Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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BULLINGER AN
ANNA ADLISCHWYLER
[Zürich],
30. September 1527

Abschrift von Hans Rudolf Steiner 4 : Zürich ZB, Msc J 53, 5r. -13r. a 16 2/3 fol. S., sehr gut erhalten Gedruckt: Misc. Tig. I/3 8-24; Pestalozzi 580-588; Christoffel 21-34. Teildruck: Der Mahler der Sitten, Bd. II, 1746. Das 96. Blatt, S. 540-555; Heß I 53-65; Neue Zürcher Zeitung, 17. Juli 1904, Beilage zu Nr. 197 5.

Brautwerbungsschreiben. Bullinger weist darin sowohl auf die Gottgewolltheit als auch auf die menschlichen Vorteile einer Ehe in Liebe und Eintracht hin, berichtet über seine eigene Lage und bittet um baldige Antwort und strenge Geheimhaltung.

a weitere, etwas spätere Abschriften: Zürich ZB, Msc J 59, 79r. -83v. und Msc T 406, Nr.3.
1 Anna Adlischwyler (Adlischwiler), etwa 1504-1564, Bullingers spätere Ehefrau, Tochter des Rapperswiler, dann Zürcher Bürgers Hans (Johannes) Adlischwyler. Dieser war Koch bei Abt Trinkler in Kappel und bei Bürgermeister Hans Waldmann in Zürich, danach Wirt der Zünfte zum Weggen und zur Meisen, auch obrigkeitlicher Weinschenk zum Elsässer. Er starb 1512 auf dem Pavierzug. Obwohl man auf Grund des Ehegerichtsprotokolls vom 2. Juli 1528 (s. weiter unten) 1505 als Annas Geburtsjahr errechnen kann, war sie sehr wahrscheinlich identisch mit dem bereits 1504 im Glückshafenrodel I 489, 24f erwähnten jungen «Annli Adattschwiler», so daß wir spätestens 1504 als ihr Geburtsjahr annehmen müssen. 1523 war sie bereits Nonne im Kloster Oetenbach in Zürich, Halter 173, wo sich 1529 auch ihre Mutter (s. unten Anm. 232) verpfründete. Anna ging gerne ins Kloster, nicht nur ihrer Mutter zuliebe, und blieb sogar nach dem Durchbruch der Reformation dort, wie Bullinger betont (Verzeichnis 1 106; Verzeichnis 3 24). Nach Aufhebung des Klosters am 1. Februar 1525, diente Oetenbach als Sammelkloster für die noch verbliebenen Insassen der übrigen Klöster; von den Dominikanerinnen wohnten nur noch wenige dort, u. a. Anna Adlischwyler (Halter 160ff). Wie aus diesem Werbungsschreiben hervorgeht, war sie der reformatorischen Lehre gegenüber nicht abgeneigt und Bullinger schon seit Jahren bekannt. Auf Bullingers Anfrage gab sie am 27. Oktober 1527 brieflich ihr Jawort, am 29. Oktober folgte eine mündliche Unterredung im Großmünster. Diese Verlobung ohne Zeugen wurde jedoch von der Mutter, die gegen die Verbindung ihrer Tochter mit Bullinger war, nicht anerkannt. Unter dem mütterlichen Druck wollte Anna anscheinend die Verlobung rückgängig machen (s. unten Nr. 26). Als dann Frau Adlischwyler gegen den Willen ihrer Tochter andere Heiratsmöglichkeiten erwog, wandte sich Bullinger an das Ehegericht in Zürich; als Zeugen nannte er Prior Peter Simler (s. oben S. 53, Anm. 2), der bei der Verhandlung einen Brief Annas vorlas, und Zwingli, der zuvor mit ihr ein vertrauliches Gespräch im Kloster geführt hatte. Das Gericht erkannte die Verlobung als rechtskräftig an (Zürich StA, YY 1, 3, II. Teil, 21v. -22r.). Kurz nach dem Tode von Frau Adlischwyler fand die Hochzeit am 17. August 1529 in Birmensdorf statt, im Hause von Bullingers Bruder, Pfarrer Johannes Bullinger (s. oben S. 114, Anm. 17); die Predigt hielt Peter Simler. — Von Annas Persönlichkeit wissen wir wenig. Pestalozzi 312 ff gibt einige Beispiele für das harmonische Familienleben im Hause Bullingers, was sicherlich zum guten Teil ihr Verdienst war. Bekannt ist ihr echt seelsorgerlicher Brief an die Frau ihres Bruders (Christoffel 100). Offenbar war sie eine gutherzige, einfache, sparsame und doch gastfreundliche Frau. Sie starb am 25. September 1564 an der Pest. Aus ihrer Ehe mit Bullinger entstammten sechs Söhne und fünf Töchter. — Lit.: HBD 11, 14ff. 12, 10ff. 18, 15ff. 77, 7ff; Verzeichnis 1 104-106; Verzeichnis 3 23-25; Pestalozzi 53f. 67; Christoffel 20ff; Blanke 87-115; HBLS I 109. — Das hier mitgeteilte Schreiben an Anna Adlischwyler zeigt zahlreiche Parallelen mit Bullingers knapp zweieinhalb Monate früher beendeter Schrift: Volkommne underrichtung deß christenlichenn eestands, wie er möge und sölle in allen stucken mit gott, nutz, eer und fröüd gschicktlich volfürt werdenn. [Datum der Vorrede:] 18. Juli 1527 (Autograph: Zürich ZB, Msc D 200, Nr. 2; ein maschinengeschriebenes und editionsfertiges Exemplar, bearbeitet von Verena Wyss, befindet sich im Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte, Zürich; eine erweiterte und umgearbeitete Fassung ist 1540 im Druck erschienen: Der christliche Ehestand, vgl. HBBibl 129ff). Vieles, was im Werbungsschreiben von der Ehe im allgemeinen


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Gnad b und frid von gott dem vatter durch unßeren herren Jesum.

Alßo übel stath eß jezund in der wält, daß eß kein wunder ist, ob 6 schon einer frommen tochter alleß daß argwönig 7 , daß ihr auch guter meinung geschriben ist; daß mich zwaren dir hie zu schreiben gewent 8 hete, wo 9 du mich jezund etwaß jahren har nit der maß erkantist 10, daß mein hertz, gmüt und gedanck gar nit geneigt ist uff keinen list nach 11 betrug frommer und einfalter 12 mentschen, besonders zu dir, der mir in sonders erbar und lieb ist umb deiner zucht, einfalte und kintlicher geberden willen, welche mir also wenig ze muth sind zebetriegen oder einigeß wägs zu verletzen, daß ja mein höchster flyß sich alein (züg ich an minen gott himmels und der erden [Gen 24,3]) daruff ländt 13 , daß din ehr und nutz an lib und seel geüffnet, ja gemehret werde. ||5v. Der halben du jezund ane 14 sorg und ohne allen argwon frei dißen brieff in stille läßen solt, mit fleiß und ernstlicher betrachtung, dan eß nit wenig an dem handel gelegen ist, den ich bring; so wirst du mir auch einen großen dienst mit dinem ernst bewißen, den ich aber zu alen zeiten umb dich zu beschulden 15 geneigt bin.

