Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2635]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
20. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, II 357, 201 (Siegelabdruck) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 524, Nr. 1359

[1] Blarer dankt für Bullingers Schreiben [nicht erhalten]. Weil die Boten sich immer erst so kurz vor ihrer Abreise anbieten, konnte er nicht früher schreiben. [2]Bullinger hat recht, man hätte anders handeln sollen und sollte es auch jetzt. Gott möge alles zum Guten wenden! (3) Beiliegend ein Schreiben [Georg] Frölichs, in dem dieser berichtet, dass es strengstens verboten sei, Nachrichten aus Augsburg brieflich zu übermitteln. [4] Kaiser [Karl V.]liegt [bei Sontheim] an der Brenz, das schmalkaldische Heer bei Hermaringen [an der Brenz]beim [Augustiner]kloster, eine Meile vom kaiserlichen Lager entfernt. Da der Kaiser ein Regiment und drei Reitergeschwader in Richtung Nördlingen geschickt hat, vermutet man, dass er nach Württemberg gelangen will. Deshalb ziehen die Truppen Herzog Ulrichs [von Württemberg] auf Heidenheim, um den schmalkaldischen Truppen zu Hilfe kommen zu können, falls der Kaiser endlich angreifen würde. Man denkt, dieser wird sich nach Württemberg oder auch die Donau entlang nach Österreich, begeben wollen. [5] Der Memminger Stadtschreiber [Georg Maurer] berichtete in einem Schreiben vom 17. Oktober, dass die Ulmer etliche Reiter bei Langenau erstochen bzw. gefangen genommen haben, dass aber die italienischen Söldner [des Kaisers]die Ortschaft in Brand gesteckt hätten. [6]Blarer muss aufhören, fürchtet dennoch, den Boten verpasst zu haben. [7][P.S.:] Der einäugige [Zürcher] Bote [Felix]Schubinger in Attikon ist ein frecher Kerl. Er hat [die Konstanzer Boten] vor dem Bürgermeister [Sebastian Gaisberg] zu Unrecht kritisiert, denn er will diesen die Schuld für seine Versäumnisse in die Schuhe schieben, wenn er sich etwa verspätet oder in Töss zecht. Bullinger soll ihm Einhalt gebieten, damit [die Konstanzer] sich nicht mit ihm überwerfen müssen.

Füergeliepter herr und bruder, ewer schreiben hab ich empfangen. Hab euch nitt eh schreiben konnen, so ylends 1 zögend sich die botten etwan an.

Es ist, wie ir schreiben: 2 Es bedunckt vyl verstendiger 3 , menschlich ze reden 4 , man sollte bysanher vyl anderst gehandelt haben und noch handlen.

1 Siehe dazu Nr. 2608, Anm. 3.
1 kurzfristig.


Briefe_Vol_18-160arpa

Aber es ist allso in fatis. Hoff, es soll alles usß gnediger gottesschickung noch uff gut weg gewendt werden. Das best lygt noch am boden. 5

Von Augspurg schreibt Letus 6 , wie ir hieby 7 hapt. Ist zu Augspurg yetz- und by leyb und leben verpotten, das nieman zeytung 8 hinauß darff schreiben.

Sonst lygt der kaiser 10 yetz by der Prentz 11 , unser leger zu Herwartingen 12 am kloster. 13 Sind ain myl wegs von ainander. 14 Er hat ain regiment und dreu gschwader reuter von im uff Nerdlingen 15 hinder sich geschickt. Daruß zu vermuten, das er hinder sich uff Wirtemperg ziechen werd. 16 So zucht hertzog Ulrichs 17 landschafft 18 stracks uff Haidenhaim 19 zu, da sy dann on alle sorg zu unserm volck kommen können, 20 so 21 der kaiser, alls lang belypt 22 , möcht mitt im 23 gschlagen werden. Man acht, er werd uff Wirtemperg oder der Thonauw nach hinab in Österrich ziechen.

