Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2239]

[Johannes Gast] an
Bullinger
Basel,
9. [September] 1545

Autograph: Zürich StA, E II 366, 220 (Siegelspur) Ungedruckt

Gast dankt für Bullingers [Buch]geschenke und übersendet zur Bezeugung seiner Dankbarkeit [Nikolaus] Gerbels [Vorrede zu "In descriptionem Graeciae" von Nikolaos Sophianos]. [Kaspar von]Schwenckfeld, der von [Herzog Ulrich von]Württemberg geächtet wurde und Zuflucht in der Eidgenossenschaft sucht, wünscht eine Unterredung mit den [Zürchern] und mit Vadian. Zu diesem Zweck soll der adlige [Jakob Held von Tiefenau] Myconius dazu bewegen, sich brieflich an die [Zürcher und an Vadian] zu wenden. Bullinger und Theodor

betten des H. Sacraments ein kurtzer Bericht"; und "Von dem grossen Gottes dienst der löblichen Statt Cöllen". Die drei Schriften tragen im Kolophon die Angabe "Gedruckt zu Straßburg durch Wendel Rihel". Sie sind in Schlüter, Streitschriften, Nr. 177-179, beschrieben, jedoch irrtümlich (s. auch aao, S. 131) der Druckerei des Laurenz von der Mülen in Bonn zugewiesen, was aufgrund des vorliegenden Briefes zu korrigieren ist.
3 Ludoiph (Lütet) Man(n)inga von Lütetsburg war vom 21. Oktober 1545 bis zum 7.
Januar 1546 zu Gast bei Pelikan, der ihn gratis beherbergte, weil Ludoiph "pauper und exul"war; s. Pellikan, Chronikon 172. Laut Pelikan war Ludoiph Bruder eines Hayo Maninga. Hayo (Hoyko oder Haiko; gest. 1568) war Häuptling von Pewsum und Oldersum und Bruder von Unico Maninga (gest. 1588). Der junge Ludoiph starb bereits 1548 in London; s. Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 14, 1902, 401f, Anm. 1.


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[Bibliander] sollen sich vorsehen! [In Landau] ist dem verstorbenen Schwenckfelder [Johannes] Bader ein noch schlimmerer [Johannes Liebmann]nachgefolgt, den der herbeigerufene Bucer von seinen Irrtümern heilen soll. Die Evangelischen von Metz, denen ein Ultimatum von 14 Tagen gestellt wurde, suchen Zuflucht in Straßburg. Heute las Gast einen Brief von [Basler] Kaufleuten aus Straßburg. [Karl V.] wirbt [Lands]knechte an und versucht, den [Erz]bischof von Köln [Hermann von Wied] zu vertreiben. Dieser, vom Kaiser nach Köln zitiert, wurde aufgefordert, zum alten Glauben zurückzukehren. Nur mit Mühe erhielt er zwei Tage Bedenkzeit und konnte sich so in Sicherheit bringen. Papst [Paul III.] hat ihn unter Androhung des Gnadenverlustes innert 40 Tagen nach Rom vorgeladen. Landgraf [Philipp von Hessen] rüstet; desgleichen Pfalzgraf [Friedrich II.], der die [rhein]abwärts strebenden Lands[knechte]abfängt, viele von ihnen hängt oder sie zum Schwur zwingt, nichts gegen die Fürsten und die Reichsstädte zu unternehmen. Viele kehren wieder um. Einige meinen, dass Herzog Heinrich von Braunschweig die Werbungen betreibe. Bald wird man wissen, was der Kaiser im Sinn hat! Angeblich hat [Paul III.]dem Sohn [Arnold]des Kölner Bürgermeisters [Arnold von Brauweiler] das Bistum Köln versprochen. Grüße an Theodor [Bibliander].

S. in domino, Bullingere charissime.

Tuum erga me animum multis ex donis 1 agnosco et video etiam te nihil, quod excolendam amicitiam veram spectare videtur, omittere. Utinam possem expendere! Mitto nunc tenue munusculum, Gerbelii scriptum de Grecorum civitatibus. 2 Scio enim plus animum mittentis te expensurum quam munusculum ipsum. Videbis non ingratum erga tuam in me charitatem et animi propensionem.