Der allmächtig ewig gott hat unß von anfang geordnet in Christo Jesu zum ewigen leben 16 , alßo daß wir in den fußstapffen dißers seines sohns heryn 17 wandletind 18 . Der selb aber hat unß ernstlich 19 gelehrt, die wält und ihren fürsten mit sambt seinem rych der finsternuß flühen und die himmelischen ding annemmen,

b darüber ein Titel von derselben Hand: Copia schribens herren Heinrich Bulingers selligen an Anna Adlischwileri, einer düster frauwen am Ottenbach alhie, dannen er sy zur ehe begehrt, weliche er auch bekommen. Anno 1527.
1f gesagt wird, stammt aus dem ersten Kapitel («Vom eelichen stand...») jenes Werkes: fol. 33r. -43v.; in der Abschrift von Wyss, S. 4-18.
2 Bullinger hielt sich zum weiteren Studium vom 23. Juni bis 14. November in Zürich auf; er wohnte im «Kappeler Haus», an der Stelle des heutigen Kappeler Hofes, das dem Kloster gehörte und den Äbten als Herberge diente, HBD 11, 8-13; Blanke 79f.
3 Das Schreiben ist auf Montag nach Michaelis (30. September 1527) datiert; im Diarium sagt Bullinger jedoch, er habe den Brief «mens. Octobr. ad d. 17» geschrieben (HBD 11, 16f). Die einzig mögliche Erklärung für diese unterschiedliche Datierung bietet die Annahme, daß Bullinger sein Brautwerbungsschreiben zwar bereits am 30. September geschrieben hatte, die heimliche Übergabe des Schreibens (s. unten S. 141,5) jedoch erst bei passender Gelegenheit, über zwei Wochen später, am 17. Oktober erfolgen konnte. Der Ausdruck «ad diem 17» scheint das zu bestätigen. Offenbar legt auch Blanke 100 die Datierung des Diariums in diesem Sinne aus.
4 Hans Rudolf Steiner, 1631-1694, Statthalter. — Der Text ist der Schreibweise des 17. Jhs. angepaßt.
5 An den angeführten Stellen wird der Brieftext in einer meist fehlerhaften neuhochdeutschen Übertragung wiedergegeben (Ausnahme: Misc. Tig.). 6 wenn (SI I 53). 7 verdächtig.
8 abgehalten.
9 wenn.
10 Wann, wo und wie Bullinger Anna kennengelernt hat, ist unbekannt, s. auch Blanke 88.
11 noch.
12 schlicht, unschuldig (SI I 817).
13 darauf zielt (SI III 1308).
14 ohne (SI I 261).
15 vergelten, verdienen (SI VIII 660).
16 Vgl. Joh 3,35f; Eph 1,3ff; 2 Thess 2,13f.
17 einher.
18 Vgl. Mt 17,5; 1 Petr 2,4.
19 eindringlich (SI I 466).


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sitmal 20 wir sterbliche mentschen gar ein kurtze zeit uff erden läbend und aber deß fleisches und der sünden lohn der ewig tod ist, deß geists aber und der tugent ewigs leben. Darumb je noht ist, daß wir alle, die in dem nammen gotes getauft sind und in in durch Jesum Christum zum ewigen leben vertrauwend 21 , die wält und darin verlassend 23 und unß gstaltind nach der bildtnuß gottes, nach welcher wir geschaffen sind [Gen 1,27; Eph 4,24; Kol 3,10]und die wir begehrend ewigklich zu niesßen [!]24 ; welches aber dan beschicht 25 , wen wir an uns nemmend ein tugentrych leben 26 , welches, ob eß glich in vil ständen erfunden 27 wirt, eß doch nirgent lebentlicher 28 ußgetruckt dan in dem ehelichen stand, alß den gott selbs yngsezt hat und gebotten, daß alle die, so der hochen gaab der reinigkeit 29 oder jungfrauwschafft nit fähig, vor allen dingen dißen stand annemmen sollend und ehe vatter und muter verlassen, wo sie ungeschickt 30 , dan diße gottes ordnung underlasßen 31 . So || 6r. wir dan alle wüsßend, wie in großen ehren wir vater und muter haben sollend 32 und wie gehorsam wir inen sein sollend 33 , und aber gott alßo hoch die ehe achtet, daß er hie schlächt 34 nit wil, daß auch die höchst gehorsamme 35 kein hindernuß und uffzug 36 in dißem stand gebäre 37 , sehend wir heiter 39 , wie hoch, thüwr 39 und edel die ehe vor gott ist 40 .

Darzu findend wir keinen stand in götlicher schrifft, der mehr verheißungen hab dan dißer, dan hie findend wir, daß der allmächtig gott verheißt, wie er sy beschirmmen wolle, leiten und erzühen in liebe, einigkeit und groser süße 41 deß geists, in aller gerächtigkeit und in seinen gebotten; dan je in dißem stand sich alle tugenten üben könend: der glaub, liebe, barmmhertzigkeit, hoffnung, gedult, mäßigkeit, zucht 42 und alle gottsäligkeit in Christo Jesu unßeren herren. Darumb wir auch sehend, daß die höchsten und alerthürwertisten fründ gottes [Jak 2,23]in keinem anderen dan disem stand gelebt habent, alß Adam 43 , Enoch 44 , Noe 45 ,

20 sintemal, weil (SI VII 1448).
21 Siehe Röm 6,3ff.
22 Ergänze: alles was...
23 Vgl. Röm 12,2; 2 Petr 1,4.
24 genießen (SI IV 816); vgl. lat. fruitio [Dei].
25 geschieht.
26 Vgl. Kol 3,12ff u. a.
27 gefunden.
28 In übertragenem Sinne: lebendiger (SI III 973).
29 sittliche Reinheit, speziell Keuschheit (SI VI 992); öfters bei Zwingli, s. z. B.: «Eine freundliche Bitte und Ermahnung an die Eidgenossen», 1522, worin das hier angedeutete Problem des Zölibates ausführlich behandelt wird (Z I 227ff).
30 Ergänze: zur Reinheit oder Jungfernschaft.
31 Vgl. 1 Kor 7,1 ff.
32 Siehe Ex 20,12.
33 Siehe Eph 6,1.
34 einfach, durchaus, schlechterdings (SI IX 62).
35 Gehorsam.
36 Aufschub, Entziehung.
37 verursache, mit sich bringe (SI IV 1477).
38 klar.
39 teuer.
40 Dieses Argument wurde aus Bullingers «Volkommne[n] underrichtung» z. T. wörtlich übernommen (vgl. aaO, Msc D 200, Nr. 2, 35v.).
41 Süße, Süßigkeit (SI VII 1411).
42 Vgl. 1 Kor 13,13; Gal 5,22f.
43 Vgl. Gen 2,18 ff.
44 Vgl. Gen 5,21ff.
45 Vgl. Gen 6,18.


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Abraham 46 , Isac 47 , Jacob 48 , Joseph 49 , Moses 50 , Aron 51 , Josue 52 , Gedeon 53 , Samuel 54 , David 55 , Isajas 56 und im newen testament Petrus 57 , Paulus 58 , Philippus 59 , kurtz gar nach 60 alle ußerwehlten gottes sammenthaft 61 ; auch uß den züchtigisten töchteren beider testamenten Sara 62 , Rebecca 63 , Lea 64 Rachel 65 , Ruth 66, Anna 67 , Judith 68, Hester 69 , Elisabetha 70 und die muter unsers erlößers Jesu Christi, Maria 71 , welche doch in der ehe alein ein einige ewige port 72 und jungfrauw 73 , wie von ihren Isajas [7,14] gewyßaget hat und Ezechiel 74 , je daß wir hieruß gewüß erlehrnind, daß kein tugentricher, kein götlicher, kein früntlicher und lustbarer stand nit 6v. || ist dan der ehelich. Dan waß ist also heilig und züchtig, waß ist also tugentrich und lieblich, daß dise gotes fründ [Jak 2,23] nit gewüst habent? Hetend sy ein beßeren und seel[igeren] stand gewüst vor got, so betend sie den selben angenommen. Sie habend aber in der ehe gelebt, so sol sich
46 Vgl. Gen 11,29.
47 Vgl. Gen 24,67.
48 Vgl. Gen 29,15ff.
49 Vgl. Gen 41,50.
50 Vgl. Ex 2,21.
51 Vgl. Ex 6,23.
52 Vgl. Jos 24,15.
53 Vgl. Ri 8,30.
54 Vgl. 1 Sam 8,1.
55 Vgl. 1 Sam 18,27.
56 Vgl. Jes 8,3.
57 Vgl. Mt 8,14.
58 Bullinger rechnet Paulus, das greek von Phil 4,3 als Anrede an seine Gattin deutend, zu den Verheirateten (noch deutlicher in seiner «Volkommne[n] underrichtung», aaO, Msc D 200, Nr. 2,37 v.). Diese Meinung geht auf Clemens von Alexandrien, Stromateis, III, 6 (MPG VIII 1158 A) und Origenes, Commentarius in epistolam B. Pauli ad Romanos (MPG XIV 839 B) zurück; sie wurde auch von Luther vertreten: «Das siebente Kapitel S. Pauli zu den Corinthern ausgelegt», 1523 (WA XII 109, 12ff). Die Behauptung, daß Paulus verheiratet gewesen sei, findet sich auch in der neueren Forschung, s. Blanke 173.
59 Vgl. Apg 21,8f.
60 beinahe.
61 insgesamt (SI VII 916).
62 Vgl. Gen 11,29.
63 Vgl. Gen 24,67.
64 Vgl. Gen 29,23.
65 Vgl. Gen 29,28.
66 Vgl. Ruth 4,13.
67 Vgl. 1 Sam 1,2.
68 Vgl. Judith 7,1f.
69 Vgl. Est 2,17.
70 Vgl. Lk 1,5.
71 Vgl. Mt 1,18ff.
72 Pforte (SI IV 1633).
73 Die Lehre von der permanenten Jungfräulichkeit Marias, die spätestens seit der Lateransynode von 649 zur dogmatischen Tradition des Abendlandes gehörte (s. Dent. Nr. 503; Walter Delius, Geschichte der Marienverehrung, München-Basel 1963, S. 148), wurde auch von Bullinger beibehalten. In seiner Theologie kommt ihr jedoch «keine mariologische Bedeutung zu, sondern sie ist christologische Umschreibung des <primogenitus et unigenitus>» (Staedtke 158). Die Person der Maria genoß bei Bullinger keine besondere Verehrung - im Gegensatz zu Zwingli, der 1522 «Eine Predigt von der ewig reinen Magd Maria» im Druck herausgab (Z I 385ff).
74 Bullinger weist hier möglicherweise auf die verschiedenen Visionen Ezechiels von den Toren der Heiligen Stadt hin (s. u. a. Ez 10,19; 43,1ff; 44,1 ff; 46,1ff; 47,1). Einen direkteren Hinweis auf die «ewige Pforte und Jungfrau» Maria enthält das Buch Ezechiels nicht.


