits geben konnte und es heute
noch keine solche mit den Anabaptisten und Schwenckfeldianern geben kann. In dieser Angelegenheit
neutral zu bleiben, ist nicht möglich! — Bullinger will Musculus nicht zum Streit
zwingen. Dieser soll jedoch erwägen, ob man Menschen, die die Wahrheit bekennen, seine
Hilfe verweigern darf Er scheint [in Nr. 2287]2 nicht richtig verstanden zu haben, warum
Bullinger ihm [in einem nicht erhalten Brief]3 vorgeworfen hatte, sich in seinen Schriften nicht
einheitlich ausgedrückt zu haben. In einem [früheren] Brief [vom 10. Oktober 1544]4 hat
Bullinger ihm doch bereits erklärt, was er an seinen Schriften auszusetzen hat. [Die Protestanten]
haben die scholastische Lehre, laut der die Sakramente die Gnade vermittelten, abgelehnt.
Nun wird diese wieder eingeführt, indem man behauptet, dass die Sakramente dasjenige
darbieten (exhibere), was sie darstellen (significare), und dass demzufolge das Abendmahl
nicht nur ein darstellendes, sondern auch ein darbietendes Zeichen ist. Was ist dies anderes,
als zu behaupten, dass durch die Speisung im Abendmahl die Gnade vermittelt wird? Wäre das
der Fall, muss man sich fragen, wer dies bewirkt. Gott? Die [Einsetzungs]worte? Oder gar der
Offiziant? Die Gläubigen, die, ehe sie an dem Abendmahl teilnehmen, ihren Glauben prüfen
müssen, sind ja schon Christi teilhaftig geworden! Die im Abendmahl ausgesprochenen Worte
bringen dies nur wieder in Erinnerung. Diesen Worten irgendeine Umwandlungs-, Vermittlungs-
oder Abwehrfähigkeit zuzuschreiben, wäre so viel, wie ihnen eine magische Wirkung
zuzugestehen! Der Offiziant kann nur die Sakramente spenden, und Letztere können nichts
vermitteln, zumal sie keine Macht über den Leib Christi besitzen. Erwidert jemand, dass doch
nicht das Zeichen (signum), sondern der Herr des Zeichens die Gewalt hat, das Angedeutete zuBriefe_Vol_16-165 arpa
vermitteln, dann ist diese Vermittlung nicht an die Abendmahlsfeier gebunden, zumal sie bereits
durch den Glauben, durch den wir zu Teilhabern Christi gemacht wurden, stattgefunden
hat. — Deshalb ist es viel klüger, wenn wir den Zeichen nur die Fähigkeit anerkennen zu
bezeugen, darzustellen, in Erinnerung zu bringen und dasjenige zu garantieren, was die Predigt
des Evangeliums bezeugt. Dass Musculus also [in seinem Matthäuskommentar]5 die alte
Gleichsetzung der Worte "Dies ist mein Leib" mit "Dies bedeutet mein Leib"verwirft, ist für
Bullinger unerhört! So etwas taten erst Petrus Lombardus (in seinen Sentenzen) und zuvor
diejenigen, die sich schon der durch Berengar von Tours geäußerten Kritik [an der Transsubstantiationslehre]
widersetzten. —Bullinger weiß, dass die mit Luther eingegangene [Wittenberger]
Einigung [von 1536] hoch geachtet wird. Er weiß aber nicht, an welche Einigung
Luther sich gehalten hätte! Er glaubt auch nicht, dass alle Deutschen mit Luther glauben, dass
der wahrhafte, vollständige Leib Christi nicht weniger von dem Verräter Judas als von Petrus
gegessen wurde. Und würden die Deutschen dies glauben, wären sie gleicher Meinung wie der
antichristliche Papst und hätten keinen Grund, weiterhin über die Sophisten zu schimpfen.
Wenn aber die Einigung darin besteht, anzuerkennen, dass zum einen der gekreuzigte Christus
die lebensspendende Speise ist, die man durch den Glauben erhält (so dass Christus in uns und
wir in ihm leben [Joh 6, 56]), und dass zum anderen dies im Abendmahl (an dem die Gläubigen
gemeinsam und im Geiste verbunden teilnehmen) dargestellt und bezeugt wird, dann
hält sich Luther an diese Einigung nicht! —Bullinger hätte Musculus dies nicht anvertraut,
wenn er ihn nicht so sehr lieben und schätzen würde. — Dass Musculus und seine Kollegen
bereit sind, die Kirche [Augsburgs]gemeinsam mit [Johannes] Haller zu erbauen, freut Bullinger
sehr. Gott möge diese Zusammenarbeit gelingen lassen. — Haller hat die Gastfreundlichkeit
und das Wohlwollen der [Augsburger]sehr gelobt. In Christus wird er sich seinerseits
den [Augsburgern]gegenüber als treu und liebevoll erweisen. —Grüße.