Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2385]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
19. März 1546

Autograph: Zürich StA, E II 345, 321 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 427f, Nr. 1265

Blarer kann wegen des Marktes und unzähliger Beschäftigungen [seine Meinung über Bullingers "De sacramentis"]nicht mitteilen und überhaupt auf den am Vortag empfangenen Brief [Nr. 2376] nicht eingehen. Er übersendet aber den lang ersehnten Brief [Nr. 2384] seines Bruders [Thomas] über den [Frankfurter Bundes]tag. Über Luthers Tod ist eine [Quartschrift] von vier Blättern erschienen. Bald aber werden die Verehrer Luthers viel bedeutendere Schriften verfassen. In Bezug auf Bullingers Wunsch, Bucer [möge ebenfalls bald sterben], mahnt Blarer zur Zurückhaltung. Zwar stellt auch er einige Mängel an Bucer fest, bezweifelt aber keineswegs dessen Engagement für Christi Sache. Auch wenn Bucers Art und Denkweise anders ist, darf man den Tod solch eines hervorragenden Werkzeugs Christi nicht herbeiwünschen, zumal weder dessen noch Luthers Tod zur Beilegung des Abendmahlsstreits beitragen würde, denn viele, die sich auf Luthers Autorität stützen, werden in den Kirchen noch mehr Unruhe stiften. Blarer ist dankbar, dass die Zürcher sich weiterhin um [Konrad]Hofherr kümmern. Dieser wird wohl Blarers Brief empfangen haben, so wie auch Bullinger Blarers anderen Brief [Nr. 2381] erhalten haben wird. Blarer möchte erfahren, wie Hofherr sich weiterhin betragen hat, und was die [Zürcher] über ihn denken. Man sollte bald mit ihm sprechen. Mehr kann Blarer nicht schreiben, da der Bote [...] in Eile ist. Bullinger soll nicht an Blarers Treue zweifeln; dieser wird Bullinger stets alles, was für die [Zürcher] wichtig ist, melden. Grüße.

75 Justin Gobler (Göbler), geb. 1503/1504, gest. 21. April 1567. Er studierte Jura und wurde 1544 Hofrichter zu Münden und 1546 Kanzler des Hochstifts Münster. — Lit.: ADB IX 301.
76 Franz von Waldeck, Bischof von Münster.
77 Ein Brief Gwalthers an Gobler ist nicht erhalten. Bei den erwähnten Versen handelt es sich wohl um "Ad Philippum Hessorum principem, de victoria contra Heinrychum Brunsvicensem, quem vivum
coepit una cum filio" vom 21. Oktober 1545 (Zürich ZB, Ms D 152, 68r.), die Gwalther ebenfalls Georg Frölich zukommen ließ; s. Frölich an Gwalther, 2. April 1546 (Autograph: Zürich ZB, Ms F 39, 575). — Wir danken Herrn Kurt Jakob Rüetschi für die freundliche Auskunft.
78 Druck: Blarer BW 411, Nr. 1243.
79 Vorliegender Brief wurde Ambrosius Blarers Brief vom 19. März beigelegt; s. Nr. 2385,2f.


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S. Nihil nunc pro animi sententia 1 ad te simul et a ad tuas literas 2 , quas heri accepi. Nundinae 3 hic sunt et innumeris occupationibus involvor. Mitto vero fratris 4 epistolam 5 de comitiis istis 6 , unde me toties iam admonuisti, ut de ipsorum 7 tractatione certiorem te redderem. 8

De Lutheri fato excusus iam quaternio est, 9 moxque longe grandiora sequentur 10 pro studio illorum, qui virum coluerunt.

Quod Bucerum additum illi 11 cupis, 12 vereor, ut recte facias, teque per communem servatorem, cuius negocium agimus, obsecro et obtestor, ne quid eiusmodi imprudentius spargas, quum non ignores nihil occasionem negligere satanam, quo evangelii caussam in odium rapiat. Multa desidero in Bucero, interim nihil dubito domini gloriam et propagationem regni Christi unice illum quaerere. 13 Modus et ratio si non admodum respondent nostre sententiae, non propterea extinctum optare debemus tam egregium Christi organum, quamquam, ut ingenue, quod sentio, dicam, nec propter Lutheri