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niemants uß den Christen merkhen lassen, sam 75 eß nit seie ein lieblicher götlicher stand, ehelich syn.

Dan zum ersten, so überwindt man all böß unglauben und ist man gfölgig 76 gotes gebotten, die aber daß fleisch schwer bedunkend 77 ; so werdent zu gotes ehr die kinder erzogen und auch zu nuz der mentschen 78 ; so darf man frei zu got in nöthen lauffen und sprächen: Herr, ich hab dines wilens pflegen und dine bott gehalten, darumb so hilf, wie du wahrer gott verheißen 79 hast! Und hie übt sich die hoffnung; gath eß dan wol, so ist danck dabei, alßo daß daß gemüth immerdar an gott haftet und er von gantzem hertzen geliebet wirt 80 . Wan dan eins kranck, trurig oder frölich ist, hats dan alwegen einen einigen ewigen (der zeit) gespannen 81 , der lieb und leid mit im tragt. Glich wie ein gild mit dem anderen mit halt 82 , einß dem anderen dienstbar und behilflich ist, also ist auch hie ein unentliche liebe, bereite dienstbarkeit und unzertränliche einigkeit, daruff unser gott und schöpfer auch gespilt 83 und geredt hat, «die zwei sollend sin ein lyb», je daß wo die ehe mit gott bezogen 84 wirt, da ein unsagliche 85 froüd auch im lyden selbs regiert und nimer biß zur prüfung gotes 86 ußlöscht etc. Darvon alein denen, so solches erfahren habent oder in gottes wort und geist gelehrt sind 87 zewüsßen ist, daß eß hie nit statt hat 88 , mer darvon zu schryben. ||7r.

Sprichst du: Wo sind frölich ehelüth, die also in gotsforcht lebend, in fröuden und ruw? Eß ist doch nüzit dan 89 alle unruw, zanggen 90 und schlagen etc. — Sich hie und merkh, daß der frommen lüthen nach 91 vil sind und, ob 92 got wil 93 , täglich zunemmen werdint, so wir täglich gotes willen durch sein wort erlehrnend. Die wahren glaübigen sehend alein daruff, daß sie habind ein rein gewüssne und ein rüwig 94 hertz 95 , daß ist, daß sie mit got wol verricht 96 seyent und ab im 97 nit erschräkent, wen er kombt mit inen zu rächnen 98 ; daß ist daß höchste kleinot, daß wir uff c erden haben mögend. Wo aber ein solich geruwet 99 gemüt

c uff irrtümlich doppelt.
75 als ob (SI VII 902f).
76 folgsam (SI I 813).
77 Vgl. Röm 8,7.
78 Vgl. Dtn 6,20ff.
79 Vgl. u. a. Dtn 6,17-19; Ps 119,1ff.
80 Vgl. Dtn 6,5; Mt 22,37.
81 Lebensgefährte (SI X 297).
82 Vgl. I Kor 12,12ff.
83 angespielt (SI X 179).
84 eingegangen (Grimm I 1800).
85 unsäglich, unsagbar (SI VII 422f).
86 Gemeint ist das Jüngste Gericht (vgl. u. a. Mt 25,31ff).
87 Vgl. Joh 6,45; 14,26; 1 Joh 2,27. 88 es ist nicht der Platz (SI XI 1695).
89 nichts als.
90 Zanken.
91 noch. 92 wenn.
93 Siehe Jak 4,15.
94 ruhig (SI VI 1902).
95 Vgl. 1 Tim 1,5; Hebr 10,22.
96 ausgesöhnt (SI VI 428).
97 vor ihm.
98 durch Vergleichung der gegenseitigen Forderungen abrechnen (SI VI 116). Zum ganzen Satz vgl. Mt 24,44.
99 ruhig, ungestört (SI VI 1899).


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in got nit ist, da mag 100 nüzid von ussen har kommen, daß solichen mentschen zu ruwen 101 setze, und so dan etwaß unruwen und unraths in der wält im ehelichen stand, ist solches nit der ehe, sonder deren lüthen schuld, die solchen hochen stand nit rächt annemmend. Dan man ehen fint, die gar zwungen sind, so fint man, so alein umb deß guts wilen bezogen werdent oder aber uß holdschafft 102 , daß ist uß unsinigkeit 103 beschehend; 104 danen har 105 kombt, daß nach der trütel wuchen 106 garkein frid ist. Wenig sind, die eß mit gott und der gerächtigkeit 107 anhebend 108 und weniger, die liebe, zucht und gotsforcht 109 herin suchend. Waß kan aber da guts sein, da kein got ist 110 ? Und von danen kombt, daß sich die jungen göffel 111 und oftmals auch die alten narren uff geerbts oder gewunen guts verlassend und nit hörend 112 , 112 bis eß ales üpigklich verzeert ist. Da ist dan bulen 113 , spilen, suffen 114 , rasßlen 115 , wullen 116 , da heimben aber bei dem wyb murren, schelken 117 , wüeten, schlachen 118 , ja auch hunger, elend, armmuth ||7v. und verachtung. So aber der mehrtheil in der ehe allein sein lust und nutz ohne got sucht, ist kein wunder, ob 119 wir vil unlust in der ehe zu dißer zeit sächend, dan eß kurtz ab 120 nit gsyn mag, daß da seie einigkeit, liebe und lust, da kein gotsforcht ist; sitmal rychthumb, wält, wolust ohne gott nüzid anders ist dan die hell hie und dort ewige verdammnuß 121 . Eß ist ohne zweifel unsers unglaubens und unredlichen gmüts grächte 122 straff von gott, dan die wil 123 wir unßeren anfächtungen mehr nachgönd den gottes liecht 124 und mehr sähend uf adel, rychthumb, pracht, stöltze, hoffart, wust 125 , dan uf tugent, gotsforcht, deemut, treüw und zucht, beschicht 126 unß grad rächt, daß wir dan also unfrüntlich dan [!]127 unvernünftig
100 kann.
101 Das «unruwen» der Vorlage, das keinen Sinn ergibt, wurde nach Misc. Tig. 1/3 12 und Pestalozzi 582 abgeändert.
102 sinnliche Zuneigung (SI II 1184).
103 Unverstand, Torheit (SI VII 1071).
104 geschehen.
105 daher.
106 Flitterwochen (Grimm III 1808).
107 Vgl. Mt 6,33.
108 anfangen.
109 Vgl. Hebr 12,88.
110 Vgl. Mt 10,18.
111 Tölpel (SI II 131f).
112 aufhören.
113 «Ein Mädchen nächtlicher Weise besuchen; in älterer Sprache geradezu beschlafen» (SI IV 1187).
114 Saufen.
115 in Saus und Braus leben (SI VI 1283).
116 Gemeint ist «wüelen»: Lärmen, Toben.
117 Tadeln, Schelten (SI VIII 686f).
118 Schlagen. 119 wenn.
120 mit einem Wort.
121 Vgl. Lk 8,14; 16,19ff.
122 gerechte.
123 weil.
124 Vgl. Joh 3,19.
125 wüstes Leben.
126 geschieht. 127 «so unfreundlich, gleich den ... Tieren» (Pestalozzi 582).


