Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Francisco de Enzinas
an Bullinger
Basel,
Mittwoch, 1. Februar 1548

Autograph: Zürich StA, E II 366, 31 (Siegelspur) a Druck: Boehmer, Dryander 420f Nr. 37 Druck und spanische Übersetzung: Enzinas BW 366-368, Nr. 40.

[1]Bullinger hätte Enzinas doch [wegen eines Buchversands]John Hooper gegenüber gar nicht so eindringlich empfehlen müssen, da dieser ja genau weiß, dass all seine Aufträge von Enzinas gewissenhaft ausgeführt werden. Es wäre schade, wenn das erste Büchlein [ Answer unto my lord of wynchesters Hooke intytlyd a detection of the devyls Sophistrye wherwith he robbith the vnlernyd people of the trew byleef in the moost blessyd sacrament of the aulter"?]wirklich verloren gegangen sein sollte. Er wird Hooper schreiben, weshalb der Versand seiner Meinung nach schlecht vorbereitet war. Wäre das Büchlein an ihn gesendet worden, hätte er sich nicht nur um die Übermittlung nach Antwerpen, sondern auch bis nach England gekümmert. Bei der Schrift ["A declaration of Christe and of his offyce"?], L um deren Versand er sich nun kümmern sollte], hat er sich ganz an Hoopers Vorgaben gehalten und das Buch nach Antwerpen geschickt, wo es wohl bald gut ankommen wird. Er selbst hat auf genau diesem Weg schon viele Büchersendungen ohne Verluste verschickt. -[2]Bullingers Gutachten über das englische Buch hat er mit Interesse zur Kenntnis genommen, obwohl er ohnehin überzeugt war, dass Hooper nur Gelehrtes und Verbürgtes veröffentlichen würde. -[3]Über Politik wagt er nichts zu schreiben. Er befürchtet aber, dass die Welt ein furchtbares Monstrum gebiert, das nicht ohne Fehlgeburt hervorgebracht werden kann und das den Untergang des ganzen Reiches mit sich bringen wird. -[4]Über Privatangelegenheiten getraut er sich noch weniger zu berichten, um Bullinger nicht noch mehr zur Last zufallen. Er kann in Basel nicht sicher leben und kennt in ganz Europa keinen sicheren Ort. Deshalb hat er vor, in die osmanischen Gebiete zu reisen, in denen er sicherlich mit guten Argumenten die wahre Religion verbreiten kann. Dort will er eine Stadt gründen, die den anderen Exilanten aus Europa als Zuflucht dienen soll. Mehr dazu wird er Bullinger und Theodor Bibliander vor seinem Aufbruch dorthin berichten. -[5]Unterdessen beglückwünscht er diese beiden und die übrigen Pfarrkollegen zu ihrer Muße, die sie der Gelehrsamkeit widmen, und wünscht ihnen bei Gott, dass sie ewig anhalten möge.

S.D. Non erat opus tam accurata commendatione in re tam levi, praesertim cum non ignoret dominus Hopperus me omnia, quae ad illum pertinent, diligenter esse curaturum. 1 Periisse primum libellum 2 doleo, si tamen periit. Causam, quare putem

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.
1 Wie unten Z. 3 nahelegt, schlug der Versuch von John Hooper fehl, ein Buch nach England zu versenden. Daraufhin muss Bullinger ihm den gut vernetzten Enzinas erfolgreich als Übermittler von Buchsendungen empfohlen
haben, wie unten Z. 5f nahelegt; zu Enzinas Vernetzung s. Enzinas BW 367, Nr. 40, Anm. 3.
2 Vermutlich handelt es sich um John Hoopers "An Answer unto my lord of wynchesters booke


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male curatum esse rem, scribo eidem Hoppero. Si ad me missus fuisset, non solum Antverpiam 3 , sed etiam in Angliam perferri curassem. Posteriorem 4 istum, quem accepi, misi Antverpiam, sicut scripsit, quo puto brevi et tuto esse perventurum. Nam eodem itinere ego hactenus misi fasciculos multos neque adhuc sensi quicquam periisse.

De scripto Anglico libenter audivi tuum iudicium 5 , quanquam alioqui mihi erat persuasum nihil ab eo 6 edi oportere, quod non esset eruditum et probatum. 7

De rebus publicis 8 nihil audeo dicere. Parturire video mundum monstrum informe, quod sine aborsu non videtur in lucem edi posse, quod secum trahet ingentem totius reipublicae ruinam.

