Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2359]

Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
18. Februar 1546

Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 29r.—30v. Druck: Vadian BW VI 508—510, Nr. 1449 Teildruck: Vadian DHS II LXXIIIf

Vadian ist auf seine [schriftlichen] Arbeiten nicht so stolz, als dass er wie ein Jugendlicher glauben würde, dass Bullinger und [Johannes]Stumpf ihm in allem nachgeben müssten. Vielmehr ist er bereit einzulenken und sich an ihrer Milde und ihrem gesunden Urteilsvermögen zu orientieren. Eine solche Geisteshaltung lassen ja schon seine vorhergehenden Briefe erkennen. Vadian begann eigentlich nur deshalb zu schreiben, weil er wusste, dass die Zürcher ihm mit Ratschlägen zur Seite stehen würden, zumal er sich seiner Naivität, seines Leichtsinns und

5 Zu Mt 26, 26—29. — In seiner im Jahre 1544 erschienenen Erstausgabe seines Matthäuskommentars (VD16 M7284) schrieb Musculus: "Manifestum esse, eos qui significationem tantum corpus Christi et memoriam in coena docent, in hoc deficere, quod mentem Christi non satis observant et, quod principaliter agitur,
omittunt. Ad quem modum et alii quidam peccant, qui in hoc sacramento nihil aliud vident quam tesseram quandam christianae societatis"(zitiert nach der an dieser Stelle unveränderten, 1548 erschienenen Ausgabe von Musculus' Matthäuskommentar — VD16 ZV11312 —, S. 555). Zur Angelegenheit s. Bodenmann 503—538.


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besonders seiner zu großen Offenheit beim Schreiben bewusst ist. Vadian kann sich nicht vorstellen, dass man sich auf ihn berufen könnte, wenn man dem Mönchstum jeden Wert abstreiten wollte, 1 da er doch in dem, was er über den Ursprung und die Entwicklung des Mönchstums schrieb, auch Gutes hervorhob. Wenn nur die Mönche so wären, wie sie sein sollten und im Großen und Ganzen in den Fußstapfen ihrer Gründer wandelten! Dann würde Vadian sie nicht nur dulden, sondern auch loben! Da sie aber so sind, wie alle wissen, muss man sie an gewissen Orten ertragen, ohne sie loben zu können. Es liegt Vadian sehr am Herzen, dass die Zürcher Buchzensoren 2 dazu gebracht werden, der Religion wegen 3 die Textstellen zu dulden, an denen er die Mönche für ihren Geiz, ihre Habgier, Faulheit und zu große Verwicklung in weltliche Angelegenheiten kritisiert, und dies, weil er nicht möchte, dass man ihm heimliches Einverständnis mit den Mönchen vorwerfen kann. So macht er z. B. den heuchlerischen Abt Ulrich VIII. [Rösch] verantwortlich für Streit und Krieg, aber nicht etwa zum Gefallen seiner Vaterstadt [St. Gallen] oder dem benachbarten [Appenzeller Land](denn dieser Abt war noch viel schlimmer). Vadians [Darstellung] soll man also nicht ändern. Ein ihm gewogener Beurteiler wird dabei merken, dass Vadian nicht sein eigenes Interesse oder jenes seiner Landsleute die er mit Recht an dieser Stelle ebenfalls kritisiert verfolgte, sondern sich allein der Wahrheit verpflichtet fühlte. Gleichermaßen tadelt er Abt Franz [von Gaisberg]für seinen Geiz und seine große Abneigung gegenüber rechtschaffenen Menschen (seien sie fremd oder einheimisch), und dies, obwohl er mit dem Abt verwandt ist 4 , wie übrigens auch mit [Abt] Kilian [Germann] (dessen Großmutter mütterlicherseits [..., geb. Talmann] die Schwester von Vadians Großvater [Ulrich Talmann]5 mütterlicherseits war). Nicht der Blutsverwandtschaft, sondern der Wahrheit muss man Respekt bekunden. Bullinger soll also Vadian [gegen die Zürcher Buchzensoren] verteidigen und diese dazu anhalten, [die Kritik an den Äbten] aus Liebe zu Vadians Heimatstadt St. Gallen (die sich um die Zürcher nicht wenig verdient gemacht hat) zu gestatten. Man weiß doch, wie sehr die [Äbte] sich bemüht haben, St. Gallen bei den Ständen der Helvetier in Verruf zu bringen! Bullingers Brief [Nr.2353] war Vadian sehr willkommen, und nicht nur deshalb, weil aus ihm hervorgeht, dass Bullinger bereit ist, Vadian zu helfen, sondern auch wegen dessen interessanter [Nachrichtenübermittlung] 6 . Zum Dank schickt Vadian zwei [Nachrichten]blätter [nicht erhalten], die er aus Augsburg und Nürnberg bekommen hat. Befreundete Kaufmänner pflegen ihm solche zur Abschrift auszuleihen. Auf einem der Blätter sind die Namen der Fürsten und Städte aufgezählt, die sich dem Erzbischof von Köln [Hermann von Wied] angeschlossen haben (Bullinger wird merken, wie klug der Gebrauch des Begriffes "Bündnis" vermieden wurde). Dort findet sich auch eine Liste der Städte, darunter Nürnberg, die [auf dem letzten Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt] in den Bund aufgenommen wurden. Sehr wahrscheinlich wurden ebenfalls der Mainzer Kurfürst [Sebastian von Heusenstamm] und noch andere, deren Namen auf der unvollständigen Liste nicht mehr zu finden sind, aufgenommen.
1 Vgl. schon Nr. 2352.
2 Vgl. Nr. 2352, Anm. 1; und Nr. 2353, Anm. 1.
3 Seit dem 15. Jh. war nämlich Zürich mit anderen, katholisch gebliebenen Orten der Schweiz Schirmort des Klosters St. Gallen. Demnach hätte der Zürcher Magistrat aus politischen Überlegungen verlangen können, dass die Stellen, die in Vadians Schrift das Kloster St. Gallen zu sehr kritisieren, nicht gedruckt werden dürfen.
4 Wahrscheinlich über die Familie Hux. — Franz von Gaisbergs Mutter hieß Verena
Hux (Helvetia Sacra III/1 1323), mit deren Familie auch Vadian verwandt war; s. Werner Näf Die Familie von Watt. Geschichte eines st. gallischen Bürgergeschlechtes, St. Gallen 1936 — Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte 37/2.
5 Siehe Näf Vadian I 88f.
6 Eine Zusammenfassung des vom Rat zu Basel an den Rat zu Zürich gerichteten Briefes vom 30. Januar 1546; s. Nr. 2353 und Anm. 3.
7 Nürnberg wurde nicht in den Bund aufgenommen.