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thier 128 mit ein anderen lebend; wo man aber mit got die sach an die hand nimbt, übertrift zwaren 129 gar kein stand dißen.

Alß ich aber solches und anders bei mir selbs gar nach 130 bei 3 jahren ernstlich betrachtet hab und je allweg erfunden, daß ewiglich also bliben und frei mines libs sein weder von got nach 131 der wält mir wol anstahn wil, daß ich keinen anderen weg zur tugent von sünden finden kan dan den einigen, den got 132 verordnet , Christus Jesus anzeigt 133 und dan mehrentheilß die fründe gotes gewandlet sind. Darzu mich auch mein ambt deß lehrens tringt, daß min lehr nit geistlich und leben üppig, auch vil ehrlicher lüthen und die mir zu gebieten hand rathend 134 , hat mich noth bedunckt, daß ich mir hierzu einen eingen und ewigen (der zeit) gspannen ußerwehlte, mit dem ich disen stand rächter maaß ||8r . annemme. Und wie wol mir darzwüschent etwas antragen 135 , deß ich zwwaren [!] nit wirdig nach gnoß 136 , hab ich doch nach nie (vilicht uß gotes ordnung) zu deren keiner min hertz und gmüt gesezt 137 , dan du alein die einig bist, die ich mir fürgeschlagen 138 . Got weists alein, ob du mir verordnet bist, und hat sich min wahl uff din red und geperden 139 gegründet, alßo daß ich mir nach fürgebildet 140 hab, du seyist ein solche, in deren gotsforcht und zucht seie und mit deren ich in lieb und leid und in allem, daß gotes wilen ist, leben möchte. Dennocht ligt solches zu einem theil an dir, zu mehrerem aber am gott. Dem selben sitmal ich wol vertrauwt, hab ich dißen brieff geschriben, auch dinen willen zu vernemmen, auch dinen stand zu hören, ob sichs also erfunde und gott unser schöpffer füegte, daß wir dißen früntlichen stand mit ein anderen bezugind. In dißem allem beschehe der wil gotes [Mt 6,10], die wil eß aber auch ein unglichß 141 were, wan ich din willen und weßen erforderte von dir und du mineß nach nit bericht werist, so wil ich dir fürhin all min weßen fürhalten 142 , guter hoffnung, wo du etwaß willen uß verordnung gotes zu mir hebist, thüeist glichß und flißist 143 dich auch der warheit, die ich dir hie bei allen trewen schwere 144 .

Erstlich mines wilens halb zu dir hast du jezund wol verstanden, daß, wo eß sich betreten 145 möchte mit beider stenden, ich dir alein geneigt were; dan bilich ists, daß glichß zu glichem kum, und stath aber diße gliche nit im adel und richthumb, sonder zum höchsten in dem ||8v. gmüt.

128 Siehe 2 Petr 2,12.
129 wahrlich, wahrhaftig.
130 nahe bei, beinahe.
131 noch.
132 Vgl. Gen 2,18ff.
133 Vgl. Mt 19,4ff.
134 Bullinger muß hier in erster Linie an Abt Wolfgang Joner (s. oben S. 481, Anm. 4) und Prior Peter Simler (s. oben S. 53 f, Anm. 2) gedacht haben; beide waren seit Anfang 1527 verheiratet.
135 zur Ehe anbieten (Grimm I 503).
136 ebenbürtig (war): SI IV 820.
137 Von diesen früheren Heiratsmöglichkeiten ist, dank Bullingers Diskretion, nichts bekannt.
138 vorgenommen (SI IX 452).
139 Benehmen.
140 ausgemalt, vorgestellt (Grimm IV/I I 665f).
141 etwas Unbilliges (SI II 598).
142 vorhalten, zeigen.
143 befleißigst.
144 schwöre.
145 finden, treffen (Grimm I 1713f).


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Demnach hat eß ein solche gstalt umb mich, und zum ersten ist dir ohne zweiffel von minem heimmat und minen elteren wol zu wüsßen, daß eß nüt weiters schribens bedarf; doch wurdist du nit uff di minnen, sonder uff mich sehen, mich wurdist nemmen und nit die minen, wie wol sie sind fromm biderb lüth 146 .

So bin ich nie gewycht 147 auch mit der minsten , wyche 148 nit, bin frei, keineß herren libeigen, bin 23 jar alt, bin niemants uff erden nüzid schuldig und verbunden, wie die unfreien.

Ich hab auch von kints weßen uff mit gotes hilff also gelebt under den mentschen, daß ich an keinem ort nie einige unehr begangen hab, alßo daß ich nit dahin kommen bedörff 149 , von danen ich gescheiden bin 150 , ußgenommen wo daß evangelium Christi verhast ist 151 daß aber dißen articel deß lümbdens nützid , antrift, dan Christus selbst geschmecht ist unbilich.

So hat got die gsundheit mines libs also vergaumbt 152 und verhüt, daß ich innert 20 jahren nit alein kein nammhaft läger 153 nie gehabt, sonder nie mit nambhafter kranckheit behaft geweßen bin 154, auch hüt zum tag (got seie min schirm!)155 keinen siechtagen 156 underworffen bin, alß da sind blateren, hirn wüete 157 , podagra 158 , wasser sucht, fallen 159 etc. Wol hab ich vom studieren ein blöd 160 gsicht 161 und zun zeiten ein blöd haubt, dahin auch hört 162 , daß ich etwan gäch 163 und zorn mütiger bin, doch nit häsßig und uffsezig 164 , alß den wol nachlassen 165 und bald vergäsßen kan, besonders wo man nit d büchßen pulffer 166 zu wirft.

||9r. Ich hab auch keinen anhang bößer buben, die mich ursachind 167 zu spilen, daß ich doch nie lehrt, oder zu suffen und kriegen, ab dem ich ein grewel hab, oder zu bulen, welches ich zu vermiden der ehr nachstell 168 ; so hab ich kein kind

d in der Vorlage irrtümlich mit.
146 Vielleicht will hier Bullinger als Priestersohn auf seinen «Geburtsfehler» anspielen und diesem Einwand von vornherein die Spitze nehmen.
147 geweiht.
148 niederste Weihe.
149 dürfte.
150 von wo ich weggegangen bin.
151 Dazu s. oben S. 114, 4-6.
152 behütet.
153 Krankenlager (SI III 1170).
154 Seine Erkrankung an der Pest im Kindesalter (s. HBD 2, 3f; Pestalozzi 9) dürfte demnach bereits im Laufe seiner ersten drei Lebensjahre erfolgt sein.
155 Vgl. Ps 32,7.
156 Krankheiten (SI XII 994ff).
157 Tobsucht (Grimm IV/II 1563).
158 Podagra, Fußgicht (SI IV 1020).
159 Fallsucht, Epilepsie (SI I 751).
160 empfindlich, schwach (SI V 25).
161 Gesichtssinn (SI VII 251).
162 gehört.
163 jähzornig (SI II 101).
164 gehässig.
165 nachgeben.
166 Schießpulver (SI IV 1206).
167 verursachen würden.
168 um das zu vermeiden, trachte ich nach der Ehe (SI I 391; XI 183).


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niemants, der bei mir trag nach soüg 169 , bin auch mit keiner der gstalt verhaft, daß mich gen dir leide 170 etc. Ich hab auch sonst keinen anhang.

