Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2243]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
13. September 1545

Autographa: Zürich StA, E II 336, 216 (neu: 234)(Siegelspur) Ungedruckt

Myconius schrieb vor vier Tagen an Vadian, dass Schwenckfeld in der Hoffnung auf eine Einigung ein Gespräch mit Vadian und den [Zürchern] wünsche. Jakob Held [von Tiefenau], seiner Gesinnung und seinen Aussagen nach ganz wie Schwenckfeld, bat Myconius, diesbezüglich an Vadian und Bullinger zu schreiben, was Myconius versprach. Wenn man Held anhört, gewinnt man den absurden Eindruck, dass vor Schwenckfeld niemand Christus gekannt habe. Für Myconius ist Schwenckfelds Lehre sowieso abstoßend. Gezwungenermaßen musste er mehr als einmal an gewisse adlige Schwenckfelderinnen schreiben, wenn auch nicht in seinem eigenen Namen, sondern in dem ihrer Schwestern. Myconius mahnt zur Vorsicht; man hat ja entsprechende Beispiele vor Augen. Das Übrige stellt er Bullingers Klugheit anheim. Der Schwenckfelder [Johannes] Bader ist in Landau gestorben. Sein Nachfolger [Johannes Liebmann] ist ein noch größerer Anhänger Schwenckfelds. Es gibt seit dem Reichstag [zu Worms], der kein Reichstag war, nichts Neues, doch geht das Gerücht um, dass von den Protestanten 36 Fähnlein zu [König Heinrich VIII. von]England gegen [König Franz I. von] Frankreich ziehen. Ein Heer des Kaisers [Karl V.]hindert sie daran, Anschluss aneinander zu finden. Myconius empfiehlt den Überbringer [...]. Bullinger soll die beigelegten Briefe an ihre Adressaten weiterleiten. Gruße an Konrad Pellikan und an Theodor [Bibliander].

S. Scripsi ante dies quatuor ad d. Ioachimum 1 de Schwencfeldio, ut is cupiat ac petat cum -ipso-et vobiscum-colloqui-colloqui-hac videlicet spe futurum id ad concordiam sanam. Scripsi autem ideo, quod mecum ea gratia nuper egit praesens lacobus Heldius 2 Schwencfeldii meo quidem 3 videre 4 animus et os. Petenti ergo postquam consensi, nolui efficere, ut ille quondam arguere me posset mendacii. Et eadem causa est, cur nunc idem scribam ad te. Nam alioqui res, quam ille tractat, videtur talis, ut inde sequatur neminem ab initio mundi Christum novisse usque ad C[asparem] S[chwencfeldium]; quod quam absurdum sit, non opus est verbis! Equidem sic abhorrui hactenus ab illius dogmate, ut libros eius ne adspicere quidem potuerim. Interim tamen coactus scripsi non semel contra Schwencfeldianas quasdam nobiles 5

a Mit Unterstreichungen von späterer Hand.
1 Joachim Vadian. — Der erwähnte Brief (Vadian BW VI 44l-443, Nr. 1412) wurde am 7. September 1545 verfasst.
2 Jakob Held von Tiefenau.
3 Gemeint ist: meo quidem iudicio.
4 videre = viderunt, im passiven Sinne (,,visa sunt"); s. Stotz IV 338, § 72.7.
5 Darunter wohl Margareta, geb. Scher (Schär) von Schwarzenburg. —Margareta,
die mit dem württembergischen Vogt Nikolaus von Grafeneck verheiratet war und schon seit der zweiten Hälfte der 1530er Jahre dem schwenckfeldischen Kreis in Ulm angehörte (Weber, Schwenckfeld 9; CSch VIII 681; IX passim), war Schwester von Elisabeth, die mit Hans Christoph Hecklin (Höcklin) von Steineck verheiratet und seit Juli 1539 in Straßburg eingebürgert war (QGT XV 351, Nr. 935) und zur Abfassungszeit des vorliegenden Briefes mit Myconius in Korrespondenz stand.


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literas plus satis longas, 6 quamvis non meo, sed sororum illarum 7 nomine.

Ceterum, quicquid sentiam, venit dictus Heldius et, quod facio, elicuit; ubi quidem mea quidem sententia tria illa per consultationem sunt non negligenter expendenda: Res ipsa, conditio Schwencfeldii et quod nobiscum, id est in Helvetiis, petit colloquium, preter ea, que ipsi pro prudentia vestra expendere valetis. Sunt prae manibus exempla, quae nosti, 8 a quibus poteritis fieri cauti. Ego, quod promisi, paucis his exihibitum volo, insuper quoque sententiam meam brevibus et forsitan obscuris propositam. Quod reliquum est, tue tuorumque prudentie committo.

