Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[684]

Sulpitius Haller an
[Bullinger]
[Lenzburg],
21. November [1535]

Original von der Hand Hemmann Haberers: Zürich StA, E II 441, 559a r.-v. (Siegelspur) Teildruck: Kessler, Sabbata 437f. —Teilübersetzung ins Französische: Gilliard, Les combats 8f

Wird Brief und Bücher an Berchtold Haller weiterleiten. Berichtet über den Zug der Berner Freischärler, die unter der Führung von Jakob Wildermut aus Neuenburg und Erhard Burger aus Nidau den bedrängten Genfern zuziehen wollten, jedoch [bei Gingins], in der Nähe von Nyon, in einen savoyischen Hinterhalt gerieten und -nachdem sie das Gefecht siegreich überstanden hatten - von den Berner Gesandten Ludwig von Diesbach und Hans Rudolf Nägeli sowie vom savoyischen Landvogt in der Waadt [Aymon de Genève-Lullin] wieder nach Hause geschickt wurden. Die Genfer haben einen Ausfall unternommen, um gestohlenes Vieh zurückzuholen, und dabei ungefähr ein Dutzend [Savoyer]getötet.

Min früntlich, guttwyllig dienst bevor, insonders günstiger herr.

Üwer brieff sampt den büchern, her Berchtold 3 zuhörig, hab ich entpfangen 4 . Sy söllend ouch mit guter sicherheytt im überantwurtt wärden.

Denne 5 der handlung zu Niews in Saffoy 6 halb so wüssend, das Jacob Wildermut

Festschrift bei Anlass der dritten Säkularfeier zu Ehren des Bestandes der Zollikofer-Altenklingen'schen Familien-Stiftungen, St. Gallen 1886, S. 7. 37; HBLS VII 676.
22 Gemeint sind die Friedensverhandlungen nach dem 2. Kappelerkrieg, die bis zum 15. Nov. 1531 in Bremgarten stattfanden (vgl. EA IV/1b 1211-1214; Vadian BW V 24-26, Nr. 652. 653), also kurz vor der Flucht Bullingers nach Zürich (vgl. Meyer, Der Zweite Kappeler Krieg 222).
23 geht gebeugt (SI XII 1131).
1 Die Angaben Johannes Kesslers belegen, daß Bullinger Adressat dieses Briefes war (vgl. Kessler, Sabbata 437, 33-40).
2 Das Jahr ist durch das im Brief geschilderte
Ereignis - den Freischarenzug nach Genf -gegeben.
3 Berchtold Haller.
4 Der Brief Bullingers an Haller vom 19. November 1535 ist nicht erhalten (vgl. unten Nr. 690, 1 mit Anm. 1). Bei den genannten Büchern handelt es sich um Schriften aus dem Nachlaß des verstorbenen Pfarrers Ulrich Kern, die Bullinger - einer Anweisung vom 13. Nov. 1535 folgend - über Sulpitius Haller an Berchtold Haller schickte (vgl. oben Nr. 675, 5-19 und Anm. 7).
5 Sodann.
6 Nyon (in der damals noch savoyischen Waadt). — Zum folgenden Bericht über den Freischarenzug nach Genf, der nach dem Gefecht bei Gingins sein Ende fand, vgl. oben Nr. 664.