Auch so hab ich einen alten vatter 171 ob den 172 60 jahren und ein muter 173 ob den 55 jahren, auch einen bruder 174 , ist 8 jahr elter dan ich. Dem selben und mir habend sie ales gemacht 175 daß sie habend, trift jezund etwaß ungefährlich ob den 1400 lb 176 , doch mit dißen gedingen 177 , daß er sin leben lang herr darüber

169 «So hab' ich kein Kind von niemandem zu ernähren», Pestalozzi 584; Blanke 92.
170 dir unwert mache (vgl. SI III 1081).
171 Heinrich Bullinger sen., 1469-1533, Vater des Reformators, aus altem Bremgartner Geschlecht stammend, zog als Wanderstudent durch Sachsen, Thüringen, Franken und Schwaben; nach seiner Rückkehr 1493 wurde er zum Priester geweiht. Am 27. Juni 1493 erhielt er die Michaelspfründe in Bremgarten, s. Eugen Bürgisser, Geschichte der Stadt Bremgarten im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte einer mittelalterlichen Stadt, Aarau 1937, S. 116. Er mußte aber zunächst längere Zeit in entfernten Helfereien und Kaplaneien dienen (Konstanz, Arbon, Schwyz und Wädenswil), weil er mit Anna Wiederkehr (s. unten Anm. 173) aus Bremgarten im Konkubinat lebte und darum von ihrem Vater und ihren Brüdern mit dem Tod bedroht wurde. Erst nachdem die beiden Brüder in ausländischen Kriegen umgekommen waren, konnte er nach Bremgarten zurückkehren. Dort versah er die Michaelspfründe als Kaplan und Organist, wurde 1506 Leutpriester, bald danach Kammerer des Dekanates Bremgarten und 1514-1529 Dekan. Er führte ein großes Haus, liebte die Jagd, war gastfreundlich und beliebt; selbst beim Bischof von Konstanz stand er in Gunst. Bekannt ist sein mutiges Auftreten gegen den Ablaßkrämer Samson im Februar 1519. Wann er sich der Reformation zuzuwenden begann, ist unbekannt, keineswegs kann er als «Reformator» des aargauischen Freiamtes bezeichnet werden, s. Jos. Bütler, Dekan Heinrich Bullinger von Bremgarten, der «Reformator» der aargauischen Freiämter, in: Monat-Rosen des Schweizerischen Studenten-Vereins und seiner Ehren-Mitglieder, Jg. 41, 1896/97, S. 15-20. 53—65. Anfang Februar 1529 bekannte er auf der Kanzel vor seiner Gemeinde, daß er bisher blind gewesen sei und aus Unwissenheit irrige Lehre gepredigt habe, in Zukunft jedoch den rechten Weg zur Seligkeit mit dem Gotteswort durch Jesus Christus zeigen wolle. Daraufhin wurde er von dem mehrheitlich reformationsfeindlichen Rat abgesetzt. Seine Appellation an die Stadtgemeinde nützte nichts: der Beschluß wurde bestätigt. Allerdings folgte kurz darauf der Umschwung, der zur Beseitigung des katholischen Kultus, zur Wahl eines evangelischen Predigers, des von den Zürchern vorgeschlagenen Gervasius Schuler (s. unten S. 193, Anm. 5), und schließlich am 18. Mai zur Berufung des jungen Bullinger zum Pfarrer führte. Dekan Bullinger hatte sich nach seiner Absetzung nach Zürich begeben; hier bestätigte er am 31. Dezember 1529 seine Ehe durch öffentlichen Kirchgang (HBD 18, 22-24). Er fand erst im März 1530 eine neue Anstellung unter Zürichs Vermittlung und nach anfänglichen Schwierigkeiten in Hermetschwil (Kt. Aargau), s. Bucher 120ff. Die Pfarrstelle versorgte er vom nahen Bremgarten aus. Nach der Schlacht von Kappel kam er am 21. November 1531 zusammen mit seinem Sohn Heinrich als Flüchtling nach Zürich und lebte in dessen Haus bis zu seinem Tode am 8. April 1533. Er hatte fünf Söhne (s. unten Anm. 173), Heinrich, der Reformator, war der jüngste. — Lit.: HBRG I 16ff. II 59f. 275f. III 266-268; Verzeichnis 1 95-100; Verzeichnis 2 445f; Verzeichnis 3 13-19; Walther Merz, Dokument bezüglich auf Decan Heinrich Bullinger, von 1522, in: Zwa II 399 f; Pestalozzi 4-8. 55f. 61-67; Blanke 5-10. 117f. 123; HBLS II 424.
172 mehr als (SI I 49).
173 Anna Bullinger, geborene Wiederkehr, gest. 1541, Mutter des Reformators, war, nach Bullingers Aussage, die außerordentlich schöne Tochter des Müllers und Ratsherrn Heinrich Wiederkehr in Bremgarten. Obwohl sie und Heinrich Bullinger der Ältere sich gegenseitig eheliche Treue versprochen hatten, lebten sie in einer ungesetzlichen Priesterehe. Erst nachdem sich der Dekan der Reformation angeschlossen hatte und abgesetzt worden war, konnte die Ehe am 31. Dezember 1529 in Zürich kirchlich bestätigt werden. Das Paar hatte fünf Söhne; zwei starben im Kindesalter, die übrigen waren Johannes oder Johann Reinhart (s. oben S. 114, Anm. 17), Hans Bernhard, der 1529 in fremdem Kriegsdienst bei Wien umkam, und Heinrich. Anna Bullinger starb am 16. August 1541. — Lit.: Verzeichnis 1 95-100; Verzeichnis 3 13-16: Pestalozzi 5f; Blanke 5-10.
174 Johannes oder Johann Reinhart Bullinger; seine Lebensdaten s. oben S. 114, Anm. 17.
175 vermacht.
176 Zur Zwinglizeit entsprachen in Zürich zwei Pfund einem Gulden, Paul Kläui, Ortsgeschichte. Eine Einführung, Zürich 1956 2 , S. 125. Wenn man von dem von Jacob 102 verwendeten


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seie und ob 178 er vor der muter mit tod abgienge, wir der muter keinen mangel ließind.

So hab ich sunst in unßerem closter 179 min heimb wesen und einen guten stand; da bin ich uffgenommen alß iren einer vom convent, daß ich da lehre. Dahin oder wo ich je sin wurde, ich dich zu mir nemmen etc.

Die richthumb aber, die ich von den minen erben möchte, und der stand, den ich jezund hab, sind jezund gwüsß gnug, möchtend aber durch unfal 180 (wie ale ding) werden geschwecheret. Darumb ich nach 181 einen gewüßeren 182 schatz hab 183 , der gar nit fellen kan, der ist got; der hat mir auch kunst 184 geben, welche, so ichs üben mit trewen 185 , mir gewüßlich nützid geprästen 186 wirt. Sunst seie eß von mir wit, daß ich die gaaben gottes verkauffen wolte 187 ; je ich weiß, daß mich gott nit verlast, die wil ich ihn für meinen gott hab. Dan sein prophet spricht: «Ich bin jung gsin und alt worden, hab doch nie den gerächten ver-||9v. lasßen gesehen, nach sine kind umb brod gahn» 188 . Das schriben ich nur darumb, daß du nit vermeinist, ich wole dich züchen 189 mit miner rychthumb. Wer uff richthumb und uff menschen all sein trost sezt, der ist verflucht [Jer 17,5] 190 und hat keinen himmelischen gott in sinem hertzen. Merkh, bißhar hat man ale ding in clösteren, da der Endtchrist 191 nach regiert, wolen gwüsß und gschliffen 192 haben, nit wölen rächt uff gott vertrauwen; wo du dan auch hie woltist uff minen wolstand sehen und nit dabei auch erwarten, waß dir und mir got mit der zeit wurde zu liden geben, daß du dich dan frei an gott dörffist lassen 193 , so wüsß, daß ich wenig herzens 194 zu dir hete. «Dan wen got liebt, den sucht 195 er» zun zeiten [Spr 3,12], und «alle, die gotselig wolind leben» — schribt Paulus -, «werdent verfolget»

176f «Guldenkurs» von 200 Franken und folglich von der Feststellung ausgeht, daß «fünfhundert Gulden (100000 Franken) und mehr bereits so etwas wie Reichtum» bedeuteten (Jacob 103), dann sind Bullingers Eltern mit 700 Gulden, d. h. 1400 Pfund Vermögen, als reich zu bezeichnen. — Der Vater des Dekans Heinrich Bullinger, Hans Bullinger, galt schon als wohlhabender Mann in Bremgarten, vgl. Verzeichnis 1 93f; Verzeichnis 3 9f; Pestalozzi 4.
177 Bedingungen.
178 wenn.
179 Im Zisterzienserkloster Kappel (s. Einleitung S. 23-25).
180 Unglück (SI I 739).
181 noch.
182 sichereren.
183 Vgl. Jes 33,6; Mt 6,20.
184 Sinn, Verstand.
185 Treue.
186 fehlen, mangeln (SI V 846).
187 Vgl. Apg 8,20.
188 Ps 37,25 wurde auch von Luther in diesem Zusammenhang zitiert, «Vom ehelichen Leben», 1522 (WA X/2 303, 10f). — Zu den von Bullinger gelesenen Lutherschriften über die Ehe s. oben S. 61, Anm. 70. Bullinger kannte auch das grundlegende Werk des Erasmus, «Christiani matrimonii institutio» (LB V 613-724), und benützte es 1527 mehrfach zu seiner «Volkommne[n] underrichtung ...» (s. oben Anm. 1); dasselbe gilt für dessen «Colloquia familiaria» (LB I 625-890), die er schon 1523 mit seinen Schülern durchgearbeitet hatte (HBD 8, 11).
189 ziehen, anziehen.
190 Vgl. auch Ps 62,11.
191 Antichrist. — Gemeint ist wahrscheinlich der Papst (s. auch oben S. 73, Anm. 15).
192 glatt (SI IX 152).
193 auf Gott verlassen.
194 Hier: Neigung, Liebe.
195 versucht er, stellt er auf die Probe (SI VII 220).


