[2359]
Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 29r.—30v. Druck: Vadian BW VI 508—510, Nr. 1449 Teildruck: Vadian DHS II LXXIIIf
Vadian ist auf seine [schriftlichen] Arbeiten nicht so stolz, als dass er wie ein Jugendlicher
glauben würde, dass Bullinger und [Johannes]Stumpf ihm in allem nachgeben müssten. Vielmehr
ist er bereit einzulenken und sich an ihrer Milde und ihrem gesunden Urteilsvermögen zu
orientieren. Eine solche Geisteshaltung lassen ja schon seine vorhergehenden Briefe erkennen.
Vadian begann eigentlich nur deshalb zu schreiben, weil er wusste, dass die Zürcher ihm mit
Ratschlägen zur Seite stehen würden, zumal er sich seiner Naivität, seines Leichtsinns undBriefe_Vol_16-166 arpa
besonders seiner zu großen Offenheit beim Schreiben bewusst ist. — Vadian kann sich nicht
vorstellen, dass man sich auf ihn berufen könnte, wenn man dem Mönchstum jeden Wert
abstreiten wollte, 1 da er doch in dem, was er über den Ursprung und die Entwicklung des
Mönchstums schrieb, auch Gutes hervorhob. Wenn nur die Mönche so wären, wie sie sein
sollten und im Großen und Ganzen in den Fußstapfen ihrer Gründer wandelten! Dann würde
Vadian sie nicht nur dulden, sondern auch loben! Da sie aber so sind, wie alle wissen, muss
man sie an gewissen Orten ertragen, ohne sie loben zu können. Es liegt Vadian sehr am
Herzen, dass die Zürcher Buchzensoren 2 dazu gebracht werden, der Religion wegen 3 die Textstellen
zu dulden, an denen er die Mönche für ihren Geiz, ihre Habgier, Faulheit und zu große
Verwicklung in weltliche Angelegenheiten kritisiert, und dies, weil er nicht möchte, dass man
ihm heimliches Einverständnis mit den Mönchen vorwerfen kann. — So macht er z. B. den
heuchlerischen Abt Ulrich VIII. [Rösch] verantwortlich für Streit und Krieg, aber nicht etwa
zum Gefallen seiner Vaterstadt [St. Gallen] oder dem benachbarten [Appenzeller Land](denn
dieser Abt war noch viel schlimmer). Vadians [Darstellung] soll man also nicht ändern. Ein
ihm gewogener Beurteiler wird dabei merken, dass Vadian nicht sein eigenes Interesse oder
jenes seiner Landsleute — die er mit Recht an dieser Stelle ebenfalls kritisiert — verfolgte,
sondern sich allein der Wahrheit verpflichtet fühlte. —Gleichermaßen tadelt er Abt Franz [von
Gaisberg]für seinen Geiz und seine große Abneigung gegenüber rechtschaffenen Menschen
(seien sie fremd oder einheimisch), und dies, obwohl er mit dem Abt verwandt ist 4 , wie übrigens
auch mit [Abt] Kilian [Germann] (dessen Großmutter mütterlicherseits [..., geb. Talmann]
die Schwester von Vadians Großvater [Ulrich Talmann]5 mütterlicherseits war). Nicht
der Blutsverwandtschaft, sondern der Wahrheit muss man Respekt bekunden. —Bullinger soll
also Vadian [gegen die Zürcher Buchzensoren] verteidigen und diese dazu anhalten, [die
Kritik an den Äbten] aus Liebe zu Vadians Heimatstadt St. Gallen (die sich um die Zürcher
nicht wenig verdient gemacht hat) zu gestatten. Man weiß doch, wie sehr die [Äbte] sich
bemüht haben, St. Gallen bei den Ständen der Helvetier in Verruf zu bringen! — Bullingers
Brief [Nr.2353] war Vadian sehr willkommen, und nicht nur deshalb, weil aus ihm hervorgeht,
dass Bullinger bereit ist, Vadian zu helfen, sondern auch wegen dessen interessanter [Nachrichtenübermittlung]
6 . Zum Dank schickt Vadian zwei [Nachrichten]blätter [nicht erhalten],
die er aus Augsburg und Nürnberg bekommen hat. Befreundete Kaufmänner pflegen ihm
solche zur Abschrift auszuleihen. —Auf einem der Blätter sind die Namen der Fürsten und
Städte aufgezählt, die sich dem Erzbischof von Köln [Hermann von Wied] angeschlossen
haben (Bullinger wird merken, wie klug der Gebrauch des Begriffes "Bündnis" vermieden
wurde). Dort findet sich auch eine Liste der Städte, darunter Nürnberg, die [auf dem letzten
Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt] in den Bund aufgenommen wurden. Sehr wahrscheinlich
wurden ebenfalls der Mainzer Kurfürst [Sebastian von Heusenstamm] und noch
andere, deren Namen auf der unvollständigen Liste nicht mehr zu finden sind, aufgenommen.Briefe_Vol_16-167 arpa
Außerdem war das Treffen in Frankfurt (das am 1. April fortgesetzt werden soll) so prunklos!
Alles wurde durch Gesandte verhandelt. Unterdessen wurde auch zu König [Franz I.] geschickt.
Eine Gesandtschaft soll bald auch an die Eidgenossen abgehen. Es gäbe noch eines zu
melden; doch ist es so unerhört, dass Vadian darüber lieber schweigt, zumal die Nachricht
nicht verbürgt ist. Eines steht aber fest: Fährt Kaiser [Karl V.]mit seiner aggressiven Politik
fort, wird es zu großen Änderungen in den [Reichs]ständen kommen! — Vom [Zweiten] Regensburger
[Religionsgespräch] erfährt man, dass Mönche für Neuigkeiten sorgen! Es hat
Vadian amüsiert zu erfahren, wie Bullingers [Johannes] Cochläus aus eigenem Antrieb nach
Regensburg geeilt ist. Bestimmt würde Cochläus' Garde ohne diesen Fabulierer nicht zurechtkommen,
zumal er selbst als ihr Leibwächter dient! Veit Dietrich hingegen konnte wegen seiner
Gicht nicht nach Regensburg gehen. —[Andreas] Osiander soll sich bei vielen verhasst machen,
weil er zu sehr auf Äußerlichkeiten und Reichtum bedacht ist. Dieser von dem [Nürnberger]
Patriziat geliebte und durch seine dritte Ehe [mit Helena Magenbuch] sowie auch
durch seinen [jährlichen]Lohn von 500 Gulden reich gewordene Mann besteigt nun mit Ring
und Halskette auf weibische Art die Kanzel, um zu predigen! —Philipp [Melanchthon] wird
wohl durch wichtige Angelegenheiten von der Teilnahme [am Zweiten Regensburger Religionsgespräch]
abgehalten worden sein. Sollte jener [gemeint ist Luther]weiterhin toben, wird
die ganze Welt schriftlich über die Angemessenheit und Legitimität des [eidgenössischen]
Anliegens [in der Abendmahlssache] in Kenntnis gesetzt werden. —Grüße an [Konrad] Pellikan,
Theodor [Bibliander] und [Rudolf] Gwalther. — [P.S.:] Als sicher gilt, dass die
[Reichs]stände aus ersichtlichen Gründen den Eidgenossen wohlgesinnt sind.