Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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John Burcher
an Bullinger
Straßburg,
Montag, 30. Januar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 343, 373 Druck und englische Übersetzung: Epistolae Tigurinae 415, Nr. 296 bzw. Original Letters II 640, Nr. 296

[1]Burcher ergriff die seltene Gelegenheit, Bullinger zu schreiben, auch wenn er ihm damit zur Last fallen könnte. Er hatte ihm kurz vor seiner Ankunft in Straßburg im Auftrag des rechtschaffenen Richard Hilles eine Briefabschrift eines gelehrten und sehr bibelkundigen Mannes [NN]zugeschickt [nicht erhalten]. Dabei handelt es sich um dessen Antwortschreiben auf mehrere Briefe von Martin Bucer, mit denen Letzterer versucht hatte, ihn von seinem Abendmahlsverständnis zu überzeugen und auf Irrwege bezüglich der menschlichen Natur Christi zuführen. Burcher schreibt diesen Brief besonders deshalb, weil Hilles wissen möchte, ob das Schreiben angekommen ist. Bullinger hat den Erhalt nämlich nie bestätigt. -[2]Neuigkeiten aus England gibt es keine, außer dass die Versammlung, die von den Engländern "Parlament"genannt wird, bis zum 1. April ausgesetzt wurde. -[3]Bucer, der scheinbar von Kaiser Karl V. berufen wurde, hat vor etwa acht Tagen Straßburg heimlich verlassen. Die Abreise in aller Stille ist merkwürdig! Es ist zu befürchten, dass er nicht wohlauf zurückkehren wird. -[4]Auch hört man von der Beharrlichkeit Kurfürst Johann Friedrichs I. von Sachsen. Dieser will dem Kaiser in keinem Punkt zustimmen, der der

5 Es handelt sich dabei um Rudolf Gwalther, grec sive servus ecclesiasticus, Zürich, 1548 (VD16 W1127; BZD C391).
6 Die beide Werke finden sich in zwei Bänden (Zürich ZB, 5.104 und 5.130) in jeweils unterschiedlicher Reihenfolge und mit anderen weiteren Drucken zusammengebunden. Der erste Band (5.104) enthält neben der Schrift "Series et digestio temporum"und grec noch Bullingers Werke "Sermonum decades duae" von 1549 (HBBibl I 179; BZD C403; VD16 B9692 ) und "Sermonum decas tertia" von 1550 (HBBibl I 180; BZD C419; VD16 B9693), beide ebenso von Bullinger hand-
schriftlich Gwalther gewidmet. Der zweite Band (5.130) mit dem von Bullinger dem Bürgermeister Johannes Haab gewidmeten Exemplar (BZD C387), enthält neben Gwalthers grec auch Calvins "Supplex exhortatio ad Caesarem Carolum quintum de necessitate reformandae ecclesiae" von 1543 (Bibliotheca Calviniana I 43/7). -Nach Fertigstellung des Drucks der "Series et digestio temporum"ließ Bullinger ein Exemplar Gwalther zukommen und legte seinem Geschenk den Brief vom 10. Februar 1548 bei (Nr. 3134), den Gwalther auf dem Vorderspiegel des Einbandes, den er später besorgen ließ, einklebte.


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Religion zuwider ist. Möge Gott allen Rechtgläubigen bis zum Ende Ausdauer verleihen. -[5]Grüße an alle Pfarrkollegen in Zürich.

Argentinae, 30. ianuarii 1548.

S.P. Parva licet a se obtulit a occasio scribendi, non potui, quin per otium te paucis interturbarem, Bullingere amice charissime. Misi ad te paulo post adventum meum Argentinam exemplar quoddam, iussu domini Richardi 1 , vin integerrimi, responsi alicuius vin perquam docti et magni in scripturis iudicii ad literas Buceri ad eum saepius missas, quo eum ad suam de eucharistia opinionem traheret et in hunc errorem de humanitate Christi duceret. Sed quoniam nos nunquam certos fecisti, an id acceperis, voluit d. Richardus, ut sciremus, te interpellare. Aeque b haec praecipua est causa, cur scripserim.

Nova nulla habemus ex Anglia, praeterquam quod concilium, a nobis parliamenturn vocatum, in kalendas apriles derogatum est.

Bucerus, ut putatur, a caesare 2 vocatus, hinc clam Augustam ante octo dies profectus est. 3 Miramur discessus eius silentium, atque timetur, ne aegre redeat. 4

De constantia Saxonic ducis 5 fama hic fertur, quod contra religionem omnino caesari consentire nolit. Dominus det omnibus pus in finem usque perseverantiam.

Saluto fratres omnes Tigurinos. Bene vale. Tuus Burcherus, Anglo-Tigurinus.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinrico Bullingero, Tigurinorum pastori vigilantissimo, domino meo observando. Tiguri.

a-a Über der Zeile nachgetragen. -
b In der Vorlage Aque.
1 Richard Hilles.
2 Karl. V.
3 Bucer hatte Straßburg in Richtung Ulm am 24. Januar 1548 verlassen. Die heimliche Abreise ist wohl damit zu begründen, dass der Straßburger Rat seiner Reise, deren Ziel Ulm war, nicht einstimmig zugestimmt hatte; s. Nr. 3120, 30-32 mit Anm. 20; BucerDS XVII 11.
4 Die Sorge war berechtigt: Unmittelbar nach seiner Ankunft in Augsburg am 30. März 1548, wohin er sich ebenfalls ohne Kenntnis des Straßburger Rates begeben hatte, wurde Bucer unter Hausarrest gestellt, um der Forderung von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ungestört nachkommen zu können,
eine Stellungnahme zur Märzformel des Interims anzufertigen. Nach seiner brieflichen Ablehnung des Interims vom 4. April (BucerDS XVII 362-397) wurde er durch weiteren Hausarrest und anschließend auch durch strenge Haft zur Unterschrift des Interims gezwungen. Fr gab dem Druck am 20. April 1548 nach und unterschrieb das Dokument. Bucer verließ Augsburg noch am gleichen Tag und erreichte Straßburg bereits am 27. April 1548; s. BucerDS XVII 12. 357-361. - Zur Rolle Joachims II. bei der Abfassung des ersten Interimsentwurfes s. Nr. 3182, Anm. 11.
5 Johann Friedrich I. von Sachsen. - Zu dessen Lage und Widerstand gegen den Kaiser s. zuletzt Nr. 3102, Anm. 12.