Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1675]

Bullinger an
Ambrosius Blarer
Zürich,
13. Oktober 1542

Autograph a : St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 34 (VBS V), 228 (ohne Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 152-154, Nr. 972

Dank für Blarers Brief [Nr. 1673]; möge Gott seiner Kirche beistehen! Weiß nichts Sicheres von den eidgenössischen Soldaten im Dienste [Franz' I.]; am Tag zu Baden [vom 2. Oktober] legte eine französische Gesandtschaft [Guillaume Maillard und Jörg Wül]einen Brief vor, in dem der König vom erfolgreichen Kampf gegen Kaiser [Karl V.] und dem treuen Dienst der eidgenössischen Soldaten u. a. bei Perpignan berichtet, doch sei ihm zu Ohren gekommen, dass man ihm die Eidgenossen abspenstig zu machen versuche und dass Zürich es mit dem Haus Österreich halte; beigelegt waren auch Kopien von Schreiben aus Nürnberg an den König und an Kardinal [François]de Tournon, worin gemeldet wurde, einige [Reichsstände]

5 Die betreffende Korrespondenz zwischen Myconius und Bucer ist nicht erhalten.
6 Paulus Lacisius.
7 Theodosius Trebellius und Julius Terentianus (Giulio Santerenziano).
8 Rudolf Gwalther.
9 Vgl. oben Nr. 1662, 15f mit Anm. 10.
a Mit Randbemerkungen und Anstreichungen von späterer Hand.


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hätten an die Eidgenossen geschrieben, um sie zur Türkenhilfe und zur Abmahnung ihrer Söldner aus dem französischen Heer zu bewegen, und in denen es weiter heißt, Zürich habe sich von Frankreich abgewandt und sei dem Haus Österreich günstig gesinnt. Daraufhin verteidigte Bürgermeister [Johannes]Haab die Haltung Zürichs [gegen den Reislauf]mit der Sorge der Stadt um die Eidgenossenschaft und der Verpflichtung dem Haus Österreich gegenüber; wenn die Anschuldigungen tatsächlich aus Nürnberg stammen, lässt dies Rückschlüsse auf die Stimmung im Reich zu; Blarer soll vorsichtig sein, wenn er diese Nachricht weiterleitet, damit Bullinger kein Schaden daraus entsteht. Gerade kommen Nachrichten, dass Uri, Schwyz und Unterwalden ihre Söldner vom König abmahnen wollen; eine Niederlage könnte das verirrte Volk zur Besinnung bringen; möge Gott uns beistehen! Entschuldigt sich für die schlechte Schrift, war in Eile. Grüße; möge Gott Johannes [Zwick]erhalten; Werner Steiner starb am 6. Oktober an der Pest; weitere Grüße.

Gratiam et vitae innocentiam a domino.

Ago tibi gratias ingentes pro literis illis tuis 1 summa fide et diligentia scriptis, ex quibus tuam erga me fidem et charitatem facile intelligo. In his sunt quaedam, quae terruerunt, sunt alia, quae summa affecerunt voluptate. Dominus ecclesiam suam iuvet et liberet ab omni malo 2 , malos autem corripiat ad animarum ipsorum incolumitatem.

De exercitu Helvetiorum nostrorum militante apud Gallum 3 nihildum habemus certi. Sequentia non temere Germanice scribo. Alls min herren von Zürych den tag gen Baden beschriben 4 allen eydgnossen mentags nach Michaelis 5 , alls ich üch in vorigen brieffen bericht 6 , ist des Frantzosen bottschafft 7 erschinen und hatt einen brieff vomm künig uß Franckrych yngelegt, der lut also, das er sine liebe verpündeten wüssen lasse, dass es imm wider den keysser 8 wol gange; dann gott werde imm wol hälffen wider des keyssers mutwillen, und dienind imm die knächt von eydgnossen wol und trüwlich. So habind yetzund vor Parpian 9 sine find ettlich fendli dahinden gelassen etc. Diewyl er dann gruntlich vernämm, das ettlich lüt sy, die eydgnossen, understandint 10 vom künig abzuwenden, bitte er sy, das sy stät 11 an imm blyben wöllind etc. Hiemitt wendt er die red von allen eydgnossen uff die von Zürych und schript uff die meynung 12 : "Und mich befrömbdet an üch von Zürych, das ir üch wider mich mitt allen krefften setzind und es mitt dem huß Oesterrych 13 habend, die, wenn irs rächt bedäncken wöltind, nitt minder üwer dann min vind sind. Wir habend üch nüt ze leid thon und habend gehalten die tractat des fridens 14 ; so möchte es mitt üch nitt böser

1 Oben Nr. 1673.
2 Vgl. Mt 6. 13.
3 König Franz I.
4 ausgeschrieben.
5 Auf den 2. Oktober.
6 Vgl. oben Nr. 1667, 24-26.
7 Guillaume (Wilhelm) Maillard und Jörg (Georges) Will; vgl. EA IV/1d 184 e und g.
8 Karl V.
9 Perpignan, Dép. Pyrénées-Orientales. Die Nachricht zu Perpignan entstammt einem
Schreiben von Louis Daugerant, Seigneur de Boisrigaut, s. EA IV/1d 184 f; vgl. auch unten Nr. 1680, Anm. 3.
10 versuchten.
11 beständig.
12 in folgendem Sinne.
13 Habsburg.
14 Gemeint ist insbesondere der Ewige Friede zwischen den Eidgenossen und Franz I. von 1516; s. HBLS III 95.