2 In einem nicht erhaltenen Brief Bullingers.
3 Es bedunckt vyl verstendiger: Vielen Sachkundigen scheint es.
4 menschlich ze reden: menschlich gesehen.
5 Wohl im Sinne von: Das Beste steht noch aus.
6 Georg Frölich. — Das Schreiben ist nicht in Blarer BW erhalten, denn in Frölichs Brief von Mitte Oktober (aaO, II 528f, Nr. 1356) ist das Augsburger Nachrichtenverbot nicht erwähnt.
7 beiliegend.
8 Nachrichten.
9 Vgl. Nr. 2631,91-95.
10 Karl V.
11 Das kaiserliche Lager befand sich seit dem 14. Oktober bei Sontheim an der Brenz (Lkr. Heidenheim, Baden-Württemberg); s. Schüz, Donaufeldzug 70, Skizze 7.
12 Hermaringen an der Brenz, etwa 3 km südlich von Giengen an der Brenz; vgl. Schüz, Donaufeldzug 70, Skizze 7; 74.
13 Gemeint ist das ehemalige Augustinerinnenkloster in Hermaringen.
14 Zwischen Hermaringen und Sontheim liegen etwa 6,5 km. — Laut der in PC IV/1 439, Nr. 415, abgedruckten Quelle betrug die Entfernung nur eine halbe Meile.
15 Nördlingen.
16 Vgl. Nr. 2612,121-126 und Anm. 104. —
Das kaiserliche Heer zog erst am 31. Oktober weiter; s. Schüz, Donaufeldzug 70, Skizze 7.
17 Herzog Ulrich von Württemberg. 18 Volk; s. Fischer IV 969.
19 Heidenheim an der Brenz (Baden-Württemberg).
20 Die zusätzlichen Truppen unter Herzog Ulrich sollen sich am 26. Oktober dem schmalkaldischen Heer angeschlossen haben; s. Viglius van Zwichem 138. 159f, Anm. 57, wo von 10'000 bzw. gar 20'000 Württembergern berichtet wird, während in Venetianische Depeschen II 72 von 5'000 bis 6'000 Soldaten die Rede ist. Bei Heyd, Ulrich von Württ. III 422 mit Anm. 131 ist von einem Zuzug des württembergischen Landvolks die Rede, welches am 1. November in Giengen (wo das Hauptheer der Schmalkaldener lag) ankam. Laut Heinrich Thomann, dem Gesandten der Zürcher im schmalkaldischen Lager, erwartete man diese Truppen für den 29. Oktober (Zürich StA, A 177, Nr. 110 vom 29. Oktober). Nach einem späteren Bericht desselben trafen erst am Abend des 30. Oktober etwa 7'000 Kriegsknechte des Herzogs im Lager ein (aaO, Nr. 112).
21 wenn.
22 alls lang belypt: wie schon lang gewünscht.
23 mit dem Volk der Schmalkaldener.


Briefe_Vol_18-161arpa

Die Ulmischen haben ettlich reuter uff gestert erstochen und ettlich gefangen zu Naum oder Langennaum 24 gen Ulm gehörig, aber die Welschen 25 haben das dorff anzundt und verbrendt. Diß ist zu Memmingen durch den stattschriber 26 her geschriben. Datum des brieffs ist gstanden 17. octobris.

Ich kan nitt mer schreiben. Sorgen danecht 27 , ich versumme mich des botten 28 . Datum den 20. octobris 1546.

A. Bl.

Der anög 29 bott, Schubinger 30 genant, so zu Atticka 31 ligt, ist gar ain frecher bosß 32 , wie ich bericht wird. Hat die unseren hie vorm burgermaister 33 übel versagt 34 gehapt, und dasselbig gar mitt der unwarhait; dann es sind gar vlyssig gsellen mitt irer sach 35 , die nichts versummend. Aber was der Schobinger tut selbs und sich etwa sumpt 36 , das will er dann uff die unseren legen, so er zu Töß 37 zechet, etc. Man könde wol anzögen, wie fleyssig er ist! 38 Weilt gern, ir weren daran, das es im undersagt wurde 39 , damitt er die unsern unbetrübt liesß. Dann sy sorgend übel, si müssind etwa sonst mitt ime zu unf[rid]a werden; das aber besser vermitten 40 . Darum wellt das best hierin th[ain].

[Adresse darunter:] Bullingero suo. Tiguri.

a Hier und unten Textverlust. Ergänzung anhand der Abschrift Johann Jakob Simlers (Zürich ZB, Ms S 62, 29). Die Konstruktion "zu unfrieden werden" ist in Fischer VIII 145f bezeugt.
24 Gemeint ist Langenau (Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg), 17 km nördlich von Ulm. Die hier angedeutete Begebenheit wird genauer geschildert in einem undatierten, in Ulm verfassten Bericht, der vom Konstanzer Rat für Zürich abgeschrieben wurde (Zürich StA, A 177, Nr. 90), sowie in einem späteren Schreiben von Konstanz an Zürich vom 23. Oktober 1546 (aaO, Nr. 103), wo das Ereignis allerdings auf den 20. (und nicht wie hier auf den 19.) Oktober datiert wird. Auch Heinrich Thomann erwähnt die Angelegenheit in seinem im Lager bei Giengen an der Brenz verfassten Brief an Zürich vom 22. Oktober (aaO, Nr. 102).
25 Italiener; s. Nr. 2607, Anm. 16.
26 Georg Maurer.
27 dennoch (auch wenn ich aufhöre zu schreiben).
28 ich versumme mich des botten: ich verpasse den Boten.
29 einäugige (in Nr. 2645,7-9, wird er nämlich als "unoculus" bezeichnet).
30 Felix Schubinger. Dieser Zürcher Bote ist in den Rechnungsbüchern der "Laufenden Boten"nachgewiesen; s. z.B. Zürich StA, F III 32, Seckelamtsrechnungen 1546/47, S. 57 der Ausgabenabteilung für laufende Boten.
31 Attikon, etwa 8 km nordöstlich von Winterthur, zwischen derselben Ortschaft und Frauenfeld, das auf der Strecke nach Konstanz gelegen ist. Offensichtlich übernachtete der Bote jeweils dort.
32 Kerl; s. SI IV 1727.
33 Sebastian Gaisberg.
34 verleumdet; s. SI VII 411.
35 Angelegenheit.
36 sich sumpt: sich verspätet; s. SI VII 959f.
37 Töss (Kloster), heute ein südwestlicher Ortsteil von Winterthur, auf der Strecke Zürich-Winterthur.
38 Ironisch gemeint.
39 würde.
40 vermieden (würde).