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Außerdem war das Treffen in Frankfurt (das am 1. April fortgesetzt werden soll) so prunklos! Alles wurde durch Gesandte verhandelt. Unterdessen wurde auch zu König [Franz I.] geschickt. Eine Gesandtschaft soll bald auch an die Eidgenossen abgehen. Es gäbe noch eines zu melden; doch ist es so unerhört, dass Vadian darüber lieber schweigt, zumal die Nachricht nicht verbürgt ist. Eines steht aber fest: Fährt Kaiser [Karl V.]mit seiner aggressiven Politik fort, wird es zu großen Änderungen in den [Reichs]ständen kommen! Vom [Zweiten] Regensburger [Religionsgespräch] erfährt man, dass Mönche für Neuigkeiten sorgen! Es hat Vadian amüsiert zu erfahren, wie Bullingers [Johannes] Cochläus aus eigenem Antrieb nach Regensburg geeilt ist. Bestimmt würde Cochläus' Garde ohne diesen Fabulierer nicht zurechtkommen, zumal er selbst als ihr Leibwächter dient! Veit Dietrich hingegen konnte wegen seiner Gicht nicht nach Regensburg gehen. [Andreas] Osiander soll sich bei vielen verhasst machen, weil er zu sehr auf Äußerlichkeiten und Reichtum bedacht ist. Dieser von dem [Nürnberger] Patriziat geliebte und durch seine dritte Ehe [mit Helena Magenbuch] sowie auch durch seinen [jährlichen]Lohn von 500 Gulden reich gewordene Mann besteigt nun mit Ring und Halskette auf weibische Art die Kanzel, um zu predigen! Philipp [Melanchthon] wird wohl durch wichtige Angelegenheiten von der Teilnahme [am Zweiten Regensburger Religionsgespräch] abgehalten worden sein. Sollte jener [gemeint ist Luther]weiterhin toben, wird die ganze Welt schriftlich über die Angemessenheit und Legitimität des [eidgenössischen] Anliegens [in der Abendmahlssache] in Kenntnis gesetzt werden. Grüße an [Konrad] Pellikan, Theodor [Bibliander] und [Rudolf] Gwalther. [P.S.:] Als sicher gilt, dass die [Reichs]stände aus ersichtlichen Gründen den Eidgenossen wohlgesinnt sind.