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[2 Tim 3,12]. Woltest den klagen und undultig 196 sin, alein süßes bei mir suchen und nit daß sur 197 auch versuchen, so wurde eß sich nit schickhen 198 ; eß sol ein lib sin, ein truren 199 , ein froüd. Daß möchte ich mit dir, waß du mit mir, weist selbs wol und zum nützid, daß ich also frei schriben. Man muß ein ding heruß sagen, daß nit hernach ein unraht 200 erwuchse. Ich wolte dir nüzid verwißen 201 ; daß wolte ich auch von dir haben. Eß darff 202 nit vil hoffierens 203 und zenzlens 204 besonders hie, da man in daß lang jahr dinget 205 , da kein scheiden hernach ist. Wan einer nur ein ful 206 rosß kauft, besichtiget ers eigentlich 207 , wie vil mehr hie, wen da kein enderung und wan der kauf einen schon gerüwt 208 ? Kurtz, wo gotsforcht ist und ein gmüt, daß mit got wol verrycht ist und dem nach daß sin wol kan zusammen halten und nit wulet 209 , daß ||10r. tragt lichtlich aleß, waß im got zu liden uffleit 210 , und überkombt 211 auch gnug ehren und guts, und daß mit gott. Wo daß nit 212, da werdent auch grose erb verthan mit schand und leid.

Darzu wüß auch, daß ich in keinen grosen gält schulden oder bürgschaften stäck, dan die ich samft 213 wolte bezallen mit 3 gulden 214 . So darff 215 ich umb kleider in kurzem nit zu sorgen, sitenmal ich mine nit bald 216 auch umb 50 gulden gebe. Sich, also gib ich dir trüwlich min weßen an in den mehreren stücken, damit du keinen betrug fürchtist.

Wüß auch, daß 217 min ambt zu lehren (damit ich dir gar nüzid verhalte) lib und leben eingesezt hab, daß wo eß die noth, die warheit und got unßer herr forderte, ich den balg 218 bei der warheit ließe. Von danen ich auch die morgen gaab nemmen, die ich dir geben wurde und glich mit dem patriarchen Abrahamb etc, dich got ze empfehlen und sprachen: «Got deß himmels und der erden» [Gen 24,3 u. ö.], got, der unß alen seel und lib geben hat, seie din schatz und din trost in Christo Jesu unßerem herren. Der verlasse dich nit, wie er mich auch nie verlassen hat, und erlüchte dich mit sinem geist, daß du in rächt kenist, an im ewig haftist und eß dultig 219 219 tragist, wo ich umb seines nammens willen den tod erliden müste etc.

196 unzufrieden, unwillig (SI XII 1771).
197 das Saure.
198 würde es nicht gut gehen.
199 Trauern.
200 Not, Unheil (SI VI 1577).
201 vorwerfen, zum Vorwurf machen, tadeln.
202 bedarf.
203 Schmeicheln (SI II 1039).
204 Liebkosung (Grimm XV 6421).
205 heiratet (SI III 58).
206 gering (SI I 787).
207 genau, ordentlich (SI I 146).
208 reut.
209 «nicht praßt» (Pestalozzi 585).
210 auferlegt.
211 bekommt.
212 Ergänze: ist.
213 leicht, mühelos (SI VII 1169).
214 Zum ungefähren Realwert s. oben Anm. 176.
215 muß.
216 nicht leicht (SI IV 1195).
217 Ergänze: ich.
218 Haut (SI IV 1209).
219 geduldig.


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Wo unß dan got auch kinder gebe und unß deß lebens gunte 220 , woltend wir also huß haben 221 , daß wir sy zu unsers gotes ehr und zu biderben lüthen 222 erzugend. Wo wir aber ||10V. darvon müstind, daß weiß ich, daß der herr unser got sie nit verließe, der doch alßo vil unnüzes spötliches 223 gflügel gar wol erzücht, ja schadhafte 224 thier wunderbarlich nehrt.

Aber waß darff 225 eß vil worten? Suma sumarum 226 , so ist diß der gröst gwüßist schatz, den du bi mir finden wirst: gotsforcht, frommkeit, trew, liebe, die ich uß der maßen wol an dich legen mag, arbeit, ernst, fleiß, daß unß in zitlichem nützid mangle. Alßo sichst hier vor augen ston, wan du mit mir da sur alß wol alß daß süß tragen woltist, wie du mich haben wurdist. Sunst sag ich dir nit von hochem adel und vil 1000 guldinen, zur nohturfft aber weiß ich wol, daß nützid wird gebrächen 227 . Und spricht aber Paulus: «Nützid habend wir in die wält bracht, nüzid werdent wir auch hinuß tragen. Darumb wan wir kleider und spyß habend, ists gnug». Flüst dan auch rychthumb hinzu (alß got niemants nüzid abgeschlagen hat), ists ein ambt und schaffnerei 228 .

Alßo hast du bißhar min willen, min weßen und stand gehört, aleß mit der warheit, ohne faltsch dargethan. Jezund so heger ich auch an dich, wo dir etwas zu muth were, daß du mir auch dinen willen zu verstönd gäbist, gschriftlich oder wie eß dich je kommlich 229 und gut dunkte; daß ist in summa, ob du möchtist in lieb und leid under miner trew und schirmm in der ordnung gotes leben, ob du ohne conscienz 230 mögist din stand enderen, ob du ein hertz habist, huß zu haben und rahtsam 231 zu sin, ob du guter gsundheit seyist und wie und waß diner muter 232 und dinem bruder 233 verbunden seyist. Je so bit ich dich, ||11r. daß du

220 gönnen, verleihen, schenken würde (SI II 332).
221 haushalten (SI II 1701).
222 zu ehrbaren, anständigen Leuten.
223 erbärmliches (SI X 626).
224 schädlich.
225 bedarf.
226 Zum ersten Mal bei Plautus, Truculentus 1, 1, 4 belegt, dann auch bei Lucretius und Seneca (Georges II 1923); Zwingli gebraucht den Ausdruck häufig.
227 fehlen.
228 Verwalterstelle; d. h. «allfälligen Reichtum will ich als zur Verwaltung übergeben betrachten».
229 gelegen, passend (SI III 285).
230 Gewissensqualen.
231 sparsam.
232 Elisabeth Adlischwyler, geborene Stadler, gest. 1529, zweite Ehefrau des Hans oder Johannes Adlischwyler (s. oben in Anm. 1), Mutter der Anna (s. oben Anm. 1). Sie gab ihre Tochter ins Kloster Oetenbach, verpfründete sich dort 1529 auch selbst, um in ihrer Nähe zu sein, starb jedoch bereits einige Wochen später, vor dem 24. Juni; sie litt an Wassersucht. Bullinger rühmt ihre Gutherzigkeit Verwandten gegenüber. Der geplanten Ehe ihrer einzigen Tochter mit Bullinger leistete sie allerdings erbitterten Widerstand, s. Verzeichnis 1 104-106; Verzeichnis 3 23f; Blanke 103-107; HBLS 1108.
233 Hans oder Johannes Adlischwyler, gest. 1564, Halbbruder der Anna (s. oben Anm. 1); 1504 im Glückshafenrodel I 489, 22f erwähnt. Er war Glaser, heiratete die Tochter eines Ehrenbürgers aus Rheinfelden und stand längere Zeit im Dienste des badischen Markgrafen. Die Gunst seines Herrn verhalf ihm zu den höchsten Ämtern in Rheinfelden. 1519 vergabte er, bereits als Bürger Rheinfeldens, 100 Pfund dem Predigerkloster in Zürich; 1529 wird er im Zusammenhang mit der Hinterlassenschaft von Frau Elisabeth Adlischwyler als Stadtschreiber erwähnt (AZürcherRef 1613); er starb als Ratsherr und Seckelmeister am 13. September 1564 an der Pest. Mit seinem Schwager Bullinger stand er in freundschaftlichem Verhältnis, wie seine Briefe an ihn zeigen. — Lit.: Verzeichnis 1 104; Emil Egli, Rheinsalm, in: Zwa I 319; HBLS I 109.