a simul et über der Zeile nachgetragen.
1 Bullinger hatte Blarer um dessen Meinung zu seiner Schrift "De sacramentis" und zu deren etwaiger Veröffentlichung gefragt; s. Nr. 2376,40f. — Als Blarer den vorliegenden Brief verfasste, hatte er noch nicht Bullingers Brief vom 18. März mit dessen erneuter Bitte, sich doch offen zu dieser Schrift zu äußern (s. Nr. 2383,19—25), erhalten.
2 Nr. 2376 vom 11. März.
3 Die großen Messen in Konstanz fanden am 9. September und am Konradstag (26. November) statt, kommen hier also nicht in Frage; s. Caspar Wolff Kalender oder Laaßbuechli sampt der Schreybtafel Mässen und Jarmärckten uff das M.D. und LXIX. Jar, Zürich, Christoph Froschauer d.J., 1568 (VD16 W4240), f. Bvi,v. Somit ist hier ein Wochenmarkt oder (was noch wahrscheinlicher scheint, zumal Blarer sonst nie auf diesen wöchentlichen Markt anspielt) ein außergewöhnlicher Regionalmarkt gemeint. Es ist aber unbekannt, warum dieses Ereignis Blarer besonders in Anspruch nahm.
4 Thomas Blarer.
5 Nr. 2384 vom 18. März.
6 Der Frankfurter Bundestag.
7 der Gesandten des Schmalkaldischen Bundes.
8 Siehe zuletzt Nr. 2376,23—27.
9 Wohl Justus Jonas' und Michael Caelius' Bericht über "Doctor Martin Luthers Christlicher abschid und sterben", dessen
älteste Fassung möglicherweise in Nürnberg (vgl. nämlich Nr. 2364,20f) als Quartschrift in vier Blättern erschien (VD16 J883) und bald darauf im gleichen Format u.a. in Augsburg (VD16 ZV8745 — ein Exemplar davon in Zürich ZB, 19.205/5) und in Konstanz ("excusus iam quaternio est") vom Drucker Balthasar Romätsch (VD16 ZV27824 — zwei Exemplare davon in Zürich ZB, Ms 59, 86a; Ms F 16, 34r.—37v.) unter dem gleichen Titel (doch mit Schreibvarianten) gedruckt wurde. Darauf folgte in Wittenberg, diesmal auf sechzehn Blättern und unter dem Titel "Vom Christlichen abschied aus diesem tödlichen leben des Ehrwirdigen Herrn D. Martini Lutheri bericht durch d. Justum Jonam, m. Michaelem Celium und ander die dabey gewesen kurtz zusamen gezogen", eine vermehrte Quartausgabe dieses Berichts (VD16 J905), die ebenfalls mehrmals, u.a. in Augsburg (VD16 ZV8746), nachgedruckt wurde. — Zu Bullingers Reaktion darauf s. Nr. 2387,4f.
10 Siehe dazu oben Anm. 9; und Nr. 2380, Anm. 2.
11 Luther.
12 Bullinger hatte Bucers Tod herbeigewünscht; s. Nr. 2376,76—79.
13 Blarer hatte Bucer schon öfter gegen Bullinger in Schutz genommen und dessen Aufrichtigkeit betont; s. HBBW XV 83. 539f.


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mortem melius habituram credo caenae Christi caussam, quum sciam non parum multos, qui freti authoritate hominis 14 magis turbaturi sunt nostras ecclesias; id quod res ipsa haud obscure loquetur. Ego semper mihi a Lutheri morte timui, quantumvis mihi displicuerit ipsius in tractanda domini caena ratio; sed video, ingenia nostri saeculi quanta temeritate ferantur. Dominus, nostri misertus, omnia spe melius administret!

Curionis 15 negocium adeo vobis curaae esse maximopere gratum est. Et puto iam vos, pariter et illum, meas literas 16 accepisse. Quid igitur porro is egerit quidve de illo sentiatis, rescire ex vobis vehementer aveo. Semel enim aut ad bonam frugem revocabitur aut esuriet 17 Curio. Posterius accidere illi nolim, nisi ultro sibi ipse malum accersere velit. Sed meliora cum ipso Christus!

Plura nequeo, quum audiam abiturientem hunc nuncium 18 nullas ferre remoras.

Ah, mi venerande et charissime frater! In mea fide cave, unquam quicquam dubites! Nihil celabitur earum rerum, que ad vos pertinere videbuntur. Sic tecum loquor ut cum animo meo nec unquam tuam fidem, mihi crede, fallam.

Commenda nos domino diligenter. Salutant te nostri b . Constantiae, 19. martii 1546.

Tuus Ambr. Blaurerus.

[Adresse auf der Rückseite:] An meister Heinrich Bullinger zu Zürich, seinen fürgeliepten herren unnd bruder, etc. 20

b Nach nostri ein unlesbar gemachtes Wort.
14 Gemeint ist Luther.
15 Konrad Hofherr. — Siehe zuletzt Nr. 2376,28—39.
16 Blarers Brief an Bullinger vom 15. März (Nr. 2381) und ein nicht erhaltener Brief Blarers an Hofherr. Die Briefe waren von Jakob (Metzler?) nach Zürich befördert worden; s. Nr. 2383,1f. — Als Blarer den vorliegenden Brief verfasste, konnte er aber noch nicht Bullingers Brief vom
Vortag (Nr. 2383) erhalten haben; deshalb die hier geäußerte Frage.
17 Vgl. Lk 13, 6—9.
18 Unbekannt.
19 Anspielung auf Nr. 2376,64—68.
20 Diesem Brief war wohl eine darin nicht erwähnte Beilage zu dem damals aufgetauchten falschen Kaiser Friedrich I. Barbarossa beigefügt; vgl. nämlich Nr. 2387,25—27.