Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1905]

Bullinger an
Joachim Vadian
[Zürich],
Mai 1544

Abschrift von unbekannter Hand a : Zürich StA, E II 345, 254

Dankt für zwei [nicht erhaltene]Briefe Vadians; bedauert, dass aus dessen Buch über die vier Zeitalter [s. zuletzt Nr. 1861]nichts wird. Sendet Martin Frechts Brief an Vadian [vom 5. April 1544, Vadian BW VI 1334]zurück; dieser ist teils lutherisch, teils bucerisch gesinnt und stand nie auf der Seite der Eidgenossen; nun wirft er [den Zürchern] vor, sie würden Anhänger der Wittenberger Konkordie wegen ihrer lutherischen Lehrweise kritisieren, doch in Wirklichkeit hat Bullinger nur Gervasius [Schulen ermahnt [s. oben Nr. 1894 und Anm. 7], in seiner geplanten Predigtveröffentlichung nicht wie Luther die Lehre zu verdunkeln, da dieser einzig in der Frage der Transsubstantiation von der päpstlichen Abendmahlslehre abweiche und in seinem Bekenntnis [,,Vom Abendmahl Christi", 1528] die Verdammung Berengars gebilligt habe [WA XXVI 442f]. Luther hat mit seinem Brief an Froschauer [vom 31. August 1543, WA Briefwechsel X 384-388, Nr. 3908] erneut seine fehlende Verständigungsbereitschaft bezeugt; er verketzert Zwingli und [die Schweizer], hat ein privates Schreiben [der Zürcher Theologen vom 30. August 1539, Nr. 1304]nicht beantwortet und lehnt die Gemeinschaft mit ihrer Kirche ab, doch um seinetwillen können sie ihren Glauben nicht aufgeben. Fürchtet Luther nicht und ist bereit, nötigenfalls wie David gegen Goliath zu kämpfen [1Sam 17] und anhand der ihm vorliegenden Akten darzulegen, wie mit ihnen umgegangen wurde. Was es heißt, Christi Leib zu essen, ist aus Joh 6 zur Genüge bekannt; hat gelesen, was Calvin, mit dem er nicht schlecht steht, dazu schreibt, doch auch Calvin und Bucer vermögen nichts gegen Gottes Wort, und Luther wird auch Calvin nicht zustimmen. Frecht behauptet, Christus werde zwar nicht fleischlich, doch auch nicht nur im Glauben genossen; dies sind Wortgefechte, die Bullinger immer mehr verabscheut. Am letzten Konkordiengespräch in Zürich [1538] und im Brief [der reformierten Orte] an Luther [vom 4. Mai 1538, WA Briefwechsel VIII 211-214, Nr. 3224]hat man klar gemacht, was man von der "unaussprechlichen Weise" der Gegenwart Christi hält, doch Luther erwartete, sie würden Zwingli abschwören, wie es in Wittenberg bereits andere getan haben; Bullinger hält wie schon damals an der einfachen Lehre Christi fest; auf öffentliche Angriffe wird er antworten, doch im Übrigen überlässt er Luther sich selbst und schenkt dem Reden von einer Konkordie keine Beachtung mehr. Vadian soll diese offenherzigen Äußerungen für sich behalten; Bullinger bleibt mit Frecht und anderen, die ihn als Bruder gelten lassen, in der Hoffnung auf bessere Einsicht in Verbindung. Vadian bezeichnet mit Recht die Zwietracht als schweres Ubel, doch Luther verlangt die Verleugnung ihrer bisherigen Lehre, und Bullinger will lieber sterben als sich unter Verleugnung der Wahrheit mit Luther einigen. Wenn es nur um die Abendmahlslehre ginge, würde er auch Schwenckfeld als Bruder anerkennen; hat Luthers Verdammungsurteil [vom 6. Dezember 1543] gegen diesen [CSch IX 33. 76; WA TR V 300f bzw. 301f], das sich auch gegen die [zwinglischen] "Sakramentarier" richtet, schon früher erhalten [Blarer BW II 770, Nr. 5], aber nicht an Vadian weitergeleitet, da er ihn schonen wollte. Sendet den [nicht erhaltenen] Brief von [Johannes] Gast zurück; auch hieraus wird deutlich, was von der Konkordie zu halten ist.

[Gedruckt: Vadian BW VI 321-324, Nr. 1347; Teildruck: CO XI 722-724, Nr. 555.]

a Datum und Korrekturen autograph. Über dem Briefanfang von anderer Hand: Vadiano.