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mir ale ding alßo trüwlich anzeigist, wie du sichst, daß ich sy dir anzeigt hab. Besinn dich aber wol, daß du nüzid uß anfächtung thüeist, und sag eß frei heruß, schäm dich nützid, eß ist nüzid unehrlichs, so sagst auch niemand den mir. Nun hab ich doch dir vertrauwt und dir al min heimmlichkeiten 234 geoffenbaret. Wüsß auch, daß ich dich in dinen worten nit fahen 235 wil, bezüg ich mit dißem brieff. Biß 236 frei, dan ich mich auch nit hiermit wil verredt 237 haben, sitenmals ich mich mit dißem brieff alein hab wollen mit dir underreden; darumb die geschrifften, so zu verhüten allen betrug geschriben werdent, nit selbs betriegen oder erwütschen 238 sollend. Demnach erst wolend wir die verpüntnuß und beschlusß antwort 239 geben, wan wir beide hörend, waß willens und wie wir für ein anderen seyend. Du hast schon minen willen, so kanst uß obgemelten articlen verspüren, ob ich fur dich seie und warten alein deß dinen.

Hie weiß ich jezund auch wol, daß du dir hinder diser sach entsitzen 240 wirst und vermeinen, du seyist ihren nit wyß gnug zu verantworten 241 , darumb du vilicht uß forcht und schamm thun möchtist, daß dich hernach übel geruwe. Darumb so merk also wither. Zum ersten, so verstahst wol, waß ich dir schriben, daß ist die warheit, so weist demnach wol bei dir selbst zu einem theil, wie eß ein gstalt umb dich hat, zum anderen, waß du wol thun mögist; waß bedarf eß dan vil raths? Liß den brief 3 oder 4 mal, erinner 242 dich dargegen, bit gott, daß er dir sin willen zu verstönd gebe. Nun ist doch nie- ||11v. mants dir beßers schuldig dan du dir selbs; so wirstu mannen 243 dir selbs, alein ist eß umb dich zethun. Da die lücht [!]244 ein anderen nit kenend und man die ständ 225 nit weist, bedarf man vil rahts, hie aber hörst min stand und kenst mich. 2. Biß überhaubt nit so narrächt 246 und unbsint, daß dir ützid 247 jezund uß sorg fürnemmist 248 . Ich kan wol bekenen 249 , daß du jung bist, dir selbs entsitzst 250 und dir vilicht in solchen sorgen fürbildist 251 , du wolist nit uß dem closter und alweg also bliben, ohne man. Da hüt 252 , daß warlich ein anfächtung were und die dich über kurtz übel gerewen möchte. Merkh alßo, du bist jung, so hat dir got nit alß 253 ein ungschikten lib 254 geben und dich geschaffen ohne zweifel nit, daß du ewig min gnedige frauw 255 seyist und nützid thüeist oder kein frucht von dir komme.

234 Geheimnisse.
235 bei verfänglichen Worten fassen, fangen.
236 Sei!
237 durch Worte gebunden, verpflichtet (SI VI 564).
238 erwischen.
239 «die bindende und endgültige Antwort» (Blanke 100).
240 davor erschrecken (SI VII 1764).
241 beantworten.
242 ermahne (Grimm III 858f).
243 heiraten (SI IV 290).
244 Leute.
245 Lage, gesellschaftliche Stellung (SI XI 960-962).
246 albern (SI IV 783).
247 etwas.
248 vornimmst (SI IV 745).
249 erkennen (SI III 314).
250 dich erschreckst.
251 dir vorstellst, einbildest.
252 Da sorg!
253 so.
254 Leib.
255 Nonne (SI II 663f).


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Lieber liß Paulum in 1. Epist. Tim. 2. cap. [9ff]; wirst finden, worin du must selig werden. Eß were ja ein narrächt fürnemmen 256 (du habist dan die hoch gaab der reinigkeit ewiglich 257 ), wan du dinen jungen lib also woltist zwüschent den muren erstäcken 258 . Hie biten ich dich, daß du dißer sach wolist eigentlich 259 nachtrachten 260 und jederman sagen laßist was er wol 261 . Sich 262 du uff gott, uff sin wort, worumb du seyist geschaffen, waß dines libs und diner seelen heil 263 , auch daß du sterblich, nit lang uff erdtrich bist. Vergaum 264 , vergaum, min liebe, daß du nit alweg im kumer hin lebist! Lieber sag an, kansts, worumb die frauwen clöster seiind anfenglich eingsezt. Nit daß man darin jung frauwen und töchteren, die aber anderst wo zu gut 265 , erzuge 266 , sonder die alten übelmögenden 267 II 12r. armmen 268 . Du bist im 269 ze jung und zu wol mögend 270 . Liß Paul 1. Tim. 5 [11ff], so verstand auch, waß dir hie fürgetragen werde. Wen ich schlächts 271 glaub, daß also wenig für mich seve ein Greti 272 dorffnepper 273 , ein pürin 274 , also wenig seie für dich ein rucher 275 handtwerks man oder pur. 276 So erforderen 277 ich von dir auch
256 albernes Vorhaben.
257 Vgl. 1 Kor 7,7-9.
258 schädigen, verderben (SI X 1591).
259 genau.
260 nachsinnen (Grimm VII 205).
261 will.
262 Sieh.
263 Ergänze: ist.
264 verhüte, daß nicht (SI II 302).
265 zu anderem tauglich.
266 erziehe.
267 kränklich, gebrechlich (SI IV 112f).
268 Diese Behauptung ist übertrieben. Bullinger will jedoch damit sicherlich nicht sagen, daß die Frauenklöster ursprünglich Armenhäuser oder sogar Altersheime waren, sondern eher nur, daß sie einst nicht als Pensionate und Versorgungsstätten für junge, kräftige (und wohl z. T. reiche) Töchter gedacht waren. Die Klöster als Versorgungsstätten werden in der Reformationszeit manchmal heftig kritisiert, vgl. AZürcherRef 378 f, dagegen die Aufgabe der Klöster zur Armen- und Krankenpflege stark betont und bei der Verwendung der eingezogenen Klostergüter in hohem Maße berücksichtigt, s. z. B. AZürcherRef 619; HBRG I 125; im Verkommnis mit den Konventherren zu Rüti, AZürcherRef 752, stellt der Zürcher Rat fest, daß das früher übliche Klosterleben nicht im Gotteswort begründet sei, «sonder syent sölicher klöster und örden güeter almuosen, und söllint zuo ufenthalt der armen ... bewendt werden»; anschließend wird auch klar ausgesprochen: «die rechten ordenslüt, das sind die armen, notdürftigen cristen». Bullinger mag mit seiner Bemerkung außerdem noch auf die ursprüngliche Bestimmung des Dominikanerordens als Bettelorden angespielt haben. — Die Auffassung Bullingers über den ursprünglichen Zweck der Klöster im allgemeinen zeigt sich vielleicht am klarsten in seiner Auslegung des 1. Thessalonicherbriefes, Zürich ZB, Msc D 4, 134r. (Hausammann 22, Anm. 54): «Die klöster sind von anfang durch die ufferstanden [entstanden], so nützid dann arbeitend, und damitt ouch Gott dientend, zu der zyt, do die waren christen ... flühen müstind in die wüstinen... Das im anfang was, das dann ouch die zehenden wurdint den klösteren und ander gaben als denen, die dappffer, fromm lüt hettind und alles köntind den armen wol zu dienen. Und wurdint also die klöster der kilchörinen schaffner und diaconi.»
269 ihm, hier: dafür.
270 körperlich kräftig, gesund (SI IV 113).
271 einfach, schlechterdings (SI IX 63).
272 Greti, gemeine Bauersfrau, Bauerndirne (SI II 824).
273 grobes Bauernmädchen (SI IV 773); «Gredy Dorffnäpper» heißt eine der Hauptfiguren in Niklaus Manuels «Barbali», 1526 (Manuel 133ff).
274 Bäuerin.
275 derber.
276 Bauer.
277 verlange.