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7 von welschen Nüwenburg 8 und Erhartt Burger 9 von Nydow 10 , zwen houbtman, zu trost 11 den Jänfferen 12 uffgnommen und besamlett haben 415 man, allso a sagend die, so hie by und mitt gesyn, das sy in abzellung nit eins me noch minder befunden haben, und hand disse all von und b uß innen selbs 13 sich zamen versamlett, der mertell uß miner herren von Bernn gebiett, alls uß der statt, den vier landtgrichten 14 , Bürren 15 , Erlach und anderschwo, deßglychen ouch ettliche von Biell und welschen Nüwenburg. Und ursach söllichsse sind ettlich botten c von Genff, zu welschen Nüwenburg gelägen 16 ,
a vor allso gestrichene Klammer.
b vor und gestrichenes in.
c botten über gestrichenem bottschafften.
7 Jakob Wildermut, seit etwa 1500 in Neuenburg, Glasmaler, gest. um 1540, war ein Haudegen und erfahrener Söldnerführer. 1512 nahm er als Rottmeister am Pavierzug teil, 1513 wurde er für den Versuch, wider Verbot dem französischen König zuzuziehen, mit Gefängnis bestraft, und 1518 stand er in der Mannschaftsliste des Eberhard von Reischach für den Auszug ins Herzogtum Württemberg. Er war ein Parteigänger Berns und ein eifriger Anhänger der Reformation. Als Farel 1529 nach Neuenburg kam, wurde er von Wildermut kräftig unterstützt und 1531 auch nach Payerne begleitet. Im 2. Kappelerkrieg war Wildermut unter den Vermittlern. Seine bekannteste Tat war wohl der von ihm durchgeführte Freischarenzug nach Genf, der mit dem Sieg über die Savoyer bei Gingins endete. Zusammen mit Erhard Burger zog der betagte (vgl. Anshelm VI 216, 17f) Wildermut 1536 im bernischen Heer in die Waadt; bei dieser Gelegenheit trieb er die ihm von den Genfern geschuldeten Beiträge für seinen Freischarenzug ein. — Lit.: Ed. Bähler, Zwei Briefe Jakob Wildermuts, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte, NF 36, 1905, S. 42-45; ASchweizerRef, Reg.; EA IV/1b und c, Reg.; Corr. des réformateurs II-IV, Reg.; Eduard Bähler, Der Seeländerzug nach Genf im Oktober 1535, in: Neues Berner Taschenbuch auf das Jahr 1905, Bern 1904, bes. S. 71-75. 92-95; Ed. Bähler, in: Sammlung Bernischer Biographien, hg. v. Historischen Verein des Kantons Bern, Bd. V, Bern 1902, S.
515-519; H. T., Über Jakob Wildermut, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte, NF 37, 1906, S. 82f; HBLS VII 537.
8 Neuenburg.
9 Über Erhard Burger, von Nidau, ist nur wenig bekannt. Burger war ein Vetter von Jakob Wildermut (vgl. Anshelm VI 216, 20) und - wie aus dem vorliegenden Brief hervorgeht - dessen wichtigster Mitführer der Freischar, in der er die Schützen befehligte. Er scheint das Kriegshandwerk auch später noch ausgeübt zu haben. Im Jahre 1544 zog er nämlich mit einigen Kriegsknechten nach Frankreich, wofür er noch jahrelang mit dem französischen König um eine Entschädigung rechtete (vgl. EA IV/1d und e, Reg.).
10 Nidau (Kt. Bern).
11 Hilfe, Rettung (SI XIV 1387f).
12 den Genfern.
13 aus eigenem Antrieb.
14 Sternenberg, Seftigen, Zollikofen und Konolfingen (vgl. 450 Jahre Berner Reformation. Beiträge zur Geschichte der Berner Reformation und zu Niklaus Manuel, hg. v. Historischen Verein des Kantons Bern, Bern 1980, S. 573-581).
15 Büren an der Aare (Kt. Bern).
16 Treibende Kraft des Unternehmens war der bernisch-genferische Doppelbürger Claude Savoye, der Ende September 1535 in Bern Geld beschaffte, am 28. zusammen mit Etienne Dada ins Berner Seeland und anschließend nach Neuenburg zu Wildermut reiste (vgl. Eduard Bähler, Der Seeländerzug nach Genf im Oktober 1535, in: Neues Berner Taschenbuch auf das Jahr 1905, Bern 1904, S. 69-71, und Registres du Conseil XIII 320, Anm. 3, und 323).