De rebus privatis minus audeo dicere, ne tibi molestiam adferam rebus molestissimis. Erramus, ut inquit ille, acti fatis maria omnia circum. 9 Ego hic non possum secure vivere neque video locum tutum in tota hac Europa nobis nota. 10 Proinde ad muselmanos 11 iter institui, unde certis argumentis spem maximam exoriri video

intytlyd a detection of the devyls Sophistrye wherwith he robbith the vnlernyd people of the trew byleef in the moost blessyd sacrament of the aulter"(VD16 H4822), das im September 1547 in Zürich gedruckt worden war; s. die Vorrede aaO, f. Aiv,v.
3 Antwerpen.
4 Hiermit ist vermutlich John Hoopers Schrift "A declaration of Christe and of his offyce" gemeint (VD16 H4823), die im Dezember 1547 in Zürich erschienen war; s. die Vorrede aaO, f. Av,v.
5 Bullingers an Enzinas gesandtes Gutachten über Hoopers Schrift "A declaration of Christe and of his offyce"(s. oben Anm. 4) ist nicht erhalten.
6 John Hooper.
7 Hauptverantwortlich für die Zürcher Bücherzensur war bereits vor 1546 Bullinger selbst. Möglicherweise wurde er jedoch schon 1547 aufgrund einer dem Rat missfallenden Erlaubnis für den Druck von Rudolf Gwalthers "Der Endtchrist"(VD16 W1058) von dem Zensorenamt freigestellt; s. HBBW XIX, Nr. 2827,9f mit Anm. 8; Zwa XLV 408f
8 rebus publicis: Enzinas meint hiermit die Entwicklungen im Reich, dessen Verfassung seiner Einschätzung zufolge durch die monarchischen Bestrebungen von Kaiser Karl V. gefährdet war.
9 Vgl. Vergil, Aeneis 1,32.
10 Seit der Flucht aus seiner vierzehnmonatigen kaiserlichen Gefangenschaft im Januar 1545 lebte Enzinas in Furcht vor Verfolgung. Diese nahm sicherlich zu, als er 1547 erfahren hatte, dass sein Bruder Diego de Enzinas in Rom als Ketzer verbrannt worden war; s. Gilly, Spanien 334f; BBKL I 1517f.
11 Gemeint ist damit das Osmanische Reich oder die von den Osmanen besetzten Territorien. - Wie ernst diese Reiseplanungen gemeint waren, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Fest steht, dass Enzinas Kontakt zu dem portugiesischen Bankier Diogo Mendes pflegte, der Marranen bei ihrer Auswanderung in das Osmanische Reich unterstützte. Statt nach Konstantinopel reiste Enzinas schließlich nach Straßburg, heiratete Margarethe, geb. Elter (Marguerite d'Elter), und wurde auf Melanchthons Empfehlung von Mitte Januar 1548 (MBW-T XVIII, Nr. 5026. Nr. 5027) im April als Professor für die griechische Sprache nach Cambridge berufen; s. HBBW XVII, Nr. 2554, Anm. 2; Enzinas BW 368, Anm. 7; Steinmann 83; Gilly, Spanien 335. Zu Margarethe, geb. Elter, s. Nr. 3167, Anm. 3. -Einen ähnlichen Plan zur Auswanderung hatte 1546 auch Theodor Bibliander gehegt, jedoch nicht zur Flucht, sondern zur Missionierung der Osmanen; s. HBBW XVI, Nr. 2405,85-101; XVII, Nr. 2453,55-57. -Bullinger sollte sich 1567 in der Vorrede zu seiner Schrift "Der Türgg"


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instaurandae verae religionis. Ibi novam urbem condernus, ubi liceat recoligere atque instaurare reliquias exulantis Europae. Plura scribam ante meam profectionem ad te et dominum Theodorum 12 et reliquos fratres, quibus gratulor otium in literis et tranquillitatem deumque precor, ut earn veut esse perpetuam. Bene vale. Basileae, primo februarii 1548. Tuus totus Franciscus Dryander.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro domino Henrico Bullingero, verbi dei ministro fidelissimo. Tiguri.