Baderus Schwencfeldianus b (de quo nimirum audisti)9 mortem obiit Landavii 10 , et substitutus est longe magis Schwencfeldianus 11 Dominus tollat scandala eiusmodi ab ecclesia sua et dogmatum suorum puritatem benigniter largiatur. Fiat!

Nova non sunt post comitia non comitia finita. 12 Rumor tamen volat 36 signa protestantium proficisci ad Anglum 13 contra Gallum 14 ; in itinere quoque cesaris 15 exercitum obstare, ne illi 16 possint convenire. Quid hoc sit, praeter ingenium meum est expendere.

b In der Vorlage Ssiencfeldianus.
Auf ihre Anfrage hin hatte dieser ihr und ihrem Mann kurz zuvor, am 27. Februar 1545, einen brieflichen Ratschlag zur Laufbahn des Ehemanns erteilt (Zürich ZB, Ms F 81, 394). Erst später, in den 1550er Jahren, wurde Elisabeth ebenfalls eine Anhängerin Schwenckfelds (s. Elsie Anne McKee, Katharina Schütz Zell, Bd. 1: The Life and Thought of a Sixteenth-Century Reformer, Leiden 1999, passim; CSch XII 715f; XIII 102).
6 Nicht erhalten.
7 Wohl die Schwestern Elisabeth (s. oben Anm. 5) und Felicitas, geb. Scher. — Felicitas war in erster Ehe mit dem Straßburger Stadtadvokaten Franz Frosch (gest. 1540), in zweiter Ehe mit dem Arzt Johann Winter von Andernach verheiratet und lebte seit 1544 in Straßburg. Es ist ein Brief von Schwenckfeld an sie aus dem Jahr 1543 erhalten (CSch VIII 621f), dessen Inhalt jedoch nicht darauf schließen lässt, dass sie eine Anhängerin Schwenckfelds wäre. Erst später kann sie mit Sicherheit als solche bezeichnet werden (s. McKee, aao, passim) — In Myconius' Brief an Vadian vom 31. Dezember 1545 (Vadian BW VI 483) wird der Vater der erwähnten Frauen als "nobilis quidam Argentinensis" bezeichnet, was zwar auf den
kaiserlichen Rat Peter Scher von Schwarzenburg in Rücksicht auf seine Herkunft (Hessen) nicht zutrifft, aber nicht abwegig ist, wenn man erwägt, dass Peter Scher seit Ende 1530 wiederholt in Straßburg (wo seine Töchter Felicitas und Elisabeth wohnten) weilte; s. Bucer BW I 144f, Anm.3.
8 Wohl eine Anspielung auf die erfolglos gebliebenen Gespräche und Verhandlungen der Zürcher mit den Täufern.
9 Bullinger wusste spätestens Ende August 1544 von Johannes Bader und dessen Hinwendung zu Schwenckfeld; s. HBBW XIV 349, 3f. Am 9. September 1545 wurde Bullinger von Johannes Gast über Baders Tod informiert; s. oben Nr. 2239, 13-15.
10 In Landau in der Pfalz (Rheinland-Pfalz).
11 Johannes Liebmann. —Zum Tod Johannes Baders und zu Baders Nachfolger s. oben Nr. 2239, 13-15 und Anm. 9f.
12 Zum ergebnislosen Reichstag zu Worms s. oben Nr. 2211, 35f; 2213, 85-88; 2216, 23-26; 2229, 21-23.
13 König Heinrich VIII. von England.
14 König Franz I. von Frankreich. — Siehe oben Nr. 2239, 28-32 und Anm. 28. 31; 2234, 25-28 und Anm. 17.
15 Karl V.
16 Gemeint sind die angeworbenen Landsknechte der 36 Fähnlein.


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Qui has reddit, 17 commendatus sit. Queso autem, ut adiunctas meas c18 reddas, ad quos pertinent. 19

Vale per dominum cum Pellicano et Theodoro 20

Basilea, 13. septembris anno 1545.

Tuus Os. Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, Tigurinorum antistiti optimo doctissimoque, amico in domino venerando suo. Z[ürich]d .