Briefe_Vol_01-140arpa

nit hacken, rüten 278 , sonder waß dir wol zimbt, huß zu haben, rathsam sin 279 etc. und waß den wiberen ist. Wie wol in kurtzem vilicht nach nit vil huß habens bedörfte, die wil ich da were 280 , möcht sich aber mit der zeit schicken 281 , daß wir anderstwo hin kommind und nit me den tisch 282 hetend, wie da, darvon wir wol reden wurdind etc. Hie bi gedenck auch, wie ein götlich lieblich ding eß ist, wo zwei eins mit ein anderen sind, einß dem anderen wol wil und sich eins deß anderen wol vermag 283 , auch wie eß ein biter elend leben ist, wo zwei nit wol mit ein anderen zühend und wie nit jedes alzit sin fug 284 fint etc. Daß alleß ich dir zu gutem schrib, daß dich wol vorbetrachtist und nit uß forcht oder schamm sagist, waß dir nit am hertzen seie, ja du wolist also bliben, und aber wüssentlichen 285 anders e in dir tragist. Wer weist, ob vilicht umb diner sorg, forcht und scham willen dir hie mit mir got ursach geben hat, dich frei ze eroffnen und zu freien, daß du je nit also müßist ohne frucht din junges leben in der gfengknuß verschlißen 286 . Eß ist warlich ein groß ding, ursach 287 haben und achten uff zit, daß wir jedes zu siner zeit, wan eß sich füegt, annemmind, wen nit alweg fürschleg 288 sind, die unß fügind 289 , und blibt aber zu lest grose reüw, wan wir die schantz 290 habend übersehen. Diß ales jetzt ||12v. stande zu dir hin 291 , dan ich dir hiemit nit wil weder geliebet nach geleidet haben 292 , sonder alein sag ich daß, daß du dich wol besinist, got, sein wort, diner seelen heil betrachtist. Waß dir dan got ingibt, daß thue; wirst mich in alweg unerzörnt haben, alein lasß mich ein antwort wüsßen.

Und so du jedoch gar keinß willen hetist, so biten ich dich doch durch die trew, durch die liebe und die ehr, die ich dir gun 293 und zu dir hab, daß du mich doch in disem kleinen stuck verehrist 294 und dißen brieff niemants sehen lasist, niemants nützid darvon sagist, sonder mir in widergebist und sechist, daß ich din ehr und nit schand gesucht hab. Ich hab dir stille schwigen 295 , aler ehren und guts vertruwt, darumb hab ich gschriftlich wolen mit dir handlen, ich hab auch sunst keinem menschen uff erden nüzid darvon gesagt; müste auch fürder 296

e aus anderst korrigiert.
278 Roden (SI VI 1807 f); hacken und rüten: häufig als Bezeichnung für körperliche Arbeit.
279 Sachen in Ordnung halten (SI VI 1619).
280 Nämlich im Kloster Kappel. «Da» kann aber auch im Sinne von «dort» stehen (s. SI XII 3) und bedeutet keineswegs, daß Bullinger den Brief in Kappel verfaßt haben mußte. Allerdings wohnte er zu dieser Zeit, laut Diarium (HBD 11, 8-13), auch in einem dem Kloster gehörenden Haus, im «Kappeler Haus» in Zürich (s. noch oben Anm. 2).
281 sich fügen.
282 Freiplatz, freie Verpflegung (SI XIII 1910).
283 Zuneigung hat (SI IV 112). — Vgl. die Formulierung Luthers in der erwähnten Schrift, WA X/2 299, 5-7: «... was für nutz und lust mehr drynnen sey, wenn eyn solch stand wol geredt, das man und weyb sich lieb haben, eynes sind, eyns des andern warttet ...»
284 Gegenstand, der paßt, gefällt, beliebt (SI I 700).
285 wissentlich, bewußt.
286 verbringen, verzehren (SI IX 684).
287 Ursache, Möglichkeit (Grimm XI/III 2509).
288 Vorschläge (SI IX 229f).
289 die uns genehm sind (SI I 702).
290 Glücksfall, Vorteil (SI VIII 978f).
291 steht an dir, hängt von dir ab, ist dir zur Entscheidung anheimgestellt (vgl. SI XI 530. 535f).
292 weder beliebt noch unbeliebt gemacht haben.
293 schenke.
294 die Ehre antust.
295 Stillschweigen (SI IX 1792).
296 weiter.


Briefe_Vol_01-141arpa

alßo bliben, biß zu siner zeit. Ich hete eß wol mögen muntlich verrichten, ich weiß aber, wo solichs, hete ichs nit könen. Die ander, die bi dir ist 297, were sie inen 298 worden, wer sie nit auch darzu kommen 299 , so weist selbs, daß sie dich danethin 300 gehasset hete. Ich hab auch also dinen und minen verschonen wollen, habe keiner underthädinger 301 gewölen; dinen, daß dir kein geschrei wurde, minen aber, so eß mir nit geriete, daß sich die nit froüwtend 302 , die ich nit hab nemmen wolen. Darumb schon 303 minen, dan ich auch dinen geschonet hab. Gedenck: «Waß über den anderen mund ußkombt, blibt nit verschwigen» 304 . Wan ich aber din wilen verstunde und wir möchtend eins werden, wolte ich demnach wol früntschafft erwerben an den dinen 305 , so mit träffenlichen 306 lüthen, daß sie nützid darwider ||13r. kontind, doch ales mit dinem rath. Da schrib mir auch, wie eß umb din muter 307 ein gstalt habe, du wirst mich alweg gutwilig finden. Ich meint, waß ich selbs bi dir nit schuff, wurde niemants anders schaffen. Ich vertrauw dir vil guts, darumb, were dir etwaß zu muth 308 , so behalt disen brieff wol bi dir, daß du in bi dir behaltist, wan du zu mir komist. Antwort mir bald 309 . In allem beschäch 310 gottes wil [Mt 6,10]; der erlüchte dich, daß du daß annemmist, waß diner seelen heil seie etc.

Geben uff montag nach Michaeli im 1527. jahr 311 .

Du känst min hand, daß mines nammes nit noth ist 312. Waß ich mit dir handlen, ist warheit ohne faltsch.

H. B.

Handel auch du wißlich in stille und schwigen, vertrauw mir, ich hab doch zum ersten dir vertrauwt. Got seie mit dir.

Mit eigner hand und sigel.

297 Justitia Moser (Moßer) aus Konstanz, gest. 1553, Nonne im Dominikanerinnenkloster Oetenbach in Zürich. Nach Aufhebung des Klosters 1525 lebte sie weiter dort, zusammen mit Anna Adlischwyler (s. oben Anm. 1), mit der sie gut befreundet war, s. Verzeichnis 1 106; Verzeichnis 3 24, wo sie als «Justitia Meser» bzw. «Meßeri» erwähnt wird; der richtige Name steht im Gemächtnisbuch, Zürich StA, B VI 312, 248; ihre Freundschaft mit Anna s. unten S. 158,5f. Sie blieb im Kloster Oetenbach bis zu ihrem Tode, Halter 167. 183. — Daß sie und Anna Adlischwyler die einzigen nach 1525 im Kloster zurückgebliebenen Nonnen waren (Pestalozzi 53; Blanke 88; Staedtke 291), ist ein Irrtum: 1535 lebten noch insgesamt 18 Frauen dort, 1545/46 noch 7, darunter auch einige der ehemaligen Dominikanerinnen vom Kloster Oetenbach, Halter 167; vgl. auch die bei den Namen dieser Nonnen im Namensverzeichnis angegebenen Urkunden, ebenda S. 173ff.
298 inne.
299 nämlich zum Heiraten.
300 fortan.
301 Vermittler (SI XII 448).
302 freuen sollten.
303 verschone.
304 Kirchhofer 177.
305 Tatsächlich stand später Bullinger zu seinem Schwager in freundschaftlichem Verhältnis (s. oben Anm. 233).
306 angesehenen.
307 Siehe oben Anm. 232.
308 «bist Du mir geneigt» (Pestalozzi 587).
309 Der Antwortbrief der Anna Adlischwyler ist nicht erhalten.
310 geschehe.
311 30. September 1527; zur Datierungsfrage s. oben Anm. 3.
312 Demnach müßte Bullinger mit Anna bereits vorher in brieflicher Verbindung gestanden haben (vgl. Blanke 89). Möglich ist aber auch, daß er hier auf andere von ihm verfaßte Schriften hinweist, die den Weg nach Oetenbach gefunden haben.