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sin, ir hättind mir dann ze voll abgesagt 15 . Dorumb min anmutung an üch b ist, ir wöllind mich in minem glück nitt irren 16 , wöllend ir mir nitt günstig sin" etc. 17 , mitt vil me hochmütiger worten. Darnäben sind zwo copyen 18 yngelegt, eine von Nürenberg an künig geschriben, die ander ouch von Nürenberg an cardinal von Durnang 19 gen Lyon; beyd haltendts die meynung inn, das, der die brieff von Nüerenberg ab dem rychstag geschriben 20 , anzeigt nähen dem, das er den künig bericht, was uff dem tag verhandlet und das ein anderer angesetzt 21 , ettliche an die eydgnossen geschriben habend, sy angewendt umb hilff 22 wider den Türcken zu schicken und das sy knächt vom künig abmanind etc. 23 Da sölle aber der künig wüssen, das sömlichs nun 24 wenig lüten uff dem tag und nitt aller rychsständen meynung und will sye. Zudem sye ein statt ||228v. in eydgnossen, heysse Zürych, die sye dem künig abhold, dem rych aber und huß Oesterrych gantz günstig, durch welche man ettwas understand ze handlen etc. Daruff unser herr burgermeister Hab 25 gar dappffer 26 geantwurt 27 , was Zürych gethon 28 , habe es
b Vor üch gestrichenes v.
15 das Verhältnis zu euch könnte gar nicht schlechter sein, wie wenn ihr den Vertrag ganz gekündigt hättet.
16 beeinträchtigen.
17 EA IV/1d 184 g. 186(2).
18 Die beiden Briefe datieren vom 27. August und wurden während des Reichstags zu Nürnberg (1.-29. August) verfasst; vgl. EA IV/1d 184 e. 186(1).
19 François de Tournon (1489-1562) entstammte einer einflussreichen Familie aus der Nähe von Valence. Der Eintritt in die Abtei Saint-Antoine-de-Viennois 1501 war der Beginn einer erfolgreichen Karriere als Kleriker: 1518-1526 war er Erzbischof von Embrun, 1526-1538 von Bourges. 1538-1551 von Auch und schließlich von 1551 bis zu seinem Tod Erzbischof von Lyon und damit Primas von Frankreich; 1530 war er mit Unterstützung der Königinmutter Louise von Savoyen von Clemens VII. zum Kardinal ernannt worden. Schon Anfang der 1520er Jahre bewegte sich Tournon im Humanistenkreis um Franz I., seit seiner erfolgreichen Vermittlerfunktion in den Verhandlungen über die Freilassung des Königs aus spanischer Gefangenschaft war er Mitglied des königlichen Rates. Nach anfänglich moderater Haltung den Protestanten gegenüber wurde er ein prominentes Haupt
der konservativen Partei am Hofe und entschiedener Gegner der Protestanten; so ließ er etwa 1553 fünf Berner Studenten in Lyon wegen Häresie verbrennen. Nach der Sukzession Heinrichs II. 1547 übersiedelte Tournon nach Rom, blieb aber weiterhin politisch aktiv. Entgegen den französischen Vorbehalten gegen die Jesuiten unterstützte er deren Ausbreitung in Frankreich aktiv. Als Primas leitete er 1561 das Religionsgespräch von Poissy. - Lit: Michel François, Le cardinal François de Tournon. Homine d'état, diplomate, mécène et humaniste (1489-1562), Paris 1951; Gordon Griffiths, in: Contemporaries III 334-336.
20 Der Briefschreiber ließ sich nicht feststellen.
21 Gemeint ist der ursprünglich auf Mitte November angesetzte Reichstag zu Nürnberg, der um einen Monat verschoben wurde.
22 sie um Hilfe gebeten haben.
23 Zu diesem Schreiben der Reichsstände vom 25. August vgl. EA IV/1d 186f zu 1.
24 solches nur.
25 Johannes Haab.
26 sehr entschieden.
27 Vgl. EA IV/1d 184 i.
28 Vgl. die von Zürich vorgetragene Ermahnung in EA IV/1d 164f a. 165-167 zu a. 173 p.


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thon uß christlicher pflicht und liebe zur eydgnoschafft, ouch das man ettwas mitt der erbeynigung zum huß Oesterrych verpflicht 29 , dem rych guts schuldig etc. Quod si est Nerobergae, qui secreta comitiorum scribit Gallo, et non potius ea fabula a nostratibus Gallis contexta est, video, quo loco sint in imperio, qui consultant de patriae incolumitate. Quod si hec amicis tuis communicaveris, vide, ne mihi possit esse fraudi.

Jetzund kumpt das gschrey 30 , Ury, Schwytz und Underwalden wöllind die iro vomm künig abmanen, und habindts abgemandt. 31 Summa: Es ist gar [ein] eilend, verirret volck. Wurde inen ein gute schlappen 32 , acht ich und trüwen gott, [es] syend daheim noch so vil frommer lüt, denn were gut handlen, das man fürsten und herren müssig gieng und rächt thät. Bittend gott, das er uns hälff et ne in furore corripiat, sed disciplinet ad multorum eruditionem et incolumitatem.

Condona vitium cacographiae; nam festinavi plus quam credas.

Vale cum tuis omnibus, consule Blaurerio 33 , Zvicciis 34 et reliquis; dominus servet nobis d. d. Ioannem Zviccium. Excessit peste extinctus 6. octobris Wernherus Steinerus, cui dominus sit propitius. Salutant te Pellicanus, Bibliander, Gvaltherus, Megander, Fabritius 35 et reliqui omnes.

13. octobris anno 1542.

H. B. tuus. c

[Ohne Adresse.]