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die mitt obbemellten 17 houptlütten söllichen anschlag 18 zewägen bracht. Sind allso söllich 415 man mitt ein anderen hinin durch gebirg gezogen, keinen rächten wäg, ettlich nütt bewertt dan allein ir schwertter getragen, ouch nitt me dan vier in harnisch. Hand sy ouch ir vier, so solltend Jänffer syn 19 , gefürtt. Die aber ir verretter gewäsen, deren einer sy vor dem angriff zetod gehouwen hand, und sind innen die dry entrunen zu der finden huffen 20 . Alls sy nun noch gan Jänff zu kommen und in dryen tagen nütt geessen habend, an einem sontag frü 21 , ouch den Jänffren am samstag zu nachtt fürgäben 22 , in meinung, das sy jetz hinuß zu inen kommen und hin in beleytten solltentt, und sy sich vom gebirg hinab an die straß durch ein d gassen gelassen, sind die find under der gassen wol gerüst und gewertt mitt 3000 e manen in zwöen huffen und ir schützen hinder eim starcken grun hag gelagen, darzu die fiend gutt stein in henden gehebtt, uff sy geschossen und geworffen und nit anderst verwändt 23 , dan es söllte ir keiner entrünnen. Hatt Erhartt Burger, der die schützen gefürtt, deren ouch by 100 gesyn, noch dem enner 24 uff sy abgeschossen, geworfen und gefällt, syner knaben 25 under dem hag umb gefürtt und näbent dem hag inhar an sy kommen und ir schütz wol angeleytt 26 , dan wenig under inen me dan einest hatt mögen zuschiessen kommen. Die andren durch den ||559a v. hag gebrochen und allso zu sammen kommen, und doch disse lütt inn söllichem fortell und weri gefunden und besonders die edlen, so zu fuß und roß uff sy gehallten 27 , das die thatt die unßren nieman dan gott allein zumessend, ders dan ouch allein gethan hatt. Sind allso in sy trucktt und ir gewalltig worden 28 und haben inen erschlagen verzellter mannen, so uff der waldstatt beliben, 440 man; sagend wol, das es aller sammen, so allenthalb noch gestorben und gefunden, by 600 mannen syend umbkommen. Alls nun inen gott das glück gäben, sind sy inen nitt lang nochgelouffen, sonder sich widrumb zusammen versamlett in meynung, irre reyß gan Jänff zu zevolstrecken, und da gar vom find nütt genommen, dan 29 sich widrumb bewertt, sind ouch f inen büchssen, schäfftt und wery fast alle gebrochen. Wie sy nun gan Jänff zu zogen, do sind unser g[nedigen] h[erren] botten, juncker g Ludwig von Dießbach und juncker Hans Rudolf Nägely 30 , mitt dem landvogtt in der Wadt 31 ongefärd
d vor ein gestrichenes de.
e vor 3000 gestrichenes 4.
f sind ouch über gestrichenem dan.
g juncker über gestrichenem her.
17 oben erwähnten (vgl. SI IV 211f).
18 Plan, Vorhaben (SI IX 215-219).
19 Nicht namentlich bekannt.
20 Heerhaufen (SI II 1044).
21 10. Oktober 1535.
22 Zeichen gegeben.
23 gemeint (vgl. Grimm XII/I 2074).
24 jene (SI I 265).
25 Kriegsknechte (SI III 709).
26 gut gezielt.
27 kampfbereit waren.
28 haben sie überwältigt.
29 nichts genommen, als.
30 Hans Rudolf Nägeli, gest. 1561, stammte aus Berner Adelsgeschlecht. Nachdem er in päpstlichen Diensten gestanden hatte, begann er seine politische Laufbahn 1520 als Mitglied des Großen, 1524 des Kleinen Rates. Er war reformatorisch gesinnt und wurde oft als Gesandter an die Tagsatzungen nach Baden und ins Welschland abgeordnet. 1528 erhielt er die Landvogtei Aigle (Kt. Waadt) und 1536,


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32 zu inen kommen, die sy so vil vermögen, das sy widrumb hindersich heim gekertt, und inen gutt essen, trincken vergäben und gutt gelydtt durchs land hinuß verschaffett haben. Ursach, das min herren darzu verursacht 33 , ist, das noch ein huffen Saffoyer zwüschen inen und Jänff gelägen, ouch der sturm im land gangen 34 und allenthalben über see sich das landvolck versamlett hatt, da man besorgtt 35 , sy wurdend inen nit mechtig gnug syn, die wyl sy jetz gantz heilig 36 und müd. Und ist allso uff ein anstand 37 gestellt und nit anders gangen, ouch uff unser sytten umbkommen 7 man, 2 buben und ein wyb; deren sind von Bürren 2 man und die frow, die doch, eb 38 sy erlegen, vor 39 irer 3 man hatt nider geleydt.

Sidhar sind die Jänffer abbermalls (alls inen fych genommen) haruß gefallen, innen daß fich widrum gnommen und innen by eym doczen erschlagen und inen einer umbkommen; doch habend enner nit wellen beytten 40 , sonder erzytt 41 die fluchtt gnommen 42 . Nitt wytter jetz, dan gott allweg mit unß allen.

Datum sontag vor Katteryne.

Sulpitius Haller, obervogtt

uff Lentzburg, ü[wer]allzyt guttwilliger.

[Ohne Adresse.]