Swenckfeldius colloqui vobiscum et cum Vadiano cupit. Subornavit quendam nobilem 3 qui sollicitat Myconium, quo vobis scribat hac de re. 4 Nusquam tutus est ac, proscriptus a Wirttembergensi 5 iam tutum latibulum querit in Helvetia. 6 Hiis paucis volui te et Theodorum 7 nostrum admonere, quo admoniti sitis et interea consultetis, quid vobis agendum sit, ne serpentem in sinu foveatis 8 Novi enim mores illorum hominum. Baderus, discipulus Swenckfeldii, obiit, 9 cui successit peior 10 , quem Bucerus vult ab erroribus liberare, propterea et vocatus est, nescio a quo. 11

1 Buchgeschenke; s. oben Nr. 2228, 331.
2 Nikolaus Gerbel, In descriptionem Graeciae Sophiani praefatio ... Eiusdem de situ, nominibus et regionibus Graeciae perbrevis in picturam Sophiani introductio, Basel, Johannes Oporinus, September 1545 (VD 16G 1451; GG 293), 52 Bl. im Folio Format. — Siehe schon oben Nr. 2143, Anm. 6.
3 Jakob Held von Tiefenau.
4 Myconius schrieb darüber am 7. September 1545 an Vadian (Vadian BW VI 441— 443, Nr. 1412) und am 13. September 1545 an Bullinger (unten Nr. 2243). — Helds Missionen blieben erfolglos; s. Weber, Schwenckfeld 16 und Anm. 24.
5 Herzog Ulrich von Württemberg.
6 Schwenckfeld hielt sich zu dieser Zeit auf
Schloss Justingen (Alb-Donau-Kr.; Baden-Württemberg) auf; s. Weber, aao, S. 19.
7 Theodor Bibliander.
8 Vgl. Adagia, 4,2,40 (ASD 11/7 117f, Nr. 3140).
9 Johannes Bader war am 3. August 1545 (oder zwischen 10. und 15. August 1545; s. NDB I 512) in Landau in der Pfalz gestorben; s. Pfälzisches Pfarrerbuch 14, Nr. 152.
10 Johannes Liebmann. Er stammte aus Schwaben und predigte von 1537 bis 1544 (und nicht 1542) in Ersingen, Grimmelfingen und Pfuhl (bei Ulm) und war vermutlich ab 1544 Erster Diakon in Landau in der Pfalz. Am 3. August 1545 wurde er Nachfolger von Johannes Bader als Pfarrer


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Metenses fugiunt ad Argentoratenses; illos dico, qui verbo Christi adhaerent. 12 Mann hat inen ein zu gesetzt uff 14 tag, do 13 die ordnung zd schweren 14 oder abziehen.

Hodie legi literas a mercatoribus nostris Argentine scriptas. 15 Der keyser 16 nympt knecht ann; 17 understat 18 , den bischofs von Cöln 19 zu vertriben, dann der bischofs vom keyser zittiert (haec dixit Sapidus 20 ) gon Cöln. Do ist er erschinen. Keyser imm gebotten, die lutherisch religion abzustellen ac pristinam religionem servare ut hactenus. Er begert 2 tag ein dilation 21 , das er kaum erlangen hat mögen. Hatt sich also an sin gewarsame gethon 22 . Daruff hat gefolget des bapst 23 citation gen Rom, das er sol by allen ungnaden 24

in Landau und wirkte dort auch als Senior bis 1553. —Da Liebmann ausgesprochener Schwenckfelder war, sind die Angaben von Gritschke (s. unten) umso mehr zutreffend, wonach Liebmann als Pfarrer in Pfuhl dem Ergebnis einer Visitation von 1543 zufolge sehr beliebt war und 1544 vom Ulmer Rat mit Predigtverbot belegt wurde. In der Gemeinde Pfuhl hatte Lieb-man Kindertaufen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern hin vorgenommen und nur selten das Abendmahl gefeiert. Da also Liebmann offenbar noch 1543 und 1544 in Pfuhl nachgewiesen ist, ist zu vermuten, dass er erst ab 1544 in Landau tätig wurde. — Lit.: Mennonite Encyclopedia I 210f (s.v. Bader); Pfälzisches Pfarrerbuch 271f, Nr. 3139; Gritschke, Schwenckfeldertum 401; EKO XIX/1 30 und Anm. 42.
11 Am 8. August 1545 hatten Bucer und Matthias Zell dem Straßburger Rat mitgeteilt, dass Bader in Landau todkrank und sein Gehilfe und mutmaßlicher Nachfolger [Johannes Liebmann] ein Schwenckfelder sei. Der Straßburger Rat beauftragte am 10. August Jakob Hermann, mit einer von den Predigern entworfenen Instruktion nach Landau zu gehen. Während sich Her-mann Abreise verzögerte, kam die Nachricht, dass Bader gestorben sei und sein Nachfolger sich ganz als Schwenckfelder aufführte. Deshalb wurde die Instruktion am 19. August etwas geändert und Bucer bewogen, mit nach Landau zu reiten; s. PC III 6301, Nr. 597, Anm. 1; R. Eminet McLaughlin, Martin Bucer and the Schwenckfelders, in: Martin Bucer and
Sixteenth-Century Europe. Actes du Colloque de Strasbourg, Leiden u. a. 1993, Bd. 2, Leiden/New York/Köln 1993, S. 62441
12 Der Bischof von Metz, Kardinal Johannes von Lothringen, hatte am 25. Mai und 25. Juni 1545 den Metzer Magistrat gemahnt, mit harten Maßnahmen gegen diejenigen vorzugehen, die sich weigerten, die Hostie zu empfangen; s. Henri Tribout de Morembert, La réforme a Metz, Bd. 1: Le Luthéranisme, Nancy 1969 — -Annales de l'Est. Mémoires 36, S. 2091.
13 In Metz.
14 schwören.
15 Unbekannter Brief. —Vgl. oben Nr. 2193, 291 und Anm. 12.
16 Karl V.
17 nympt ... ann: wirbt ... an. —Vgl. oben Nr. 2238.
18 unternimmt es.
19 Hermann von Wied. —Siehe dazu oben Nr. 2214, Anm. 24.
20 Johannes Sapidus, seit Spätherbst 1526 in Straßburg.
21 Aufschub.
22 an sin gewarsame gethon: sich in Sicherheit gebracht; s. Grimm IV/1/3 4882, unter 3.
23 Paul III. —Siehe dazu auch oben Nr. 2214, Anm. 25; 2238. — Die in Z. 26 angeführte Frist von 40 Tagen ist in 60 Tage zu korrigieren.
24 by allen ungnaden: bei Entziehung der Gnade, "die den abbruch aller persönlichen beziehungen zum hof und verlust alles dessen bedeutete, was der betroffene


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bäpstlicher heiligkeyt in 40 tagen zü Rom erschinen, sich zu purgierend und antwort zu geben sins handels halb in der religion. Was will daruß werden?

Der lantgraff 26 rüstet sich; ouch der pfaltzgraff 27 . Die knecht, die hinab 28 wellen, facht 29 der pfaltzgraff, henckt iren vil, zwingt sy zu schweren, nuit 30 zu thun wider die fursten und stett des reichs. Vil kommen widerumb heim. Ettlich meynen, hertzog Heinrich von Brunschwig neme die ||220v. knecht an. 31 Wir wellend bald etwas innen werden 32 , wohin sich der keyser welle wencken 33 .

Man sagt, der bapst habe des burg[erjmeysters a son 34 von Cöllen zugesagt das bistumb zu Cöln. O Germ[a]niam caecam et insanam, que consilia impiorum non olfacis et adeo secure vivis sine omni resipiscentia!

Vale et Theodo[rum]35 nomine meo offitiosissime salutabis.

Basilea, 1545, 9. s[eptembris]b .

[Adresse darunter:] Doctissimo ac humanissimo viro d. Heinrycho Bullingero, preceptori suo multis nominibus colendo.

a Hier und unten Text teilweise im engen Einband verdeckt.
b So auch Johann Jakob Simler in der Abschrift (Zürich ZB, Ms S 58, 33).
an ämtern, gütern u. s. w. [...]empfangen hatte"; s. Grimm XI/3 1020.
25 rechtfertigen.
26 Philipp von Hessen.
27 Friedrich II. von der Pfalz.
28 D.h. rheinabwärts. — Sie strebten in das Bistum Trier; s. oben Nr. 2238. Entgegen der in Nr. 2238 geäußerten Meinung steckte nicht der Kaiser dahinter, sondern Friedrich von Reifenberg; s. unten Anm. 31.
29
30 nichts.
31 Vgl. PC III 632, Nr. 598 (9. September 1545): "Seit einigen Tagen ist 'ain geläuf der knecht den Rhein hinab'. Die Musterung soll zu Koblenz sein. Vielleicht
steckt Heinrich von Braunschweig dahinter, von dessen Rüstungen der Landgraf berichtet." Es handelte sich um Werbungen Friedrich von Reifenbergs für König Heinrich VIII. von England; s. PC III 635, Nr. 603 (20. September 1545); oben Nr. 2234, Anm. 17; Potter 322.
32 innen werden: erfahren.
33 wenden.
34 Mit dem Bürgermeister ist wohl Arnold von Brauweiler (gest. 4. Juli 1552) gemeint, der mehr als ein dutzendmal Bürgermeister von Köln war und der die Politik des Kaisers in Köln eifrig unterstützte; s. Varrentrapp, Reformationsversuch 249. Arnold von Brauweiler hatte zwei Söhne: Melchior, Vorsitzender des Hochgerichts, und Arnold, Propst von St. Georg in Köln; s. ADB XLVII 213f. Hier ist wohl Arnold gemeint.
35 Theodor Bibliander.